90

Whoop, whoop! Kapitel 90! Nur noch 10 Kapitel bis zum Ende!

***

Wie ein Tiger im Käfig lief ich nervös hin und her. Nervös und wütend zugleich. Vor einigen Stunden hatte ich den Kontakt zu Ethan verloren. Zuerst war ein Rauschen zu hören gewesen und dann nichts mehr. Nur noch Stille. Seitdem malte ich mir das Schlimmste aus. Was hatten sie ihm angetan? Charles würde nicht seinen einzig legitimen Erben umbringen, oder? Was wenn er aber herausfand, dass Ethan nicht einmal sein biologischer Sohn war?

Ich starrte erneut die Uhr vor mir an. Harper hatte mir mitgeteilt, dass er Ethan nicht mehr orten konnte. Außerdem schien er Schwierigkeiten zu haben herauszufinden wie der Test funktionierte dem Ethan unterzogen werden sollte. Das System in das Harper sich einhacken war wohl komplizierte als sonst. Zudem mussten sowohl er als auch ich bald los, da die geheime Versammlung in einigen Stunden stattfand.

Charles war immer noch nicht zurückgekehrt. Sonst hätte ich ihn schon längst nach Ethan gefragt. Um mich abzulenken begann ich meine Tasche zu packen. Diesmal war es ein schwarzer unauffälliger Rucksack mit viel Stauraum. Ich würde einige Waffen mitnehmen, nur für den Fall. Abgesehen davon meine alte Kleidung, die schwarzen dreckigen Boots und den Sniper. Vielleicht würde ich ihn ja gebrauchen. Immerhin würde ich der Versammlung aus irgendeiner dunklen Ecke zuhören und nicht in Mitten der Menschen stehen.

Rubin und Hayley würden auch da sein. Gott, es war schon so lange her, dass ich die beiden gesehen hatte. Laut Harper ging es den beiden gut, aber dennoch war ich besorgt und ich fühlte mich etwas schuldig. Mir kam es so vor als hätte ich beide im Stich gelassen, indem ich sie bei Harper abgesetzt hatte. Außerdem tat es mir leid, dass ich ihn damit vielleicht belastete. Immerhin hatte er ständig viel um die Ohren. Ich seufzte und entschied mich dazu trainieren zu gehen, um mich abzulenken. Vielleicht würde Charles bis dahin aufkreuzen, sodass ich ihn ausfragen konnte.

Ich nahm meine Trainingskleidung mit und begab mich nach unten in den Kampfsportbereich. Dort war ein Trainer, der viele der Adeligen ausbildete und der zu bestimmten Uhrzeiten nur der Königsfamilie zustand. Er war ein netter Kerl und meistens waren in dem Abteil nur Männer unterwegs, da sich die meisten adeligen Frauen nicht mit Kampfsport beschäftigen wollten oder es nicht ihrem Geschlecht entsprechend fanden. Bei dem Gedanken schnaubte ich und ging auf den Trainer zu. Wir begrüßten uns und begannen sofort. Es lenkte mich zumindest ein wenig ab, sodass ich mir nicht mehr das Schlimmste ausmalte wenn ich an Ethan dachte.

Nach eineinhalb Stunden hörten wir auf und ich machte mich auf den Weg zur Wohnung. An der obersten Treppenstufe angekommen blieb ich stehen. Charles' Rücken war zu mir gewandt während er mit einem der Angestellten sprach. Letzterer warf mir automatisch einen kurzen Blick zu bevor er wieder Charles ansah. Dieser bemerkte seinen Blick jedoch und drehte sich deshalb zu mir um.

»Eliza«, begrüßte er mich lächelnd und schickte den Angestellten fort. Die Falten um seine Mundwinkel herum wurden dadurch tiefer, genauso wie die um sein Auge.

»Charles«, erwiderte ich und zwang mich ruhig zu bleiben. Wo ist Ethan?!, schrie ich ihn innerlich an was er natürlich nicht hörte. »Wie war das Meeting? «, fragte ich völlig gelassen.

»Hervorragend«, antwortete er knapp. »Und wie war das Training? «, fragte er mich dann und betrachtete mich von oben nach unten. Ich trug immer noch meine Sportkleidung und mir wurde bewusst wie verschwitzt ich eigentlich war.

»Gut«, erwiderte ich. Dann sah ich mich kurz um und tat dabei so als sei ich überrascht, dass er alleine vor mir stand. »Wo ist Ethan? «, fragte ich immer noch gelassen. Innerlich starb ich fast schon vor Neugier und Sorge.

»Er ist in eurer Wohnung denke ich«, antwortete er zu meiner Überraschung. »Aber jetzt entschuldige mich bitte, ich habe noch einiges zu erledigen« Mit diesen Worten wandte er sich plötzlich zum Gehen und starrte ihm hinterher, bis er um die Ecke abbog. Mit schnellen Schritten hastete ich nach oben und schloss unsere Wohnungstür auf.

»Ethan? «, rief ich als die Tür ins Schloss fiel. »Ethan?! «

»El! «, hörte ich ihn zurückrufen. Seine Stimme kam aus dem Badezimmer. Er schloss die Tür auf und umarmte mich sofort. Ich zog ihn etwas zu mir herunter und spürte wie sich mein Körper in seinen Armen entspannte. Mein Herz beruhigte sich etwas als ich seinen Duft einatmete. »Ethan«, flüsterte ich. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht«

»Ich weiß«

Wir lösten uns voneinander und erschrocken ging ich einen Schritt zurück. Seine rechte Gesichtshälfte war komplett angeschwollen. Die Farben gingen von einem dunklen Rot in Blau über. Sein rechtes Auge konnte er nicht einmal mehr öffnen und Blutflecken bedeckten sein Gesicht.

»Was ist passiert? «, fragte ich schockiert.

»Charles verliert nicht so gern«, erklärte er vage und versuchte zu lachen.

»Was? «

»Er hat mich dem Test unterzogen und dachte ich würde ihn nicht bestehen, als ich ihn jedoch bestanden habe wollte er es nicht einsehen und dachte der Test wäre fehlerhaft. Nachdem dritten Versuch war er der Meinung, dass Gewalt mich vielleicht zum Reden bewegen würde. Ich habe ihm aber bloß immer wieder gesagt, dass ich ihn nicht hintergangen hätte«

»Dieser Bast-«

»Es ist jetzt vorbei. Alles wird wieder gut«

»Nein, ugh. Ich werde ihn-«

»El, mir geht's gut«, versicherte er mir. »Ich werde schnell heilen« Als Ethan meine Hand in seine nahm bemerkte ich einen grünblauen Strich auf seinem Handrücken, der sich wie ein Ast in unterschiedliche Richtungen ausbreitete. Ich krempelte seinen Ärmel hoch und folgte den endlosen Linien bis hinauf zu seinem Ellenbogen.

»Was ist das? «, fragte ich besorgt und zwang ihn sein Oberteil auszuziehen. Die Striche zogen sich fein über seinen gesamten Oberkörper bis hinauf zu seinem Nacken und verschwanden dann unter seinen Haaren.

»Es ist nichts«, antwortete er und wandte sich etwas von mir weg.

»Ethan«, sagte ich ernst und hielt ihn am Handgelenk fest. »Hat Charles dir irgendetwas anderes angetan als dich verprügeln zu lassen? «

»Nein«

»Was ist das alles dann? «, hakte ich nach und zeigte auf die blaugrünen Linien, die seinen Körper schmückten aber gleichzeitig sehr schmerzhaft aussahen.

»Es ist wegen meiner Gabe«, erklärte er schließlich und sah auf seinen Handrücken. »Diese Linien treten auf, wenn ich mich zu sehr anstrenge indem ich meine Gaben benutze«

Ich berührte sanft die feinen Striche. »Tun sie weh? «

»Nein«, antwortete er. »Aber bei der Entstehung tun sie weh«

»Wie hast du deine Gaben heute zu sehr genutzt? «

»Ich habe den Test manipuliert«, erklärte er und ich sah in seine grünen Augen. »Du hattest recht. Ich konnte meine Gaben nutzen um die Materialien des Geräts und um meine Zellen und Gehirnwellen zu manipulieren. Es war jedoch schwieriger als gedacht und es war nicht immer leicht mich neben Charles zu konzentrieren«

»Diese Linien sind bereits damals aufgetreten als ich dachte du seist tot«, fiel mir nur auf.

»Ja«, sagte er. »Sie treten auf wenn ich meine Gabe so lange nutze bis ich davon sterben könnte beziehungsweise wenn ich kurz davor stehe zu sterben...«

Besorgt sah ich meinen Mann an und schloss ihn erneut in meine Arme. »Es tut mir so leid«

»Es ist nicht deine Schuld«

Doch ist es, ging es mir durch den Kopf. Charles hat dich nur wegen mir und meinen Taten verdächtigt.

»Du hättest sterben können«

»Bin ich aber nicht«, entgegnete er und versuchte zu lächeln.

»Ich weiß nicht was ich ohne dich tun würde«, sagte ich. Trauer stieg in mir auf. Ich küsste ihn sanft und achtete darauf seine angeschwollene Gesichtshälfte nicht zu berühren. Er versuchte mich anzulächeln, aber wirkte unglaublich müde.

»Du solltest schlafen«, sagte ich dann. »Ich werde eine Krankenschwester rufen, damit sie dir eine quicklife Spritze verpasst. Deine Wunden müssten dann innerhalb von Sekunden heilen«

»Das ist nicht nötig, El«, meinte er. »Ich werde sowieso in einigen Stunden geheilt sein, keine Sorge«

»Aber-«

»Shh«, unterbrach er mich. »Lass uns einfach im Bett liegen. Ich will dich nur neben mir haben«

Lächelnd sah ich ihm in die Augen und nickte. Ich zog meine Sportkleidung aus und holte mir ein lockeres T-Shirt. Wir legten uns nebeneinander ins Bett. Er lag auf dem Rücken und ich auf seiner Brust. Seine Hand berührte sanft meinen Oberschenkel, während meine auf seiner linken Brust lag.

»Ich habe mir solche Sorgen gemacht«, flüsterte ich.

»Ich weiß«, antwortete er. »Dank dir habe ich es da herausgeschafft, El«

Ich folgte sanft mit meinen Fingern den blaugrünen Linien auf seinem Bauch und blieb still.

»Wir müssen bald los«, hörte ich ihn dann sagen.

»Nein«, antwortete ich. »Du bleibst hier«

»El, du kannst nicht-«

»Doch«, erwiderte ich stur. »Du bist erschöpft, du brauchst Ruhe«

»El-«

»Ich werde dir alles berichten Ethan«, versicherte ich.

»Aber Harper zählt auf mich«

»Er wird es verstehen«

»Aber-«

»Ethan«

»Na gut«, gab er schließlich nach und gab mir dann einen Kuss auf den Kopf. »Ich liebe dich«

»Ich liebe dich«

***

Endlich war es soweit und ich konnte mich aus dem Palast herausschleichen. Ethan schlief noch, während ich mich umzog und vorbereitete. Normalerweise gingen die meisten hier um diese Uhrzeit schlafen oder befanden sich in einem anderen Flügel des Palasts. Ich war schon so oft rein –und rausgeschlichen, dass ich die Bewegungen der Sicherheitskameras und Drohnen auswendig wusste.

Ich gab Ethan noch einen Kuss auf die Wange bevor ich hinausschlich. Es war stockdunkel so wie ich es mochte. Nicht einmal der Park war beleuchtet. Nur der Zaun zum Wald und die Taschenlampen der Wächter erhellten die Nacht. Ich kletterte aus dem Fenster, stellte meine Stoppuhr ein und seilte mich innerhalb von Sekunden nach unten. Danach rannte ich wie gewohnt den Weg zum Zaun, wartete auf den Routinewechsel der Wächter, schaltete die Elektrizität für ein paar Sekunden aus und schaffte es drüber, bevor die Wächter es bemerkten. Danach rannte ich so schnell wie möglich durch den dunklen Wald, zog mich um und ließ einen Teil des Monsters in mir frei, damit ich schneller vorankam. Der Wind peitschte mir durch die Haare und riss an meiner Kleidung, während ich die kalte Luft einatmete. Ich erinnerte mich daran wie ich mich als Teenager hier versteckt hatte, um die Königsfamilie auszuspionieren und wie ich damals Ethan zum ersten Mal gesehen hatte. Bereits zu jener Zeit hatte ich es seltsam gefunden, dass er netter und großzügiger war als die anderen. Ich hatte es für eine Masche gehalten. Ein trügerischer Schein. Doch ich hatte mich geirrt. Er war so viel mehr als ich gedacht hatte und ich war dankbar dafür, dass Gott uns zusammengeführt hatte.

Es dauerte eine Weile bis ich an dem gewohnten Pfad ankam. Ich rannte nun nicht mehr, aber dennoch eilte ich zur Versammlung, welche an einem abgelegenen Ort stattfand.

Die Straßen waren verlassen, der Wind pfiff durch die leeren Häuser, die einst prachtvolle Gebäude gewesen waren. Die Blätter rauschten und die Bäume verbogen sich durch den starken Wind, der an ihnen zerrte. Eine einzige Straßenlaterne war zu sehen. Sie war alt. Stammte noch von der Zeit vor dem Krieg. Ich wunderte mich wie sie all das Chaos überstanden hatte. Der Mond versteckte sich hinter den Wolken, die den dunklen Himmel zierten. Es waren keine Sterne zu sehen. Meine Schritte waren die einzigen Geräusche, die ich an diesem verlassenen Ort hörte. Da ich mich bereits im Wald umgezogen und somit völlig schwarz gekleidet war, war ich gut getarnt. Es vergingen einige Minuten bis ich schließlich am Zielort ankam. Das Gebäude war alt und brüchig. Man erkannte dennoch mit wie viel Mühe es gebaut worden war. die Architektur war wirklich schön. Detailreiche Verzierungen schmückten das nun verlassene und modrige Gebäude, aber man musste genau hinschauen um sie zu sehen.

Ich bemerkte nun, dass ich nicht mehr alleine war. Ich konnte fast schon die Aura anderer Menschen spüren je näher ich dem Eingang kam. Meine Kapuze zog ich mir tief ins Gesicht, sodass mich niemand erkannte. Kurz zupfte ich an meinen fingerlosen Handschuhen und kontrollierte dann erneut ob alle Reißverschlüsse meines Rucksacks zu waren. Bei sowas war ich fast schon paranoid.

Schließlich sah ich die Menschenmasse vor mir. Überrascht schaute ich mich um. Es waren viel mehr als ich mir gedacht hatte. Die Menschen waren alle ganz leise. Sie verhielten sich angespannt und vorsichtig...sahen sich um, wollten wissen ob jemand hier war der nicht hierher gehörte. Bevor jemand Augenkontakt herstellen konnte sah ich auf den Boden und bahnte mir einen Weg durch die Menschenmenge. Die Versammlung würde in einigen Minuten beginnen. Wie würden die Menschen wohl reagieren? Würden wir mehr Anhänger gewinnen, um eine Rebellion zu formieren und dann Charles zu stürzen? Ich würde Charles umbringen, selbst wenn ich dabei ums Leben kam. Ich würde nicht verlieren...nein...ich konnte nicht. Meine Eltern würden ihren Frieden finden, indem ich sie rächte.

Das Geflüster der Menschen um mich herum verschmolz zu einem einzigen lauten Rauschen in meinen Ohren. Still setzte ich meinen Weg fort um Harper zu finden. Plötzlich hörte ich seine Stimme von der Ferne und sah kurz auf um mich umzuschauen. Als ich ihn entdeckte eilte ich zu ihm.

»Harper«, sagte ich leise und berührte ihn am Unterarm.

»El«, flüsterte er. »Das hier ist Liam«, stellte er mir den jungen Mann vor sich vor. Ihn sah ich jedoch nicht an, sondern nickte bloß in seine Richtung.

»Ich werde von oben zuschauen«, gab ich ihm Bescheid und zeigte mit meinem Augen auf die Stelle, die ich meinte. Harper folgte meinem Blick und nickte. Das Gebäude hatte so etwas wie eine zweite Etage. Es bestand zwar aus brüchigem Holz, aber es würde mein Gewicht wahrscheinlich noch aushalten. Es gab eine Holzleiter dorthin und die zweite Etage hatte außerdem keine Innenwände. Man konnte von oben herab nach unten schauen und somit das Geschehen mit verfolgen. Ich würde mich einfach dort oben in eine dunkle Ecke stellen, zuhören und nebenbei meine Gabe nutzen, um die Seelen der anwesenden Menschen zu fühlen.

»Schließt die Türen! «, befahl Harper seinen Leuten, die sofort gehorchten. Ich ging nach oben und achtete darauf, dass mich niemand bemerkte.

»Nun, fangen wir mal an«, hörte ich ihn nun laut sagen. Er klatschte ein Mal in die Hände. Das Geflüster hörte auf und alle Blicke richteten sich auf ihn.

Er lächelte freundlich in die Menge. »Wer hat alles Brot mitgebracht? «

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