| 45 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬
Der restliche Tag verlief ziemlich entspannt. Hin und wieder telefonierte Ryan mit ein paar Hydra Mitgliedern, oder anderen Leuten, die irgendetwas mit den Geschäften zu tun hatten.
Ich hingegen hatte die ganze Zeit über den Fernseher laufen und sehnte mir meine Videospiele herbei. Wie gerne würde ich einen freien Nachmittag mit zocken verbringen. Nur ging das nicht. Immerhin hatte ich bis auf Wertsachen und wenige Klamotten nichts mitgenommen. Und zurück wollte ich nicht nochmal. Konnte ich auch nicht.
Auf der anderen Seite war es jetzt etwas sicherer für mich. Ich wohnte in unserem Revier und das nicht allein. Ryan war ein ziemlich erfahrenes Mitglied und vom Rang der Dritthöchste. Allerdings war er zu meinem Leidwesen auch der Bruder des Mädchens, mit dem ich ausging.
„Was essen wir heute eigentlich zum Abendessen?", fragte Ryan dann am Abend mit Kulleraugen und machte Anspielungen darauf, dass ich wieder kochen sollte.
Grinsend verharrte mein Blick auf den Fernseher. „Keine Ahnung. Vielleicht Fertigpizza?", schlug ich vor und genoss den schockierten und wehleidigen Blick meines Sitznachbarn.
„Was? Aber Miles! Wir können doch-"
Ich ließ ihn gar nicht erst ausreden, sondern unterbrach ihn. „Du meinst, ich kann doch... Ne ne, ich bin kein hauseigener Koch. Ich werde meinen Teil zur Miete beisteuern und wir werden mit Sicherheit gute Mitbewohner, aber ich werde mich nicht zur Hausfrau mutieren lassen", bestimmte ich.
Kurz schien Ryan zu überlegen, welche Argumente er noch bringen könnte. Da ihm aber auf die Schnelle nichts Wirksames einfiel, entschloss er sich dazu zu quengeln und zu betteln. „Du bist so gemein! Ich hab dich heldenhaft von der Straße aufgesammelt und dir ein Dach über den Kopf gegeben. Außerdem isst sich mein Magen noch von selbst auf! Und das willst du doch nicht!"
Unsicher sah ich ihn an und tat so, als müsste ich über gesagtes nachdenken. „Dann bestell dir doch was."
„Und was?", wollte er ratlos und nicht sonderlich begeistert wissen.
Langsam seufzte ich. „Dir wird schon noch was einfallen." Ryans kindliche Seite kannte ich noch gar nicht an ihm, aber sie war mir allemal lieber als dieses aggressive Misstrauen.
„Kein Geld", kam es nur zurück und so langsam fing er wirklich an zu nerven. Vor allem, weil ich genau wusste, wie lasch diese Ausrede war. Selbst wenn er kein Geld hätte, die Hydra hatte ihre Kontakte und vielleicht war der Pizzalieferant ja einer ihrer Spielzeuge, die erpresst wurden. Deswegen sah ich ihn auch mit einem ja-klar-Blick an und zog die Augenbraue hoch. Doch das hielt Ryan nicht davon ab, mir noch mehr auf den Kecks zu gehen.
Dramatisch jammernd ließ er sich nach unten sinken, so dass er nur noch halb auf dem Sofa lag und legte die Arme nach hinten. Anschließend sah er mit riesengroßen Augen zur mir hoch, als wäre er ein kleiner Welpe, der ein Leckerli wollte.
„Böser Ryan", meinte ich nur und sah wieder zum Fernseher, obwohl mich die Sendung nicht die Bohne interessierte.
Er jammerte erneut und wandte mir den Rücken zu. Kurz danach zückte er sein Handy und schrieb eine verzweifelte Nachricht an einen Kontakt Namens, Brudi. Eindeutig Matt. Allerdings hatte das nicht den gewünschten Erfolg, denn der Braunhaarige erhielt keine Antwort, da Matt wahrscheinlich arbeitete. Dies entlockte ihm ein frustriertes Stöhnen. „Oh man, ich werde hier einsam und elendig sterben und keinen interessierst!"
Endgültig genervt und auch grinsend erhob ich mich und ging zu der Küchenecke.
Ryan ignorierte mein Gehen erst, doch als er das Geräusch des sich öffnenden Kühlschrankes hörte, sprang er auf und eilte mit leuchteten Augen zu mir.
Für einen Augenblick war ich hin und her gerissen, ob ich ihn mit einbeziehen sollte. Entschloss mich dann aber dagegen, da ich nicht wollte, dass irgendwelche Drogen oder Gifte ins Essen kamen, weil Ryan sie mit Salz oder ähnlichem verwechselte. Also beobachtete er nur brav und deckte wieder den Tisch.
Als wir fertig waren mit Essen wollte ich noch schnell duschen gehen und dann ins Bett, weil wir morgen wieder ein Treffen hatten. Ryan hatte nichts dagegen und somit holte ich mir meine Bettsachen wieder und baute das kleine Sofa zum Minibett um.
Nachdem das erledigt war, ging ich ins Bad. Nur hatte ich keine eigenen Hygieneartikel und einkaufen waren wir noch nicht. „Ähm, Ryan, also könnte ich vielleicht..." ich deutete mit dem Finger hinter mir und er verstand sofort.
„Klar, nimm dir einfach. Aber morgen sollten wir mal einkaufen gehen." erwiderte er und verschwand in seinem Schlafzimmer.
So stand ich fünf Minuten später frisch geduscht vor dem kleinen Spiegel mit nassen Haaren und putzte mir die Zähne. Dabei fiel mein Blick, als ich mich kurz zur Seite drehte auf das rundliche Tattoo in meinem Nacken. Irgendwie wirkte es fehl am Platz. So, als gehörte es nicht hier hin. Nicht zu meinem Körper und nicht auf meinen Nacken. Es diente nur zur Überdeckung. Das Tattoo war zu tief, als dass man es über den Shirt Kragen hätte sehen können. Demzufolge wusste niemand davon. Weder mein Onkel, meine Eltern oder jemand aus der Gang.
Im Prinzip hatte ich auch nicht wirklich eine Ahnung, was es bedeuten sollte. Das Symbol war irgendwie schon immer in meinen Gedanken verankert, nur seinen Ursprung kannte ich nicht. Nach dem Unfall hatte ich es mir stechen lassen und bereute es bis heute nicht.
Allerdings waren einige Teile meiner Jugend seit dem Unfall wie weggeblasen und zurückgeblieben waren nur Fetzen von schleierhaften Erinnerungen. Nur nach und nach kam alles zurück. Aber es brauchte seine Zeit. Die Ärzte jedenfalls meinten, dass Das normal wäre. Immerhin hatte mein Kopf ganz schön was abbekommen und meine Erinnerungen somit ordentlich durcheinandergebracht.
Ich sah nochmal in den Spiegel. Mir gegenüber stand ein junger Erwachsener mit müden Augen und herunterhängenden Mundwinkel. Zudem hatte er kleine Augenringe und sah alles andere als glücklich aus.
Erschöpft seufzte ich leise und räumte Ryans Zeug weg, ehe ich mich zum Sofa schleppte. Ich hatte keine Ahnung warum, aber plötzlich packte mich solch eine Müdigkeit.
Dennoch fand ich keinen Schlaf. Meine Zukunft war ungewiss und gefühlt kamen jeden Tag neue Probleme hinzu. Weswegen ich mich eine Weile unruhig hin und her wälzte, ehe ich irgendwann doch einschlief.
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