༄12༄

"Nun. Erzähl doch einmal was über dich" forderte er mich auf und vergaß dabei total die förmliche Anrede zu gebrauchen. Aber das war nicht von Belangen. Immerhin war er nicht einmal ein halbes Jahrzehnt älter als ich, war aber schon so erfolgreich in seinem Leben. Er wusste was er wollte, hatte klare Ziele vor Augen und hatte definitiv eine gesicherte Zukunft. Ich hingegen, besaß das alles nicht. Keine Träume, keine Visionen. Das einzige was mich anstachelte, war der Drang nach Vergeltung. Mein Ziel? Die Bombe zu zünden und alle Verantwortlichen des Attentats auf meine Eltern und so viele andere Familien die etliche Menschenleben kosteten, in das Jenseits zu schicken. Es war wahrlich traurig, dass ich nach dem Ausführen meines Herzenswunsches, keinen weiteren Halt hatte. Nichts das mich am Leben halten könnte. Es gab einfach nichts. Weder emotionale Bindungen, Familienangehörige oder Gegenstände die mir hoch und heilig waren. Natürlich gab es da noch meine Tante, jedoch verspürte ich keine familiäre Zuneigung zu dieser Frau. Sie mochte das selbe Blut in ihren Adern und den selben Ursprung wie meine Mutter haben, aber das war definitiv kein ausschlaggebender Punkt.
"Ms?" erschrocken fuhr ich hoch und gab dabei ungewollt einen Seufzer von mir. Ich dachte einfach viel zu viel nach. Konzentriert starrte ich dann auf seine Stoppel, die vermutlich der Klinge des Rasierapparates entgangen waren und überlegte krampfhaft, was ich ihm für Lügen auftischen sollte. Ich konnte weder über meine Vergangenheit, meine Familie, meine Zukunft oder über Stärken sprechen. Deshalb hob ich meinen Blick, schenkte diesen braunen Augen einen Moment Aufmerksamkeit und wich seinem strengen Gesichtsausdruck erneut aus. Es war ein innerer Kampf. Sollte ich nun die Schwache oder Unerreichbare spielen? Ich wusste darauf keine Antwort, weshalb es auch unangenehm still blieb. Meine Rettung war eine heraneilende Frau auf hohen Schuhen, die offensichtlich mit dem Mann, mir gegenüber reden wollte. Das war mir nur recht! "Herzchen. Was führt dich in mein kleines bescheidenes Lokal?" erklang ihre Stimme und richtete ihre volle Aufmerksamkeit auf ihren Bruder. Mir war klar das er ihr Bruder war, seit sie eben meinte, dass ihr das Lokal gehörte. Da die fremde Frau nun genügend analysiert und anschließend erfolgreich identifiziert wurde, konnte ich mich wieder dem stillen Betrachten widmen. Sie schienen sich überraschenderweise nicht sonderlich nahe zu stehen. Ich musste zugeben, dass mich das tatsächlich ein wenig reizte. Es reizte mich, den Hintergrund dieser Abscheu in ihren Augen herauszufinden. Er jedoch, schien das nicht zu bemerken. Oder aber er ignorierte es geflissentlich und dachte sich seinen Anteil lediglich. Irgendwann schien sie meine Wenigkeit zu bemerken. Nun gut. Es war auch nicht sonderlich erstaunlich, dass sie mich bemerkte. Immerhin starrte ich sie schon längere Zeit an. Sie scannte mich von oben bis unten ab, wandte ihm den Rücken zu, und fing meinen Blick auf. Meine Reaktion bestand aus einem einfachen Stirnrunzeln. "Und wer bist du junge Lady?" wollte sie wissen und zückte ein elektronisches Gerät. "Roseline" gab ich knapp als Antwort und betrachtete kurz das Gerät in ihrer Hand. Es jetzt viel mir ihre Haltung auf. Sie umklammerte das Gerät krampfhaft, stand ein wenig gebeugt da und lächelte gekünstelt. Belastete sie unsere Anwesenheit so sehr? Gerade wollte Mr. Hendrics etwas sagen, da zuckte sie zusammen, schielte kurz nach links und gab mir zitternd das Gerät. "I-ch ähm. Ich bin gleich wieder da." entfloh es ihr, bevor sie hastig verschwand.
Irgendetwas stimmte da nicht. "Wo ist denn die Toilette?" wagte ich es mich zu fragen und bekam einen Finger als Wegweiser als Antwort. Dankend nickte ich, umrundete einmal den Tisch und ging in die Richtung, in der die Frau verschwunden war. Ich erwartete eigentlich, diese auf der Toilette aufzufinden, blieb aber aufgrund einer leisen Stimme stehen. Lauschen brachte nichts, da sie zu weit entfernt waren. Also schlich ich mich, die Privatsphäre missachtend, näher und hoffte auf die Chance, mehr zu verstehen als ich es vorher tat. "Hör mal Cassey. Ich hab jetzt schon lange genug gewartet. Ich will mein Geld. Drei ganze Wochen hattest du Zeit. Drei Wochen, einundzwanzig Tage, und gefühlt eine Milliarde Sekunden hab ich auf meine Scheine gewartet." knurrte eine Stimme erbost, worauf höchstwahrscheinlich Cassey tief einatmete. "Bitte Jaxon. Mach eine Ausnahme. Du hast doch genügend Geld...geb mir bitte, ich flehe dich an weitere fünf Tage. Und dann geb ich dir alles. Versprochen." weinend schluchzte sie auf, als er aufbrüllte. "Denkst du ich hätte auch nur ansatzweise so viel Geld, wenn ich bei jedem Schuldner so nachgiebig wäre? Meine Antwort lautet nein!"
"Bitte. Wenigstens zwei Tage. Wie soll ich das Geld denn von jetzt auf nachher aufbringen?" Sie klang erschöpft.
"Dein Problem. Immerhin war es nicht meine Idee, dass deine erste Anlaufstelle ein Drogenjunkie war, der für mich arbeitet. Es ist ebenfalls nicht meine Schuld, dass du in deinem Zustand Drogen genommen hast. Leb damit und geb mir endlich die Kohle. Du musstest ja unbedingt abhängig werden obwohl du dein Kind dadurch verloren hast. Verzieh dich, treib das Geld auf und in zwei Tagen möchte ich alles haben. Und wehe irgendwas fehlt." seine Stimme hallte noch einige Momente durch den Gang, bis seine Worte verklangen. Hatte ich eben richtig gehört? Cassey war schwanger, hatte aus unerfindlichen Gründen Drogen konsumiert, dadurch ihr ungeborenes Kind verloren und saß nun heftig in der Scheiße. Schulden sind etwas, dass ich noch nie hatte. Aber ich konnte mir vorstellen, dass es ein enormen Druck mit sich brachte. Es mochte herzlos klingen, aber ich fasste die Entscheidung sie nun alleine zu lassen. Es waren ihre Probleme.  Ich konnte und wollte mich da überhaupt nicht einmischen. Also schlenderte ich zum Tisch zurück und tat so als wäre nie etwas gewesen. "Ah! Roseline. Gut das du gerade kommst. Was möchtest du trinken?" fragend sah er mich an und auch die Augen der Dame in einer Arbeitskleidung beäugten mich geschäftig. Kurz schaute ich mich nochmal nach Cassey um, knackte mit den Knöcheln und strich meine Haare hinter die Ohren. Dann sah ich in das abwartende Gesicht der Bedienung. "Bringen Sie mir am besten ein Glas- oder nein. Bringen sie mir eine Flasche Schnaps." Die Blicke der Beiden ignorierend nestelte ich an der Tischdecke herum und sehnte mich schon jetzt nach der beruhigenden, alkoholisierenden Wirkung.

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