39
Es war so kalt. Aber vor einiger Zeit hatte ich aufgehört zu zittern, mittlerweile saß ich bewegungslos und mit angezogenen Knien da und versuchte, dem Drang zu schlafen nicht nachzugeben. Eigentlich war mir klar, dass nichts passieren würde, wenn ich einschlief, aber der Gedanke, so schutzlos in dieser Zelle zu sitzen, hielt mich davon ab.
Die Wachen hatten mich sofort zurück ins Anwesen gebracht und nachdem auch Kiranis Abwesenheit bemerkt worden war, war es eigentlich schon geklärte Sache gewesen. Ich hatte auch nicht versucht, es abzustreiten. Einen Moment lang musste ich mir sogar ein selbstzufriedenes Lächeln verkneifen, als ich die Panik der Wachen, ihren Schock und das Unverständnis in ihren Augen gesehen hatte. Was auch immer nun noch kommen würde, Prijan und ich hatten es geschafft.
Ich wusste nicht, ob Argmis bereits über alles unterrichtet worden war, ob Nescan schon davon wusste. Ob Eath wusste, dass ich hier unten war.
Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie er reagieren würde. Was er von mir denken würde. Wahrscheinlich würde er enttäuscht sein, vielleicht würde er sogar darüber nachdenken, ob er sich wohl in mir getäuscht hatte. Und womöglich war das auch so.
Sie brachten mir nichts zu essen. Und Wasser bekam ich nur in so großen Abständen, dass ich mich jedes Mal wieder wie eine Verdurstende benahm, wenn ich endlich die Flüssigkeit auf meiner Zunge spüren konnte. Immerhin hatten sie mir meinen Mantel nicht abgenommen, denn auch mit ihm konnte ich die Kälte in meinen Gliedern deutlich spüren. Es war mir wirklich ein Rätsel, wie die anderen Gefangenen – die, die nichts weiter als zerrissene Lumpen trugen – es hier unten aushielten.
Mein Zeitgefühl verlor ich relativ schnell. Ich hatte keine Ahnung, ob die Sonne schon aufgegangen war, ob sie vielleicht schon bald wieder untergehen würde. Das war es, was mich wahrscheinlich am meisten störte. Noch nicht einmal der erbärmliche, widerliche Eimer, den sie mir für den Klogang in die Zelle gestellt hatten, nervte mich so sehr. Ich konnte überhaupt nicht einschätzen, wie lange ich schon in dieser Zelle saß. Es hatte auch keinen Sinn, die drei Männer zu fragen, die direkt vor meinen Gitterstäben standen. Egal, was ich sagte, sie ignorierten mich. Deswegen wusste ich auch nicht, was mich erwarten würde. So wie ich es bei Kirani verstanden hatte, würden sie mich früher oder später vor drei Richter führen. Und da ich nicht für mich selber würde aussagen können, konnte ich mir bereits sehr gut ausmalen, wie das alles ablaufen würde. Der Täter oder die Täterin hatte dutzende Wachen vergiftet, eine Gefangene befreit und weigerte sich nun auch noch zu verraten, wer der Mittäter war.
Sie hatten mich danach gefragt, hatten wissen wollen, wer die zweite Person gewesen war, die mir offensichtlich bei der ganzen Sache geholfen hatte. Aber ich hatte geschwiegen wie ein Grab. Und das würde ich auch weiterhin tun. Keiner von ihnen würde jemals von mir erfahren, dass Prijan mir geholfen hatte.
Einen Augenblick lang hatte ich Angst gehabt, sie würden wegen des Uratonnebels auf Narah schließen können, aber da dieser nicht nachweisbar war, brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Sollte es darauf ankommen, würde ich mir irgendetwas ausdenken.
Ich seufzte und veränderte ein wenig meine Sitzposition, weil ich aufgrund des Steinbodens bereits jeden Muskel spürte.
„Wenn ihr euch schon so einen Aufwand macht, hättet ihr ruhig den ein oder anderen mehr aus diesem Loch holen können ...", hörte ich plötzlich eine kratzige Stimme sagen. Es hörte sich nach einem alten Mann an, aber sicher war ich mir nicht.
„Wer spricht da?", flüsterte ich. Es dauerte eine Weile, bis eine Antwort kam und kurz hatte ich Angst, ich hätte Wahnvorstellungen.
„Dein Nachbar von rechts." Deswegen kamen seine Worte nur dumpf bei mir an. Die Wand zwischen uns verhinderte leider ein nettes Kaffeekränzchen.
„Verstehe", erwiderte ich, „tut mir leid, aber wie Sie offensichtlich sehen können, war es bereits schwer genug, eine Gefangene hier raus zu schaffen."
Ich erwartete eigentlich, dass die Wachen jeden Moment diese Unterhaltung unterbinden würden, aber stattdessen ließen sie uns weiterreden. Vielleicht erhofften sie sich, Informationen aus unserem Gespräch zu erhalten. Aber ich würde meinem Nachbarn ganz bestimmt keine belastenden Dinge erzählen.
Ein leises, tiefes Lachen ertönte. „Nicht nur äußerlich, sondern auch im Charakter hast du einiges mit deiner Mutter gemeinsam. Wer hätte gedacht, dass ich das noch sehen würde ..."
Ich hielt den Atem an bei seinen Worten.
„Sie kannten meine Mutter?" Vielleicht war der Opa dort drüben einfach nur verwirrt und nicht mehr bei Verstand. Mal ganz davon abgesehen, dass ich meiner Mutter nicht wirklich ähnlich sah.
„Sagen wir, ich habe einst ihre Bekanntschaft gemacht. Sie war eine ... beeindruckende Frau."
Ich wusste erst gar nicht, was ich dazu sagen sollte. Also ließ ich mir Zeit und dachte über meine nächsten Worte eine Weile nach.
„Ja", stimmte ich zu, „das war sie. Es ist eine Schande, dass sie bei dem Angriff ums Leben kam." Ich erwähnte die Ursache ihres Todes absichtlich, um herauszufinden, ob er davon wusste.
„Bei dem Angriff?", fragte er und lachte auf. „Oh, Mädchen, ich glaube, wir sprechen hier von zwei unterschiedlichen Personen. Die Frau, die du meinst, konnte keine Kinder kriegen."
Ich hielt inne und versuchte, dem, was er gesagt hatte, irgendeinen Sinn abzugewinnen. Irgendeine Logik. Aber ich verstand einfach nicht, was er meinte.
„Wer sind Sie?", fragte ich also stattdessen. Vielleicht würde eine solch simple Frage mir ja zeigen, ob ich es hier mit einem Verrückten zu tun hatte.
„Manche würden mich als einen gefährlichen Mann bezeichnen. Manche als einen uralten Glyth. Andere würden sagen, ich bin das Monster, das ihr Leben zerstört hat. Aber ich denke, die wenigsten würden sich auf Anórion beschränken."
Ich hörte ihn tief durchatmen. Und je länger ich ihm zuhörte, desto größer wurden meine Zweifel, ob es überhaupt eine so gute Idee gewesen war, dieses Gespräch begonnen zu haben.
„Ich glaube, hier liegt eine Verwechslung vor", sagte ich schließlich das, was am wahrscheinlichsten war. „Meine Eltern sind bei einem Angriff auf unser Dorf ums Leben gekommen."
Wieder dieses merkwürdige Lachen, das eine Gänsehaut bei mir verursachte. Ich wusste nicht mal, ob ich wissen wollte, wie dieser Mann aussah. Denn ehrlich gesagt, stellte ich ihn mir äußerst furchterregend vor.
„Deine Mutter ist tot, du hast recht. Dein Vater hingegen lebt noch. Die Menschen, von denen du sprichst, habe ich auch einmal getroffen. Damals bin ich in ihre Köpfe eingedrungen und habe sie glauben lassen, das kleine, süße Baby wäre ihre Tochter. Es ist lange her, aber ich kann mich noch gut an diesen Tag erinnern." Er machte eine kurze Pause, während der ich mehrmals darüber nachdachte, ob ich mir einfach die Ohren zuhalten sollte. Es konnte doch einfach nur purer Schwachsinn sein, den er da erzählte.
Er seufzte auf. „Es gibt noch vieles, von dem du nichts weißt. Aber ich kann es kaum erwarten, dass du es endlich herausfindest, Allyra von Velidra."
Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, bevor mir überhaupt wirklich klar wurde, was dieser Mann gerade gesagt hatte – dass er mich genannt hatte wie das Buch von Terhás – richtete sich meine Aufmerksamkeit auf die lauten, festen Schritte, die immer näher kamen.
Als sie verstummten, wusste ich, dass die Person vor meiner Zelle stehengeblieben war. Und auch ohne seine Stimme und den Befehl, den er den Wachen gab, wusste ich, dass es Eath war.
Die Männer traten zur Seite, sodass er näher kommen konnte. Langsam ging er in die Hocke und umfasste mit einer Hand einen der Stäbe.
„Geht es dir gut?", fragte er flüsternd und ich nickte, weil mich sein Anblick – er sah völlig fertig aus – so aus dem Konzept brachte und ich nicht wusste, ob ich meiner Stimme trauen konnte.
„Was hast du dir dabei gedacht?" Ich konnte nicht einschätzen, ob es Wut war, Sorge oder Enttäuschung, die in seinen Worten mitschwang. Aber egal was davon es war, ich wusste in diesem Moment, dass er nicht hier war, um mich zu befreien. Sonst hätte er mich nicht mit diesem gequälten Gesichtsausdruck angesehen.
„Du weißt genau, was ich mir dabei gedacht habe. Und ich bereue es nicht, falls das deine nächste Frage ist", antwortete ich und konnte nicht verhindern, dass die letzten Worte etwas schärfer hervorkamen als beabsichtigt.
„Ist dir eigentlich klar, was sie mit dir machen werden? Ich denke nämlich nicht, sonst hättest du etwas so Dummes nie getan." Dieses Mal war es definitiv Wut, die ich heraushörte. Kein Zweifel.
„Was sollen sie schon tun?", lachte ich humorlos auf. „Mir kein Essen mehr geben? Mich wochenlang in dieser Zelle vor mich hin vegetieren lassen? Ich werde das schon überstehen."
Eath schüttelte ungläubig den Kopf. „Du hast keine Ahnung, wenn du das wirklich glaubst. Du wirst es überstehen, dafür werden sie sorgen. Aber wie du es überstehst, ist eine ganz andere Frage", erwiderte er und da seine Worte der Wahrheit entsprachen, wusste ich, dass er tatsächlich davon ausging, dass es schlimm werden würde. Und ich musste zugeben, dass es mich beim Gedanken an die unmittelbare Zukunft fröstelte.
„Bist du hier, um mir das zu sagen?", wollte ich wissen und im selben Moment war mir klar, dass es nicht fair von mir war, mich so gegenüber ihm zu verhalten. Er hatte keine Schuld daran, dass ich nun in dieser Situation war. Er hatte meine Wut und meinen Trotz nicht verdient.
„Wer hat dir geholfen, Allyra?"
Als ich diese Frage hörte, brauchte ich ein paar Sekunden, um sie zu verarbeiten. Glaubte er wirklich, ich würde es ihm verraten? In einer anderen Situation hätte ich es vielleicht getan. Aber ich saß gerade in einer verdammten Zelle und auf mich wartete eine Strafe, vor der selbst jemand wie Eath Respekt zu haben schien. Und er dachte tatsächlich, ich würde ihm Prijan jetzt ausliefern? Was hätte ich davon?
Ich konnte nicht sicher sein, ob er einfach nur so fragte oder ob er es wissen wollte, um auch ihn in eine dieser Zellen zu verfrachten. Also würde ich kein Sterbenswort über Prijan verlieren. Vor allem, weil ich wusste, dass er und Eath nicht allzu gut miteinander auskamen.
„Du nicht", erwiderte ich also. War er vielleicht wirklich nur hier, um mich zu verhören?
„Ich will dir doch nur helfen", sagte er dann und sein bittender Unterton ließ mich innehalten. „Je mehr Informationen du mir geben kannst, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Strafe verringern können."
Kurz durchflutete mich das schlechte Gewissen, dass ich ihm direkt etwas Schlechtes unterstellt hatte. Aber auch das änderte nichts daran, dass ich ihm nichts erzählen würde. Weder von Prijan noch von Narah oder dem Uratonnebel. Ich würde ihm auch nicht sagen, wie wir die Zellentür geöffnet hatten.
Ich rutschte näher zu den Gitterstäben und streckte meine Hand nach ihm aus. Vorsichtig strich ich ihm über sein schönes Gesicht, den kurzen Bart und seine weichen Lippen. Ich hatte Gefühle für diesen Mann, starke Gefühle. Und ich war dankbar, dass er mir helfen wollte. Aber vor dem Prozess, vor der Bekanntgabe meiner Strafe, würde er nichts tun können.
„Ich glaube, ich konnte dich nie wirklich hassen. Ich habe geglaubt, dass ich es tue. Aber irgendein kleiner Teil in mir hat es nie fertiggebracht, ehrlichen, wahren Hass für dich zu empfinden. Vielleicht habe ich schon immer geahnt, dass du nicht der Böse bist", flüsterte ich und schenkte ihm ein Lächeln.
„Du kannst dir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie viel ich für dich empfinde", murmelte er und küsste meine Handinnenfläche. „Das alles wird vorbeigehen. Alles wird wieder gut werden."
Ich war froh, dass er das dachte, obwohl ich nicht sagen konnte, ob ich daran glaubte. Konnte überhaupt alles wieder gut werden? War das überhaupt noch möglich?
„Weiß Nescan, dass ich hier bin?", wollte ich daraufhin wissen und als Eath nickte, wuchs der Stein auf meinem Herzen um ein Vielfaches an.
„Er wird nach dem Prozess zu dir kommen, versprochen."
„Nach dem Prozess? Wann findet er statt?" Ich war erleichtert darüber, dass sie ihn zu mir lassen würden. Egal wann, Hauptsache ich würde mir ihm reden und ihm alles erklären können.
Eath zögerte. Dann erhob er sich und seufzte schwer.
Zu meinem Erstaunen holte er einen Schlüssel hervor, trat an meine Zellentür und begann, sie zu öffnen.
„Jetzt. Ich bin hier, um dich dorthin zu bringen."
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Nur noch 3 Kapitel und Epilog, Leute!! Es geht voran!
Habe mich jetzt übrigens endlich für den Titel von Band 2 entschieden und das Cover ist auch schon fertig und ich freu mich so drauf hihi.
Ganz ehrlich, ich frag mich echt, ob ihr das jemals wieder erleben werdet, dass ich so viele Kapitel hintereinander hochlade :D :D Genießt es! :D
Adiós und bis zum nächsten Kapitel, Freunde!
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