1.Kapitel

Saoirse

Es tropfte. Direkt neben meinem Kopf. Meine Augenlider fühlten sich schwer an und ich weigerte mich, sie zu öffnen, doch das Tropfen hörte nicht auf. Mit jeder wachen Sekunde spürte ich meinen Körper mehr. Ich bemerkte, dass ich kratzende, jedoch trockene Kleidung trug, die folglich nicht meine war. Meine Haut wurde von der dicken Dreckschicht befreit, die ich mir in den letzten Wochen zugelegt hatte und ich schlussfolgerte, dass das weiche Etwas unter mir wohl ein Strohsack oder ähnliches sein musste.

Wo war ich?

Plötzlich wurde mir die Präsenz einer anderen Person bewusst. Da war jemand mit mir im Raum! Panik machte sich in mir breit und trotz meines Unwillens schossen meine Augen erschrocken auf.

Begrüßt wurde ich mit dem schummrigen Licht einer Kerze und einer undeutlichen Silhouette. Sofort schoss meine Hand unter mein Kopfkissen- und fand nichts.

Wo war mein Dolch?

Der Schatten stieß ein belustigtes Lachen aus und trat näher. Noch immer konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, aber was ich sah, beruhigte mich. Die Silhouette war klein und pummelig, sie wirkte nicht wirklich bedrohlich.

„Bist du endlich wach, Mensch?", fragte eine ungeduldige Stimme und ich zuckte zurück, denn sie klang alles andere als nett.

„Antworte!", forderte sie noch harscher auf und ich runzelte die Stirn, nickte jedoch.

Der Schatten kam näher, packte mich am Arm und zog mich auf die Füße. Beinahe hätte ich laut aufgeschrien, konnte mich aber gerade noch beherrschen und biss mir auf die Lippe. All meine Glieder taten mir weh, als wäre ich von einer Kutsche überfahren und von einer Armee zertrampelt worden.

„So ein fauler Sack wie du hat mir gerade noch gefehlt!", murmelte die verärgerte Stimme und ich erkannte endlich, dass sie wohl zu einer Frau mittleren Alters gehörte, die gerade alles andere als gut gelaunt war. Ohne weitere Worte begann sie zu laufen und zog mich unsanft hinter sich her. Sobald wir das Zimmer verließen, wurde es gleißend hell und ich kniff meine Augen zusammen, während ich blindlings hinterherdackelte. Endlich kamen wir zum Stehen.

Noch ein wenig bedröppelt stand ich da und sprang erschrocken zurück, als mich etwas Weiches am am Bauch traf. Ohne Nachzudenken fing ich es auf und blinzelte vorsichtig. In meiner Hand hielt ich einen groben Stoff. Mit genauerem Hinsehen entpuppte sich dieser als unförmiges Kleid mit großer Kapuze.

„Na los, beweg dich, Mensch! Zieh es an und dann folg mir, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!", seufzte die in der Tat untersetzte Frau genervt und schaute mich verächtlich an. Verwirrt leistete ich ihrem Befehl Folge und wurde prompt weitergezogen.

Wir passierten einen dunklen Gang, und bogen scharf links ab. Ohne zu Zögern stieß die Frau die Doppeltüren schwungvoll auf und das Geplapper und Geschwatze, das aus dem Raum in den Flur hinausdrang, verstummte sofort. Alle sich darin befindenden Personen verbeugten sich einmal tief und richteten ihren Blick auf den Boden.

„Du da!", meinte meine Bekannte, wenn man sie so nennen konnte, unwirsch zu einem blonden Mädchen in der Ecke des Raumes, „weis sie ein!"

Mit diesen Worten stieß sie mich nach vorne, sodass ich der Länge nach hinschlug und die Tür krachte hinter mir in's Schloß.

Ein paar Sekunden folgte Stille, dann kam wieder Bewegung in die Gruppe und schon hörte man wieder Geschirrgeklapper und einige Rufe.

Langsam setzte ich mich auf und nahm die vielen Eindrücke, die auf mich zusausten, in mir auf.

Über mir schwebten Kochtöpfe, manche so groß, dass ich mich darin hätte verstecken können. Die Wände waren in einem schmutzigen Weiß gestrichen. Über dem großen Herd auf der rechten Seite des Raumes war sie pechschwarz vom Ruß und Rauch, der aufstieg und durch eine kleine Öffnung in der Decke wieder verschwand.

Ich drehte meinen Kopf nach links und sah zwei lange, rechteckige Tische, die bis auf ein paar Brotkrümel leer waren. Im ganzen Raum schwirrten Menschen umher, die genau die gleiche Art von Stoff als Uniform trugen. Mir fiel auf, dass keine Person die Kapuze hier aufgezogen hatte, sobald sie den Raum jedoch durch die Tür hinter den Tischen verließ, setzte sie diese eilig auf.

Verwirrt runzelte ich die Stirn und suchte einen Grund dafür, wurde jedoch abrupt durch eine Bewegung in meinem Augenwinkel gestoppt.

Das blonde Mädchen von vorhin rauschte mit gehetzten Schritten auf mich zu und ich robbte erschrocken einige Schritt zurück.

„Ich bin Chaia.", meinte sie und streckte mir ihre Hand hin. Zögernd schlug ich ein und wäre beinahe vorneübergekippt, als sie mich mit verblüffender Stärke aufzog.

„Komm, Herrin Belfi mag es nicht, wenn man trödelt."

Mit bestimmten Schritten lenkte sie mich zwischen die beiden langen Tische und deutete mit dem Finger Richtung Herd.

„Wie du siehst, ist das hier die Küche. Du bist die neuste Ergänzung hier. Hier kochen wir die Speisen für den König und seinen Sohn, waschen ab und essen. Ich glaube, unsere Schlafstätte hast du bereits gesehen. Siehst du die Frau dort mit der weißen Haube auf dem Kopf? Sie ist die Köchin und teilt uns unsere Arbeiten zu. Wir haben hier eine Hierarchie. Je länger du dabei bist, desto bessere Arbeiten kriegst du. Deshalb fängst du mit dem Asche kehren und dem Boden schrubben an. Eigentlich ist man am Anfang Mädchen für alles."

Sie drückte mir einen Besen in die Hand, der auch schon bessere Tage erlebt hatte und fuhr fort:

„Keine Sorge, ich bin auch noch nicht so lange hier, ich werde dir helfen." Schon wandte sie sich zum gehen um, dann stoppte sie jedoch plötzlich und drehte sich nochmals zu mir.

„Wie heißt du eigentlich?"

Ich blinzelte einige Male, bevor ich bemerkte, dass sie mir eine Frage gestellt hatte und richtete meine zuvor abwesende Aufmerksamkeit wieder auf sie.

„Deinen Namen will ich wissen. Das ist so Brauch unter uns Sklaven, weißt du. Es zeigt, dass wir nicht nur Sklaven sind, auch wenn uns die Mächtigen immer so ansprechen."

„Saoirse, ich heiße Saoirse.", meinte ich und sie klatschte freudig in die Hände.

„Na siehst du, geht doch. Um elf Uhr gibt es Abendessen, du hast unglücklicherweise das Mittagessen verschlafen."

Chaia packte mich beim Arm und zog mich mit sich, wenn auch bedeutend sanfter als diese Herrin Belfi vorhin.

„Schau, wenn jemand mit der Hand eine kreisende Bewegung in der Luft macht, so bedeutet das, dass er Hilfe braucht. Da kommen wir in's Spiel. Hast du verstanden?"

Ich bejahte und wir steuerten auf den gestikulierenden Mann zu. Er hatte eine Halbglatze und war dürr wie ein Klappergestell, doch er machte trotzdem einen glücklichen Eindruck.

„Ah, Chaia, gut dass du kommst. Ich habe den Sellerie unten vergessen. Holst du ihn für mich?", fragte er und rührte gut gelaunt in seinem Kochtopf weiter.

„Sicher, Ow, mach ich. Schau, das ist Saoirse. Sie hilft mir ab jetzt.", antwortete sie und deutete auf mich.

Ow winkte einmal kurz, dann wandte er sich wieder seinem Kochtopf zu.

„Du musst ihn entschuldigen, aber sobald er irgendetwas auf dem Herd stehen hat, gibt es für ihn nichts anderes mehr. Eigentlich heißt er ja Owalquien, aber das ist viel zu lange, also nennen wir ihn einfach Ow."

Kurz hielt Chaia inne, dann packte sie mich wieder am Arm und zog mich Richtung Tür.

„Dann gehen wir mal den Sellerie holen, bevor Ow die ganze Küche in Aufregung versetzt. Ach ja, zieh dir immer die Kapuze über den Kopf, wenn du die Küche verlässt, das ist die Vorschrift. Die Mächtigen wollen nicht durch unseren Anblick gestört werden.", meinte sie schulterzuckend und zupfte ein wenig an ihrer Kapuze, sodass sie einen Schatten über ihr ganzes Gesicht warf.

Das Gleiche wiederholte sie bei mir, dann nickte sie zufrieden und stieß die Tür auf. Sofort schoss ein kalter Luftzug entgegen und ich fröstelte. Chaia hingegen lachte und meinte, daran müsste ich mich halt gewöhnen. Wir tasteten uns eine dunkle Treppe hinab und erreichten schließlich eine Art Keller.

„Hier werden alle Vorräte aufbewahrt, da es schön kühl und trocken ist.", informierte sie mich. Plötzlich hörte ich ein Zischen und sprang erschrocken zurück, entspannte mich aber wieder, als ich bemerkte, dass Chaia eine Kerze angezündet hatte.

„So, das hier ist die Vorratskammer", sie deutete auf eine grosse, schwere Holztür, „da müssen wir rein."

„Siehst du den kleinen Behälter vor dem Schloss? Da kommt dein Blut rein.", erklärte sie und ich schaute sie entsetzt an, sodass sie sogleich mit einer Erklärung fortfuhr.

„Herrin Belfi kontrolliert die Vorräte und damit niemand etwas nimmt, das ihm nicht zusteht, muss man einige Tropfen seines Blutes dalassen, damit sie die Identität eines jeden feststellen kann."

Ohne zu zögern nahm Chaia das Messer, welches auf dem Absatz vor der Tür lag und schnitt sich damit in die Handfläche. Sogleich hielt sie ihre Hand über den Behälter und wartete. Nach ein paar Sekunden ächzte das Schloss und drehte sich von selbst auf.

„Siehst du? Dein Blut ist sozusagen der Schlüssel. Gleichzeitig ist die Narbe, die sich mit der Zeit auf deiner Handinnenfläche bilden wird, auch wieder ein Zeichen, dass wir Sklaven sind."

Sie berührte das Lederhalsband, dass sie trug und meinte:

„Du rennst also lieber nicht weg, man wird dich sofort als Sklavin erkennen."

Etwas schockiert berührte auch ich das Lederhalsband und hing meinen Gedanken nach. Genau das war eigentlich mein Plan gewesen. Wegzulaufen. Aber Chaia hatte recht. Man würde mich sofort als Unfreie erkennen und mich wieder einfangen, nur um mich dann wieder zu verkaufen.

„Kommst du?", fragte Chaia, die bereits in der Vorratskammer verschwunden war, nun aber wieder den Kopf herausstreckte.

Ich murmelte eine Entschuldigung und folgte ihr schnell hinein.

Im Gegensatz zum Korridor war die Vorratskammer von mehreren Fackeln erleuchtet und ich erkannte ihre gewaltige Größe. In der Kammer befanden sich Dutzende von oben bis unten mit Esswaren vollgestopfte Regale und mein Bauch grummelte, während ich mich fragte, wann ich das letzte Mal gegessen hatte.

Der Apfel vor mir sah verlockend aus und ich streckte schon meine Hand aus als Chaia mich sanft am Handgelenk festhielt und den Kopf schüttelte.

„Das ist es nicht wert. Der letzte Sklave, der unerlaubt Essen aus dieser Kammer entwendet hat, wurde mit zwanzig Peitschenhieben bestraft und ist verblutet."

Sie schüttelte sich und sagte:

„Dann ist das Leben als Sklavin immer noch besser, oder?"

Ich nickte stumm und sah sie dankbar an.

Den Sellerie in der Hand steuerte sie wieder auf den Ausgang zu und ich tapste hinterher.

„Es geht nicht mehr lange, glaub mir.", tröstete sie mich, „in neun Stunden kriegen wir was zu essen."

Heyoo
Und? Was sagt ihr?
Gefällts euch bis jetzt? Nächstes Kapitel in einer Woche;)
Lg Lou

PS: So könnt ihr euch Chaia vorstellen.

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