01 | ozean



reverie

/ˈrɛv(ə)ri/

Substantiv:

    ein Zustand, in dem man angenehm in seinen Gedanken verloren ist; ein Tagtraum.

[ Definition nach Oxford Languages ]


Der Sand unter meinen Füßen gab nach, als ich mich ein wenig weiter nach hinten fallen ließ. Ich schloss die Augen und sog die warme Luft ein, die in sanften Brisen durch meine Haare und über meine Haut fuhr. Die Wellen schlugen gegen die Küste, das Schilf raschelte. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte ich mich komplett unbeschwert.

Das Klima war unglaublich humid und Sandkörner wurden mir mit jedem Lufzug ins Gesicht geweht, weswegen ich mehrfach vor mich hinblinzeln musste, um wieder klare Sicht zu gewinnen. Allmählich verflossen die Farben wieder zu einem scharfen Bild. Im Mittelpunkt stand dabei meine Schwester, die gerade zwischen zwei Wellen hervortauchte und mir fröhlich zuwinkte. Die Haare hingen ihr in klitschnassen Strähnen über die Schultern und ihr Bikinioberteil schien beim Tauchgang etwas verrutscht zu sein, denn sie zupfte mit ihrer anderen Hand nervös an den Trägern herum. Ich schenkte ihr noch ein zusprechendes Lächeln, dann schwamm sie auch schon auf ihren Freund zu, der mit einem Wasserball bewaffnet ein paar Meter von ihr entfernt auf sie wartete.

Eine Weile lang beobachtete ich die zwei. Ich beobachtete, wie Gemma seinen Arm umklammerte und versuchte, den Wasserball aus seinen Händen zu schlagen, um letzten Endes von ihm abzurutschen. Sie war kurz davor, erneut ins Wasser zu fallen, doch er reagierte schnell und schloss noch rechtzeitig seine Arme um ihre Hüfte. So war es nur der Ball, der auf der Meeresoberfläche aufschlug. Die Wellen nahmen ihn mit sich mit und trieben ihn ein Stück weit von den beiden davon, doch das bekamen sie schon gar nicht mehr mit. Dafür waren sie viel zu beschäftigt, einander vertraut in die Augen zu sehen.

Ich schaute von den beiden weg auf den Sand neben mir. Passiv begann ich, mit meinen Fingern Spuren zu zeichnen und das Lächeln auf meinen Lippen verfloss zu einem trüben Nichts. Das war es also erstmal mit der Unbeschwertheit. Obwohl ich wirklich froh darüber war, dass Gemma jemanden wie ihren Freund gefunden hatte, fiel es mir nach wie vor schwer, den Gedanken zuzulassen, dass das mit ihnen vermutlich für immer halten würde. Ich konnte selbst nicht sagen, woran das lag. Vielleicht lag es daran, dass sie mit meiner Mutter der wichtigste Mensch in meinem Leben war, vielleicht war es aber auch nur irgendeine unterbewusste Eifersucht meinerseits. Doch ganz egal, wie sehr ich mir darüber den Kopf zerbrach, ich kam einfach nicht darauf. Und das machte mir an der ganzen Sache am meisten zu schaffen.

"Hab' ich irgendetwas verpasst?"

Louis' Stimme ließ meinen Kopf nach oben schnellen. Er hatte mich bereits von Weitem erkannt, denn er war eben dabei, die morsche Holztreppe hinunterzulaufen. In seinen Händen trug er zwei Pappbecher, aus denen jeweils ein Strohhalm schief hervorschaute. Seine nackten Füße traten vom Holz in den Sand. Währenddessen er auf mich zukam, ließ er seine Augen immer wieder über das Meer schweifen. Ich folgte seinem Blick.

"Nicht wirklich", erwiderte ich, "außer, dass hier vorhin ein paar Skorpione rumgelaufen sind. An deiner Stelle würde ich also aufpassen, wo du dich hinsetzt." Ich setzte meinen eisernsten Gesichtsausdruck auf und Louis' träumerisches Lächeln schwand. Stattdessen begann er, mit seinen Augen panisch den Sand abzusuchen. "Wo genau? Hier? Ernsthaft?" Er wandte sich in alle Richtungen und wieder zu mir zurück, "Harry?"

Auch, wenn ich wirklich mein Bestes gab, konnte ich das Grinsen in meinem Gesicht nicht länger zurückhalten. "Es ist alles in Ordnung. Hier waren nie irgendwelche Skorpione. Na ja - zumindest hätte ich keine gesehen", sagte ich. Louis atmete daraufhin erleichtert auf, streckte mir einen Becher entgegen und ich nahm ihm diesen dankend ab. Ich schraubte den Deckel herunter und steckte ihn mitsamt des Strohhalms neben mich und nippte vom Becherrand, woraufhin ich jedoch angeekelt meine Lippen verzog und die Augen zusammenkniff. Da war eindeutig zu viel Sirup unter zu wenig Sodawasser gemischt worden.

Als ich wieder aufsah, bemerkte ich, dass Louis sich inzwischen an meine Seite gesetzt und dadurch den Sand ins Wirbeln gebracht hatte. Sein Blick glitt nach wie vor über den Ozean und die Sonnenstrahlen malten ein paar vereinzelte Lichtpunkte auf seine Haut. Im Gegensatz zu mir war er schon ein wenig gebräunt. "Du bist so ein Idiot, weißt du das?", lachte er schließlich und schaute über seine Schulter zu mir zurück, währenddessen er den Strohhalm am Ende umknickte.

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