25

Aylana

„Du bist aufgewacht und da war sie weg ?“, vergewisserte sich Marin zum dritten Mal.

Ich nickte: „Ja. Willst du dir das nicht lieber aufschreiben, bevor du mich ein viertes Mal fragst?“.

Er verdrehte seine Augen: „Ich bin überrascht, bisher konnte kein Mensch unter Wasser leben ohne unsere Verwandlungskapsel genommen zu haben“.

„Bis vor drei Tagen bin ich beinahe im Meer ertrunken“, warf ich ein und winkelte meine Füße an, weil Zoraya, die sich mir vorgestellt hatte, ständig auf sie starrte, als wären sie Außerirdische.

Plötzlich erhob Marin sich und begab sich an ein Bücherregal. Er warf vereinzelte Bücher zu Boden und murmelte etwas leise vor sich hin.

„Wo ist Nolan eigentlich ?“, fragte Zoraya nebensächlich, um ein Gespräch aufzubauen. Calev zuckte mit den Schultern und sah zu mir. Ich zuckte ebenfalls mit den Schultern und verbannte die aufkommenden Gedanken an die Küsse.

„Ich habe es“, rief Marin freudig und warf ein altes, halb zerfleddertes Buch zu uns. Ich fing es auf und las den Einband: „Supranaturalismus ?“.

Zoraya nickte, ebenso wie Marin und erklärte: „Das Übernatürliche“.

Verwirrt sah ich in die Runde aus fragenden Gesichtern. „Warum gerade übernatürlich ?“, fragte Calev.

„Sie ist eine priroda ved‘ma“, beantwortete jemand hinter uns seine Frage.

Zoraya schnappte hektisch nach Luft und beugte ihren Oberkörper. Marin und Calev taten es ihr gleich.

Xenja lächelte uns entgegen. „Hört auf eure Fischschwänze anzuschauen. Ich bin privat hier“. „Wie kommst du hier rein ?“, fragte ich und stand auf.

Nolan tauchte hinter ihr auf: „Ich habe mir die Erlaubnis erteilt sie hereinzubitten“.

Zeitgleich entdeckten die beiden meine Beine und betrachteten sie mit unterschiedlicher Mimik. Nolan wirkte verdutzt wohingegen Xenja ihre Aussage wiederholte: „Ich hatte bereits geahnt, dass du nicht gewöhnlich bist“.

Nun mischte sich Calev wieder ein: „Dürfte ich fragen, was eine priroda ved’ma ist ?“.

„Es ist ein altes Wort und bedeutet übersetzt Naturhexe. Expliziter eine Erdmagierin“, übersetze Nolan ohne eine Sekunde verstreichen zu lassen, „Sie ist eine der letzten Magier ihrer Art“.

Xenja nickte: „Deshalb ist es umso wichtiger, dass du weißt, welche Macht in dir steckt“. Ich sah ungläubig zwischen allen hin und her: „Ihr denkt doch nicht ernsthaft, dass ich an diesen Schwachsinn glaube. Hexen, Magier, wo bleibt das fette Buch und die Zaubersprüche ?“.

Xenja schüttelte den Kopf: „Das was du bisher kanntest, existiert nur in Büchern. Echte Magier, so wie du eine bist, können allein mit ihren Gedanken und Gefühlen die Welt bewegen. Es ist meist nicht mal eine Bewegung notwendig“.

„Es macht alles Sinn. Deine Behandlung…“. Marin.

„Das erklärt dein Talent“. Calev.

„Denk an deine Verbindung zu Tieren und Pflanzen“. Nolan.

„Lasst sie durchatmen“. Zoraya.

Als Xenja mir ihre Hand reichte, stieß ich sie weg: „Ich bin bestimmt noch in einem Traum. Das ist nicht real“. Meine ausweichende, fast schon panische Art ließ alle verstummen.

"Ich beherrsche die Wassermagie, falls du dich alleine damit fühlst. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Menschen mit besonderen Familienstammbäumen schlummernde Magier sind. Ich kann dir helfen", erklärte Xenja.

„Ich bin nicht anders. Nicht viel anders als ihr“. Immer mehr steigere ich mich in meine Angst hinein. Ich bin überfordert und viel zu durcheinander, das geht nicht gut aus.

„Denk nach Aylana. Wann kannst du das was du kannst ? Was kannst du ? Wieso bist du die einzige ? Hast du dich das noch nie gefragt ?“, fragte Marin neugierig. 

Ich schüttelte energisch meinen Kopf: „Nein, weil alles okay ist. Es ist alles normal“.

Calev legte mir eine Hand auf die Schulter, vermutlich um mich zu beruhigen, doch es bewirkte das Gegenteil.

Ich zuckte durch die Berührung zusammen, fühlte mich so unwohl, dass ich am liebsten wegrennen wollte und noch im gleichen Moment zerplatzte die Lampe über uns. Durch den Knall wurde es still und ich trat zwei Schritte zurück, während die Scherben der Lampe durch das Wasser segelten.

„Wenn du es nicht kontrollieren kannst, passiert das“, versuchte Xenja mir das Spektakel zu erklären, doch ich schüttelte wieder den Kopf. Rückwärts gehend entfernte ich mich von den anderen, die teilweise verstört von der Decke zu mir blickten. „Es tut mir Leid“, war das letzte was ich sagte, bevor ich das Haus verließ.

Im Hintergrund vernahm ich die Scherben der Lampe, die sich von allein wieder zusammensetzten, als wäre nie etwas vorgefallen.

Ich hasste meine Beine, zumindest unter Wasser. Ich kam auf meiner Flucht vor mir selbst nicht schnell voran und verfluchte es.

Nicht weit hinter mir bewegte sich etwas auf mich zu. Es entpuppte sich als Nolan und ich schwamm noch schneller weg. Er holte mich allerdings nach kürzester Zeit ein und ich verfluchte meine Beine erneut.

„Ich möchte jetzt nicht reden“.
„Du solltest aber besser darüber reden. Es ist alles viel auf einmal“.

„Das einzige das gerade zu viel ist bist du“, unterbrach ich ihn bissig und drehte mich weg.

Er schwamm um mich herum: „Schließ mich nicht aus Gänseblümchen. Du kannst mir vertrauen“.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust: „Und damit zulassen, dass du mich wieder ausnutzt ?“.

„Ich nutze dich nicht aus, wie kommst du…“, er hielt inne. „Bist du deswegen geflüchtet ? Wegen dieser Sache ?“.

„Nicht nur deswegen. Ich wollte niemanden verletzen“, gab ich zu und seufzte tief.

„Das hast du nicht“.

„Noch nicht. Du weißt nicht wie es ist jemanden zu verletzen Nolan“.

Er legte seine Hand auf meinen Unterarm: „Ich habe dich verletzt und es tut mir Leid. Es war mein Fehler und du leidest darunter. Xenja möchte dir nur helfen und sie weiß am besten wie“.

Meine harte Fassade fällt in sich zusammen: „Ich weiß aber nicht wie. Dauernd verwickele ich euch in schwierige Situationen, die nur ich zustande gebracht habe“.

Seine Arme legten sich wie selbstverständlich um mich: „Gar nichts davon war je deine Schuld. Lass unsere Hilfe zu und es wird besser, versprochen“.

Zweifelnd biss ich mir auf die Unterlippe. Vielleicht besteht die Möglichkeit, dass etwas an dieser Magierangelegenheit wahr war. Wie sonst kann ich mir meine Begabung erklären ? Einbildung war das schon lange nicht mehr.

„Okay“, seufzte ich, „ich werde es mir überlegen“. Mit einem Hauch von Erleichterung sanken Nolans zuvor angespannten Schultern und er nickte. Seine Hand, die er mir nun reichte, war sein Versprechen.
Ein Versprechen, dass alles gut gehen wird.

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