5. Kapitel

Ein Fuß tippte Egil etwas unsanft an.

„He, Schnarchnase! Wir erreichen Björgvin! Willst du an Land oder sollen wir den ganzen Weg nach Hause rudern!"

Egil schreckte hoch und Heimir ging einen Schritt zur Seite, um seiner Faust auszuweichen, die ihn garantiert nieder gestreckt hätte.

Egil setzte sich auf, nachdem er Heimir erkannt hatte und rieb sich verschlafen über das Gesicht!

„Wie lange habe ich denn geschlafen?", fragte er gähnend.

Heimir zuckte mit den Schultern.

„So lange, wie sonst nie. Die Sonne ist schon vor Stunden aufgegangen."

Egil blickte sich um, konnte aber Fara nirgends entdecken. Heimir unterdrückte ein wissendes Grinsen.

„Die Fränkin ist schon lange wach und bei ihren Kindern! Sie erzählten irgendetwas von einem Badehaus."

Egil strich sich über den Bart, der ihm gewachsen war.

„Ich habe gesagt, dass sie in Björgvin ein Badehaus aufsuchen soll. Mist! Ich könnte auch eines gebrauchen! Und einen Bader gleich dazu! Ich habe es satt, mir den Bart mit dem Messer abzuschaben!"

Heimir hob seinen Arm und schnüffelte an sich selbst. Angewidert zog er die Nase kraus.

„Jeder von uns könnte das gebrauchen. Mein Weib macht mir jedes Mal ein Aufstand, wenn ich stinkend nach Hause komme!"

Egil erhob sich und faltete seinen Schlafsack zusammen.

„Dann steure Björgvin an. Ich will ja nicht, dass dein Weib dich nicht in deine Hütte lässt, nur weil ich dich nicht in ein Badehaus lasse! Randulf muss auch nach dem Mast sehen. Ich hoffe, er kann ihn so schnell wie möglich reparieren."

Heimir nickte, ging selbst zur Pinne und bellte den Männern Befehle entgegen. Die Männer legten sich nun extra ins Zeug. Alle wollten wieder an Land. Die jungen Kerle um sich zu besaufen und die älteren um sich ein Bad zu gönnen und Geschenke für ihre Frauen und Familien zu kaufen.

Er fragte sich, wozu er tendierte und musste grinsen. Wahrscheinlich besaufen! Und eine ordentliche Schlägerei wäre bestimmt auch nach seinem Geschmack. Schließlich hatte er keine Familie!

Er nahm sich ein paar Trockenfische aus dem Fass und holte sich dazu einen Schlauch Met. Er setzte sich neben die Fässer mit den Vorräten und begann zu essen.

Bei den Göttern, er hatte wirklich lange geschlafen. Die Sonne war schon fast über ihm. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so lange geschlafen hatte. Doch er fühlte sich wohl. Er lächelte leicht bei dem Gedanken, was ein Frauenkörper doch so alles Gutes bewirken konnte.

„Wie heißt du?"

Das kleine Mädchen stand vor ihm, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und auf den Fußballen hin und her wippend. Egil versuchte sich an ihren Namen zu erinnern, doch er fiel ihm beim besten Willen nicht ein. Erst nach einigen Momenten meinte er, den Namen zu kennen.

„Guten Morgen, Nuriel!"

Sie lachte hell auf.

„Ich heiße doch Norien, du Dummer!"

Egil verkniff sich ein Grinsen. Noch nie hatte ein Kind gewagt, ihn anzusprechen, geschweige denn, ihn Dummer zu nennen.

„Verzeiht mir, Norien! Mein Name ist Egil Magnusson!"

Norien wiederholte seinen Namen fast lautlos, doch bei Magnusson hakte es noch etwas. Egil aß den Fisch fertig, nahm einen Schluck Met und legte den Schlauch beiseite.

„Willst du mir die Haare abschneiden, Egil Magson?"

„Wie kommst du denn darauf?"

Sie zog die Nase hoch und setzte sich ungefragt auf seinen Schoß. Egil versteifte sich etwas, was sie aber nicht zu spüren schien. Ganz im Gegenteil. Sie schien sich bei ihm wohl zu fühlen.

„Mama sagte mir, wenn sie meine Haare nicht ordentlich mit dem Kamm hin bekommt, müssen wir sie bald schneiden lassen. Ich habe von den Männern gehört, dass du nach Bergin willst. Also willst du meine Haare wohl abschneiden lassen!"

Egil versuchte den Zusammenhang zu erkennen, aber es gelang ihm nicht. Hatte er doch zu lange geschlafen? Bei Thors Blitzen, was meinte die Göre damit?

„Ich weiß nichts von deinen Haaren!"

Erleichtert seufzte sie.

„Das ist gut, Egil Magson!"

Sie lehnte sich vertrauensvoll an seine Brust. Einen Moment dachte er daran, sie einfach weg zu scheuchen, aber er brachte es nicht über das Herz.

Er betrachtete ihr Haar. Es war lang, blond und leider sehr verfilzt. Er fragte sich, warum Fara dem Mädchen nicht ihre schwarzen Haare vererbt hatte, dann zuckte er seine Schultern. Noriens Bruder war auch blond. Ihr Vater musste wohl blond gewesen sein und hatte sich durchgesetzt.

Die verfilzten Haare sahen aber nicht so aus, als ob man sie einfach mit dem Kamm bearbeiten könnte. Man musste sie leider abschneiden. 

„Was hast du gegen das Haare schneiden?"

Wieder ein kindliches Seufzen, aber es kam keine Antwort von ihr. Egil fischte einen Apfel aus dem Fass neben sich, holte sein Messer hervor und schnitt einen Schnitz heraus. Den gab er Norien, die ihn anlächelte und den gesamten Schnitz in ihren Mund steckte.

„Isch fill nischt auschschehen fie Bodobfert!"

„Hm?", hakte Egil nach.

Sie kaute schnell und schluckte den Bissen hinunter.

„Ich spreche deine Sprache nicht gut. Harald hat es versucht, aber alle sprechen so anders. Mama, du und mein Da hat manchmal ganz komisch gesprochen! Das macht einem im Kopf schwindlig!"

Sie sah ihn ernst an.

„Ich will nicht aussehen wie Bodobert. So gar keine Haare. Da friere ich am Kopf! Außerdem tut es bestimmt weh!"

Egil erinnerte sich an den Than. Der hatte wirklich kaum noch Haare gehabt. Egil hatte es bedauert, dass er ihm nicht die Kopfhaut hatte herunter schneiden können, wie er es sonst bei seinen Opfern tat.

Die Kleine dachte wohl, man wollte ihr eine Glatze schneiden. Aber das war doch gar nicht nötig! Irgendwie musste er aber die Situation retten. Schließlich machte sie ihn mit dafür verantwortlich.

„Weißt du, Kleines, ich muss mir auch die Haare schneiden lassen. Findest du mich dann hässlich?"

Sie sah ihn erstaunt und mit weit aufgerissenen Augen an.

„Warum willst du dir die Haare schneiden lassen?"

Er grinste sie an und gab ihr noch einen Schnitz, ehe er selbst einen Bissen vom Apfel abbiss.

„Schau mal, meinen Bart finde ich hässlich und kratzig. Meine Haare sind zwar nicht ganz so lang, aber ich mag sie so nicht. Wenn ich sie nicht schneide, habe ich so lange Haare wie deine Mama und kann nicht mehr kämpfen. Und dann schimpfen mich meine Männer aus oder sie lachen! Das will ich nicht!"

Sie langte ihm mit ihren klebrigen Händen in den Bart. Einen Moment zuckte er zurück, was sie aber wieder nicht zu stören schien. Beherzt griff sie in seinen Bart.

„Der ist doch ganz weich! Da hatte immer einen struppigen Bart. Der kratzte immer, wenn er mir einen Kuss zur Guten Nacht gab."

„Ich kann ihn trotzdem nicht leiden!"

Sie nickte ihn verständnisvoll an.

„Dann muss er weg!"

Er lachte leise.

„Dann werde ich deinen Befehl ausführen, Norien! Was hältst du davon, wenn du mich begleitest? Wenn es tatsächlich wehtun sollte, kannst du mich vor dem Bader beschützen."

Ernst nickte sie.

„Das würde ich tun!"

Er tätschelte leicht ihre Wange.

„Brav! Und wenn es nicht weh tut, dann lassen wir deine Haare auch schneiden!"

Sie verzog angewidert das Gesicht. Schnell zeigte Egil mit den Fingern ein kleines Stück.

„Nur so viel! Ich schwöre bei meiner Ehre!"

Gerade wollte sie wohl nachfragen, was er damit meinte, als Faras Stimme erklang.

„Norien! Wo bist du?"

Die Kleine kauerte sich auf Egils Schoß zusammen.

„Oh je!"

„Oh je?"

„Mama hat gesagt, dass ich nicht zu dir darf. Sie meinte, du wirst sonst böse! Aber Mama hat nicht Recht. Du bist doch nett!"

„Vielen Dank, meine Dame!"

Er schmiss den Rest des Apfels ins Meer.

„Du solltest trotzdem gehen. Ich muss mich wieder um das Langboot kümmern. Wenn ich weiter so faul hier herumsitze, können wir unser Versprechen nicht einhalten."

Er fischte drei weitere Äpfel aus dem Fass und reichte sie ihr.

„Hier! Die schenke ich dir. Teil sie aber mit deinem Bruder und deiner Mama!"

Er fand immer noch, dass alle drei viel zu dürr waren und beschloss, dass er wenigsten so dafür sorgte, dass sie mehr Nahrung zu sich nahmen.

„Drei Äpfel! Und alle für uns! Danke Egil!"

Sie drückte ihm einen feuchten Kuss auf die Wange, stand von seinem Schoß auf und rannte zu Fara. Nach ein paar Schritten drehte sie sich zu ihm um und winkte ihm noch einmal zu. Er winkte lächelnd zurück und stand selbst auf.

„Dich hat es ja ganz schön erwischt!"

Heimir stand in der Nähe und grinste ihn an.

„Was meinst du?" Jetzt lachte sein Freund lauthals los.

„Wenn meine Kinder es nur wagen, sich dir ein Stück zu nähern, dann nimmst du Reißaus! Oder du starrst sie so böse an, dass sie regelrecht vor dir fliehen. Dieses Mädchen setzt sich auf deinen Schoß und du redest sogar mit ihr!"

Egil schnaubte laut.

„Deine Bälger nerven ja auch!"

Wieder lachte Heimir. Zum Glück war er nicht beleidigt.

„Da magst du wohl Recht haben. Aber es wundert mich trotzdem. Erst nimmst du die Fränkin in deinen Schlafsack und ich weiß genau, dass es sehr züchtig zuging. Dann das kleine Mädchen! Dich hat es erwischt, mein Freund! Nicht mehr lange und du wirst selbst ein paar nervende Bälger haben!"

Egil boxte ihm schwer in die Rippen.

„Ich bin nett zu ihnen, weil sie es bisher nicht leicht gehabt haben. Und du planst schon eine Hochzeitsfeier? Du bist wirr im Kopf!"

Ohne auf Heimir zu warten, ging er zur Pinne.

„Davon habe ich gar nicht gesprochen!", rief Heimir ihn hinterher. „Dich hat es sehr wohl erwischt!"


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