06 - Es war Vollmond
Ich bin noch nicht zurück, aber heute war mir so langweilig, dass ich ein neues Kapitel geschrieben habe :)
Außerdem hat Rêverie nun ein Cover und zwar eines von der unfassbar talentierten Little_Ophelia. Ich kann wieder nicht mehr außer Danke sagen! <3
Das angehängte Bild ist für Gummiwatte. ;)
Ungläubig blickte ich zu Clove, nur um meinen Blick im nächsten Moment wieder von ihr abzuwenden. Ihre Augen waren von lauter schwarzer Schlieren umrandet, welche die Spuren ihrer Tränen abzeichneten, doch sonst war in ihrem Gesicht lediglich die Abneigung mir gegenüber zu erkennen.
Es schmerzte, doch es war mein alltäglicher Ausblick. Ich war es gewöhnt so behandelt zu werden.
Umso mehr überraschte es mich, dass der brünette Junge mir ein kurzes und aufmunterndes Lächeln zuwarf, was Clove missmutig beäugte. Es war nur wenige Sekunden auf seinen Lippen, doch ich nahm die Wärme in seinem Blick war.
Von der Magie, die diese simple Geste in mir auslöste, schlug ich verzaubert meine Lider nieder und kaute nervös auf meiner Unterlippe herum.
Der Junge, der sich nun mit seinen langen Fingern durch die kurzen, lockigen Haaren fuhr, drückte Clove einen kurzen Kuss auf die Lippen, worauf hin sie ihn lächelnd umarmte. Sie flüsterte ihm leise etwas in sein Ohr, was er grinsend zur Kenntnis nahm.
Erst als Cloves Blick auf mich fiel, schien sie zu bemerken, dass ich weiterhin im selben Raum stand, wie sie. Sie löste sich von dem Jungen und bedeutete ihm nun schweigend, dass er das Zimmer verlassen sollte. Ihre Autorität war verblüffend. Selten war mir solch ein Mensch begegnet.
Es schien als hätte sie den fremde Junge mit den liebevollen Lächeln in ihren Bann gezogen und er war lediglich eine Marionette, die geschaffen wurde, um ihr zu gehorchen.
Ich gab zu, dass meine Fantasien auch oftmals in meinen Tagträumen mit mir durchgingen. Sie waren wie mein Name, einzigartig.
Der Lockenkopf winkte Clove ein letztes Mal zu und ging fröhlichen Schrittes durch den Türrahmen in den Flur hinaus.
Ein Teil meines Kopfes schrie mir zu, dass ich ihm folgen solle, um vor der Ansprache meiner neuen Mitbewohnerin zu flüchten. Die Konsequenzen würden dann vermutlich höher sein, als wenn ich nun alles schweigend hinnahm.
"Setzen wir uns doch", flötete Clove mit einem Grinsen auf den Lippen, dass ich nicht deuten konnte. Es war keines Falls ein freundliches Lächeln, jedoch auch kein Vernichtendes, die die Male zuvor.
Es war neutral und dies machte mir sogar noch mehr Furcht, als es ein spöttisches Grinsen getan hätte.
Schweigend folgte ich dem brünetten Mädchen und setzte mich neben sie auf das große Sofa. Sie schlug ihre Beine übereinander und legte ihre Hände auf das Knie. Sie wirkte als hätte sie nun ein wichtiges Gerichtsverfahren, von dem sie überzeugt war, dass sie es für sich entscheiden würde
Ich hingegen spielte nervös an meinen Fingernägeln herum und schaute betreten auf den Boden vor mir.
"Nun gut, Rêverie. Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe. Es war unreif und kindisch von mir dich zur Verantwortung zu ziehen, obwohl du keine Schuld trägst", sagte Clove, wobei ihre Worte wie einstudiert klangen. Keinerlei Emotion war in ihrer Stimme zu vernehmen.
Ich sah sie einen Wimpernschlag lang verwirrt an, denn ich glaubte ihren Worten nicht. Wieso sollte sie sich bei mir entschuldigen, wenn sie gerade noch so gemein zu mir gewesen war?
Ich wog die Möglichkeiten meines Verhaltens ab und kam nach kurzem überlegen zu einer Entscheidung. Mein Gefühl für Harmonie siegte über das Misstrauen, welches ich meiner Mitbewohnerin gegenüber gehegt hatte.
"Okay", sagte ich daher leise und strich mir über meine Bluse.
"Danke, dass du meine Entschuldigung annimmst. Wir müssen so oder so nur eine Woche gemeinsam hier verbringen, denn entschuldige, aber ich denke nicht, dass solch junge Studenten gesucht werden. In dieser Zeit werden wir uns einfach ignorieren und jeder lebt sein Leben, wie er es zuvor auch getan hat. Einverstanden?"
"Einverstanden", sagte ich zaghaft. Von einer unbegreiflichen Mut gepackt fuhr ich fort: "Ich denke jedoch nicht, dass ich viel jünger bin als du. Das wirkt nur so."
"Ich hätte dich auf sechzehn geschätzt. Höchstens." Clove lachte gekünstelt. "Ich bin zwanzig, nur falls es dich interessieren sollte."
Ich nickte ihr kurz zu, schwieg jedoch. Ich dachte mir jedoch meinen Teil, denn auf mich wirkte sie nicht sonderlich reif. Natürlich war sie bildschön, doch ich hatte an meiner Mutter gesehen, wie sehr das Innere einen Menschen auch äußerlich verderben konnte.
Ich wartete bis Clove mir zu verstehen gab, dass unser Gespräch nun beendet war. Erleichtert stand ich auf als das erhoffte Zeichen kam und war erfreut noch alle Gliedmaßen an meinem Körper verspüren zu können.
Der Abend neigte sich schnell dem Ende zu. Clove und ich redeten nicht erneut miteinander. Als ich aus dem Waschraum der Mädchen zurückkehrte telefonierte meine Mitbewohnerin mit dem Jungen, der zuvor auf unserem Zimmer gewesen war.
Aus dem Gespräch konnte ich vernehmen, dass er ebenfalls auf dieser Universität studieren wollte und in dem obersten Stockwerk des Hauses wohnte. Ebenso wie ich würden Clove und er morgen Mittag den Einführungskurs besuchen, in dem uns gesagt werden soll, welchen Schwerpunkt wir uns für den Test aneignen müssen.
Anschließend würde ich mich an das Lernen setzen müssen. Ich hoffte nur, dass Clove keine ausgiebige Feierlaune besaß, denn einige Zusammenkünfte mit gefährlichen alkoholischen Substanzen, wie Bier oder gar Wodka, waren bereits angekündigt worden.
Da ich noch nie auf einer Feiern von Gleichaltrigen gewesen war und ich nicht wusste, wie sich ein normaler Erwachsener verhielt, der Zuflucht in der Welt des Alkohols suchte, stand für mich fest, dass ich zu keinem dieser intimen Beisammenseins gehen wollte.
Schließlich war ich noch nicht volljährig und nicht befugt die durchsichtige Teufelsflüssigkeit, wie meine Mutter sie immer nannte, zu trinken. Außerdem suchte ich meine Zuflucht lieber im Traum, auch wenn dies schon länger nicht mehr funktioniert hatte.
***
"Rêve, ich bin hier - Nein links. Setze dich doch zu uns", hörte ich die quirlige Stimme der Blondine, die ich am Vortag kennen gelernt hatte.
Vorsichtig bahnte ich mir den Weg durch die Studenten und stieg die steilen Treppen, die in den Saal hinein führten, hinab.
In der dritten Reihe von unten saß Livia, die ihr blondes Haar bis zu ihren Schultern trug und in ein Sweatshirt des College gekleidet war. Neben ihr saß ein brünetter, junger Mann mit einem leichten Dreitagebart, dessen schwarzes T-Shirt sich eng an seine Brust schmiegte. Sobald er aufstand, um mich hindurch zu lassen, fiel mir seine Größe auf. Er war zwar größer als ich, jedoch im Vergleich zu normalen Maßstäben klein.
Dankbar setzte ich mich neben ihn, auch wenn ich mich lieber in die erste Reihe gesetzt hätte, und schaute an ihm vorbei zu Via, die mich freudig anlächelte.
"Die Betten hier sind super, oder? Ich habe geschlafen wie auf Wolken. So himmlisch weich", sagte das Mädchen, wobei sie verträumt an die Decke blickte. Sie war ein sehr direktes Mädchen, das aussprach was sie dachte, ohne ihre Worte zu überdenken. Soweit hatte ich sie bereits durchschaut.
Höflich lächelte ich hinter vorgehaltener Hand. Mein Blick schweifte neugierig zu dem Jungen, wobei ich darauf bedacht war, ihn nicht zu auffällig anzusehen. Dennoch folgte Via meinem Blick und schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.
"Wie unhöflich von mir. Es tut mir leid. Rêverie, das ist Louis."
Der besagte Junge klopft Via beruhigend auf die Schultern und lächelte mich anschließend an. Mit leicht nach oben gezogenen Mundwinkeln nickte ich ihm zu.
"Kennt ihr euch?", fragte ich beide leise, um andere Studenten bei ihren Gesprächen nicht zu stören.
"Ja, seit zehn Minuten sind wir die besten Freunde. So hat mich Livia zumindest begrüßt", grinste Louis, worauf hin ich einen leisen Lacher nicht zurück halten konnte.
"Nein wirklich. Sie hat sich neben mich gesetzt und ihre ersten Worte waren: Hi, ich bin Livia, aber bitte nenne mich Via. Ich weiß zwar nicht wer du bist, aber du siehst unglaublich gut aus und du bist nun mein bester Freund."
Beleidigt schnappte Via nach Luft und verschränkte ihre Arme vor der Brust, während ich um meine Fassung rang. Es gehörte sich nicht laut zu lachen, sagte Mutter immer.
"Ich habe nicht gesagt dass du gut aussiehst, Freundchen. Das habe ich mir nur gedacht."
Louis wollte gerade erneut das Wort ergreifen, als unser Professor in den großen Saal eintrat. Binnen Sekunden richtete ich mich in meinem Stuhl auf und strich meine weiße Bluse glatt, die ich zu einer schwarzen Hose kombiniert hatte.
Verärgert runzelte ich die Stirn, als außer mir, Via und Louis, die ich mit einem strengen Blick betrachtet hatte, keiner Anstalten machte die Gespräche zu unterbrechen.
Erst als sich der Professor räusperte, verstummte auch das letzte Gemurmel.
Nach anderthalb Stunden, in denen ich in das Medizinstudium eingeführt wurde, plagten mich stechende Kopfschmerzen. Uns wurde erklärt, wie die Semester unseres Studiums unterteilt sein werden und auch die Elite Gruppierung des führenden Professors wurde näher erläutert.
Louis und Via hatten nur gelacht, als ich gesagt hatte, dass ich es in die Gruppe schaffen musste. Die beiden waren sich sicher, dass sie keine Chance auf einen Platz hatten. Mir hatten sie jedoch viel Glück gewünscht.
Glück war das was ich brauchen würde. Die Kopfschmerzen kamen wohl auch, da mir nun bewusst war wie viele intelligente Studenten an dieser Universität waren. Besonders der Lockenkopf und Freund meiner Mitbewohnerin hatte durch seine Beiträge offensichtlich das Interesse des Professors erlangt.
Zu Mittag hatte ich ebenfalls mit Via und Louis gegessen. Wir hatten jedoch auf das Lärmen im Speisesaal verzichtet und uns eine Pizza bestellt, die wir in Vias Zimmer gegessen hatten. Ihre Mitbewohnerin war nicht da gewesen. Via hatte mir jedoch erzählt, dass sie wohl eine Freundin von Clove war und beide sich schon lange kannten.
Daher ging ich, sobald wir die Pizza gegessen hatten, in mein eigenes Zimmer zurück, denn viel erwartete ich nach dieser Information nicht mehr von Vias Mitbewohnerin. Ich versuchte zwar nicht voreingenommen zu sein, doch wenn man selbst als Nichtsnutz abgestempelt war, ließ man die Wut auf sich selbst zu oft an anderen aus, die nicht einmal etwas für mein eigenes Versagen konnten.
Dann fing ich an zu lernen. Stundenlang recherchierte ich, schrieb mir Zettel und verbrauchte eine gesamte Packung Textmarker. Erst als die Sonne schon lange untergegangen war, schlug ich das fünfhundert Seiten Buch zu und machte mich fertig, sodass ich ins Bett gehen konnte.
Ich wollte für den morgigen Tag und die ersten Unterrichtsstunden ausgeschlafen sein. Außerdem konnte ich mir keine Müdigkeit erlauben, wenn ich lernen musste. Mein tag war streng getaktet, da würde eine schlaflose Nacht nur unnötige Unruhe stiften.
Wie ich erwartet hatte, war Clove auf die Eröffnungsfeier gegangen und auch Via hatte versucht mich zum Mitkommen zu überreden. Ich war jedoch unnachgiebig geblieben und hatte das Zimmer sicherheitshalber von innen abgeschlossen.
Ich wollte meine Ruhe haben.
Stundenlang lag ich wach und starrte auf den Mond, der das Zimmer durch das große Fenster erhellte. Es war Vollmond. Zu dieser Zeit konnte ich noch nie gut schlafen, woran es lag wusste ich jedoch nicht.
Ich wälzte mich in meinem Bett hin und her, legte die Bettdecke über mich und strampelte sie wieder von mir. Ich ließ die Rollläden hinunter, nur um sie direkt wieder zu öffnen. Der Vollmond hatte mich in seinen Bann gezogen und ich war nicht fähig, mich von ihm zu lösen.
Nur wenige Sekunden vor Mitternacht schloss ich erneut die Augen und wurde endlich in den Sog des befriedigenden Schlaf gezogen.
Ein lauter Schrei ertönte aus meiner Kehle, als ich das Wasser um mich herum spürte. Die Wellen schlugen um mich und der Sog zog mich in die Tiefen des Ozeans.
An der Oberfläche sah ich die verschwommenen Umrisse einer Person. Ich wusste nicht wie der Tod aussah, doch die dunkle Gestalt, die versuchte nach mir zu greifen, erschien mir wie er.
Ich bekam keine Luft. So sehr ich es auch versuchte. Mit jedem Atemzug drang mehr Wasser in meinen Körper ein.
Ich wollte Würgen, mich von dem Gift befreien, doch ich war in eine Schockstarre verfallen, während ich immer weiter auf den Grund sank.
Ich stand kurz vor dem Tod, da war ich mir sicher, doch das lebendige Angesicht des Monstrums hatte mich noch nicht ergriffen.
Ich wollte schreien, dass sie mich doch endlich packen solle und mich von dem Leiden um mich herum befreit, doch kein Laut kam aus mir heraus. Lediglich ein armseliges Röcheln und einige Luftblasen verließen meinen Mund.
Und dann, in dem Moment in welchem ich mich vollkommen aufgeben wollte, hielt mich die Hand endlich fest und zog mich an die Oberfläche.
Mein Blick war unklar, ich sah verschwommen und das Wasser brannte in meinen Augen, jedoch sah ich, dass die Gestalt nicht der Tod war.
Ich lebte.
Mein Retter war verschwommen. Ich konnte ihn nicht erkennen, doch er hatte es geschafft mich vor dem Ertrinken zu retten. Er hatte es geschafft mich vor mir selbst zu retten, als ich bereit war mein gesamtes Leben und meine Identität aufzugeben.
Durch ihn blieb ich lebendig.
Mit einem letzten Blick auf seine Umrisse schloss ich die Augen und öffnete sie erst wieder, als ich ein Poltern und leises Gekicher um mich herum vernahm.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top