17. Kapitel
Egil stürmte in die Halle.
„Wo ist sie?", brüllte er.
Erst jetzt viel ihm auf, wie alle ruhig da saßen. Ihre Mienen wirkten bedrückt und düster.
Er klammerte sich an einen Tisch. Die Beine drohten ihm nach zu geben.
„Nein! Das ist nicht wahr!"
Ylvie kam auf ihn zu.
„Egil!"
Er schüttelte den Kopf, um diese Gedanken los zu werden. Das konnte nicht sein. Nicht jetzt!
„Sie ist tot?"
Ylvie lächelte einen kurzen Moment.
„Nein! Aber es geht ihr sehr schlecht!"
Vor Freude, dass Fara noch am Leben war, fiel er Ylvie um den Hals. Sie lachte ihn überrascht an.
„Wo ist sie?"
Ylvie zwang ihn, sich hinzusetzen. Er wehrte sich kurz, aber sie bestand vehement darauf.
„Hör zu, Egil! Bevor du zu ihr gehst, sollte ich dich warnen. Sie sieht schlimm aus. Außerdem hat jetzt das Fieber eingesetzt. Usmar versucht alles, damit sie am Leben bleibt, aber es wird lange dauern, bis es ihr besser geht!"
Egil nickte und verstand, warum sie ihn vorwarnen wollte.
„Susanna?"
Ylvie winkte kurz in die Menge. Randulf kam mit hängenden Kopf und Schultern zu ihm.
„Es tut mir leid, Bruder. Ich habe dich enttäuscht!"
Egil winkte ab.
„Das bereden wir später. Was ist genau geschehen?"
Er musste erst einmal einen klaren Kopf bekommen, bevor er diese Frau sehen konnte. Ansonsten wusste er nicht, was er mit Susanna anstellen würde.
Randulf stand immer noch vor ihm und Egil zeigte auf die Bank.
Sein Bruder setzte sich und begann zu erzählen.
„Es war alles ruhig! Zwei Wochen lang. Die Kinder waren mit Astrid und Ragnar schon unterwegs. Marit sagte mir, dass die Vorräte ausgingen. Ich wollte es erst nicht glauben, aber ich überzeugte mich selbst davon. Es war fast kein Fleisch mehr vorhanden. Erst besprach ich mich mit Ylvie, aber sie konnte sich auch nicht erklären, warum das Fleisch weg war. Ich entschloss mich, zur Jagd zu gehen, bläute aber Fara ein, das sie in ihrer Hütte bleiben sollte. Auch Heimir befahl ich, dass er ein Auge auf sie haben sollte. Ich habe mich beeilt und nur einen Hirsch geschossen. Doch als ich wieder zurück war, fehlte von Fara jede Spur. Es kann sich keiner erklären, wie Susanna es geschafft hat, Fara aus der Hütte zu locken. Wir Männer machten uns sofort auf die Suche. Erst fanden wir Susanna. Sie war wie von Sinnen und lachte uns aus. Sie erzählte, dass sie Fara totgeschlagen hätte und wir sie nie finden würden. Ich fand Fara in der alten Hütte am Waldrand. Sie war mehr tot als lebendig, aber sie erkannte mich. Das gab mir Hoffnung. Ich ließ nach Usmar schicken."
Egil nickte.
„Das war sehr gut! Ich bezweifle nicht, dass du deine Pflichten sehr ernst genommen hast. Jedoch habe ich Zweifel daran, dass es Susanna alleine war. Hat sie irgendetwas gesagt?"
Randulf schüttelte den Kopf.
„Willst du sie befragen? Wir haben sie im Pferdestall angekettet!"
Egil stand auf. Jetzt war er ruhiger und konnte nach Fara sehen.
„Nein, noch nicht!"
Er beugte sich nahe zu seinem Bruder. Das nächste sollte nicht jeder hören.
„Vara steht draußen. Ich will nicht, dass Marit sie schon sieht. Bring sie in Faras Hütte unter. Tesla und Raik werden auch bald kommen. Erst wenn alle zusammen sind, werde ich mich um diese Angelegenheit kümmern."
Randulf betrachtete ihn ernst.
„Du meinst, Marit hat etwas damit zu tun?"
Egil zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht und im Moment will ich an ihr keinen Gedanken verschwenden. Erst sehe ich nach meinem Weib!"
Randulf erklärte ihm, wo er Fara hingebracht hatte und Egil machte sich auf den Weg zu seinem Gemach. Vor seinem Raum blieb er erst stehen und atmete ein paar Mal durch.
Schließlich öffnete er die Tür und trat ein.
Fara lag auf dem Bauch und hatte das Gesicht von ihm abgewendet. Ein älterer Mann saß ihr zur Seite und wechselte gerade das Linnen auf dem Rücken. Er sah hoch und lächelte.
„Egil?"
Dieser nickte.
„Sie hat nach dir gefragt, als sie wach war. Das gibt mir Hoffnung, dass es bald besser wird. Sie wird ruhiger schlafen, wenn sie weiß, dass du endlich da bist!"
Egil näherte sich ihr und zog scharf den Atem ein. Tiefe Striemen bedeckten ihren Rücken. Ihr Arm war gebrochen, allerdings hatte Usmar ihn schon geschient.
Erst als er ihr Gesicht sah, kam die Wut wieder hoch. Er atmete ein paar Mal ein und aus. Ihr rechtes Auge war geschwollen und hatte die Farbe von Purpur. Auch die Nase war gebrochen worden. Selbst ihr Kiefer war geschwollen und färbte sich von Lila zu blau.
Er setzte sich zu ihr und streichelte ihr leicht über den unversehrten Arm.
„Wie schlimm ist es?"
Usmar bedeckte den Rücken wieder.
„Ich kann froh sein, dass sie selbst eine sehr gute Heilerin ist. Bevor ich kam, hatte sie den Frauen schon Anweisungen gegeben, so gut sie eben konnte. Es war aber in dem Moment genau das Richtige. Du kannst dankbar sein, dass dein Bruder sie so schnell gefunden hat. Und das Ylvie und Bente genau wussten, was sie tun mussten, als die Heilerin ihre Sinne verlor. Ich musste sie eigentlich nur noch wegen dem Fieber behandeln, dass sie bekommen hatte."
Er stand auf und zeigte auf eine Kanne, die in der Nähe stand.
„Das ist ein Tee, den ich aus verschiedenen Kräutern und Blättern zusammengestellt habe. Gib ihr so oft wie möglich davon. Sie braucht Flüssigkeit, aber auf keinen Fall Met. Wasser, wenn sie danach verlangt. Brühe, wenn es geht. Sie braucht alles, was ihr Kraft gibt."
Er streckte sich etwas.
„Ich kann sie nicht zudecken, weil es sie schmerzt. Leg dich zu ihr und wärme sie mit deinem Körper, wenn sie zittert. Und auch, wenn es sinnlos erscheint, kühle sie, wenn das Fieber wieder steigt."
Egil nickte.
Der Alte ging zur Tür.
„Ich werde mich nun ausruhen, wenn du gestattest. Später werde ich wieder nach ihr sehen!"
Er ging hinaus und verschloss die Tür, ohne auf Egils Antwort zu warten.
Egil zog Stiefel und Tunika aus und streckte sich neben ihr aus.
„Egil?"
Es war kaum ein Flüstern, das von ihr kam.
„Mein Herz!"
Sie versuchte sich zu ihm zu drehen, verzog aber schmerzhaft das Gesicht.
„Nein, tu das nicht. Ich bin da und werde nicht gehen!"
Sie nickte leicht und schloss wieder die Augen.
„Es tut mir leid!", flüsterte sie.
„Was tut dir leid?"
Sie schluckte hart.
„Ich habe nicht auf dich gehört. Aber ein Kind...ich dachte...verletzt!"
Er legte eine Hand auf ihre Wange.
„Nicht! Wir reden später darüber! Ruhe dich aus. Ich bleibe bei dir!"
Wieder versuchte sie zu nicken.
Auf einmal riss sie die Augen auf.
„Marit!"
Egil versuchte sie zu beruhigen.
„Ich weiß, Herz! Sie wird auch ihre Strafe bekommen!"
Endlich schloss sie die Augen und schlief ein.
Die nächsten Tage blieb Egil ununterbrochen bei ihr. Wenn sie Durst hatte, gab er ihr zu trinken. Wenn sie fror, nahm er sie vorsichtig in seine Arme und wärmte sie.
Immer wieder schreckte sie auf und schrie vor Schmerzen.
Egil brach das Herz, wenn er sie so sah. Doch es wurde besser. Usmar war am dritten Tag sehr zufrieden mit dem Genesungsverlauf.
„Die Wunden heilen sehr schnell. Bald wird sie keine Schmerzen mehr haben. Der Arm heilt auch sehr gut. Sie wird ihn benutzen können, wenn er vollständig geheilt ist. Da war ich mir nicht so sicher, aber sie kann ihre Finger bewegen. Das ist gut. Das Auge hat sich auch wieder erholt und das Fieber ist gesunken."
Er sah zu Egil.
„Aber um dich mache ich mir Sorgen, Jarl! Du musst etwas essen! Und an die frische Luft!"
Wie auf das Stichwort kam Randulf herein.
„Egil! Alle sind da. Gunnar, dein Vater, Raik und Tesla. Sie warten auf dich!"
Er nickte und zog sich an.
„Erst werden wir zu Susanna gehen. Ich will hören, was sie zu sagen hat!"
Randulf zuckte mit den Schultern.
„Sie ist komplett wirr im Kopf. Ich habe keine Ahnung, was sie von sich gibt, aber es ist mehr Gebrabbel, als anständige Sätze!"
Egil legte eine Hand auf seine Schulter.
„Wir wollen es trotzdem versuchen!"
Usmar sagte ihnen, dass er so lange bei Fara bleiben wollte, also ging Egil schweren Herzen nach draußen.
„Marit ist in ihrem Raum?"
Randulf nickte.
„Sie hat sich schon seit Tagen nicht mehr blicken lassen."
„Gut!"
Sein Vater wartete mit den anderen auf ihn. Als er Egil auf sich zukommen sah, nahm er ihn in seine Arme. Obwohl sein Vater mittlerweile ein gutes Stück kleiner als er war, fühlte sich Egil getröstet.
„Wie geht es ihr?"
Egil seufzte.
„Es wird immer besser!"
Sein Vater wirkte erleichtert.
„Ich habe Ragnar angewiesen, noch eine Weile mit den Kindern fern zu bleiben. Sie sollten ihre Mutter nicht so sehen!"
Daran hatte Egil nicht gedacht und er war froh, dass sein Vater diesen Gedanken hatte.
Er löste sich von ihm und marschierte zum Pferdestall. Wie Randulf schon erzählt hatte, war Susanna gefesselt. Sie hockte auf einen Strohballen und brabbelte vor sich hin.
Er stellte sich vor sie hin und stieß sie mit dem Fuß an. Erschreckt sah sie hoch, doch ihr Gesicht erhellte sich, als sie ihn erkannte.
„Egil! Sie hat gesagt, dass du zu mir kommen wirst, wenn die Hexe endlich tot ist! Sie hat es versprochen!"
Egil spuckte angewidert aus.
„Fara ist nicht tot! Aber du wirst es bald sein!"
Susanna blinzelte ein paar Mal ungläubig.
„Sie ist nicht tot? Aber sie versprach mir, dass sie die Hexe in den Fjord wirft!"
„Wer?"
Susanna lachte irrsinnig auf.
„Ich hätte ihr nie glauben dürfen! Sie entgeht ihrer Strafe und ich muss für ihre Sünden büßen!"
Egil beugte sich leicht vor.
„Wer?"
Susanna wiegte den Kopf hin und her.
„Aber du bist da, oder? Also hat sie recht gehabt. Ich werde deine Frau! Nicht die Hexe!"
Egil holte aus und schlug ihr hart ins Gesicht. Dann zog er sie an den Haaren näher zu sich!
„Wage es ja nicht mehr, so über mein Weib zu reden. Sie ist nicht tot und wenn sie es wäre, würde ich dich auf keinen Fall nehmen! Jetzt sag mir endlich, wer dich dazu angestiftet hat. Alleine wärst du nie auf so etwas gekommen!"
Susanna hob erschrocken das Gesicht. Nun schien ihr so langsam zu dämmern, was hier geschah. Aber sie schwieg.
Egil holte erneut aus und schlug ihr hart ins Gesicht. Dennoch versuchte er seine Wut zu kontrollieren. Wenn er das nicht konnte, würde er sie totschlagen, bevor sie ihm bestätigen konnte, dass Marit dahinter steckte.
Susanna schrie erneut auf und wimmerte. Dann schluckte sie hart.
„Nein! Alleine hätte ich mich das nicht getraut. Es war Marit, die mich anstiftete. Ihr Plan schien so perfekt. Doch sie hat mich reingelegt."
Egil hatte genug gehört und auch die Umstehenden murmelten leise Verwünschungen aus. Noch einmal holte er aus und schlug ihr hart mit dem Handrücken ins Gesicht.
Er stieß Susanna von sich und sah zu Randulf.
„Ich denke, du hast mehr Grund es zu Ende zu bringen. Sie ist eine Sklavin, also können wir verfahren wir wollen. Allerdings muss Marit vor den Thing. Ich richte nicht über sie."
Egil tat dies aus Rücksicht. Er sah Tesla und Vara, die erschüttert aussahen. Sie hatten wohl immer noch gehofft, dass Marit nichts damit zu tun hatte. Doch nun nickten sie Egil zu.
„So soll es geschehen!", rief Tesla laut.
Egil sah noch einmal kurz auf Susanna, die ihn immer noch flehend ansah.
„Ich habe dich gewarnt, Susanna!", zischte er leise und ging einen Schritt zurück.
Randulf trat hervor. Sein Grinsen hatte schon etwas Dämonisches an sich.
"Sei gegrüßt, Susanna! du erinnerst dich doch noch bestimmt an mich. Der zweite Sohn, den du heiraten wolltest, aber es dir dann doch anders überlegt hast!"
Sie schrie auf, als sie Randulfs Gesicht sah.
"Nein! Nicht er!"
Flehend sah sie zu Egil, der gegen die Wand lehnte und seine Arme vor der Brust gekreuzt hatte.
Randulf nahm brutal ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu ihm.
"Nein! Er wird dir nicht helfen, du Ausgeburt der Hel. Weißt du, ich habe es hingenommen, dass du meinen Bruder mir vorgezogen hast. In gewisser Weise habe ich es sogar verstanden. Aber das du mich reingelegt hast...nun, hast du mich wirklich für so dumm gehalten, dass ich dir auch das verzeihen würde?"
Seine Hand umfasste beinahe liebevoll ihren Hals. Dann drückte er zu. Verzweifelt klammerte sich Susanna mit beiden Händen an sein Handgelenk, doch Randulf ließ nicht nach. Erst als sie blau anlief ließ er locker und schmiss sie wieder auf den Boden. Dann holte er eine Peitsche hervor.
"Wie war das Susanna? Hast du Fara mit solch einer Peitsche verprügelt?"
Er betrachtete das Ding interessiert. Dann ließ er sie auf Susanna knallen, die wieder aufschrie.
"Hat Fara genauso geschrieen?"
Egil sah zu den anderen und schickte sie mit einer Kopfbewegung nach draußen. Er würde bleiben und sich alles anschauen.
Randulf ließ ein paar Mal die Peitsche auf Susanna knallen. Ihre Schreie wurden von mal zu mal leiser. Dann hob sie den Kopf und sah Egil wieder an.
"Bitte! Mach, dass er aufhört!"
Er schüttelte den Kopf.
"Nein Susanna. Ich habe dich gewarnt. Und Randulf verdient seine Rache!"
Er nickte seinem Bruder wieder zu. Dieser riss Susanna brutal am Arm nach oben.
"Keiner wird dir helfen!"
Sie schien nun wirklich zu begreifen, dass sie alles verspielt hatte. Ihre Sicht wurde klarer und sie sah Randulf fest an.
"Dann tu es! Schnell! Ich weiß, dass ich es nicht verdient habe, aber bitte...nicht so! Fessle mich an einem Baum im Wald. Die Wölfe sollen mich holen! Ich denke, sie haben mehr Erbarmen, als du!"
Randulf sah zu Egil, der ihm zu nickte.
"Nur, wenn du das willst, Bruder. Es ist deine Entscheidung!"
Randulf senkte seinen Blick auf Susanna, die jetzt schon kaum auf ihren eigenen Füßen stehen konnte.
"Gut! Dann sei es so!"
Heimir kam ihn entgegen, als Egil aus dem Stall kam.
„Sie ist fort! Marit! Ich habe keine Ahnung, wann, aber sie muss geflohen sein!"
Egil starrte in den schiefergrauen Himmel.
„Es schneit bald. In der Nähe kommt sie nirgends unter. Vielleicht hat sie ihr Urteil schon selbst an sich verhängt!"
Heimir lachte höhnisch.
"Denkst du das wirklich, Egil? So wie ich das Weib einschätze, hat sie sich schon lange in Sicherheit gebracht!"
Egil zuckte mit den Schultern.
"Wenn es so ist, wird sie irgendwann auftauchen. Wenn sie mir noch einmal in die Quere kommt, dann können ihr nicht einmal die Götter mehr helfen!"
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