03 - Das Schicksal entscheidet
Hier noch ein Kapitel, welches ich vorgeschrieben hatte, für Situationen in denen ich nicht zum Schreiben kommen werde. Ich vermisse es so sehr, aber was soll ich tun? Schule ist eine höhere Macht :D Drückt mir heute die Daumen für Mathe....
(Bild von Ariadne/Rêverie.)
Keuchend schlug ich meine Augen auf.
Sie brauchten lange, um sich an die bedrückende Dunkelheit zu gewöhnen, die in meinem Zimmer herrscht. Erst nach gefühlten Minuten erkannte ich endlich die Umrisse meiner Möbel.
Das Kissen war durchnässt von dem Schweiß, der mir von der Stirn tropfte. Voller Panik fasste ich mir an den Kopf und fuhr mir mehrmals durch die Haare.
Ich wusste weder, was genau passiert war, noch hatte ich ein Gespür für die aktuelle Zeit. Ich bekam Panik, wenn ich unter solchen Umständen stand, weshalb ich langsam ein und aus atmete, um mich zu beruhigen.
Ein Blick auf das grelle Display meines Handys zeigte mir, dass ich mich erst vor drei Stunden schlafen gelegt hatte. Das helle Licht trieb mir Tränen in meine empfindlichen Augen und schnell sperrte ich das Mobilgerät wieder.
Unter der Decke war es entsetzlich heiß geworden, weshalb ich mit meinen Füßen strampelte, um diese zu befreien. Erleichtert spürte ich die kühle Luft an meinen nackten Beinen und streifte mir auch die restliche Decke von meinem bebenden Körper ab.
Es war kaum zu glauben, dass solch ein Albtraum fähig war einen Menschen so mitzunehmen und solche Gefühle auslösen konnte. Obwohl ich mich nur noch an Bruchstücke meines Traumes erinnern konnte, schwebten mir Garçons letzte Worte weiterhin im Kopf herum. Es wirkte alles so wirklich und so echt, so dass ich nicht begreifen konnte, nun wieder aufgewacht zu sein.
Garçon war für mich die Realität. Das war er schon immer gewesen, doch nun hatte er mir diese Wunschvorstellung zerstört.
Meine Träume waren schon seit ich klein gewesen war mein Zufluchtsort gewesen. In ihnen hatte ich mich versteckt, wenn ich Angst hatte oder jemanden zum Reden benötigte. Nun schien es so, als wäre mir auch meine letzte Hoffnung genommen worden.
Meine Kehle brannte wie Feuer und ich musste meinem Körper schleunigst etwas Flüssigkeit zuführen, um das Schwindelgefühl zu stoppen, welches meine Sinne zur Zeit manipulierte.
Ruckartig setzte ich mich auf, was dafür sorgte, dass erneut schwarze Sternchen vor meinen Augen tanzten. Wimmernd griff ich nach der Bettkante, um das Gleichgewicht zu halten und wartete, bis sich mein Körper von der Bewegung erholt hatte.
Auf Zehenspitzen tapste ich aus meinem Zimmer heraus in den Flur und die weiße Wendeltreppe herunter. Dabei setzte ich vorsichtig einen Fuß vor den anderen, um in der Dunkelheit nicht zu stolpern.
Ich wagte es nicht das Licht zu entfachen. Meine Mutter mochte es nicht, wenn ich Nachts durch das Haus lief und wenn sie von meinen Schritten oder dem Licht aus ihrem leichten Schlaf erwachen würde, wären die Konsequenzen schmerzhaft und kaum zu ertragen.
Ich wollte heute nicht noch mehr Leid erfahren müssen. Die Worte meiner namenlosen Traumfigur schwebten weiterhin in meinem Kopf umher und ließen sich nicht verdrängen.
Du wirst mich auch im wahren Leben finden.
Was sollte ich finden? Eine Person, die mich liebte und mich nicht von sich stoßen würde?
So jemanden hatte ich noch nie kennengelernt und ich hatte den Glaube an das Gute in den Menschen schon seit langer Zeit aufgegeben. Im Traum hatte ich mir meinen Freund so hinbiegen können, wie ich ihn gewollt hatte, doch in der Realität war dies nicht möglich.
So sehr ich es auch wollte. Ich hatte den Schlüssel zum Glaube der Liebe verloren und würde ihn nicht wiederfinden. Eine Suche war zwecklos, denn der Untergrund zum Suchen war endlos.
In der Küche angekommen, beschloss ich dann doch, den Lichtschalter zu betätigen. Schließlich schlief meine Mutter ein Stockwerk über mir und konnte nicht durch den Boden hindurch zu mir sehen. Dennoch achtete ich darauf, die Tür des Wandschrankes sachte zu schließen, nachdem ich mir ein Glas genommen hatte.
Als ich mich an den geräumigen Küchentisch setzte, um mir das Glas mit etwas Wasser zufüllen, fielen mir einige Broschüren auf, die meine Mutter wohl gestern Abend dort hingelegt haben musste, als ich bereits zu Bett gegangen war.
Mich interessierte es brennend, worüber die Flyer handelten, doch ich würde es noch früh genug erfahren. Mutter würde es wohl merken, wenn ich sie durchgeblättert hätte.
Dennoch beschlich mich eine mulmige Vorahnung. Es müsste sich wohl um die verschiedenen Universitäten handeln, an denen ich mich bewerben sollte. Mutter hatte mir bereits von einigen Tagen erzählt, dass sie mir die Broschüren von verschiedenen renommierten Universitäten in aller Welt zeigen wolle. Nun war es wohl so weit... Ich sollte eine Entscheidung treffen.
Die größte Schwierigkeit stellte dabei wohl da, dass ich mich bereits entschieden hatte und zwar gegen jegliche dieser Ausbildungsorte. Ich wollte Medizin nicht studieren. Das wusste ich von dem Moment an, als wir im Biologie Unterricht Blut mikroskopieren sollten und mir schwarz vor den Augen wurde.
Ich war nicht zur Ärztin geboren worden und ich würde auch nie in die Rolle einer hineinwachsen, doch meine Mutter war da anderer Meinung. Für sie gab es keinen anderen Weg, den ich einschlagen sollte. Es war alles worauf sie mich getrimmt hatte, alles wofür ich geboren war.
Seufzend räumte ich das Glas in die Geschirrspülmaschine und verließ die Küche, um erneut durch das Haus in mein Zimmer zu schleichen. Auch hier schaffte ich es, ohne meiner zornigen Mutter über den Weg zulaufen.
Leise schloss ich meine Zimmertür und legte mich erschöpft in mein Bett . Sofort fielen mir meine Augen zu und binnen Sekunden befand ich mich in einem traumlosen Schlaf.
***
Als ich am nächsten Morgen erwachte, plagten mich stechende Kopfschmerzen. Wie in Trance machte ich mich für den heutigen Schultag fertig und versuchte die Schmerzen auszublenden. Es gelang mir so schlecht, dass meine erste bedachte Handlung an diesem Tag die Einnahme einer Tablette war.
Nachdem ich im Bad jeglichen menschlichen Bedürfnissen nachgekommen war und mich bei einem Blick in den Spiegel nicht mehr das kalte Grauen überkam, ging ich hinunter in die Küche, wo auch schon meine Mutter auf mich wartete.
"Du bist spät, Schätzchen", beschwerte sie sich auch schon lauthals, noch bevor ich die Tür überhaupt hinter mir schließen konnte.
Ich war bereits viel zu aufgewühlt und erschöpft an diesem Morgen, um mich nun auch noch mit meiner Mutter zu streiten, weshalb ich ihr nickend meine Zustimmung kund tat.
"Ich weiß, Mutter. Wird nicht wieder vorkommen", murmelte ich leise und setzte mich gegenüber von ihr an den Tisch.
Still schlürfte ich meinen Kaffee und aß ein Croissant mit Marmelade, während meine Mutter in ihrer Zeitung blätterte. Wie jeden Morgen geschah all dies in unheimlicher Ruhe. Nicht einmal die Zeitung störte die Stille durch ein Knistern.
Ich beendete mein Frühstück, indem ich mein Geschirr in den Geschirrspüler einräumte. Noch bevor ich den Raum verlassen konnte, sah meine Mutter von ihrer morgendlichen lese Routine auf und beobachtete mich argwöhnisch.
"Du siehst müde aus, Ariadne."
"Ich habe schlecht geschlafen", sagte ich und blickte zu Boden. Somit fielen mir meine Haare wie ein Vorhang vor das Gesicht und Mutter konnte nicht weiter meine Augenringe begutachten.
"Kind, wie oft soll ich dir noch sagen, dass Schlaf wichtig für dich ist", antwortete Mutter mir und stand von ihrem Stuhl auf. Als sie einen Schritt auf mich zu ging, trat ich automatisch weiter nach hinten und stieß dabei an dem Tresen an. Mutter ließ sich jedoch nicht beirren und schob mir meine Haare hinter die Ohren. "Verstecke dich doch nicht immer. Du bist wunderschön, Kindchen. Das musst du der Welt auch mal zeigen."
Ich nickte scheu und blickte vorsichtig zu meiner Mutter auf. Sie war ein ganzes Stück größer, als ich, weshalb ich meinen Kopf weit in den Nacken legen musste. Mutter sah mir sehr ähnlich. Wir hatten das gleiche dunkle und lange Haar. Unsere braunen Augen wurden durch lange Wimpern umrandet und unsere rundliche Gesichtsform war vor zarten Konturen modelliert.
Lediglich unsere Haut und der Altersunterschied trennten uns von einander. Während Mutters Gesicht bereits von kleinen Fältchen gezeichnet war, erstrahlte meine Haut weiß wie Schnee. Die helle Haut hatte ich wohl von meinem Vater geerbt, doch so genau konnte ich es nicht sagen. Ich hatte ihn nie kennen gelernt. Er war gegangen, noch bevor ich geboren wurde und hatte sich nie mehr gemeldet.
Mutter griff hinter sich und nahm die Broschüren, die ich bereits vergangene Nacht entdeckt hatte, vom Tisch. Seelig lächelnd reichte sie mir die vier Flyer. "Ich hatte dir doch versprochen, dass ich dir eine Übersicht über die besten Universitäten des Medizinbereiches zukommen lasse. Ich habe eine kleine Vorauswahl getroffen. Sehe sie dir heute Abend in Ruhe an und teile mir deine Entscheidung bald mit. Schließlich sind es nur noch wenige Monate, bis das Semester beginnt."
Wortlos nickte ich und wollte schon aus der Küche treten, als ich es mir anders überlegte. "Mutter", flüsterte ich leise, so dass ich beinahe schon hoffte, sie würde es nicht verstehen. "Ich möchte kein Medizin studieren."
Binnen Sekunden drehte sich meine Mutter zu mir und sah mich mit vor Zorn funkelnden Augen an. Wie oft hatte ich diese Situation in den letzten Monaten bereits erlebt? Ich konnte es schon gar nicht mehr aufzählen. Ich hatte es so leid, doch es half alles nichts. Sie behielt die Kontrolle über all meine Entscheidungen.
Ich wusste worauf es hinauflaufen würde, doch ich wollte dennoch meine Meinung äußern dürfen.
"Habe ich mich verhört, Ariadne?"
"Ja- Ähh, nein.... Nein, das hast du nicht", murmelte ich und senkte meinen Blick erneut. Wie schon zu vor hob meine Mutter meinen Kopf mit ihren Fingern an. Sie zwang mich somit ihr in die Augen zu blicken, die meinen so ähnelten.
"Sag mir, dass das nicht wahr ist", zischte sie und betonte dabei jedes einzelne Wort.
"Das kann ich nicht. Mutter, es war noch nie mein Traum. Es war immer nur deiner."
Ich spürte den Aufprall ihrer Hand auf meiner Wange kaum, so sehr war ich den Schmerz bereits gewöhnt. Lediglich etwas in meinem Kopf zog sich zu einem kleinen Stechen zusammen, denn die Kopfschmerzen waren noch nicht vollkommen verschwunden.
Weiterhin vor Zorn bebend stand meine Mutter mit erhobener Hand vor mir, weshalb ich mich mit einem traurigen Lächeln abwandte und mit gesenktem Kopf in den Flur hinaus ging.
Sie würde mir nicht folgen, denn es war Zeit in die Schule zu gehen. So sehr sie mich auch bestrafen wollte, meine Bildung war ihr wichtiger.
Die Schule begann in einer Stunde und mein Schulweg nach Buc würde, wie jeden Tag, einige Zeit in Anspruch nehmen.
Seufzend strich ich mir über meine gerötete Wangen, auf der sich der Handabdruck der Frau, die mich geboren hatte, deutlich abzeichnete. Ich blinzelte erfolgreich die Tränen, die sich in meinen Augen angesammelt hatten, weg und zog mir meine Schuhe über die Füße. Schließend schlüpfte ich in meine Jacke, griff nach meinem Rucksack und trat ins Freie.
Die Tür zog ich hinter mir zu und just in dem Moment fühlte ich mich frei. Zumindest bis zu dem Moment, in dem ich das Haus, mit dem ich so viele schlechte Erfahrungen verband, wieder betreten musste.
***
Am Abend lag ich erschöpft, von den Hausaufgaben und dem Lernen für die bald anstehenden Abschlussprüfungen, auf meinem Bett und blätterte durch die Broschüren mit den Universitäten, die mir zur Auswahl standen.
Paris, München, Chicago oder London.
Einer der Orte sah besser aus, als der andere, das musste man ihnen lassen, doch alle vier hatten eines gemeinsam. Es war der falsche Studiengang, den ich belegen sollte.
Nachdem ich mir jegliche Vor- und Nachteile der einzelnen Standorte aufgeschrieben und mir die Wohnheime im Internet angesehen hatte, blieben zwei Universitäten in der engeren Auswahl.
München schied bereits aus dem Grund aus, dass sich meine Kenntnisse für die deutsche Sprache auf Wörter wie Hallo oder Tschüss beschränkten. Ich hatte zwar Deutsch gelernt, jedoch später angefangen, als mit meinen anderen beiden Fremdsprachen, weshalb ich die Sprache nicht zum Muttersprachler Niveau zählen konnte. Ich würde niemals einer gesamten Vorlesung auf Deutsch folgen können, geschweige denn mich in der Stadt verständigen können. Im Allgemeinen hatte mir der Campus am wenigsten gefallen.
Die Universität in Paris gefiel mir am Besten. Sie lag nah am Louvre und in vielen Seitenstraßen gab es kleine Cafes, in denen ich Mittags lernen könnte. Dennoch schied auch dieser Standort aus. Er lag zu nah an meinem jetzigen Zuhause. Lediglich eine knappe Stunde fahrt, trennten meine Heimat und Paris. Ich wusste zwar, dass Mutter mich gerne auf dieser Universität sehen würde, damit sie mich weiterhin im Augen behalten konnte, doch sie würde auch eine andere Uni akzeptieren müssen. Schließlich hatten Chicago oder London einen weitaus besseren Ruf.
Chicago oder London?
Die Entscheidung fiel mir sehr schwer. Beide Universitäten gehörten zu der gleichen Kette, sie waren nur an verschiedenen Orten gebaut worden. Dementsprechend sahen sich die Bauten sehr ähnlich und auch die Professoren sollen an beiden gleich gut sein.
Englisch beherrschte ich ohne Probleme. Zwar war meine Muttersprache Französisch, doch Englisch und Latein lernte ich bereits von dem Moment an, als ich angefangen hatte, bewusst zu denken. Mutter hielt Englisch und Latein immer für sehr wichtig, denn laut ihr konnten nur diese beiden Sprachen mir meine Tür zur Ärztin öffnen. Lediglich das H und Th der englischen Sprache bereitete mir noch einige wenige Probleme, doch diese würden sich nach einigen Monaten in einem englischsprachigen Land hoffentlich in Luft auflösen.
Nachdem ich nach einer halben Stunde weiterhin zwischen London und Chicago schwankte, beschloss ich dem Schicksal die Entscheidung zu überlassen.
Aufgeregt kramte ich eine Münze aus meinem Portemonnaie hervor und teilte London der Zahl und Chicago dem Kopf zu.
Mit zitternden Fingern warf ich die Münze in die Luft und ließ sie auf mein Bett fallen.
Das Schicksal entschied sich für London.
Erleichterung breitete sich in mir aus, denn ich spürte, dass ich noch nicht bereit gewesen wäre, den Kontinent zu verlassen, auf dem ich achtzehn Jahre lang gelebt hatte. Alleine der Schritt ein freies Leben zuführen, sorgte für genug Veränderung in meinem Leben.
Lächelnd ging ich in das Zimmer meiner Mutter hinein, nachdem sie mich hineingelassen hatte und hielt die Broschüre der Londoner Universität in die Luft.
"Ich gehe nach London, Mutter. Das Schicksal entschied sich dafür."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top