2


Ich war mir nicht sicher, was ich von Xoros' Enthusiasmus halten sollte. Hatte er etwa immer noch nicht verstanden, wer da vor ihm saß? Ich hätte mich niemals länger als nötig in der Nähe dieses Mannes aufgehalten, wenn ich hier irgendetwas hätte entscheiden dürfen. Besonders nicht nach diesem Blick, bei dem ich einfach das Gefühl nicht abschütteln konnte, dass er viel mehr hatte aussagen sollen, als ich in der Lage war zu verstehen.

Gekonnt mischte der Glyth die Karten und mir kam es vor, als würde es eine Ewigkeit dauern, bis er schließlich, genau so wie Sacros es getan hatte, drei Karten vor sich hinlegte.

Kaum hatte der Glyth den Stapel zur Seite getan, schlossen sich Xoros' Hände auch schon um die Münzen neben ihm, bereit, sie in die Mitte zu schieben. Er schien keine Bedenken zu haben, im Gegenteil, ich hätte schwören können, dass er diese ganze Situation genoss. Der Ausblick darauf, gegen einen Glyth zu gewinnen, war wohl genug für ihn, um sich voller Freude in dieses verfluchte Glücksspiel zu stürzen.

,,Moment", unterbrach der Glyth ihn plötzlich und hielt eine Hand nach oben, auf Xoros' Münzen deutend. Ich konnte das Gesicht meines Herren nicht sehen, doch ich war mir sicher, dass ein verwirrter Ausdruck dieses zierte.

,,Gibt es ein Problem?", fragte Xoros mit vorsichtigem Unterton, doch schien anscheinend gar nicht daran zu denken, die Hände von seinem Reichtum zu nehmen.

,,Nein, ganz und gar nicht", lächelte sein Gegenüber und wie auch zuvor jagte mir dieses Lächeln einen Schauer über den Rücken. ,,Ich bin nur nicht an dem Geld interessiert."

Jetzt setzte sich Xoros doch etwas aufrechter hin und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch vor sich ab. ,,Ach, nein? Um was wollen Sie dann spielen?"

Es gibt Momente im Leben, die sich ankündigen. Die du schon Minuten, manchmal Stunden oder sogar Tage zuvor erahnen kannst. Und dieser Moment war ein eben solcher. Ich hatte von Anfang an, seit dem Auftauchen des Glyths, gewusst, dass irgendetwas passieren würde. Und zwar definitiv nichts Gutes.

,,Ich will sie." Ich hätte ihn nicht anschauen, hätte nicht seinen Blick auffangen müssen, um zu wissen, dass er von mir sprach. Seine Augen schienen förmlich zu leuchten und ich hatte das Gefühl, als wäre ich nicht mehr die Einzige an diesem Tisch, die die Wahrheit spüren konnte. Ich konnte fühlen, wie er mich durchschaute, wie er meine Unsicherheit und meine Angst in sich aufnahm, als würde er sie zum Überleben brauchen.

Als Xoros' lautes Lachen ertönte und unseren Blickkontakt unterbrach, zuckte ich unwillkürlich zusammen. ,,Ich glaube nicht, dass Sie mir etwas ähnlich Kostbares anbieten können. Ich meine, sehen Sie sich dieses Mädchen an. Bildschön." Auch wenn ich es normalerweise überhaupt nicht leiden konnte, wenn Xoros von meinem Aussehen sprach und zudem auch noch davon schwärmte, so kam es mir in diesem Moment mehr als nur gelegen. Denn es wäre mir deutlich lieber, sie würden um das Geld spielen. Und nicht um mich.

Völlig entspannt lehnte sich der Glyth in seinem Stuhl zurück. Nichts an ihm gab auch nur ein Bruchstück seiner Gedanken preis. Als hätte er wochenlang vor dem Spiegel geübt, sich keine einzige Gefühlsregung anmerken zu lassen. Und es machte mich schier wahnsinnig, dass ich ihn nicht einschätzen konnte. Daran war ich nicht gewöhnt.

,,Ich biete Ihnen das Doppelte Ihres gesamten Vermögens. Und damit meine ich nicht dieses Häufchen hier." Mit hochgezogenen Augenbrauen deutete er auf die Münzen neben Xoros. Ich schluckte, als Letzterer nicht sofort reagierte. Worauf wartete er denn noch?

Mir kam es vor, als würden Minuten vergehen, bis er sich schließlich räusperte und sich nachdenklich mit der Hand über das Kinn strich.

,,Einverstanden. Ich hoffe, Ihnen ist bewusst, was für eine Summe Sie mir da anbieten." Verunsichert zog ich die Augenbrauen zusammen, denn mit so einer Antwort hatte ich ganz und gar nicht gerechnet. Versuchte Xoros den Schein zu wahren, indem er auf das Angebot einging? Immerhin wäre wohl jeder andere an diesem Tisch sofort einverstanden gewesen, denn letztendlich gab es eine Menge schöner Mädchen hier in Sevea. Doch an einem Abend das Doppelte seines Vermögens zu verdienen - nein, das war nicht so einfach.

Ich atmete tief durch und versuchte ruhig zu bleiben. Eigentlich hatte ich nichts zu befürchten. Ich wusste auch nicht, warum mich diese ganze Situation so einschüchterte. Es war ein Spiel wie jedes andere zuvor, nur, dass ich nun gegen einen Glyth gewinnen sollte.

,,Keine Sorge, ich weiß genau, worauf ich mich hier einlasse", entgegnete der unerwartete Gast und aus irgendeinem, mir unerfindlichen Grund, kam es mir vor, als würde er nicht über das Geld sprechen.

Langsam, fast so, als würde er zögern, schob er schließlich die erste Karte nach vorne. ,,Die Karte der Flammenden Krone." Ich zog scharf die Luft ein, als mir plötzlich viel zu heiß wurde. Verwirrt sah ich mich um, doch niemand schien die jähe Hitze zu bemerken. Alle Anwesenden lachten, spielten und verbrachten einen Abend, wie man ihn im Dacium eben erlebte. Das nicht allzu helle Licht, welches von den verteilten, abgedeckten Fackeln verströmt wurde, gab dem Raum eine gemütliche Atmosphäre. Mir jedoch kam hier gar nichts mehr auch nur annähernd gemütlich vor.

,,Die Karte des Einzigen Herzens. Und hier haben wir-", gerade als mein Blick wieder auf den Tisch fiel, schob er die dritte Karte in die Mitte. ,,Die Karte der Ehrlichen Lüge." Mein Herz pochte wie wild in meinem Brustkorb und erst als Xoros sich räusperte und die Arme verschränkte, merkte ich, dass irgendetwas schief gelaufen war.

Mein panischer Blick traf auf den des Glyths, der sich überhaupt nicht für Xoros zu interessieren schien. Seine ganze Aufmerksamkeit galt allein mir. Und dann verstand ich endlich. Er wusste es. Er hatte es die ganze Zeit gewusst.

Doch, was viel wichtiger war: Xoros hatte einen riesigen Fehler gemacht. Und ich war mir nicht sicher, ob sich dieser gravierender für mich oder für ihn herausstellen würde.

Denn ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nicht, bei welcher Karte der Glyth gelogen hatte.

Ich sah, wie Xoros versuchte, Zeit zu schinden, darauf wartend, dass ich ihm den entscheidenden Hinweis gab. Doch dieses Mal würde das nicht passieren. Und ich konnte nur darauf hoffen, dass er genau so gut im Raten war wie im Lügen.

,,Nun? Für welche Karte entscheidet Ihr Euch?" Diese samtweiche Stimme war wie ein Messerregen, direkt in meine Seele. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre gerannt.

,,Wie kann ich mir sicher sein, dass Ihr keinen Eurer Tricks angewandt habt? Denn, ohne Euch zu nahe treten zu wollen, aber: Ihr seid ein Glyth und es gibt viele Gerüchte." Ich konnte mich an keine einzige Situation der letzten sechs Jahre erinnern, in der ich Xoros so gerne umarmt hätte wie gerade. Er versuchte, dieses Desaster zu retten. Jedenfalls kam es mir so vor.

Das Lächeln des Glyths wurde breiter und bevor noch jemand etwas sagen konnte, hielt er seine rechte Hand in die Höhe. Er zeigte auf seinen Ringfinger.

,,Seht Ihr den hier? Dieser Ring unterdrückt jede meiner Fähigkeiten. Ihr habt nichts zu befürchten. Ich bin ein ehrlicher Mann." Wenn ich zuvor noch für einen kurzen Moment Hoffnung verspürt hatte, dass dieser Albtraum doch noch gut enden würde, so wurde diese Hoffnung gerade im Keim erstickt.

Wie zur Heiligen Recáh hatte er es geschafft, meine Fähigkeit zu umgehen?

,,Ich verstehe", murmelte Xoros, offensichtlich nicht erfreut und lehnte sich dann zurück. Doch nur, weil er seinen Rücken näher zu meinen Händen brachte, würde das nichts daran ändern, dass ich, verdammt nochmal, keine Ahnung hatte!

Fassungslos sah ich um mich, betrachtete all die gespannten Gesichter, die es kaum erwarten konnten, dass Xoros den Glyth verlieren ließ. Dass er mich nicht verlor.

Es war nicht so, dass ich ein unheimlich glückliches Leben bei Xoros führte, doch ich hatte hier alles, was ich zum Überleben brauchte. Und der Gedanke, an diesen Glyth übergeben zu werden, löste pure Übelkeit in mir aus. Wer wusste schon, was für grausame Sachen mich bei ihm erwarten würden?

,,Habt Ihr Euch entschieden?", fragte der Glyth. Er sah so ruhig aus, so entspannt, als wäre er sich absolut sicher, dass er gewinnen würde.

,,Die Erste. Ich entscheide mich für die Erste", entgegnete Xoros so hastig, als könnte er es kaum abwarten, dieses Spiel endlich hinter sich zu bringen. So hatte ich ihn noch nie erlebt.

Ich sah nicht hin, als der Glyth anfing, die Karten aufzudecken. Erst als ich die ohrenbetäubende Stille, die sich auf einmal gebildet hatte, nicht mehr ertragen konnte, schweifte mein Blick auf den Tisch.

Die Karte der Flammenden Krone, die Karte der Ehrlichen Lüge...und die verfluchte Karte des Glorreichen Endes.

Es war die Zweite gewesen. Nicht die Erste.

Die Zweite.

Ich konnte meinen Blick nicht von dieser Karte nehmen. Sie war einfach nur weiß, nichts anderes war abgebildet. Und diese eine Karte nahm mir gerade alles, was ich mir in den letzten sechs Jahren erarbeitet hatte.

Ich spürte, wie sich zwei Hände von hinten auf meine Schultern legten und auch ohne mich umzusehen, wusste ich, dass es Viano war. Er musste mitbekommen haben, dass etwas nicht stimmte. Und er hatte recht, denn gar nichts stimmte hier. Absolut gar nichts.

,,Was ist passiert?", drang seine erstickte Stimme zu mir durch, doch ich konnte einfach nicht antworten. Um genau zu sein, wusste ich noch nicht einmal, was ich hätte sagen sollen. Dass Xoros mich gerade so gut wie verkauft hatte? Dass ich verloren hatte?

Nein. Das konnte einfach nicht wahr sein.

,,Ich werde nirgendwo hingehen." Die Worte verließen meinen Mund, bevor ich auch nur darüber nachdenken konnte. Mein Atem ging schneller, abgehackter und die Panik kroch durch meinen Körper wie eine Schlange auf der Suche nach ihrer Beute.

Das Geräusch eines über den Boden kratzenden Stuhles ließ mich meinen Blick heben. Der Glyth war aufgestanden und sah nun unnachgiebig auf mich herab.

,,Du hast keine Wahl, Kleines. Dein Herr hat sich freiwillig auf das Angebot eingelassen. Und ich habe nun mal gewonnen." Diese Ruhe in seiner Stimme brachte mein Inneres in Aufruhr. Ich hasste ihn jetzt schon.

,,Ich habe dem nicht zugestimmt", versuchte ich es wieder, doch als sein Lachen ertönte, das ich in einer anderen Situation vielleicht als wunderschön empfunden hätte, versteifte ich mich.

,,Jetzt ist das nicht mehr wichtig, tut mir leid." Obwohl er lächelte, sah er unglaublich einschüchternd aus und sogar ein wenig grausam. Es gefiel mir nicht, das zuzugeben, diese Schwäche zu zeigen und zu offenbaren, doch er machte mir Angst. Und ich war nicht die Einzige, der es so zu gehen schien.

Xoros erhob sich und drehte sich mit strengem Blick zu mir um. Ich konnte nicht einschätzen, ob er wütend auf mich war, weil ich versagt hatte, oder ob es einfach nur Furcht war, die ihn in diesem Moment beherrschte.

,,Du wirst mit ihm gehen, Allyra." Dann wandte er sich an Viano. ,,Geh und bring sie auf ihr Zimmer. Sie soll ihre Sachen packen."

Fast wäre mir die Kinnlade nach unten geklappt. Wie konnte er nur? Ich hatte so viel für ihn getan und so wenig dafür verlangt. Ich hatte ihn zu dem Mann gemacht, der er heute war! Und nun übergab er mich einfach so an einen Fremden.

Nein, Xoros und ich hatten nie ein enges Verhältnis gehabt. Ganz zu schweigen davon, dass wir uns hätten Freunde nennen können. Aber manchmal hatte ich das Gefühl gehabt, dass er ein wenig Dankbarkeit empfand. Und um ehrlich zu sein, hätte ich erwartet, dass er sich mehr darum bemühen würde, mich bei sich behalten zu dürfen.

Einerseits konnte ich ihm keinen Vorwurf machen. Schließlich hatte auch ich gedacht, dass ich gewinnen würde. Und vielleicht hätte ich an seiner Stelle genau so gehandelt nach einer Niederlage. Immerhin wäre der Versuch, sich gegen einen Glyth zu stellen, einfach nur töricht und dumm.

Doch andererseits brannte die bittere Enttäuschung darüber, dass er es nicht wenigstens versuchte, tief in meinem Inneren.

,,Seid Ihr Euch sicher, ich meine-", sagte Viano noch, bevor Xoros ihn mit einer schnellen Geste mitten im Satz unterbrach.

,,Erledige einfach deinen Job."

Vianos Hände auf meinen Schultern verkrampften sich und ich wusste, dass er sich beherrschen musste, um nicht etwas weniger Höfliches zu erwidern.

,,Ich werde dich morgen früh holen kommen. Allyra." Meinen Namen aus seinem Mund zu hören, bescherte mir eine Gänsehaut. Ich konnte nicht beschreiben, was mich daran so irritierte. Es hörte sich unfassbar falsch an und gleichzeitig so verdammt richtig, als hätte das Schicksal nur darauf gewartet, mich in sein Leben zu bringen.

Ich antwortete nicht und ließ mich, völlig betäubt von dem gerade Geschehenen, in mein Zimmer führen. Viano musste mich den ganzen Weg stützen und bei jedem Schritt kam es mir vor, als würde ich jeden Augenblick in Ohnmacht fallen.

Als er mich auf meinem Bett absetzte, kniete er sich vor mich und nahm meine Hände in seine.

,,Lyra, sieh mich an. Du musst dich zusammenreißen."

Er hatte recht, das wusste ich. Doch es fiel mir schwer, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

,,Du darfst jetzt bloß nicht durchdrehen. Vielleicht können wir noch irgendetwas tun. Ich werde nochmal mit Xoros reden! Du bist sein wichtigster Besitz, ich glaube, er hat nur zu voreilig gehandelt, er hatte einfach Angst", versuchte Viano, mich weiter zu beruhigen, doch natürlich klappte das nur bedingt. Naja, eigentlich klappte es überhaupt nicht. Dass er mich zudem auch noch als Xoros' Besitz betitelte, ignorierte ich gekonnt.

,,Hast du ihn gesehen?! Weiß der Teufel, was der Kerl mit mir machen wird!" Die Hysterie in meiner Stimme konnte ich nicht verbergen. Sechs Jahre lang hatte ich es geschafft, ein mehr oder weniger normales und geregeltes Leben zu führen. Und jetzt, an nur einem Abend wurde all das zunichte gemacht. Es fühlte sich an wie eine Strafe. Eine Strafe für all die schlechten Taten, die ich je begangen hatte.

Vianos Stirn hatte sich in tiefe Falten gelegt und ich sah ihm an, dass auch er langsam die Hoffnung verlor, je länger er über alles nachdachte. Auch ihm war klar, dass es hier nicht einfach um irgendeinen Mann ging. Er war ein Glyth und wenn er wollte, würde er Xoros die Hölle heiß machen, wenn dieser mich nicht gehen ließ. Das würde er niemals riskieren, dafür bedeuteten ihm das Dacium und sein Reichtum einfach zu viel.

,,Ich kann das nicht", flüsterte ich. ,,Ich kann das nicht zulassen."

Er seufzte und strich sich über sein schönes Gesicht. Er sah erschöpft aus und ich fragte mich, ob mir sein müder Zustand zuvor einfach nicht aufgefallen war.

,,Vielleicht wird Xoros-"

,,Xoros wird gar nichts tun. Hast du nicht mitbekommen, wie er mich förmlich verschenkt hat?! Nein, auf ihn kann ich mich nicht verlassen." Wenn ich es mir recht überlegte, hatte ich mich noch nie wirklich auf ihn verlassen können. So gern ich es mir auch eingeredet hätte, einen solchen Menschen in meinem Leben gefunden zu haben. Aber das hatte ich nicht. Schon seit ich elf war, musste ich mich alleine durchschlagen.

Und das würde ich auch weiterhin tun.

Und kein verdammter Glyth würde etwas daran ändern können.

,,Ich werde verschwinden", eröffnete ich Viano mit einer plötzlichen Überzeugung, von der ich selbst nicht so genau wusste, wo sie auf einmal herkam. Doch es war die einzige Möglichkeit, die mir noch blieb. Der einzige Ausweg. Niemand anderes war für mein Leben und für meine Freiheit verantwortlich, nur ich allein würde etwas an dieser Situation ändern können.

Ich drückte Vianos Hand.

,,Heute Nacht. Und ich brauche deine Hilfe."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top