9. Kapitel
Die Wikinger verstanden zu feiern, dass musste Fara zugeben. Im Laufe des Abends wurden Tische aufgestellt und die Frauen, Fara eingeschlossen, brachten den Männern Speis und Trank. Von den Frauen wurde sie gleich akzeptiert und behandelt, wie jede andere Wikingerfrau auch. Man bewunderte ihr Kleid, dass ihr Egil geschenkt hatte und man fragte sie jetzt schon nach Heilmitteln zu verschiedenen Krankheiten aus.
Nachdem die meisten Männer versorgt waren, zog Astrid sie mit zum Podest.
„Setzt dich zwischen Vater und Egil!", sagte sie zu ihr. Sie selbst setzte sich zu ihren Mann. Außer ihr und der Familie saßen noch Heimir, Randulf und einige Krieger bei ihnen, die Fara schon vom Langboot her kannte. Sie wusste nicht, welche Rangordnung herrschte, aber sie konnte sich denken, dass nur Verwandte oder verdiente Krieger auf dieser Plattform sitzen durften. Aber warum musste sie sich zu Egil setzen? Sie war keines von beiden.
Egil gab ihr sein Trinkhorn in die Hand und reichte es ihr.
„Nimm einen Schluck!"
Sie gehorchte und trank. Aber sie verzog das Gesicht. Egil lachte schallend.
„Es scheint so, als ob die Heilerin Met nichts abgewinnen könnte."
Magnus lächelte sie an und sprach mit einer der Sklavinnen, die um sie herum standen. Kurz darauf bekam Fara einen Becher mit Wasser hingestellt. Es schwappte über auf ihr Kleid. Es war nicht viel, doch man konnte die Absicht dahinter erkennen. Fara sah die Sklavin an und erkannte die Frau wieder, die schon mittags Egil das Trinkhorn gereicht hatte. Ihr Blick war jetzt sogar noch feindseliger, wenn nicht sogar hasserfüllt! Sie starrte Fara herausfordernd an.
„Vorsicht, Susanna!"
Egils Warnung kam sehr leise und drohend von den Lippen. Er sah die Frau nicht an, aber es war nahe liegend, wen er meinte.
Die Frau sah ihn enttäuscht an, sagte aber nichts. Wieder drehte sie ihren Kopf zu Fara und diese konnte ein leichtes Schnauben hören. Sie hoffte nur, das Egil das nicht gehört hatte. Sie war sich sicher, dass es nicht unbestraft blieb. Ein kurzer Blick auf den Mann und Fara war sich sehr sicher. Er hatte es gehört. Er kniff seine Augen zusammen, seine Nasenflügel blähten sich auf und er war kurz vor einem Zornesausbruch.
„Es war keine Absicht, Egil!", versuchte Fara die Situation zu retten.
Egil sah sie ernst an, dann entließ er Susanna mit einer Handbewegung, bevor er eine andere Frau zu sich her beorderte.
„Susanna hat vergessen, wo ihr Platz ist. Man muss sie zu Recht weisen und sie nicht in Schutz nehmen. Du bist nun die Tochter eines Jarl! Vergiss das nicht! Und ich sollte dir sagen, dass es nicht klug ist, einen Wikinger ablenken zu wollen, wenn er kurz vor einem Zornesausbruch ist. Susanna hat dir den nötigen Respekt entgegen zu bringen. Sie kann froh sein, dass du ein gutes Herz hast, sonst wäre sie jetzt bestraft worden. Ich dulde das nicht!"
Fara antwortete nicht darauf. Was hätte sie auch sagen sollen? Es war eine fremde Welt, in die sie hinein gestoßen wurde. Sie würde aber nie und nimmer einen Sklaven bestrafen. Sie war selbst lange genug Sklavin gewesen, um zu wissen, dass man sich so Feinde machte.
Sie aß weiter und beobachtete die Leute um sich herum. Ihr fiel auf, dass Magnus mit großem Appetit verschiedene Innereien verspeiste.
„Das solltest du sein lassen, Herr!", flüsterte sie ihm zu.
Magnus sah sie mit großen Augen an und lehnte sich zu ihr.
„Was soll ich lassen?"
Sie deutete mit dem Kinn auf die Innereien.
„Leber, Nieren, alle Innereien sind Gift für euren Körper und verstärkt die Gicht noch! Lasst sie weg und es wird irgendwann besser!"
Magnus nickte ihr dankend zu und schob die Innereien weg. Außerdem verlangte er nach einem neuen Essbrett. Er sah sie erwartungsvoll an und sie lächelte. Fara würde ihm noch mehr verbieten müssen, aber das sollte er erst später erfahren.
Als das Essen beendet war, bemerkte Fara, dass einige Wikingerfrauen aufstanden und den Sklaven halfen, die Essbretter einzusammeln. Sie wollte keine Sonderstellung und stand ebenfalls auf.
„Wo willst du hin?"
Egil sah wieder nicht zu der Angesprochenen, aber Fara wusste, dass er sie meinte.
„Ich helfe den Frauen. Hindere mich nicht daran. Ich will mich nicht auf meiner Stellung ausruhen! Auch wenn du das vielleicht erwartetest!"
Er lächelte leicht.
„Ich denke, ich erwarte bei dir gar nichts! Dann werde ich nicht enttäuscht!"
Nun sah er sie an und sein Blick hatte etwas Schelmisches.
„Dann geh, wenn du es nicht lassen kannst! Aber sehe mal genauer in. Nur Frauen, dessen Mann einen niedrigen Rang haben, helfen den Sklaven."
Fara war das herzlich egal. Sie wollte nicht als faules Stück hingestellt werden und sich mit allen Frauen gut stellen. trotzig hob sie ihr Kinn. Egil lachte laut.
"Nun geh schon. Ich kann dich ja doch nicht aufhalten!"
Mit einer herrischen Handbewegung zeigte er auf die Menge.
Fara ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie half den Frauen, wurde in die Scherze, die sie über die Männer machten, mit einbezogen, doch als sie auch noch anfangen wollte, die Bretter ab zu schruppen, wurde sie gestoppt.
„Das ist keine Arbeit für uns und schon gar nicht für die Heilerin!", raunte ihr eine Frau zu. Sie hieß Bente und Fara erinnerte sich, dass Egil von ihr gesprochen hatte. War das nicht die Frau, die sie unterstützen sollte? Fara wusste es nicht mehr genau. Aber wenn sie es war, dann hatte Fara großes Glück. Bente war sehr nett zu ihr und den Kindern. Sie hatte beobachtet, wie Bente oft über Noriens kurze Locken gestrichen und sie geherzt hatte. Wie eine Großmutter.
Statt sich noch einen Rüffel einzufangen, brachte Fara mit Ylvie die Kinder zu Bett. Weil alle heute zusammen saßen, wurden die schlafenden Kinder einfach in einen großen Raum gebracht, der ein großes Felllager beherbergte. Eine kleine Kerze stand in der Ecke.
Als alle Kinder auf dem Felllager lagen, scheuchte Ylvie sie fort. Sie hatte heute Dienst, auf die Kinder zu achten. Fara lief etwas unsicher zurück in die Küche, wurde aber wieder aufgehalten.
„Komm, ich geleite dich zu deinem Platz.", bot Bente an, aber Fara lehnte ab.
„Ich bin noch so satt von dem ganzen Essen. Ich möchte lieber noch etwas an die frische Luft."
Bente sah sie zwar erstaunt an, ließ sie aber gewähren.
Fara ging zur Küchentür und öffnete diese. Es durfte zwar spät sein, aber es dämmerte noch. Das musste dieses Nordlicht sein, von dem ihr Harald erzählt hatte. Fara holte tief Atem und betrachtete den Himmel. Er war wunderschön.
Sie hörte eine Frau kichern und einen Mann reden. Dann wurde es wieder still. Nur leise Seufzer durchbrachen die Stille. Fara konnte sich gut vorstellen, was da geschah. Sie spazierte in die entgegengesetzte Richtung und betrachtete alles genauer, so gut es eben im Dämmerlicht möglich war. Der erste Eindruck hatte sie nicht getrübt. Es war immer noch sauber und ordentlich, obwohl viele von den Arbeitern heute zum Feiern ins Langhaus gekommen waren. Die Werkzeuge lagen alle ordentlich aufgereiht, so dass man sie am anderen Tag nicht suchen musste. Fertige Felle waren zusammengefaltet und verpackt worden. Die Fische hingen kopfüber in einem Gestell zum Trocknen.
Nach einer Weile begann sie zu frösteln. Sie wollte gerade ins Langhaus zurück, als Randulf ihr entgegen kam.
„Fara! Dir muss doch kalt sein!"
Ohne auf ihre Antwort abzuwarten, nahm er seinen langen Fellumhang und hängte ihn Fara um die Schulter. Fara nickte ihm dankbar zu.
Sie liefen eine Weile schweigend zusammen durch das Gut.
„Ich habe dir noch gar nicht gratuliert!", begann Randulf dann. "Es ist eine besondere Ehre, wenn man unter dem Schutz des alten Jarl steht. Bisher hat er das nur einmal getan!"
Sie sah ihn fragend an und er grinste. Seine weißen Zähne schimmerten im Dämmerlicht.
„Ich sollte mich dir wohl mal vorstellen! Mein vollständiger Name ist Randulf Magnusson!"
Fara blieb verblüfft stehen.
„Du bist der andere Bruder, von dem Astrid gesprochen hat?"
Er nickte.
„Ich war damals vier Jahre alt, Egil war zehn und Astrid zwölf. Magnus Frau hatte ihn darum gebeten, mich auf zu nehmen."
Fara ließ das Gehörte erst einmal auf sich wirken.
„Dann hast du im Prinzip die gleiche Stellung wie Egil."
Er zuckte mit den Schultern.
„Nicht ganz. Trotz allem gelte ich als der Zweitgeborene. Nicht gerade attraktiv für Frauen."
Er führte sie an eine Hütte, die ganz in der Nähe des Langhauses stand.
„Das wird dein neues Heim. Leider habe ich keine Fackel bei mir, sonst hätte ich es dir auch innen zeigen können. Du hättest mir sagen können, was noch zu machen ist. Denn außer dem Zweitgeborenen bin ich auch noch der Zimmermann hier."
Fara winkte ab.
„Das hat bis morgen Zeit. Ich möchte dich nicht vom Feiern abhalten."
Sie betrachtete die Hütte. Sie sah, dass Egil recht gehabt hatte. Sie war groß genug für sie, die Kinder und Bente. Fara kannte sich zwar nicht im Zimmermannhandwerk aus, doch sie erkannte, dass die Hütte solide gebaut und sogar noch größer war, als das Haus, das Corwin und sie bei den Sachsen bewohnt hatten.
„Es ist sehr schön!"
Nickend betrachtete er die Hütte.
„Leider wollte es niemand, als Oda starb. Oda war reichlich wunderlich und einige Leute fürchteten sich vor ihr. Sie starb vor drei Monaten, es dürfte also nicht viel zu reparieren sein. Wenn du trotzdem irgendetwas benötigst, dann wende dich ruhig an mich!"
„Wenn Fara sich an jemanden wendet, bin ich das! Bruder!"
Egil war unbemerkt an sie heran getreten und sah seinen Bruder streng an.
„Bruder, ich wollte..."
„Verschwinde, Randulf!"
Randulf verstand sofort, als Egil seinen Mantel von Fara nahm und ihm reichte. Schnell verschwand Randulf, drehte sich aber noch einmal zu Fara um und grinste sie wissend an.
Egil wartete, bis Randulf verschwunden war.
„Was machst du hier draußen? Mit Randulf!"
Sie schnaubte leicht.
„Dein Bruder hat mich begleitet und mir die Hütte gezeigt, die mir gehören soll! Ich weiß nicht, warum du ihn so angeschnauzt hast. Er war freundlich. Das ist alles!"
Sie schlang die Arme um sich. Ohne Randulfs Umhang wurde ihr sehr kalt.
Egil fluchte leise, nahm seinen eigenen Umhang und legte ihn um Faras Schultern. Er hielt den Umhang einen Moment fest und senkte seinen Kopf.
„Ich möchte nicht, dass du alleine mit Randulf bist!"
Fara hörte kaum, was er flüsterte.
„Warum nicht?"
„Das kann ich dir nicht sagen. Es macht mich wütend, wenn ich euch zusammen sehe. Es hat mir schon heute Morgen nicht gefallen. Auf dem Boot."
Sie beugte sich leicht zu ihm hin.
„Du bist eifersüchtig, Egil Magnusson! Eifersüchtig auf deinen Bruder!"
„Mag sein!"
Sie lachte kurz auf.
„Hast du es deswegen getan? Mich unter den Schutz deines Vaters gestellt? Warst du der Meinung, es könnte ihn von mir abhalten?"
Er nickte.
„Hat wohl nicht funktioniert."
Er hob sein Gesicht. Es war finster.
Fara schnaubte wütend. Der Kerl machte sie noch wahnsinnig. War er es nicht, der gesagt hatte, dass er keine Frau wollte? Warum war er dann wütend, nur weil Randulf freundlich zu ihr war?
„Bei den Göttern, er war freundlich zu mir. Sonst nichts. Und hast du mir nicht erklärt, dass du kein Eheweib haben wolltest?"
Wieder nur ein Nicken.
„Dann verstehe ich das Ganze nicht."
Er sah sie lange an. Dann küsste er sie wieder ganz sanft.
„Ich verstehe es selbst nicht!"
Abrupt drehte er sich um und verließ sie. Fara starrte ihm hinterher. Sie berührte mit den Fingern leicht ihre Lippen. Sie spürte irgendwie immer noch diesen Kuss. Genau wie sein erster Kuss.
Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm!
Warum machte er so etwas immer? Warum hielt er sich einfach nicht von ihr fern, wenn er sie nicht wollte?
Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm!
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