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Der Raum war klein, reichte gerade noch so aus, um sich nicht vollkommen eingeengt zu fühlen. Abgesehen von ein paar Regalen, die mit Büchern und alten Schriftrollen gefüllt waren, einem Tisch und einem alten Holzstuhl, welcher verstaubt in der Ecke stand, gab es nicht mehr zu entdecken. Crave wusste noch, dass er diesen Raum früher als Versteck genutzt hatte, wenn Eath und er sich mal wieder irgendein hirnloses Spiel ausgedacht hatten, das meistens damit geendet hatte, dass der Prinz gefunden wurde und das Ganze in einer Prügelei ausgeartet war. Es musste Jahre her sein, dass er diesen Raum zuletzt betreten hatte. Warum sein Vater also gerade diesen Ort gewählt hatte, um mit Eath und ihm zu sprechen, blieb ein ungelöstes Rätsel. 

Argmis verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Tisch hinter sich. Man sah ihm an, dass er nachdachte, grübelte – normalerweise war das weder ein schlechtes noch ein gutes Zeichen. Aber die Falte, die sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet hatte, war definitiv ein Schlechtes.

„Wie konntet ihr nur so töricht handeln?" Der König sprach ruhig, hob bei keinem Wort die Stimme an. „So viele Jahre haben wir es geschafft, auf sie aufzupassen, sie nicht in deine Nähe zu lassen, und jetzt? Jetzt seid ihr nicht nur im gleichen Haus, nein, zu allem Überfluss ist auch noch die halbe Welt hinter ihr her!"

„Was hätten wir deiner Meinung nach tun sollen? Sie im Wald lassen, wo zig Magier sie innerhalb weniger Stunden gefunden hätten? Sie wieder zu den Glyth schicken, die am Ende tatsächlich noch so blöd gewesen wären, sie zu opfern?", entgegnete Crave und versuchte inständig, sich nicht aufzuregen. Aber er war nun mal überzeugt davon, die einzig richtige Entscheidung getroffen zu haben. Dass sein Vater bereits wusste, dass Allyra gesucht wurde, wunderte ihn kein bisschen. Wahrscheinlich hatte er von dem Angriff auf Ceszias Palast gehört. Und dass gerade jetzt sein Sohn und die Erbin Riscéas in seiner Eingangshalle auftauchten, reichte vermutlich aus, um eins und eins zusammen zu zählen.

„Wie hast du sie überhaupt erkannt?", fragte plötzlich Eath, dessen Haltung eine Kopie von Argmis' war. „Hast du sie denn schon mal gesehen?" Der Halbglyth war einer der Wenigen, die es sich erlauben konnten, so locker mit dem König umzugehen, selbst Crave tat sich oft schwerer damit als er.

Der König schwieg eine Weile, den Blick hatte er auf den Boden gerichtet.  Es war schwer zu sagen, warum genau ihm die Antwort auf Eaths Frage offensichtlich so schwer über die Lippen zu kommen schien. „Sie ist ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten", flüsterte er schließlich. 

Misstrauisch runzelte Eath die Stirn. Crave wusste genau, was sein Freund dachte: Argmis hatte nie das Dorf, in dem Allyra aufgewachsen war, besucht. Jedenfalls konnte sich keiner der beiden daran erinnern. Doch noch bevor sie weiter nachhaken konnten, kam Argmis bereits auf das vorherige Thema zurück: „Warum hast du sie nicht an irgendeinen sicheren Ort gebracht? Das hat bisher doch auch fantastisch funktioniert." Damit war Eathiran gemeint. Nach Allyras vorwurfsvollen Worten, die sie zuvor an Nescan gerichtet hatte, zweifelte Crave jedoch daran, dass es tatsächlich immer so einwandfrei gelaufen war, wie Argmis behauptete.

„Anfangs war das auch mein erster Gedanke ... aber spätestens nachdem ein Mitglied der Forkyn-Magier die Hütte im Wald gefunden hat, war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich alleine weiterhin ihre Sicherheit garantieren kann. Und damit auch die deines Sohns." Obwohl Eathiran den letzten Satz im gleichen Tonfall sprach wie alles andere, war dennoch allen im Raum klar, was er eigentlich damit bezweckte: Es war eine  gut gemeinte  Erinnerung.

„Ihr habt nicht die geringste Ahnung, in was für eine Situation ihr mich damit bringt!", keifte Argmis nun und fuhr sich sichtlich gestresst durch sein bereits schütteres Haar. „Ihr zwingt mich, Versprechen zu brechen, deren Ausmaß ihr nicht mal annähernd begreifen könnt!"

Als Crave einen Blick zu Eath warf, zeigte dieser keinerlei Reaktion. Aber der Astóric war sich sicher, dass sein Freund genauso wenig wusste, wovon Argmis sprach, wie er. „Dann weih uns ein", schlug er also vor, hatte jedoch die Befürchtung, dass sein Vorschlag direkt wieder umgangen werden würde. So war das meistens, wenn er mit seinem Vater sprach. Manchmal fragte sich Crave, ob Argmis tatsächlich nichts weiter als einen Erben, einen Krieger und die Hülle für sein Blut in ihm sah. Und nicht sein Kind.

„Wie genau soll das hier funktionieren?", fragte der König, statt auf Craves Aufforderung einzugehen – genau wie erwartet.

„Ich werde weiterhin auf sie aufpassen und alles in meiner Macht Stehende tun, damit ihr nichts passiert", versicherte Eath, aber erntete nur ein ungläubiges Schnauben von Argmis.

„Gib keine Versprechen, die du vielleicht nicht halten kannst, Junge."

„Jetzt bin ich auch da. Ich werde -", fing Crave an, wurde aber direkt von seinem Vater unterbrochen.

„Das Einzige, was du tun wirst, ist dich von diesem Mädchen fernzuhalten. Hast du mich verstanden?" Das leise Räuspern von Eathiran war eine gut getarnte Warnung an Crave. Er wusste, dass dieser innerlich brodelte. Es ging ihm so was von gegen den Strich, Befehle zu befolgen, besonders die seines Vaters, so paradox das auch klingen mochte. „Ich kenne dich besser als du dich selbst, Sohn. Wie lange kennst du sie schon? Ein paar Stunden? Ein paar Tage? Du hättest dich sehen sollen, wie du an ihrer Seite gestanden hast, bereit, jeden von ihr fernzuhalten. Selbst ihren eigenen Bruder."

„Er ist nicht ihr Bruder", widersprach Crave, aber es war nur eine unnötige Ablenkung vom eigentlichen Thema. Er wusste genau, was der König ihm sagen wollte.

Ein spöttisches Lächeln erschien auf Eaths Lippen. „Lass das bloß nicht Nescan hören, seine Faust wäre schneller in deinem Gesicht, als du deine Worte zurücknehmen könntest."

***

Wieder in der Eingangshalle angekommen, atmete Crave erst mal tief durch. Gespräche mit seinem Vater waren schrecklich nervenaufreibend – als hätte er nicht schon genug Probleme.

„Wir wissen irgendetwas nicht", murmelte Eath und schüttelte verständnislos den Kopf. Man sah ihm an, dass er krampfhaft versuchte zu begreifen, was es mit den kryptischen Aussagen des Königs auf sich hatte. „Welche Versprechen hat er gemeint?"

„Ich habe keine Ahnung. Dieser Mann macht mich fertig mit seinem geheimnisvollen Getue", antwortete Crave und konnte ein genervtes Seufzen nicht zurückhalten.

„In einem Punkt hat er aber recht. Allyra und du, ihr solltet Abstand halten." Ein kleiner Funken Sorge schwang in Eathirans Stimme mit. Aber Crave war sich nicht sicher, auf was oder wen genau sich diese Sorge bezog.

„Ich weiß echt nicht, warum ihr beide so ein riesiges Ding daraus macht. Dann ist sie eben Riscéas Erbin und ich Ceraes'. Na, und? Nur weil sich die Götter in einander verliebt haben, muss das noch lange nicht für uns gelten. Glaub mir, sie ist mir genauso gleichgültig wie ich ihr."

Schnaubend blieb Eath stehen und wartete, bis Crave es ihm gleichtat. Dann sah er seinem Freund in die Augen, so dass dieser den Unglauben schon in seinem Blick erkennen konnte. „Wäre sie dir gleichgültig, hättest du sie ins Dacium gehen lassen", zischte Eath. Es war offensichtlich, dass ihn diese ganze Sache nicht kalt ließ. Und das nicht mal annähernd. „Wäre sie dir gleichgültig, du Idiot, hättest du ihr niemals das Buch anvertraut, hättest nicht versucht, sie vor Nescan zu schützen. Du hättest sie im Wald zurückgelassen. Hättest keinen zweiten Blick an sie verschwendet. Glaub mir, ich weiß, wie du dich verhältst, wenn eine Frau dir gleichgültig ist."

Nun wurde auch Crave wütender. Es gefiel ihm nicht, dass alle der Meinung waren, seine Gefühle besser zu kennen als er. Denn so war es nicht. Er wusste genau, was er empfand. Und keine dieser Empfindungen richtete sich an Allyra.

„Schon mal daran gedacht, dass ich das alles nur getan habe, weil es hierbei auch um mich geht? Ihr Überleben ist mir ganz bestimmt nicht egal. Ich würde meine Seele gerne in einem Stück behalten." Unwillkürlich ballte sich Craves Hand zur Faust.

„Oh, bitte, kannst du das mal lassen?", keifte Eath. „Diese Egoisten-Nummer? Ich weiß, wie du bist, und -"

Crave ließ ihn nicht ausreden, wollte kein Wort mehr darüber hören. „Außerdem, wie mein Vater schon so schön betont hat: Ich kenne sie gar nicht. Und momentan kommt sie mir eher wie ein naives, kleines Mädchen vor, das nicht weiß, wann es besser ist, die Klappe zu halten." Ein aufgesetztes, ironisches Lächeln konnte er sich nicht verkneifen. „Passt nicht unbedingt in mein Beuteschema. Also beruhigt euch. Wir werden uns wahrscheinlich eh kaum sehen."

Obwohl er das Thema am liebsten beendet hätte und es wahrscheinlich ein guter Zeitpunkt gewesen wäre, genau das zu tun, konnte Crave seinen nächsten Kommentar, der vielleicht etwas zu spitz hervorkam, nicht für sich behalten: „Übrigens hat es keinen Sinn, wenn du ständig versuchst, dich auf meine Gefühle zu konzentrieren. An deiner Stelle würde ich mir mal lieber über dein Chaos da drin Gedanken machen." Mit einer flüchtigen Geste deutete er auf Eaths Brust. Daran, dass man beobachten konnte, wie dieser mehrmals seine Kiefermuskeln anspannte, nur um diese wieder locker zu lassen, erkannte Crave, dass er seinen Freund richtig eingeschätzt hatte. Ihm war Allyra nämlich definitiv nicht gleichgültig.

Doch noch bevor dieser etwas auf die durchaus berechtigten Befürchtungen erwidern konnte, wurden sie von einer samtweichen, hohen Frauenstimme unterbrochen. „Ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll."

Gleichzeitig drehten sich die beiden Männer in Richtung Treppe, wo auf einer der Stufen eine blonde, junge Frau saß und ihre Ellbogen auf ihren angewinkelten Knien abgestützt hatte.

„Narah", sagte Eath überrascht. „Was machst du hier? Du bist davor so plötzlich verschwunden." Als sie zuvor mit Nescan am Treppenabsatz erschienen war, hatte Crave gar nicht mitbekommen, wann sie gegangen und sie alleine gelassen hatte.

„Was ich hier mache?" Narah lachte humorlos auf. „Ich versuche damit klarzukommen, dass Nescans kleine Schwester jetzt hier ist, wenn du es genau wissen willst."

Craves Mundwinkel zuckte. „Stört es dich?"

In den feinen Zügen der blonden Schönheit war nicht mal ein Hauch Begeisterung zu finden. Eher das komplette Gegenteil – sie sah fast schon verzweifelt aus. „Nein, natürlich stört es mich nicht. Aber wir waren gerade mitten in der Planung für ..." Sie zögerte.

„Für die Hochzeit, ich weiß", half Eath ihr aus. „Und jetzt hast du Angst, dass Nescan keinen Kopf mehr dafür haben wird."

Narah zuckte ergeben mit den Schultern. „Es hört sich bescheuert an, aber ich habe mich einfach so sehr auf diesen Tag gefreut. Und jetzt passiert das", sie breitete die Arme aus, als würde sie die ganze Eingangshalle umschließen wollen, „und bringt alles durcheinander. Ich finde es ja schön, dass sie sich wiederhaben und so ... ihr wisst schon ... hoch lebe die Geschwisterliebe ... aber bei aller Selbstlosigkeit – ich hasse es, wenn meine Pläne den Bach runtergehen."

„Jetzt warte es doch mal ab, Nescan will diese Hochzeit doch genauso sehr wie du", kam es von Crave, in dem Versuch, die Astóric ein wenig aufzumuntern. Dabei war er sich selbst nicht sicher, wie sehr Allyras Anwesenheit den Alltag im Königshaus verändern würde.

„Ich fühle mich schrecklich für diese Gedanken. Und es ist ja nicht so, als würde ich mich nicht für ihn freuen ... aber stellt euch mal vor, wenn Allyra und ich uns am Ende nicht ausstehen können! Das würde die Beziehung zwischen Nescan und mir nicht nur kompliziert machen, das würde alles zerstören!" Man sah ihr an, wie die Hysterie sich allmählich in ihr breitmachte. Crave musste wirklich an sich halten, um nicht zu lachen. So war sie schon als Kind gewesen, immer musste sie maßlos übertreiben. Und obwohl es ihr selber manchmal wirklich das Leben schwer machte, gehörte es gleichzeitig auch zu ihr und machte sie zu der sympathischen Frau, die sie war.

„Um ehrlich zu sein – und das sage ich, obwohl ich befürchte, dass ihr mich im Doppelpack schneller ins Grab bringen werdet, als mir lieb ist –, denke ich, dass ihr euch großartig verstehen werdet. Gesetzt den Fall, dass ihr beide bereit seid, Nescan ab jetzt zu teilen." Eaths Worte hätten eigentlich ermutigend sein sollen, aber der letzte Teil seiner Aussage kam selbst ihm etwas kritisch vor.

„Damit habe ich mich bereits abgefunden. Ich glaube, ich habe ihn in den letzten fünfzehn Jahren noch nie so ... so aufgelöst gesehen. Selbst als du ihn quasi erstochen hast und er Allyra zurücklassen musste, war er gefasster gewesen als heute."

Die Augen verdrehend entgegnete Eath: „Ich habe ihn nicht erstochen, verdammt. Es war eine nötige Maßnahme gewesen, ihm das Messer in die Brust zu rammen."

„Ohne den Klugscheißer spielen zu wollen, aber jemandem ein Messer in die Brust zu rammen, kommt der Definition von 'erstech-"

„Halt die Klappe, Mistkerl", zischte Eathiran Crave an. „Du warst ja nicht mal dabei."

„Ach, Leeeute", jammerte Narah und unterbrach damit die ausbrechende Diskussion. „Ich will diese scheiß Hochzeit haben! Und ja, ich weiß, ich bin furchtbar!"

Obwohl weder Crave noch Eathiran dieses ganze Hochzeitsfieber vollends nachvollziehen konnten, tat die junge Frau beiden leid. Aber es war nun mal so, dass Feiern, Verlobungen und Hochzeiten nicht auf Platz eins der Liste mit wichtigen Dingen im Leben standen.

„Du wirst deine scheiß Hochzeit schon bekommen", antwortete Crave und musste nun doch grinsen. „Bis dahin: Versuch am besten, dich mit deiner zukünftigen Schwägerin anzufreunden." 

° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° °

Helo.

Ich glaube, dieses Kapitel konnte vielleicht ein paar wenige Fragen beantworten ... wobei ... nah ... hm ... vielleicht hat es auch eher neue aufgeworfen :'D I'm sorry.

Hoffe, ihr hatte Spaß und wünsche euch einen wuuunderschönen Tag ♥ 

P.S.: Übrigens hat sich das Cover etwas verändert ... und der Titel. Das musste sein, weil ich mich schon mal auf den zweiten Band vorbereite :') Und da es jetzt ZIEMLICH wahrscheinlich ist, dass es mehr als 2 Bände geben wird, musste ein bisschen was geändert werden. Nur zur Info. :')

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