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Nachdem Crave mir noch ein paar weitere Tricks mit seinem Feuer gezeigt und ich irgendwann sogar – wahrscheinlich beeinflusst von dem Zeug, das ich intus gehabt hatte – freudig in die Hände geklatscht hatte, war ich kurze Zeit später auf mein Zimmer gegangen und war innerhalb von wenigen Minuten eingeschlafen. Auch wenn ich es ungern zugab, so hatte Crave es doch noch geschafft, den Tag nicht ganz so miserabel enden zu lassen wie befürchtet. Jedenfalls war meine Laune letztlich deutlich besser gewesen als ein paar Stunden zuvor. Und dass gerade er dafür verantwortlich sein würde – damit hätte ich niemals gerechnet.
Zwei Tage waren seitdem vergangen und heute hatte ich endlich mein Abendessen mit Eath. Und ich freute mich wirklich darauf, war sogar schon ein wenig hibbelig. Ich trug sogar ein Kleid. Es war langärmlig, schwarz und dank dem etwas dickeren Stoff für die langsam kühler werdenden Temperaturen bestens geeignet.
Heute Morgen hatte ein Zettel vor meiner Tür gelegen. Es war eine kurze Nachricht von Eath gewesen:
Sobald die Sonne untergegangen ist. Ich warte im Esszimmer in der Nähe des Eingangs. Ich freue mich auf dich.
Eath
Und da stand ich nun, direkt am Fenster, und wartete die letzten Minuten ab, bis die Sonne am Horizont endgültig verschwand. Ich wusste nicht, was dieser Abend mit sich bringen würde, ob ich mit einem Lächeln ins Bett gehen würde oder ob ich es vielleicht sogar bereuen würde, mich auf das Abendessen eingelassen zu haben. Aber Letzteres konnte ich mir nur sehr schlecht vorstellen. Dafür war Eath einfach zu charmant.
Kaum hatte sich die Nacht über Nydra gelegt, machte ich mich auch schon auf den Weg. Die Tür zum Esszimmer stand bereits offen. Und direkt davor stand Eath und betrachtete mich, wie ich mit einem Schmunzeln auf ihn zukam.
Er sah gut aus. Wie immer. Und statt etwas zur Begrüßung zu sagen, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und umarmte ihn. Es war das erste Mal, dass ich das tat und es fühlte sich gut an. Im ersten Moment versteifte er sich, hatte offensichtlich nicht mit einer solchen Begrüßung meinerseits gerechnet. Doch dann schlossen sich seine starken Arme um mich und ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus. Zufriedenheit.
Wir lösten uns voneinander und das Grinsen auf Eaths Gesicht schaffte es mal wieder, meinen Herzschlag völlig aus dem Rhythmus zu bringen.
„Das nenne ich pünktlich", lachte er und führte mich dann ins Esszimmer. Der Tisch war bereits gedeckt. Und ich sah sofort, dass er sich wirklich Mühe gegeben hatte. Zwei silberne Teller gefüllt mit einem Gericht, das ich noch nie gesehen hatte, ein kleiner Brotkorb, Gläser gefüllt mit rotem Glasbeerensaft, schön gefaltete Servietten, ja, sogar eine Vase mit Blumen hatte er auf den Tisch gestellt.
Es war so absurd, dass gerade er so etwas für mich tat. Dass gerade der Mann, den ich fast die Hälfte meines Lebens für einen Mörder gehalten hatte, es nun vermochte, mir eine solche Freude zu bereiten. Das Schicksal hatte wahrlich seine eigenen, verqueren Wege, Menschen zueinander zu führen. Wege, die ich momentan noch überhaupt nicht nachvollziehen konnte.
„Wow. Du hast dir so viel Mühe gegeben", hauchte ich und sah ihn an. Ich war sicher, dass er mir ansehen konnte, wie geschmeichelt ich war. Wie geehrt ich mich fühlte, dass jemand sich die Zeit nahm, um ein solch schönes Abendessen für mich vorzubereiten.
„Es ist eine Weile her, dass ich gekocht habe, also verzeih, wenn es nicht ganz so perfekt geworden ist, wie ich angekündigt habe." Leise lachend strich er sich mit einer Hand über den Nacken. „Meine Mutter hat mir das früher immer gekocht, zu besonderen Anlässen. Das Besondere daran sind die Tiranblätter – sie sind ziemlich selten, aber schmecken verdammt gut." Während er sprach, zog er einen Stuhl für mich hervor, auf den ich mich mit einem dankbaren Nicken niederließ. Dann setzte er sich gegenüber von mir hin.
„Es sieht auf jeden Fall schon mal beeindruckend aus. Ich bin sicher, es wird auch genauso beeindruckend schmecken", versuchte ich, ihm die Nervosität zu nehmen, die ich bei ihm überhaupt nicht erwartet hatte. Aber man sah ihm an, dass es ihm wichtig war, mir einen schönen Abend zu bescheren und dass er sich Sorgen machte, es könnte nicht klappen. Aber diese Sorge war völlig unbegründet. Es war bereits jetzt schon mehr, als ich erwartet hatte.
Ich nahm einen ersten Bissen und bekam die Bestätigung, die ich eigentlich gar nicht erst gebraucht hatte. Es schmeckte köstlich. „Es ist dir wirklich unfassbar gut gelungen, Eath. Ehrlich. Vielen Dank, dass du das alles vorbereitet hast. Wenn du mich gerufen hättest, hätte ich dir auch geholfen, das weißt du, oder?"
Er grinste. „Ja, weiß ich. Aber das Abendessen war meine Idee. Und schließlich war ja ich derjenige, der mit dir ausgehen wollte, nicht wahr?" Er zwinkerte mir zu und das Nicken, das daraufhin auf seinen ersten Bissen folgte, zeigte mir, dass auch er zufrieden mit seiner Arbeit war.
„Was hast du die letzten Tage gemacht? Ist irgendetwas Spannendes passiert?", fragte er dann und nahm währenddessen einen Schluck aus seinem Glas.
Als ich daran dachte, was denn Spannendes passiert war, verschluckte ich mich fast. Außer meinem Trinkspiel mit Crave war nämlich absolut nichts Nennenswertes vorgefallen. Aber davon konnte ich Eathiran nicht erzählen, jedenfalls nicht heute, nicht an diesem Abend. Ich bezweifelte, dass er gutheißen würde, dass Crave und ich Zeit miteinander verbracht hatten. Das würde keiner, weder der König, Nescan noch sonst jemand. Und genau deswegen würde ich niemanden reizen und einfach die Klappe halten, was das betraf. Auch wenn ich mich manchmal fragte, ob sie ernsthaft von Crave und mir erwarteten, uns aus dem Weg zu gehen, gar keine Gespräche zu führen. Das würde nicht möglich sein, früher oder später würde erneut eine Situation wie vor zwei Tagen kommen und dann würden wir wieder zu zweit in einem Zimmer sitzen und uns unterhalten. So war das eben, wenn man in einem Anwesen hauste. Und ja, vielleicht hätte ich an dem Abend einfach aufstehen und gehen sollen, aber ich redete mir gerne ein, dass das nicht möglich gewesen war. Wäre doch schrecklich unhöflich gewesen ...
„Hm, du hast absolut nichts verpasst. Ich habe an meiner Ausdauer gearbeitet, Prijan kennengelernt ... oh – und Narah auch."
„Prijan? Ihr habt geredet?" Eath runzelte etwas die Stirn.
„Ja. Wieso?", hakte ich nach, weil ich das Gefühl nicht abschütteln konnte, dass ihn daran irgendetwas störte.
„Nur so, ich frage einfach aus Interesse. Wie war es mit Narah? Magst du sie?" Ich merkte, dass er vom Thema ablenkte. Aber da ich mir für diesen Abend vorgenommen hatte, jedes Thema, das unsere gemeinsame Zeit versauen könnte, brav zu umgehen, ließ ich es fallen.
„Sie ist nett. Wirklich. Ich muss mich einfach noch an das alles gewöhnen. Du weißt schon ... diese Verlobungssache." Ich hatte lange genug darüber nachgedacht und entschieden, es einfach lockerer anzugehen. Mir nicht so viel einzureden, nicht zu viel rein zu interpretieren. Was hatte ich denn erwartet? Dass Nescan zehn Jahre lang niemanden an sich heran ließ, nur weil ich nicht bei ihm sein konnte? Das war Schwachsinn und das war mir auch klar. Nur manchmal war es nicht so einfach, diese irrationalen Gefühle, die man hatte, abzuwerfen und sich einfach nur zu freuen. Aber ich versuchte es, ich bemühte mich und das war ein Schritt in die richtige Richtung.
„Verstehe. Ich kann mir vorstellen, wie überfordernd das alles für dich sein muss", sagte Eath und warf mir einen verständnisvollen Blick zu. „Aber wenn ich jemandem zutraue, das alles durchzustehen, dann bist das du, Allyra. Du hast mich schon immer fasziniert, deine Stärke, dein Durchhaltevermögen."
„Manchmal", entgegnete ich fast schon flüsternd, „fühle ich mich alles andere als stark. Ich fühle mich schwach und naiv und als wäre ich eine Last. Als würden alle Probleme der Menschen um mich herum immer mit mir zusammenhängen. Und das Schlimmste daran ist, dass ich nichts dagegen tun kann." Es stimmte. Hin und wieder fühlte sich das alles wie ein Fluch an, den ich einfach nicht brechen konnte, so sehr ich es auch wollte.
„Du bist alles andere als eine Last, glaub mir. Es gibt Menschen, die sich ein Leben ohne dich nicht vorstellen können – wie solltest du da eine Last sein? Und wenn dich solche Gedanken jemals wieder überwältigen sollten, dann komm zu mir und ich erinnere dich nur zu gerne daran, was für ein verdammt liebenswerter Mensch du bist." Mein Herz schmolz. Und das Kribbeln in meinem Bauch wurde bei jedem weiteren Wort von ihm stärker und stärker. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass dieser Mann immer die richtigen Worte finden konnte.
Während wir aufaßen und danach noch eine Weile entspannt sitzen blieben, erzählte Eath mir ein wenig von seiner Mutter, die leider nicht mehr am Leben war. Er erzählte mir von seinen ersten Trainingseinheiten, bei denen er völlig versagt hatte und verriet mir sogar, dass er als Kind Angst im Dunkeln gehabt hatte. Jedenfalls bis er Crave kennengelernt und sie gemeinsam dessen Gabe erkundet hatten. Im Gegenzug erzählte auch ich ihm von meiner Kindheit, von Fragmenten, an die ich mich noch erinnerte. Eath war wirklich ein unheimlich angenehmer Gesprächspartner. Er konnte gut zuhören, aber es war auch nicht so, dass nur ich ständig reden musste. Es war perfekt.
Nachdem wir dann zusammen den Tisch abgeräumt hatten, entschieden wir, noch einen kleinen Spaziergang zu machen. Und während wir durch den Hof liefen, die Sterne in all ihrer Pracht über uns, nahm Eath meine Hand in seine. Mein Herz pochte und ich fühlte mich wie ein Mädchen, das gerade das erste Mal von ihrem Schwarm berührt wurde. Ich hätte über mich selbst gelacht, wenn ich dann nicht in Erklärungsnot geraten wäre. Das war total lächerlich. Und doch kam ich nicht drum herum, es aus tiefstem Herzen zu genießen.
„Ich habe noch drei Fragen an dich", erinnerte ich ihn und sein Seufzen verriet mir, dass er es nicht vergessen, aber gehofft hatte, ich würde es vielleicht tun.
„Es ist mir immer noch ein Rätsel, wie du es geschafft hast, genauer zu treffen als ich", murmelte er und verdrehte die Augen. Aber das Zucken seiner Mundwinkel verriet ihn. Er fand die Sache mit der Wette genauso amüsant wie ich.
„Man kann nun mal nicht in allem der Beste sein, weißt du?" Mit unschuldiger Miene sah ich zu ihm hoch. Er hingegen lachte auf und schüttelte den Kopf.
„Unfassbar ..."
„Also, meine erste Frage lautet: Was für ein Verhältnis habt du und Ceszia? Ich weiß, dass ihr euch kennt und ich weiß, dass sie dir den Zettel mit dem Zauber gegeben hat, als ich noch im Dacium war. Aber ... was seid ihr? Freunde?"
Er überlegte einen Moment. „Als Freunde würde ich uns ganz bestimmt nicht bezeichnen. Wir kennen uns schon eine ganze Weile und kommen ganz gut zurecht. Aber von einer Freundschaft kann definitiv nicht die Rede sein. Es ist mehr ein Geschäftsverhältnis ... wenn ich etwas brauche – vor allem aus dem magischen Bereich – kann ich mich an sie wenden. Im Gegenzug verlangt sie natürlich immer etwas."
„Und was genau verlangt sie?", fragte ich und war mir aber eigentlich gar nicht sicher, ob ich es wirklich wissen wollte.
„Ist das schon Frage Nummer zwei?", grinste Eath, aber wartete meine Erwiderung nicht ab. „Meistens will sie eine Kiste voll Nydranischem Sand, den man im nördlichen Teil der Stadt finden kann. Magier sind immer ganz scharf darauf, anscheinend ist er irgendwie besonders beschaffen. Hin und wieder fragt sie aber auch nach gewissen, vertraulichen Informationen, an die sie sonst nicht herankommen würde."
Innerlich atmete ich erleichtert auf. Ich hatte mit ganz anderen Dingen gerechnet. Eleiwyrs Königin hätte ich auch zugetraut, nach einer Liebesnacht zu verlangen. Es hätte mich jedenfalls nicht gewundert.
„Jetzt kommt Frage Nummer zwei", fuhr ich schließlich fort. „Was hältst du von Prijan?" Hätten wir zuvor nicht darüber gesprochen, hätte ich mich vielleicht für eine andere Frage entschieden. Und eigentlich hatte ich sie ja auch gar nicht stellen wollen, immerhin wusste ich, dass er dem Thema zuvor ausgewichen war. Wahrscheinlich aus gutem Grund. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wollte ich diesen Grund wissen. Und ich hoffte inständig, dass mein Plan, diesen Abend unter keinen Umständen zu versauen, dadurch nicht den Bach runterging.
„Wir tolerieren einander. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich noch dazu sagen soll. Ich denke, er ist ein netter Kerl, aber wir sind einfach nie wirklich warm miteinander geworden. Im Gegensatz zu ihm und Crave – eine Zeit lang waren die beiden unzertrennlich. Ich gebe zu, damals war ich sogar ein wenig neidisch auf die Freundschaft, die sie verband." Er lächelte und sah aus, als würde er sich an die Zeit erinnern, von der er sprach. Ich war froh, dass er nicht wütend geworden war wegen meiner Frage und mir eine ehrliche Antwort gegeben hatte. Und das, obwohl ich das Thema, welches ihm offenbar nicht sehr angenehm war, noch einmal angesprochen hatte.
Als es langsam kühler wurde, entschieden wir uns schließlich, wieder reinzugehen. Er führte mich – so fürsorglich, wie er eben war – bis zu meiner Zimmertür, vor der wir Halt machten. Wir standen uns gegenüber und keine Armlänge trennte uns voneinander. Aber nur so lange, bis er einen kleinen Schritt nach vorne machte, eine Hand hob und sanft über meine Wange strich.
„Was ist deine dritte Frage?", flüsterte er. Ich war so sehr von seinem intensiven Blick abgelenkt, dass ich einen Moment brauchte, um seine Worte zu verarbeiten.
„Ich schenke sie dir", entgegnete ich genauso leise. Ein Lächeln bildete sich auf seinen wohlgeformten Lippen.
Natürlich hätte ich noch viele Fragen gehabt, hätte diese Möglichkeit ausnutzen können, aber in diesem Moment konnte ich sowieso nicht klar denken. Am Ende hätte ich ihn nur nach seiner Lieblingsfarbe gefragt und das konnte ich auch so tun. Deswegen durfte nun er mir eine Frage stellen, die ich ehrlich beantworten würde.
Er lehnte sich noch weiter vor, sodass ich seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Und als sich daraufhin seine zweite Hand unter mein Kinn legte und dieses vorsichtig anhob, verlor ich mich endgültig in den Tiefen seiner dunklen, violetten Augen. Sie waren so ungewöhnlich und so faszinierend, dass ich sie mir die ganze Nacht hätte anschauen können.
„Wie lautet deine Frage?", drängte ich, weil ich mir nicht sicher war, ob ich noch länger in der Lage sein würde, mich zu konzentrieren.
Seine Nasenspitze berührte für den Bruchteil einer Sekunde die meine und innerlich erschauderte ich. Die Wärme, die er ausstrahlte, umhüllte mich wie ein Mantel und doch bekam ich eine Gänsehaut.
„Allyra", hauchte er, „darf ich dich küssen?"
Ich zögerte nicht für eine Sekunde, sondern senkte meine Barriere und gewährte ihm Zutritt zu meinen Gedanken. Zu meiner eindeutigen Antwort.
Und kaum hatte er diese erhalten, legten sich seine weichen, warmen Lippen auf meine.
Da stand ich nun. Zehn Jahre nach Nescans vermeintlichem Tod. Ich stand da und küsste seinen vermeintlichen Mörder und das Einzige, was ich in diesem Moment empfand, war Glück. Pures, allumfassendes Glück.
° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° °
Hallööö.
Es ist schon witzig, wenn man überlegt, wo wir am Anfang des Buches waren (Allyra im Dacium, denkt, Nescan ist tot, hasst Eath, weil sie glaubt, dass er ein Mörder ist) und wo wir jetzt sind (Allyra im Königshaus der Astóric, weiß, dass Nescan lebt und verlobt ist lol, küsst Eath). Na, hör ma, das ist schon cool irgendwie :D
Auf jeden Fall hoffe ich, dass die Eath-Fans ein bisschen happy sind :')
Nächstes Kapitel ist dann zur Abwechslung mal wieder nicht aus Allyras Sicht. c:
Wünsche euch einen schönen Tag und hoffe, ihr seid genauso stolz auf meinen Fleiß diese Woche wie ich! :D
Frage für dieses Kapitel:
Hättet ihr an Allyras Stelle den Kuss erlaubt? :P
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