16. Kapitel

„Fara! Bei den Göttern, was haben sie getan?"

Fara spürte, wie sie aufgehoben und in starke Arme genommen wurde.

Egil?

„Wach auf! Ich bitte dich! Tu das meinem Bruder nicht an."

„Randulf?"

Sie versuchte die Augen zu öffnen, aber es gelang ihr nicht. Susanna musste sie auch ins Gesicht geschlagen haben. Die Lider waren geschwollen und schmerzten.

Sie spürte, wie sie angehoben wurde.

„Den Göttern sei Dank! Du lebst! Ich bringe dich hier weg!"

Dankbar ließ sie sich gegen Randulfs Brust sinken.

„Es tut mir so leid, Fara! Ich würde mich am liebsten selbst in den Fjord werfen. Es dauerte länger, als ich gedacht habe. Sie haben mich reingelegt. Egil bringt mich um! Es tut mir leid!"

Fara schluckte. Ihr gesamter Körper schmerzte, wie noch nie zuvor im Leben. Sie wusste selbst, dass sie schwer verletzt war. Außerdem war sie unterkühlt. Sie wusste nicht, wie lange sie hilflos in der Hütte gelegen hatte.

„Ich bring dich ins Langhaus. Einer der Männer ist schon zu Egil unterwegs. Alles wird gut. Verdammt, ich hätte es wissen müssen!"

Sie hob leicht ihre Hand.

„Nicht deine Schuld...geplant...schon lange...nicht verhindern können!"

Randulf schnaubte.

„Erklär das mal meinem Bruder! Er wird mich und Heimir dafür umbringen!"

Er trug sie immer weiter. Fara konnte das Feuer der Schmiede spüren. Wärme! Wohltuende Wärme! Doch schon bald verschwand diese Wärme und es wurde wieder einen Moment kalt.

„Randulf! Ich habe sie nicht...bei den Göttern! Fara!"

Sie konnte Heimir hören.

„Sie hat sie in der alten Hütte liegen lassen. Verletzt und ohne Schutz gegen die Kälte. Hast du Susanna gefesselt, wie ich es dir gesagt habe?", erklärte Randulf ihm.

„Sie liegt gefesselt im Pferdestall!"

Randulf stolperte ein wenig und Fara schrie auf vor Schmerzen.

„Es tut mir leid!"

Immer wieder entschuldigte er sich bei ihr, obwohl Randulf am Wenigsten dafür konnte. Irgendwann waren sie wohl im Langhaus angekommen. Sie spürte, wie es warm wurde und roch das Essen. Heimir lief neben Randulf her. 

„Hol dein Weib und Ylvie. Dann schick einen Reiter zu Vara und Gunnar. Sie haben auch einen Heiler. Er soll kommen!"

Sie hörte, wie Heimir sich entfernte.

Randulf trug sie immer weiter, bis er endlich vor Egils Lager stand.

„Das arme Kind! Egil wird dir das nie verzeihen, dass du nicht besser auf sie aufgepasst hast! Wer konnte auch ahnen, dass Susanna zu so etwas fähig ist!"

Fara erkannte Marits Stimme und erzitterte sofort.

„Ich helfe ihr, Randulf. Hier haben Männer nichts zu suchen!"

Fara versuchte mit aller Macht die Augen zu öffnen und schaffte es nach einer Weile.

„Nicht sie!", flehte sie Randulf lautlos an.

Er nickte leicht und Fara schloss erleichtert die Augen. Gut, dass er sie verstanden hatte.

„Verschwinde, Weib! Ich will dich hier nicht sehen und Egil genauso wenig! Du hast nichts in seinem Gemach zu suchen!"

Marit schnappte nach Luft.

„Was bildest du dir ein, so mit mir zu sprechen? Ich bin die Schwester deines Herren!"

Fara hörte, dass Randulf sich umdrehte. Der fest getretene Lehm knirschte unter seinen Füßen.

„Egil ist mein Herr und Bruder! Und sollte er oder ich erfahren, dass du irgendetwas mit der Sache zu tun hast, bringen wir dich vor den Thing!"

Sie hörte Marit nervös kichern.

„Was soll ich damit zu tun haben?"

Randulf hatte sich wieder Fara zugewandt, doch nun hielt er inne.

„Geh mir aus den Augen, Marit! Oder ich vergesse mich!"

Fara hörte Marit schnauben, doch dann verließ sie den Raum.

Randulf nahm eine Decke und legte sie vorsichtig über sie. Selbst diese leichte Decke verursachte ihr sehr starke Schmerzen.

„Mohnsamen! Bitte!", stöhnte sie.

Randulf schüttelte den Kopf.

„Noch nicht. Ich traue mir nicht zu, dir sie zu geben. Ein Heiler ist unterwegs."

Fara traten die Tränen in die Augen, doch sie verstand Randulf. Nur etwas zu viel von den Samen und sie würde nie wieder erwachen!

Sie spürte, wie Randulf ihr Kleid vorsichtig mit einem Messer am Rücken auf schnitt.

„Verdammt! Wie kann man einem Menschen so etwas nur antun?", fluchte er.

In dem Moment kam Ylvie herein. Ein leiser Schrei entfuhr ihr, doch sie fasste sich rasch.

„Geh zur Seite, Randulf. Besorge mir heißes Wasser, Tücher und schick nach Bente. Sie weiß, wo die Kräuter und Salben sind, die wir brauchen."

Randulf schnitt unbeirrt weiter.

"Glaubst du wirklich, ich lasse sie ab jetzt einen Augenblick alleine, Mädchen?"

Fara sah, wie Ylvie ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter legte.

"Es war nicht deine Schuld, Randulf. Ich habe das fehlende Fleisch entdeckt. Wenn es Susanna war, dann hat sie es nicht besonders geschickt angestellt. Ich habe mich schon gewundert, warum die Hunde nichts mehr gefressen haben. Das ganze Fleisch war bei ihnen."

Randulf knurrte.

"Ich bringe sie um, Ylvie. Wenn es Egil wegen seiner verdammten Ehre nicht tut, dann mache ich es."

Sie küsste ihn leicht auf das Haar.

"Richtig, mein Herz. Das ist dein Recht. Aber nun mache, was ich dir gesagt habe. Ich möchte den Stoff entfernen. Sie wird noch mehr Schmerzen haben und ich kenne dich gut genug, dass ich weiß, dass du das nicht aushältst. Wenn wir mit allem fertig sind, darfst du gerne wieder an ihre Seiter bleiben."

Er knurrte noch einmal und sie strich ihm das Haar glatt.

"Geh, mein Herz. Ich passe auf sie auf!"

Dieses Mal ging Randulf freiwillig.

Ylvie machte sich gleich ans Werk. Sie steckte Fara ein Stück Holz in den Mund.

„Beiße darauf. Es wird wehtun, wenn ich das Kleid entferne."

Fara nickte und nahm das Holz in den Mund. Sie wusste es aus eigener Erfahrung, dass sie jetzt Schmerzen erfahren würde. Nur zu oft hatte sie es bei Bodobert erlebt.

Ylvie wusch sich die Hände gründlich an der Waschschüssel und Fara war froh, dass sie immer darauf bestanden hatte. Offenbar hatten ihre Predigten Früchte getragen.

Als Ylvie ans Werk ging, dauerte es nicht lange, bis Fara vor Schmerzen aufschrie. Danach fiel sie wieder in eine Ohnmacht.



Egil ritt, als ob alle Dämonen der Hel hinter ihm her wären. Er konnte nur hoffen, dass er nicht zu spät kam. Nachdem er mir Gunnar gesprochen und erfahren hatte, dass Randulf reingelegt worden war, verlor er keine Zeit. Er bat seinen Vater ihn bei dem Thing zu vertreten. Magnus war sofort aufgesprungen und wollte ihn begleiten, doch Egil war schneller ohne ihn. Auch auf die anderen Männer hatte er verzichtet.

Wenn er schnell ritt, würde er in vier Tagen auf seinem Gut sein. Jetzt war schon ein Tag vergangen und er hatte noch niemand gesehen, der ihm entgegen geritten war. Er wertete dies als gutes Zeichen.

Gunnars Gut tauchte vor ihm auf. Egil beschloss, hin zu reiten und Zulu eine Rast zu gönnen. Vielleicht war Vara gewillt, ihm ein anderes Pferd zu leihen, damit er keine Zeit verlor. Schon von weitem hatte man ihn erkannt und das Tor geöffnet. Ohne Zulu zu zügeln, ritt er hindurch und kam erst vor dem Langhaus zum stehen. Er stieg ab, reichte einem Sklaven die Zügel und ging Vara entgegen, die aus dem Langhaus gekommen war.

„Egil! Den Göttern sei Dank, dass Jannis dich erreicht hat!"

Sie umarmte ihn kurz, doch sie merkte sofort seine Anspannung.

„Jannis ist mir nicht begegnet!"

Vara sah ihn entsetzt an.

„Du weißt es nicht?"

Egil schloss die Augen. Es war also doch geschehen. Gunnar hatte recht gehabt.

Vara sah ihn ernst an und führte ihn ins Langhaus. Er setzte sich auf die erste Bank und nahm dankbar einen Becher Met entgegen. Er nahm einen Schluck, dann sah er Vara an.

„Was ist passiert?"

Vara setzte sich ihm gegenüber.

„Genaues weiß ich nicht, aber eure Heilerin wurde schwer verletzt. Gestern kamen Heimir und Jannis zu uns. Jannis ritt gleich weiter, weil er dich erreichen wollte. Heimir bat um unseren Heiler, der sofort mit ihm geritten war. So, wie sie sagten, war es Susanna!"

Sie seufzte leicht, dann verlangte sie nach einem Trinkhorn für Egil, dass ihm auch gleich gereicht wurde.

„Egil, ich sehe, wie es dich beschäftigt. Sie ist dein Weib, oder?"

Egil nickte.

„Noch nicht, aber..."

Sie hob die Hand.

„Du brauchst mir nichts zu erklären."

Sie sah ihn ernst an.

„Du willst gleich weiter, habe ich recht?"

Er nickte nur. Die Gedanken rauschten durch seinen Kopf. Er konnte im Moment nicht klar denken. Fara war verletzt und es war seine Schuld. Gunnar hatte recht gehabt. Er hätte bei ihr bleiben sollen.

Ruhelos fuhr er sich mit seiner gespreizten Hand durch die Haare.

„Egil! Hör mir zu!"

Vara wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihn angesprochen hatte.

„Ich bin mir sicher, dass meine Mutter damit etwas zu tun hatte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Sklavin so dumm ist, die Frau ihres Herrn anzugreifen!"

Er nickte.

„Das glaube ich auch nicht. Aber wie soll ich es beweisen?"

Vara winkte einer Frau zu und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

„Ich werde dich begleiten! Gunnar kann nachkommen! Aber es muss Schluss sein! Außerdem werde ich nach Raik und Tesla schicken lassen. Wenn Mutter wirklich damit etwas zu tun hat, sollten wir es als erstes erfahren!", verkündete sie.

Egil schüttelte den Kopf.

„Ich bin schneller ohne dich!"

Sie verzog arrogant das Gesicht.

„Bilde dir da mal nicht zu viel ein. Wer war früher der bessere Reiter, mh? Außerdem habe ich von Gunnar zwei neue Pferde bekommen. Klein, aber viel schneller als dein Riese. Du kannst froh sein, wenn du mir hinter her kommst! Außerdem sind wir schneller bei dir zu Hause, wenn du mein Angebot annimmst!"

Sie stand auf und klatschte in die Hände. Ruhig gab sie ihre Anweisungen, die auch sofort ausgeführt wurden.

Egil bewunderte, was für eine starke Frau sie geworden war. Er erinnerte sich noch an die Schwestern, die verzweifelt versucht hatten, die Liebe ihrer Mutter zu gewinnen, aber immer wieder abgewiesen wurden. Erst durch seine Mutter erfuhren sie die Liebe, die Kindern zustand.

„Auf geht es, Vetter!"

Auf dem Hof standen zwei Pferde.

„Du willst mich verarschen, oder?"

Egil sah sie sich genau an. Ihr Rist ging ihm gerade mal an die Schulter. Er bezweifelte, dass diese kleinen Viecher schneller sein sollten, als Zulu.

Vara saß auf und grinste ihn an.

„Ich warne dich! Beleidige meine Araber nicht! Sie sind zäher als sie aussehen!"

Egil war nicht zum Grinsen zumute. Unsicher stieg er auf das Pferd. Zähes kleines Vieh, dachte er bei sich. Es trug sein Gewicht ohne größere Probleme, aber es tänzelte nervös, als ob es nicht erwarten könnte, dass er endlich das Zeichen zum Galopp gab.

„Lass es ruhig angehen und folge mir einfach. Ich habe dir den ruhigeren Hengst geben." rief Vara und trabte an. Erst als sie zum Tor hinaus kamen, gab sie ihren Hengst auf einmal die Sporen. Sofort bekam sie eine Geschwindigkeit, die er nie für möglich gehalten hatte. Auch er ließ seinem Hengst nun freien Lauf. Wenn es so weiter ging, würden sie schneller ankommen, als er gedacht hatte.



Fara erwachte langsam aus ihrem Dämmerzustand. Sie wusste nicht, wie lange sie schon in diesem Zustand war. Sie erinnerte sich an einen Mann, der ihr endlich Mohnsamen gegeben hatte. Dann verschwamm alles.

Nun lag sie auf dem Bauch. Ihr Arm war ordentlich geschient.

Leise stöhnte sie.

„Ruhig, Mädchen!"

Derselbe Mann, an den sie sich erinnerte kam langsam auf sie zu.

„Corwin?"

Er lächelte leicht.

„Nein. Aber ich kannte Corwin. Mein Name ist Usmar!"

Müde schloss Fara wieder die Augen. Sie spürte, wie Usmar das Leinen, dass er auf den Rücken gelegt hatte, hochhob und die Wunden betrachtete. Dann strich er ihr eine Salbe auf die Wunden, die sie an Wacholder erinnerte.

„Egil?"

Der Mann lächelte.

„Dein Mann ist schon unterwegs. Schlaf, Mädchen. Ich sorge dafür, dass du wieder gesund wirst!"

Den letzten Satz bekam Fara schon nicht mehr mit. Sie schlief ein.


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