Kapitel 23

N I A L L

Tumult auf dem Flur ließ meinen Kopf vom metallenen Tisch des Verhörraums emporschnellen, in den ich wieder einmal gnadenlos geschleift worden war. Und wieder einmal saß mir Ed mit einem Stapel Akten gegenüber, einen durchgehend ernüchterten Ausdruck im Gesicht. Wer auch immer ihn dazu verdammt hatte, sich mit meiner Person auseinanderzusetzen, wollte ihn wohl für irgendetwas bestrafen. Wenigstens hatten wir die jetzige Session ohne ein hitziges Streitgespräch hinter uns gebracht, was größtenteils daran lag, dass Ed seine Worte mit schmerzhaft viel Bedacht wählte, seinen Tonfall betont ruhig hielt und mich noch dazu nur dann ansah, wenn er direkt eine Frage stellte. Als täte ihm mein bloßer Anblick schon weh.

Ich fühlte mich beschissen. Durch und durch.

Greg hatte mir eine weitere Schmerzmittelinjektion verpasst und ich hatte in den vergangenen Stunden ein wenig Schlaf abgekriegt, sodass die Symptome des Schlages beinahe komplett in den Hintergrund gerückt waren. Von dem ewigen Liegen und Sitzen auf der harten, kalten Pritsche der Zelle machte sich allmählich wieder die Narbe an meinem Unterbauch durch unangenehmes Ziehen bemerkbar, aber ich würde den Teufel tun und darüber zu jammern. Sämtliche Leute hier brachten mir nur Misstrauen, Enttäuschung und Bitterkeit entgegen, und auch wenn sie überwiegend auch wirklich das Recht darauf besaßen, so hatte ich es allmählich so satt.

Weder Liam noch mein Vater hatten sich seit der letzten Gelegenheit persönlich bei mir blicken lassen, wofür ich ihnen irgendwo dankbar war. Ich war mir nicht sicher, ob ich Liam ins Gesicht sehen könnte, ohne Einrichtungsgegenstände nach ihm zu werfen. Und beim Anblick meines Vaters neigte ich bekanntlich ja ohnehin zu unkontrollierten Aggressionszuständen.

Unüberhörbares Geschrei ließ nun auch Ed seinen Kugelschreiber weglegen, bevor er sich erhob und zur Tür des Verhörraums trat, die Hand einsatzbereit auf dem Griff der Waffe an seinem Gürtel.

Mit einem Schnalzen seiner Zunge machte er diesen mir ganz und gar unsympathischen Wes-Typen auf sich aufmerksam, der sich als Wache vor dem Zimmer positioniert hatte.

Als ob ich mich plötzlich aus den Handschellen schälen und einen Angriff starten würde. Mein interessierter Blick wanderte zu Eds Habseligkeiten, die er auf dem Tisch hatte liegenlassen, während er sich nun leise mit Wes unterhielt. Handy, Headset, Tablet, USB-Stick, ... und, holla, die Waldfee, das war doch nicht möglich.

Dort, direkt vor meiner Nase lag dieser blöde Schlüssel für die blöden Handschellen auf dem Tisch.

Ungläubig lehnte ich mich ein Stück vor. Kein Zweifel, das waren sie.

Ich verlor keine Sekunde, sondern stemmte mich ganz leicht aus meiner sitzenden Position, ließ meine aneinandergeketteten Hände über die Tischoberfläche schweben und schnappte mir schließlich den Schlüssel in einer blitzschnellen Bewegung.

Ich bezweifelte, dass Ed dazu intendiert hatte, die Schlüssel auf dem Tisch zu platzieren, wo wir sie laut Protokoll und eigener Gewohnheit grundsätzlich in unsere Hosentaschen schoben, aber offenbar fraßen die Befragungen mit mir derartig an seiner Psyche, dass er unaufmerksam wurde. Dementsprechend würde er auch erst danach suchen, er nach Feierabend (falls er denn überhaupt einmal einen bekam) seine Taschen entleerte – abgenommen wurden mir die Handschellen in der Zelle nämlich nicht. Was auch immer mir der Schlüssel bringen sollte, wenn ich keine Möglichkeit hatte, aus den Räumlichkeiten zu fliehen, so verlieh er mir doch ein gewisses Triumphgefühl.

Ich lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf Ed, der in dieser Sekunde ein fassungsloses „Wie bitte?" ausstieß. Wes wirkte aufgewühlt und schockiert, sofern ich das unter seinem Vollbart definieren konnte. Fetzenweise drangen Abschnitte wie „... vor der Tür aufgetaucht ...", „will verhandeln" und „sollten ihn einfach erschießen" an meine Ohren und ließen mich kerzengerade aufsetzen.

Das klang nicht gut.

Angespannt verfolgte ich seine Mundbewegungen, bis ganz klar und deutlich der Name „Zayn Malik" fiel. Dann konnte ich nicht mehr an mich halten.

„Was?" Ohne nachzudenken sprang ich auf und hatte die Distanz zur Tür innerhalb einer Viertelsekunde überbrückt. „Zayn? Ist Zayn ... hier?!"

Das konnte nicht möglich sein.

Ed warf Wes einen wütenden Blick zu, und der Typ hob in einem lautlosen Sorry die Hände empor, bevor er sich durch den Flur verkrümelte. „Alles ist in bester Ordnung, Niall. Wir werden unsere Sitzung jetzt fortführen."

Misstrauisch beäugte ich die schmale Linie, zu denen seine Lippen geworden waren.

Und dann hörte ich sie. Zayns Stimme. Sie war von solchem Hall durchsetzt, dass es unmöglich war, ganze Worte oder gar Sätze auszumachen, aber allein die Tatsache, dass Zayn dort draußen war, in Person und lebensecht, aktivierte den besinnungslosen Teil meines Gehirns.

In einer Kurzschlussreaktion stieß ich Ed zur Seite. Mit einem überrumpelten Japsen taumelte er nach hinten und ging mit lautem Geschepper über seinen eigenen Stuhl hinweg unsanft zu Boden.

„HEY!", brüllte er im nächsten Moment, während er mit seinen verhedderten Gliedmaßen kämpfte. „Halt! Alarm!"

Ich wollte nicht einmal fliehen. Ich wollte nur Zayn sehen. Nur sehen. Das war alles. Ich wollte doch nur einmal ...

Hinter mir wurden Schritte laut und im nächsten Moment packte jemand meinen Arm, doch ich war zu sehr auf mein Wunschdenken fixiert, als dass ich mich einfach von dannen schleifen ließ. Wütend wirbelte ich herum und versetzte Ed mitsamt Handschellen einen saftigen Kinnhaken, bei dem ich sogar seine Augen erzittern zu sehen glaubte. Mein ehemaliger Kollege grunzte überrascht und sackte dann in sich zusammen. Von mir selbst verblüfft schüttelte ich die schmerzende Hand aus. Das hatte ich wohl mehr genossen als ich sollte.

Erneut stellte sich mir jemand in den Weg.

„Niall." Diesmal war es Greg, der mir entgegentrat, die Hände beschwichtigend vor sich erhoben, um mir zu zeigen, dass er unbewaffnet war. „Das ist eine schlechte Idee." Eindringlich umfasste er meine Schultern in einem festen Griff. „Glaub mir. Lass uns einfach ..."

Er redete weiterhin so beschwörend auf mich ein, dass er natürlich nicht bemerkte, wie ich mir den Schlüssel in den Händen zurechtwand, bis er ins dazugehörige Schlüsselloch der Handschellen glitt und sich problemlos herumdrehen ließ.

Ich spähte über seine Schulter hinweg zur offenstehenden Eingangspforte der Zentral, während ich mich unauffällig der Handschellen entledigte. „Was macht Zayn hier? Wo habt ihr ihn erwischt? Greg!"

Besorgt folgte Greg meinem Blick, lockerte seinen Griff um meine Schultern jedoch nicht. „Das tut nichts zur Sache."

„Natürlich." Schwungvoll schüttelte ich seine Hände ab und stieß ihn mit meinen eigenen freien Händen zur Seite. Der Stoß traf ihn unvorbereitet, sodass er fluchend mit der Wand kollidierte. „Zayn? Zayn!"

Mein Bruder schnappte sich den Stoff meines Shirts, bevor ich auch nur die halbe Strecke zur Tür zurücklegen konnte. „Niall." Seine Stimme trug einen Hauch Verzweiflung, aber auch Entschlossenheit in sich. „Reiß dich zusammen. Ich will dir nicht wehtun müssen."

Fast hätte ich gelacht. „Das hast du schon längst."

Wir begannen miteinander zu rangeln, doch da keiner von uns dem anderen gegenüber wirklich gewalttätig werden wollte, war der Kampf eher halbherzig und lächerlich. Bis zu dem Zeitpunkt, als Greg registrierte, dass wir so gut wie bei der Tür waren. Dann stieß er einen Fluch aus, bevor er mich, die Hände fest um den Kragen meines Shirts geschlossen, mit einer kräftigen Bewegung mit dem Rücken voraus so schwungvoll gegen die Wand warf, dass sämtlicher Sauerstoff aus meinen Lungen gepresst wurde. Die Porzellanvase auf einer nebenstehenden Telefonkommode schwankte bedenklich und fiel dann zu Boden, wo sie in unzählige Scherben zerschellte.

Wütend wehrte ich mich gegen Gregs geübten Griff, doch für meinen Bruder schien der Spaß spätestens jetzt endgültig vorbei zu sein. „Lass mich los, Greg", zischte ich ihm wutentbrannt ins Gesicht. „Ihr könnt mich nicht auf ewig einsperren. Was ist mit Zayn? Warum ist er hier? Na los!"

Mit ganzer Kraft stemmte ich mich mit den Fersten gegen die Wand, und für einen Moment sah es ganz so aus, als hätte ich Erfolg und könnte Greg abschütteln. Doch dann tauchte die bärtige Visage von Wes neben mir auf und mir wurde bewusst, dass ich verloren hatte, als sich jeder von beiden einen meiner Arme schnappte und mein Rücken wieder durchgehenden Kontakt mit der Wand machte. Am liebsten hätte ich vor Ärger und unbändiger Frustration aufgeschrien.

Da draußen war Zayn. Wie zur Hölle hatten sie ihn erwischen können? Das konnte doch unmöglich wahr sein!

„Was ist hier los?"

Die scharfe Stimme meines Vaters durchschnitt die Atmosphäre und ließ uns alle instinktiv innehalten. Hinter ihm traten Eleanor und zwei weitere Leute ein, allesamt in Schutzwesten und mit Scharfschützengewehren in den Händen.

Furcht machte sich in mir breit, als ich die Waffen sah. Unkontrolliert irrte mein Blick von einer anwesenden Person zur nächsten. „Was habt ihr mit ihm gemacht? Habt ihr ihn einfach erschossen?!"

Mein Vater verzog keine Miene, während er Eleanor und ihren Kollegen bedeutete, sich mitsamt ihrer Ausrüstung zu entfernen. Eleanor bedachte mich zu meiner Überraschung mit einem warmen, mitleidsvollen Augenaufschlag, als sie an mir vorbeiging. Als wollte sie mir weismachen, dass sie meine Gefühlslage nachvollziehen konnte.

„Beruhige dich, Niall." Mein Vater stellte sich ruhigen Schrittes und in entspannter Körperpositur neben Greg. „Alles in bester Ordnung. Alles wird wieder so werden wie davor."

Wütend kämpfte ich gegen die Hände an, die mich unbarmherzig an meinem Platz festhielten. „Ach ja?", spie ich ihm entgegen. Und dann brach ein Damm in mir, als die nächsten drei Worte aus mir herausplatzten „Ich hasse dich."

Daraufhin machte sich schockdurchzogenes Schweigen breit.

Für einen Moment fiel die unbewegte Miene meines Vaters in sich zusammen und ich sah etwas in seinen Augen aufflackern, das man bestenfalls als Bestürzung bezeichnen konnte. Waren die Worte tatsächlich zu seinem verbohrten Geist durchgedrungen?

Dann jedoch presste er die Lippen aufeinander, korrigierte seine Körperhaltung und reckte gebieterisch das Kinn empor, wie er es auch schon damals während unserer endlosen Streitgespräche getan hatt. „Zayn Malik ist auf dem Weg ins Gefängnis. Unser Auftrag in dieser verfluchten Stadt ist abgeschlossen. Wir brechen noch heute Nacht auf zu unserer neuen Zentrale. Und du kommst mit uns, ob es dir passt oder nicht."

Mein Gehirn war leer. Keine weiteren Worte fanden ihren Weg zu meinen Lippen, als ich nur hilflos zusehen konnte, wie mein Vater sich von mir abwandte und den Flur entlangging. In diesem Moment hasste ich ihn wirklich. Aus tiefstem Herzen.

„Greg, Wes, bringt ihn wieder in die Zelle, bis wir aufbruchsbereit sind. Uns hält hier nichts mehr."

Greg gab ein Geräusch von sich, das sich wie ein erstickendes Tier anhörte und einwandfrei Missfallen kundtun sollte, doch letztendlich nickte er steif, meinen Blick meidend.

„Komm. Bitte." Seine Stimme war leise und klang irgendwie ... beschämt. „Du kannst hier nichts mehr ausrichten."

Die Kräfte entwichen meinem Körper vollends, als ich Gregs Bitte Folge leisten wollte, doch wir kamen nicht weit, denn Wes rührte sich nicht von der Stelle.

Greg hob den Kopf, um ihn fragend anzusehen. „Wes. Sag nicht, du bist schon eingeschlafen."

Stirnrunzelnd musterte ich den bärtigen Mann, als er langsam den Kopf zu schütteln begann, und sofort stieg das ungute Gefühl wieder in mir auf, das mir in Anwesenheit des neuen Einsatzteammitglieds schon unangenehm vertraut geworden war.

„Ich fürchte, das geht nicht."

Mein Vater, der schon halb in seinem Büro verschwunden war, hielt mitten in der Bewegung inne, bevor er sich langsam wieder zu uns herumdrehte. „Mr Carter?"

Wes' Mundwinkel zuckten. „Bei allem Respekt, Chef. Aber ich befürchte, ich habe andere Befehle."

Niemand konnte auch nur einen Finger rühren, so schnell handelte der Typ. Innerhalb eines Wimpernschlags hatte er seine Schusswaffe aus dem Holster gerissen, dann ließ ein Schuss in nächster Nähe meine Trommelfelle erzittern. Reflexartig flogen meine Hände zu meinen Ohren, die protestierend summten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte ich mühsam, die plötzliche Wendung der Situation zu begreifen.

Und dann brach Greg neben mir ohne einen Laut zusammen, die linke Seite seines absurd bunt gestreiften Hemdes blutrot.

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Ooops, I did it again. Schon wieder wird auf Leute geschossen. Solche Handlungsstränge scheinen zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zu gehören.

Ich bin zur Zeit wieder viel auf Watty unterwegs, immer auf der Suche nach den ganzen Leuten von "damals", mit denen ich mich jahrelang albern durch Hunderte von 1D-Fanfictions kommentiert habe, leider mit wenig Erfolg ... viele sind schon lange inaktiv oder haben ihre Profile gelöscht :(  Die Melancholie ist hier gerade ziemlich real hahaha xD

Trotzdem denke ich ernsthaft darüber nach, womöglich doch nochmal etwas hier zu starten, wenn auch nur in Form von weiteren One Shots *Grübelsmiley*. Aber ja, nur ein Einfall.

Liebe, liebe Grüße! <3

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