14. Kapitel

„Es wird Zeit, Egil!"

Magnus saß auf seinem Pferd und schaute seinen Sohn missbilligend an. 

Seit er in Faras Behandlung war, ging es ihm von Tag zu Tag besser. Und nun ging es ihm so gut, dass er beschlossen hatte mit zum Thing zu reiten. Egil wusste nicht, wie es Fara angestellt hatte, aber sein Vater wirkte wieder wie ein Mann und nicht wie ein tattriger Greis. Seine Schmerzen kamen und gingen, aber es war nicht mehr so schlimm wie noch vor ein paar Wochen. Natürlich hatte Marit gegen die Behandlung gewettert, aber nach einer harschen Zurückweisung war sie wieder verstummt.

Egil sah seinen Bruder noch einmal scharf an.

„Du weißt, was du zu tun hast, Randulf!"

Sein Bruder nickte und seufzte.

„Ich werde auf sie Acht geben, Bruder! Jetzt verschwinde schon!"

Auch das Verhältnis zu Randulf war besser geworden. Seit Randulf ihm erklärt hatte, dass er auf keinen Fall mit Fara anbändeln wollte, war Egil beruhigter. Keiner machte Fara mehr Avancen, seit sie sich wieder öfters zusammen beim Essen blicken ließen. Irgendwie schien jeder zu merken, zu wem Fara gehörte. Nur ihm selbst war das noch nicht so klar geworden.

Die Kinder sprangen um ihn herum, doch von Fara war keine Spur zu sehen. Das enttäuschte Egil etwas, aber er wusste auch, dass Heimirs Frau mit dem nächsten Kind in den Wehen lag. Wahrscheinlich war sie im alten Badehaus und half ihr. Das war natürlich wichtiger, als eine Verabschiedung. Neidisch beobachtete er die anderen Männer, die von ihren Frauen verabschiedet wurden. Bisher hatte ihn das noch nie gestört, aber nun fehlte es ihm.

Er strich den Kindern noch einmal über die Haare, versprach ihnen so bald wie möglich zurück zu sein und stieg auf. Er nickte den Männern, die zu Hause blieben, zu und trieb Zulu in den leichten Trab.

Sie waren kaum am Tor angekommen, als Egil sah, wie Fara angerannt kam. Sie trug den Kittel, den sie immer bei Geburten zu tragen pflegte. Sie war verschwitzt und ihre Haare waren zersaust. Egil lächelte leicht. Er trieb Zulu noch etwas mehr an, beugte sich leicht vor und hob sie vor sich in den Sattel.

Ihre Wangen waren gerötet und ihr Atem ging schneller vom Rennen.

„Ich habe schon gedacht, dir sei es egal, dass ich weg gehe!", flüsterte er ihr ins Ohr.

Sie kicherte leicht.

„Soll ich dir die Möglichkeit nehmen, dass du mir zum zigsten mal einschärfst, was ich zu tun habe? Und außerdem weiß ich genau, dass du mich mit Vorwürfen überhäufst, wenn ich nicht gekommen wäre!"

Egil lenkte sein Pferd hinter ein Haus, nachdem er seinem Vater mit einem Kopfnicken gezeigt hatte, dass sie schon vorreiten sollten. Dieser verdrehte nur gespielt streng die Augen.

Kaum waren sie allein, küsste er sie leicht auf den Mund.

„Du hältst dich dran, habe ich Recht? Gehe Marit aus dem Weg. Auch wenn sie die letzten Wochen ruhig war, ich traue ihr nicht!"

Sie seufzte leicht.

„Egil! Wie oft muss ich es dir noch versprechen? Ich werde bei mir zu Hause bleiben. Randulf wird ein Auge auf mich haben! Die Kinder werden Astrid und Ragnar in ein paar Tagen zu seinen Eltern begleiten und dort so lange sein, bis du wieder hier bist! Es wird ihnen nichts geschehen. Und mir auch nicht."

Sie küsste ihn leicht auf die Wange.

„Du hast an alles gedacht, Egil! Mach dir keine Sorgen!"

Er wünschte, er könnte das so einfach, aber er hatte dieses ungute Gefühl. Er sah noch einmal zurück zum Langhaus. Sein Zuhause und er waren nicht einmal fähig, es für seine Frau zu sichern!

Erschreckt hob er den Kopf. Seine Frau? Wo kam der Gedanke her? Langsam sah er sie an, wie sie ihn anlächelte. Bei den Göttern, er wollte dieses Lächeln immer sehen. Morgens, mittags und abends. Er wollte sie sehen! Seine Gefühle überschwemmten ihn mit aller Macht.

Vorsichtig nahm er ihr Gesicht in seine Hände und senkte den Kopf. Sie schmiegte sich an ihn und er nahm ihren Mund in seinen Besitz. Genüsslich kostete er ihre Lippen und vertiefte den Kuss. Es dauerte eine Weile, bis er von ihr ablassen wollte, doch sie hielt ihn fest und erwiderte den Kuss. Irgendwann ließ sie ihn los und sah ihn verklärt an, sagte aber nichts.

Egil lehnte seine Stirn gegen ihre.

„Mein Herz!"

Sie lächelte leicht und streichelte über seine Wange. Er räusperte sich.

„Wenn ich wieder hier bin, müssen wir dringend etwas besprechen!"

Sie lachte leise.

„Das denke ich auch! Jetzt geh schon, sonst holst du die anderen nicht mehr ein!"

Er küsste sie noch einmal und ließ sie herunter. Sie berührte leicht sein Bein, während sie zu ihm hoch schaute. Egil konnte den Blick kaum von ihr wenden, nahm sich aber irgendwann zusammen und trabte los.

Es dauerte nicht lange, bis er seine Männer eingeholt und sich an die Spitze gesetzt hatte. Sein Vater ritt neben ihm und betrachtete seinen Sohn lächelnd.

„Bist du endlich zur Vernunft gekommen?"

Egil verzog keine Miene, nickte aber.

„Wurde ja aber verdammt noch mal Zeit!"


Es wurde kalt. Fara saß nahe am Feuer und faltete die Linnen zusammen. Seit einer Woche war sie nun alleine. Ragnar und Astrid hatten sich gerne der Kinder angenommen. Es wäre ihnen noch lieber gewesen, wenn Fara sie ebenfalls begleitet hätte, doch das war nicht möglich. Durch die Kälte erkrankten die älteren Leute hier auf dem Gut und ihre Hilfe wurde gebraucht. Es wäre einfach gewissenlos gewesen, wenn sie ihnen jetzt den Rücken gekehrt hätte.

Außerdem würde Egil in ein paar Tagen wieder da sein. Das hoffte sie zumindest. Einige der Krieger, die hier zu Hause geblieben waren, erzählten ihr, dass es manchmal Wochen dauern konnte, bis der Jarl wieder zurückkehrte. Gleichzeitig versicherten sie ihr aber, dass Egil sich dieses Mal bestimmt nicht so viel Zeit lassen würde. Nun hatte er einen guten Grund so schnell wie möglich zurück zu kommen.

Fara sehnte sich nach ihm. Endlich hatte er sich wohl seine Gefühle eingestanden und war dann verschwunden. Er musste zwar zum Thing, aber Fara hatte insgeheim dieses Zusammentreffen der Jarl verflucht. Warum musste er auch so ehrenhaft sein!

Fara lächelte. Genau das liebte sie ja an ihm, schalt sie sich selbst.

Aber sobald er wieder zurück war, würde sie sich nicht dagegen sträuben seine Geliebte zu werden. Sie wusste genau, dass er ihr nicht mehr anbieten würde. Er hatte es schließlich oft genug erklärt. Aber sie war bereit dazu, schließlich war sie schon einmal verheiratet gewesen. Das musste eben reichen.

Wie sie ihm versprochen hatte, ging sie seiner Tante aus dem Weg. Sie war in den letzten drei Wochen nicht einmal im Langhaus gewesen. Was hätte sie auch das tun sollen. Ylvie und Bente hatten ihr versichert, dass ihre Anwesenheit beim Essen nicht notwendig war. Außerdem war Randulf da und er meisterte die Situation hervorragend. Auch er hatte ein Versprechen abgegeben und hielt sich eisern daran. Wenn sie aus der Hütte musste, begleitete er sie. Auch Heimir wich ihr kaum von der Seite. Da er aber nun Vater eines weiteren Sohnes war, lud er sie lieber zum Essen zu sich nach Hause ein.

„So behalte ich auch meine Frau im Auge!", pflegte er immer zu sagen.

Fara lachte bei dem Gedanken. Als ob man Jette im Auge behalten musste. Jette wurde neben Astrid und Ylvie einer ihrer Freundinnen und war eine gute Seele. Ihr ging nie ein böses Wort über die Lippen und seit sie ihren neusten Sohn hatte, strahlte sie vor Glück.

Es war alles gut und es lief ruhig. Selbst Harald wetterte nicht mehr so oft gegen Egil. Er und Bente hatten sich wohl zusammen gefunden, obwohl Harald noch kein freier Mann war. Aber mit Ragnars Hilfe würden sie im Frühjahr zusammen eine Hütte in der Nähe des Gutes beziehen. Die beiden würden Fara fehlen, aber sie gönnte ihnen das Glück. 

Es schien sowieso so zu sein, dass die Männer ruhiger wurden. Erst vor ein paar Tagen hatte Fara Randulf und Ylvie zusammen gesehen. Das wirkte doch alles sehr vertraut. Sie hoffte, dass Randulf endlich eine Frau gefunden hatte, die ihn glücklich machte, auch wenn sie nicht so eine Schönheit wie Susanna war.

Leise seufzte sie. Gerade wenn sie nun darüber nachdachte, fehlten ihr die Kinder und Egil besonders. Hoffentlich behielten die Männer Recht und er kam bald wieder zurück.

Randulf war heute Morgen zu ihr in die Hütte gekommen und hatte mit ihr gesprochen. Da alles so ruhig lief, wollte er mit einigen jungen Kriegern auf die Jagd gehen. Fara hatte ihn fragend angesehen. Egil hatte doch versichert, dass genug Vorräte vorhanden waren. Aber er schien sich verrechnet zu haben. Natürlich musste Randulf dann auf die Jagd gehen. Wenn die Vorräte an Fleisch sich dem Ende zuneigten und sie alle mehr als Fisch essen wollten, musste er auf die Jagd. Fara musste ihn aber mehrmals versprechen, dass sie die Hütte nur im äußersten Notfall verlassen würde. Er hatte genauso vehement darauf bestanden wie sein Bruder. Fara fragte sich, ob die beiden überhaupt wussten, wie ähnlich sie sich waren. Nicht vom Aussehen her, aber vom Verhalten. Man konnte erkennen, dass sie unter Fiona eine gute Erziehung genossen hatten. Beides waren ehrenhafte Männer, auch wenn sie beide einen gewissen Ruf als blutrünstige Krieger hatten.

Fara seufzte, schüttelte den Kopf um ihre Gedanken frei zu bekommen und faltete das letzte Tuch. Danach stand sie auf und verstaute alles ordentlich in die Truhe. Sie konnte nur hoffen, dass sie alles in der nächsten Zeit nicht benötigte.

Es klopfte laut an der Tür und Susanna kam aufgeregt herein.

„Heilerin!"

Sie war ganz außer Atem. Fara ging auf sie zu und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter.

„Susanna! Was ist geschehen?"

Die Frau holte ein paar mal tief Luft.

„Einer der Jungen...kam gerade von der Jagd...er ist verletzt...blutet stark...du musst kommen!"

Ohne zu zögern nahm Fara ihren Korb, legte die Linnen hinein, die sie gerade noch zusammengelegt hatte und nahm noch einige Heilkräuter mit. Zum Schluss nahm sie noch die Mohnsamen und einige Decken unter ihren Arm.

Sie bemerkte in der Eile nicht, wie Susanna hinter ihr hämisch grinste.

Es dauerte nicht lange, bis sie alles zusammen hatte und sich zu der Sklavin umdrehte.

„Ich bin so weit. Wo ist er?"

Susanna öffnete die Tür.

„Ich bringe dich hin! Wir haben ihn in eine alte Hütte gebracht. Randulf ist schon in großer Sorge, deswegen wollte er ihn nicht bis ins Gut bringen. Aber es ist alles in dieser Hütte vorhanden!"

Einen Moment fragte sich Fara, warum Randulf sie nicht selbst geholt hatte, doch in der Eile verwarf sie den Gedanken gleich wieder. Sie folgte Susanna durch das Gut. Sie ging immer weiter weg vom Langhaus, an den hinteren Sklavenhütten vorbei und noch weiter, bis sie fast am Wald angekommen waren. Fara wusste, dass dort eine alte, fast verfallene Hütte stand. Sie bezweifelte, dass dort alles vorhanden war. Egil wollte sie abreißen lassen, weil es zu weit weg vom Gut war, doch Fara war jetzt froh, dass er es nicht getan hatte, auch wenn sie bezweifelte, dass sie dort alles finden würde, was sie benötigte. Aber für den Anfang würde die Hütte ausreichen.

Susanna blieb vor der Tür stehen und öffnete sie.

„Hier herein. Er liegt auf dem Boden!"

Fara nickte und ging entschlossen hinein.

„Kannst du mir Holz besorgen? Ich bin mir nicht sicher, wie lange ich ihn..."

Abrupt blieb sie stehen, als sie sah, wer wirklich in der Hütte war.

Marit stand vor ihr und grinste sie irre an.

„Jetzt bekommt das Mischbalg, was er verdient hat! Ich denke, das wird ihn mehr schmerzen, als wenn man an ihn Hand anlegt!"

Sie nickte und Fara spürte einen harten Schlag auf ihren Hinterkopf. Sofort schwanden ihr die Sinne. Sie spürte nicht einmal mehr, wie sie auf den Boden aufschlug.


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