Noch nicht
Erstes Stockwerk.
Du stehst am Fenster.
Lässig lehnst du dich nach draußen.
Und blickst direkt auf die kunterbunte Wiese unter dir.
Du zeigst auf die Blumen,
und ich erinnere mich.
Ja, genau solche Blüten habe ich verwendet, um dir einen Kranz zu flechten.
Wie lang ist das her?
Viel zu lange.
Und ich weiß nicht so recht,
ob das hier eine gute Idee ist.
Zweites Stockwerk.
Elanvoll reißt du das Fenster auf.
Beide Flügel.
Und streckst dich der Sonne entgegen.
Der Wind fährt dir durch die Haare und bläst sie dir ins Gesicht.
Ich eile zu dir, um sie dir hinters Ohr zu streichen.
Und ich erinnere mich.
Ja, damals am See.
Als ich dir gerade auf das Boot half und der Wind so kräftig wehte, dass du deine Haare zu einem Zopf binden musstest.
Und ich sagte dir, wie schön du bist.
Wie oft habe ich mich das getraut?
Viel zu selten.
Und ich weiß nicht so recht,
was ich tun soll.
Drittes Stockwerk.
Und wieder rennst du zum Fenster und öffnest es.
Beugst dich weit heraus und blickst in die Tiefe.
Undeutlich kannst du die Blumen erkennen, wie sie im Winde wippen.
Du steigst auf das Fensterbrett.
Und ich erinnere mich.
Ja, damals als wir gemeinsam klettern waren.
Da standst du genauso auf dem Gipfel.
Nachdem wir es geschafft hatten,
oben angekommen waren.
Und du hast gelacht.
Völlig befreit.
Wie oft hast du das gemacht?
Viel zu wenig.
Und ich bin mir sicher,
dass es noch nicht so weit ist.
Mutig stelle ich mich neben dich auf das Fensterbrett,
nehme deine Hand,
und schaue in den Himmel.
Wir kommen noch nicht.
Laut und klar vernimmst du meine Stimme.
Und ich merke, wie deine Hand in meiner zittert.
Nicht heute.
Nicht jetzt.
Nicht hier.
Und du beginnst zu weinen.
Weil alles über dich herein bricht.
Ich hätte es schon viel eher merken müssen.
Und ich mache mir Vorwürfe.
Schreckliche Vorwürfe.
Doch als du dich von mir ins Zimmer ziehen lässt,
verblassen sie ein wenig.
Und ich kann nicht anders,
als auch zu weinen.
Vor Erleichterung.
Weil mir einmal im Leben etwas wirklich Wichtiges gelungen ist.
Weil ich jemanden retten konnte, der mir so unglaublich viel bedeutet.
Und so liegen wir einander schluchzend in den Armen,
und als ich mich von dir lösen will,
flüsterst du mir leise ins Ohr.
Noch nicht.
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