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„Sag mir doch bitte nochmal, was genau du dir eigentlich dabei denkst?" Prijan lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der Tür in meinem Zimmer. Der erbarmungslose Blick, den er mir schenkte, ließ mich aufseufzen.

„Sie war seit langer Zeit die erste Freundin, die ich hatte. Ich kann sie jetzt nicht einfach im Stich lassen! Und ja, ich weiß, dass ihre Pläne nicht unbedingt zu meinen Gunsten waren, aber ... keine Ahnung, was würdest du tun, wenn Crave dort unten sitzen würde, selbst wenn ihr vorher gestritten hättet?", fragte ich und als er daraufhin kurz wegsah, wusste ich, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. „Genau. Du würdest wohl kaum tatenlos herumsitzen."

Prijan schüttelte den Kopf. „Was erwartest du jetzt von mir? Was soll ich deiner Meinung nach mit dieser Information anfangen? Es wäre eigentlich meine Pflicht, sofort zu Argmis zu gehen und ihm davon zu erzählen, das ist dir bewusst, oder?"

Natürlich war mir das bewusst. Deswegen hatte ich ihn ja auch angefleht, mit mir nach oben zu kommen, damit wir erstmal darüber sprechen konnten. Ich konnte es definitiv nicht gebrauchen, dass mein Plan scheiterte, noch bevor er überhaupt begonnen hatte.

„Ich weiß nicht, was du mit dieser Information anfangen sollst. Aber ich bitte dich, mich nicht zu verraten. Das Einzige, was sie getan hat, ist nach mir zu suchen. Ja, vielleicht sind sie unerlaubt nach Nydra eingedrungen, aber das alles ist wegen mir passiert, verstehst du? Kirani wird nicht wiederkommen, wenn ich sie dort raushole. Dieser ganze Aufstand mit der Gefangennahme ist völlig umsonst."

Ich konnte wirklich nicht deuten, was in seinem Kopf vor sich ging. Ob er sich vielleicht schon Worte zurecht legte, um mich später an Argmis zu verpfeifen, oder ob er mich womöglich tatsächlich verstand.

„Du bringst mich in eine verdammt scheiß Situation", zischte er schließlich und schüttelte den Kopf. „Einerseits halte ich das für eine absolut hirnrissige Idee. Aber andererseits mag ich dich und es gefällt mir nun mal nicht, Leute, die ich mag, hängen zu lassen."

„Dann tu es nicht", griff ich nach dem Funken Hoffnung, der sich mir gerade bot. Vielleicht war es verwerflich, ihn in diese Sache mit reinzuziehen – ihn damit ebenfalls in Schwierigkeiten zu bringen –, aber ich brauchte Verbündete. Wenigstens einen. Alleine würde ich es nie im Leben auf die Schnelle hinbekommen, Kirani zu befreien.

„Hilf mir, Prijan", flüsterte ich mit Nachdruck. „Sie ist keine böse Person, sie hat das nicht verdient. Und du weißt am besten, was sie möglicherweise mit ihr machen werden. Bitte. Das wird die letzte Sache sein, um die ich dich je bitten werde, wenn du das willst. Aber ohne dich habe ich keine Chance, das hinzukriegen."

Er stieß sich ab und fing an, hin und her zu laufen. Und das tat er gefühlt für die nächste halbe Stunde. Ich hingegen rührte mich nicht und wartete geduldig darauf, dass er was sagte.

Irgendwann blieb er mitten im Raum stehen.

„Das letzte Mal, dass ich etwas so Blödes getan habe, ist so viele Jahre her, dass ich mich kaum mehr daran erinnern kann", sagte er und seufzte, bevor er sich zu mir umdrehte. „Versteh mich nicht falsch, ich mache eine Menge idiotische Dinge, wenn der Tag lang ist, aber so idiotisch nun auch wieder nicht. Ich will gar nicht wissen, was passiert, sollte das jemals rauskommen."

„Heißt das", erwiderte ich mit dem Anflug eines Lächelns, „du und ich sind jetzt Komplizen?"

Er kniff die Augen zusammen und obwohl er sich wirklich darum bemühte, genervt zu wirken, sah ich ihm die leichte Belustigung dennoch an. „Das heißt, du und ich haben jetzt ein ziemliches Problem."

Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte ihn umarmt. Aber er war von der ganzen Sache wirklich nicht begeistert, also hielt ich mich lieber zurück. Ich musste es ja nicht direkt auf die Spitze treiben.

Stattdessen schenkte ich ihm einen Blick voller Dankbarkeit. Und mit dem kurzen Nicken zeigte er mir, dass er verstanden hatte. Dann erschien wieder der nachdenkliche und gleichzeitig sehr konzentrierte Ausdruck auf seinem Gesicht.

„Wir werden das zu zweit nicht schaffen. So ungern ich das auch tun möchte, fürchte ich, dass wir noch eine weitere Person hinzuziehen müssen."

>>>*<<<

„Seid ihr jetzt völlig übergeschnappt?!", war das Einzige, was Narah auf Prijans kurze Schilderung der Umstände erwiderte. „Ihr habt sie doch nicht mehr alle! Sie werden euch erwischen und in die Zellen direkt daneben werfen!"

Als Prijan mir gesagt hatte, wessen Hilfe er noch wollte, hatte ich fast genauso reagiert wie Narah. Sie war die letzte Person, die ich gefragt hätte, ob sie Teil des Plans sein wollte. Aber Prijan hatte mich schließlich und endlich doch noch davon überzeugt, dass wir sie brauchen würden.

Für mich wäre sie schon allein deswegen nicht in Frage gekommen, weil sie die Verlobte meines Bruders war. Und ich war mir sicher gewesen, dass sie Nescan von der Aktion würde erzählen wollen. Prijan hatte mir jedoch versichert, dass wir sie überzeugen würden, es nicht zu tun.

Sein Wort in Recáhs Ohr.

„Jetzt komm erstmal runter, diese Hysterie kann ja kein Mensch ertragen ..." Die letzten Worte murmelte Prijan zwar nur, aber Narahs Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war jede Silbe klar und deutlich bei ihr angekommen.

„Keiner von uns hat vor, in einer der Zellen zu landen. Alles, was ich von dir möchte, ist, dass du mir das Mittel zusammenmischst."

Narah kniff die Augen zusammen. „Nenn mir nur einen guten Grund, warum ich euch zwei lebensmüden Idioten nicht sofort verpfeifen sollte."

Zu meiner Überraschung erschien ein überhebliches Grinsen auf Prijans Gesicht. Ich hätte es wissen müssen, er hatte irgendetwas in der Hinterhand. Sonst wäre er niemals so entspannt gewesen bei dem Gedanken, Narah von allem zu erzählen.

„Du meinst, abgesehen davon, dass du deiner zukünftigen Schwägerin damit einen ziemlich großen Gefallen tun würdest? Du weißt schon, ihr zeigen würdest, wie froh du bist, Teil ihrer Familie-"

„Ganz genau, du Fisch. Abgesehen davon", unterbrach Narah ihn und ich hörte das deutliche Misstrauen in ihrer Stimme. Auch ihr war klar, dass Prijan nicht ohne Grund so gelassen war.

„Na ja, wenn dir das nicht reicht, bleibt mir nichts anderes übrig, als dich an diese kleine Angelegenheit vor zwei Jahren zu erinnern. Ich kann es noch ganz deutlich vor mir sehen, wie du-"

„Oh, du elender Mistkerl", keifte sie. Die Wut war ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. „Wie kannst du es wagen, das gegen mich zu verwenden?!"

„Hey, tu jetzt bloß nicht so, als wäre ich hier der Böse. Ich habe dir andere Gründe geboten, die dir ja aber offensichtlich nicht ausgereicht haben. Kann ja ich nichts dafür", verteidigte sich Prijan und hob abwehrend die Hände.

So sehr es mich auch interessierte, was es mit dieser besagten Angelegenheit vor zwei Jahren auf sich hatte, war es mir wichtiger zu erfahren, ob Narah sich letztlich bereit erklären würde, uns zu helfen. Und vor allem: Uns nicht zu verraten.

„Du verlangst von mir hier nicht nur, den König und zusätzlich auch noch das verdammte Gesetz zu hintergehen. Ich werde Nescan anlügen müssen, ist dir das eigentlich klar? Meinen Verlobten!"

Abfällig hob Prijan die Augenbrauen und wollte offensichtlich etwas erwidern, aber bevor er dies tun konnte, sprach Narah auch schon weiter.

Mit einem resignierten Augenrollen sagte sie: „Was brauchst du? Den Uratonnebel? Bekommst du. Sonst noch irgendwelche Wünsche?"

Prijan zuckte mit den Achseln. „Wenn du schon so fragst ..."

>>>*<<<

Als ich abends im Bett lag und den Tag nochmal vor meinem inneren Auge abspielen ließ, musste ich lachen. Nicht, weil ich es witzig fand, sondern weil das, was passierte, so verdammt absurd war.

Wer hätte noch vor einigen Wochen denken können, dass ich irgendwann im Anwesen des Königs der Astóric einen Plan schmieden würde, um eine der Gefangenen zu befreien. Und dass diese Gefangene auch noch Kirani sein würde.

Ich musste an den Tag denken, an dem ich Kirani das erste Mal gesehen hatte. Sie war nur mit einer Decke bekleidet vor Thoan und mir gestanden und hatte auf mich gewirkt wie eine Frau, die immer bekam, was sie wollte. Die sich auf Verführung und ja, sogar Manipulation, verstand. Sie hatte selbstsicher gewirkt, stark und ehrgeizig.

Aber als ich sie heute in der Zelle gesehen hatte ... es war erschütternd gewesen, diese Frau, zu der ich sogar aufgeschaut hatte, an einem solchen Ort und in einem solchen Zustand zu sehen.

Es wäre übertrieben gewesen, zu sagen, dass sie zu meiner besten Freundin geworden war, während der Wochen, die ich bei Thoan verbracht hatte. Aber eine gute Freundin. Eine, mit der ich gerne Zeit verbracht hatte, der ich vielleicht sogar irgendwann einmal meine tiefsten Geheimnisse anvertraut hätte. Auch wenn ich mittlerweile wusste, dass dies womöglich keine gute Idee gewesen wäre, nicht, wenn sie vielleicht meinen Tod in Kauf genommen hätte, nur damit ihr Bruder mächtiger wurde.

Ich rollte mich auf die andere Seite und zog die Decke fester um mich. Es wurde immer kälter draußen und obwohl es drinnen warm genug war, kam es mir vor, als könnte ich es dennoch spüren. Bald würden die ersten Schneeflocken vom Himmel fallen und das Land bedecken. Und einerseits freute ich mich darauf, aber andererseits verband ich mit dieser Zeit des Jahres, mit dem Schnee, so unfassbar viel, dass ich jedes Mal wieder an all die Geschehnisse erinnert wurde. Nicht nur an Nescans angeblichen Tod, auch an kalte Winternächte, in denen ich zitternd in irgendeinem verlassenen Gebäude darauf gewartet hatte, dass die Sonne wieder aufging.

Und während all der Zeit hatte irgendwo Eathiran in der Nähe aufgepasst, dass nichts Schlimmes passierte. Er hatte mich nicht vor den genauso hungrigen Jugendlichen bewahrt, die einmal all meine Essensvorräte gestohlen hatten. Und auch nicht vor dem jungen Mann – ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie verwahrlost er gewesen war – der mich mit einem Messer bedroht und mir meine dickste und wärmste Decke abgenommen hatte. Ich hatte so sehr an dem Stoff gezehrt, all meine Kraft aufgewendet, aber alles, was ich im Endeffekt davon gehabt hatte, war die kleine Narbe nahe meines Schlüsselbeines. Und ich war froh drum. Denn sie erinnerte mich jedes Mal, wenn ich in den Spiegel sah, daran, wie viel ich schon überstanden hatte.

Ich hatte Eath mal gefragt, warum er mir in diesen Momenten nicht geholfen hatte. Er hatte nicht lange über seine Antwort nachgedacht. Es war ihm wichtig gewesen, dass ich lernte, selber auf mich aufzupassen, mich wenigstens ein wenig verteidigen zu können. Was, wenn er mal nicht hätte zur Stelle sein können?

Seit unserer kurzen Diskussion am Morgen fühlte es sich so an, als würde eine furchtbare Last auf meinen Schultern liegen. Und ich wusste, dass ich mit ihm würde reden müssen, um mich davon zu befreien. Das Problem war nur, dass ich mich erst einmal auf die Befreiung von Kirani konzentrieren musste.

Gleichzeitig geisterte auch Crave in meinen Gedanken herum. Gerade jetzt hatte er verschwinden müssen. Ein wenig interessierte es mich ja schon, ob er mir wohl geholfen hätte, Kirani zu befreien. Ob er mein Komplize geworden wäre. Vielleicht würde Prijan ihm davon erzählen ... jedenfalls konnte ich mir das gut vorstellen. Sie schienen wirklich gute Freunde zu sein und so wie Prijan von Crave sprach, bezweifelte ich, dass der Prinz direkt zu seinem Vater rennen und alles weitergeben würde. Im Gegenteil, ich befürchtete eher das Gegenteil. Vielleicht würde es ihm sogar gefallen, von einer solchen Tat zu wissen und es Argmis aus Prinzip nicht zu erzählen.

Ich lächelte. Ja, das kam mir am realistischsten vor.

Keine Ahnung, wie lange ich mich hin und her wälzte, aber einfach nicht einschlafen konnte. Möglicherweise lag das an der Nervosität, die sich langsam anschlich, weil wir morgen unseren Plan in die Tat umsetzen würden. Wir hatten stundenlang über jeden einzelnen Schritt gesprochen, alles durchdacht, versucht, jede Eventualität zu beachten. Und ich wollte ehrlich gesagt auch gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn wir auch nur eine einzige Eventualität vergessen hatten.

Irgendwann seufzte ich schließlich und stand auf. Ohne wirklich darüber nachzudenken, ging ich zum Kleiderschrank und holte meine Tasche hervor. Dann nahm ich das Buch von Terhás heraus.

Die halbe Nacht verbrachte ich damit, in dem Buch zu blättern, mir erneut die Geschichte über Riscéa und Ceraes durchzulesen und vor allem den Zettel mit den Worten anzustarren, die mir das Buch gewidmet hatte.

„Was hast du Crave prophezeit?", murmelte ich vor mich hin. „Welche Geheimnisse hat der Kerl nur ...?"

Als ich ihn danach gefragt hatte, war er nicht gewillt gewesen, es mir zu verraten und hatte stattdessen dieses ekelerregende Zeug getrunken. Aber dieser Umstand hatte mich nur noch neugieriger gemacht. Fairerweise musste ich jedoch zugeben, dass ich ihm auch nichts von den Dingen erzählt hätte, die mir das Buch offenbart hatte.

War es etwas Schlimmes? Oder eher etwas, worüber er sich gefreut hatte?

Das war eins der vielen Dinge, die ich nicht über den Ceraes' Erben wusste. Den Astóric, der mich völlig unvorbereitet in seinem Zimmer in Ceszias Palast überrascht hatte. Unwillkürlich musste ich schmunzeln. Es war so klar gewesen, dass etwas schief gehen würde ...

Aber es gab eine Sache, die ich über ihn wusste. Und das war sein wahres Inneres. Sein wahres Wesen.

Und das würde er nicht mehr vor mir verbergen können. Auch nicht mit dem Trinken von widerlichen Getränken. 

° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° 

Heeeeey.

Also erstmal: Habt ihr den wuuuunderschönen Kapitelbanner gesehen? hihi. 

Den hat die liebe SPIRITEDAMAY für mich gemacht und ich bin sehr glücklich und dankbar und ja. Liebe es. (P.S.: Schaut unbedingt bei ihr vorbei! Nicht nur wegen ihres Talents bezüglich Cover und Banner usw., sondern auch wegen ihres aktuellen Fantasyprojekts Brennende Blüten! Lese ich auch momentan und ihr wisst, ich spreche auf meinem Profil wirklich selten Empfehlungen aus, aber hier kann ich nicht anders. Ihr werdet es nicht bereuen, dort vorbeizuschauen, ehrlich! (Ich glaube, ich habe sogar schon ein paar von euch dort gesehen hihi). Und das sage ich jetzt nicht nur, weil ich so hübsche Kapitelbanner bekommen habe 🙌)

Ansonsten: Nur noch 5 Kapitel + Epilog. Seid ihr bereit für das Eeeeeende? Ich schon. 

Sowas von.

Jetzt muss ich es nur noch auf die Reihe kriegen, die alle innerhalb der nächsten zwei Wochen hochzuladen. Keine Panik. Kriege ich hin. Hoffentlich.

Also dann Freunde, bis zum nächsten Kapitel, das mit Sicherheit nicht lange auf sich warten lassen wird! 😁

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