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Aylana

„Wieso tust du das ?“.

Diese Frage schwirrte mir seit gestern im Kopf herum. Verlegen stach er mit seinen Fingern in den Sand ein, klaubte eine kleine Menge zusammen und ließ sie zwischen seiner Hand zerfallen. „Weil du ein guter Mensch bist Aylana“, betonte er meinen Namen auf eine schöne Weise wie nur er es kann. „Und das glaubst du, weil ?“.

Er bemerkte meinen Zweifel und griff nach meiner Hand. Er übte leichten Druck auf sie aus, vermutlich um mich zu trösten. „Weil ich dich in dieser kurzen Zeit genug kennengelernt habe, um das beurteilen zu können“.

Meine Selbstzweifel sprachen für mich noch bevor ich dagegen ankämpfen konnte: „Es wäre überhaupt nicht schlimm, wenn du einer anderen Ansicht bist. Du darfst ruhig zugeben, dass du die Einstellung der anderen gutheißt oder sie teilst. Ich bin es gewohnt für komisch gehalten zu werden, warum sonst spricht jeder abwertend über mich ?“.

Er schüttelte vehement seinen Kopf: „Weil sie keine Ahnung haben wer du bist. Ich gebe zu, gestern fand ich dich noch komisch, weil du dieses Ding mit Tieren und Pflanzen beherrschst, aber je länger wir beieinander sind umso deutlicher erkenne ich das Mädchen dahinter“.

Ich konnte mein Schmunzeln nicht verstecken: „Und was für ein Mädchen bin ich nach deinen zahlreichen Beobachtungen nun ?“. „Spielt das denn eine Rolle ? Die Hauptsache ist, dass du weißt, wer du bist und dein Ding durchziehst. Das hast du bisher tadellos umgesetzt“, redete er überzeugt.

Ich sah kopfschüttelnd auf das Meer, welches nicht weit von hier ans Ufer schwappte.
„Und genau das mag ich an dir“.

Das Geständnis, welches aus Nolans Mund drang, ließ mich in eine andere Welt katapultieren. Er mochte mich. Er hatte zugegeben, dass ich nicht übel war.
Das war doch ein Zeichen, dass er mich gut ertragen konnte, oder ?

Mein Nebenmann räusperte sich: „Das klang wahrscheinlich wie ein Weichei, tut mir leid“. Ich lehnte mich zurück: „Also gut Nolan, dann erzähl mir etwas von dir, damit ich das gleiche von dir behaupten kann“. Er grinste verschmitzt und sah mich an: „Du magst mich schon längst, das kannst du nicht leugnen“.

Ich schüttelte standhaft meinen Kopf und er begann zu lachen. Meine Standhaftigkeit schien er amüsant zu finden, was ich wiederum nicht gut hieß. Er nahm mich nicht mehr ernst, wenn es darauf ankommen sollte. „Na gut“, schnaufte er und beruhigte sich, „was willst du denn wissen ?“.

Neugierig musterte ich ihn: „Wie ist deine Familie so ?“. Er seufzte und blickte Richtung Meer: „Kompliziert und verdammt machthaberisch“.

Ich merkte, dass ich einen wunden Punkt bei ihm getroffen habe und stand auf. Verwirrt blickte er mich an, als ich mir den Sand von der Hose wischte und meine Schuhe mitsamt Socken abstreifte. Daraufhin reichte ich ihm meine Hand und blickte ihn auffordernd an: „Ich möchte ins Wasser“. Er ergriff sie und stand auf.

Nebenher streifte er sich seine Schuhe ebenfalls ab und tapste mit mir an der Hand zum Ufer. Vorsichtig testete er das Wasser und nickte mir zu, damit ich es ebenfalls probieren sollte. Ich versenkte meinen großen Zeh im Wasser und zuckte zurück. Der erste Schock über die Kälte des Wassers war vorbei und ich gewöhnte mich langsam an die Temperatur.

Nolan ließ meine Hand los um sich sein Oberteil über den Kopf zu ziehen und es zu unseren Sachen hinzuschmeißen. Abwartend blickte er mich an und ich stand nur stocksteif da. Wie konnte er nur so selbstbewusst sein ? Ich würde mich in Grund und Boden schämen, wenn mich ein Junge ohne Kleidung sehen würde.

Er grinste als er meine Reglosigkeit bemerkte und ging einige Schritte ins Wasser. „Willst du etwa mit Klamotten schwimmen Gänseblümchen ?“, erwiderte er als ich ihm folgte. Das Wasser umspülte meine Beine und weichten rasant meine Hosenbeine auf. Ich mochte die sanften Bewegungen, die mich dazu drangen tiefer ins Meer zu gehen und den Boden unter mir zu lassen. Einen Schritt nach dem anderen, immer weiter stieg das Wasser und die Wellen erledigten den Rest.

Bis ich auf einmal keinen sandig, steinigen Untergrund an meiner Sohle spürte und unter Wasser versank. Mir entwich die Luft aus meinen Lungenflügeln und ich ruderte panisch mit Armen und Beinen.

Aber ich sank tiefer als ich wollte und blickte unter mich. Natürlich musste die Insel auf einer nahezu unendlichen Klippe liegen. Eine Hand umschloss mein Handgelenk und eine weitere setzte mich an meiner Taille ab. Ich blickte in Nolans Augen und ehe ich mich versah durchbrachen wir die Wasseroberfläche.

Hustend und nach Luft schnappend hielt ich mich an seinen Schultern fest und strich mir die nassen Haare aus dem Gesicht. „Warum hast du nicht gesagt, dass du nicht schwimmen kannst“, fragte er mit einem entsetzten Gesichtsausdruck. „Ich dachte es wäre nicht tief, aber da habe ich mich wohl überschätzt“. Seine Sorgenfalte, die sich zwischenzeitlich auf seiner Stirn gebildet hatte, glättete sich nach und nach.

Ich lächelte ihm entgegen: „Wir retten uns in den letzten Tagen zu oft gegenseitig unser Leben“. Seine linke Hand, die mein Handgelenk zuvor festgehalten hatte, legte sich nun in meinen Rücken und drückte mich somit automatisch näher zu ihm. Ich berührte hin und wieder seine Beine mit meinen eigenen, die im Gegensatz zu seinen nichts taten und nahezu senkrecht im Wasser trieben, während er für zwei schwamm, um uns über Wasser zu halten.

Mein Griff auf seinen Schultern verstärkte sich, als er sein Gewicht verlagerte und wir fast wieder untergetaucht wären. Auch wenn ich es nicht mochte auf andere angewiesen zu sein genoss ich es dennoch in Nolans Nähe zu sein. Sein Duft, der von ihm ausging versetzte mich in eine Traumwelt, in der wir uns anders kennengelernt hätten. Ganz normal wie zwei Teenager. Wir würden weder in Gefahr schweben, noch wäre ich eine Außenseiterin in der Gesellschaft.

In der Realität hatte er mich gerade vor dem Ertrinken gerettet und fesselte mich nun mit seinen grün-braunen Augen, die eine solche Sanftheit in sich trugen, dass mir schwindelig wurde. Sein Griff wurde zunehmend fester, was ich nur am Rande wahrnahm, zu abgelenkt war ich von meinem Gegenüber.

Sein Blick wechselte schon bald zu Verlangen und verdunkelte die Iris sichtbar. Seine Zunge glitt aus seinem Mund und befeuchtete seine Lippen ehe er  eine Hand nahm und sie langsam durch das Wasser zog, bis sie an meinem Gesicht halt machte.

Wenn ich bisher Anzeichen für Hibbeligkeit und Aufregung verspürt hatte, dann war das nichts im Gegensatz zu dem, was sich gerade in meinem Magen abspielte. Mir war unsäglich heiß und es kribbelte überall, so dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.

Seine Hand fuhr langsam meinen Kiefer entlang und streifte ab und zu meinen Hals, was mir eine Gänsehaut einbrachte. Meine Hände waren mittlerweile auf seine nackte Brust heruntergerutscht und ich nahm seine verschnellerten Herzschläge wahr.

Wie hypnotisiert blickte ich in seine Augen, die mir langsam näher kamen. Sein Oberkörper lehnte sich in meine Richtung und meiner tat es ihm gleich. Ich wusste, dass mir nun mein erster Kuss bevorstand.

Der erste berühmtberüchtigte Kuss, der hohe Erwartungen erfüllen musste. Ich hatte jahrelang Romane gelesen, in denen jegliche Gesten und Taten äußerst romantisch beschrieben wurden. Damals hatte ich begeistert davorgesessen und mir versprochen, dass mein erster Kuss genauso einzigartig wurde wie von den unzähligen Protagonisten.

Würde ich es bereuen ?
Was ist, wenn ich zu hohe Erwartungen habe ? Wenn ein Kuss in echt nicht so berauschend ist und ich mir umsonst Hoffnungen machte ? Schließlich war Nolan mir so gut wie fremd und trotzdem zog er mich in seinen Bann.

Seine Augen schlossen sich und ich nahm mir ein Beispiel an ihm. Ich konnte seinen warmen Atem bereits an meinen Lippen spüren.

„Ich dachte du kannst nicht schwimmen Lana ?“, zerstörte eine mir zu bekannte Stimme die Chance auf meinen ersten Kuss.

Aus meiner Trance aufgewacht blickte ich zur Insel, auf der der Übeltäter stand und die Arme verschränkt hatte.

Verdammt Calev, wie gerne ich dich gerade umbringen würde !

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Der gute alte Calev und sein Timing 😂
Zerstört eben mal den Moment

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