13. Kapitel
Norien saß auf Faras Schoß und weinte bitterlich. Fara versuchte sie zu trösten. Durch Fenno und Godric hatte sie erfahren, was im Langhaus passiert war. Godric hob schon eine Kompresse an die Wange, die sie ihm gegeben hatte. Sie konnte nicht fassen, dass eine Frau so böse sein konnte und ihre Wut an kleinen Kindern ausließ.
Die Tür ging auf und Egil kam herein. Fara sah an seinem Gesicht, dass auch er erschüttert war. Er setzte sich auf einen Schemel und zog Godric zu sich. Vorsichtig hob er die Kompresse an und betrachtete die Wange. Zärtlich fuhr er Godric mit einem Finger über die andere unversehrte Wange.
„Es war nicht recht, was sie getan hat. Ich entschuldige mich für ihr Verhalten."
Godric nickte.
„Ich in dir nicht böse oder deinem Vater! Du hast es nicht getan!"
Egil nickte.
„Aber es ist meine Tante. Ich hätte ihr schon früher beibringen sollen, was Respekt ist! Ich bin kein guter Lehrmeister!"
Godric senkte seinen Blick.
„Das stimmt nicht! Ich lerne viel von dir! Muss ich heute Abend ins Langhaus?"
Egil nickte.
„Du willst ihr doch zeigen, dass du über ihr stehst! Du wirst heute Abend bei meinen Vater sitzen und damit zeigen, dass du es wert bist, sein Enkel zu sein!"
Man sah dem Jungen an, dass er nicht ganz den Sinn darin verstand, aber er würde Egil gehorchen!
„Geh zu Harald! Meine Hündin hat Junge geworfen. Ich werde dir einen schenken, damit du ihn zur Jagd ausbilden kannst!"
Fara schauerte bei dem Gedanken. Sie kannte die Hündin, von der Egil gesprochen hatte. Es war ein riesiges Vieh, das oben drein noch hässlich war. Aber sie war eine exzellente Jagd- und Wachhündin. Wenn es die Kinder glücklich machte, würde sie es in Kauf nehmen.
Wie sie befürchtet hatte, jubelten die Kinder los. Fenno führte die zwei nach draußen.
Es war auf einmal sehr still in der Hütte. Egil beugte sich über den Tisch und legte seinen Kopf auf die Hände.
„Ich sollte sie davon jagen!", murmelte er.
„Warum tust du es nicht? Ist es schlimm, wenn du es nicht tust?"
Er sah nur kurz auf.
„Schlimmer! Es ist meine verdammte Ehre, die mich daran hindert. Niemand will sie. Meine Mutter wusste das schon und obwohl Marit sie immer wieder beleidigte, nahm sie das Weib auf. Die Familienehre ging ihr über alles und ich bin leider aus demselben Holz geschnitzt. Ich hätte ein schlechtes Gewissen."
Fara stand auf, holte zwei Becher und füllte sie mit Apfelwein, den sie von Heimir bekommen hatte. Schweigend reichte sie ihm einen Becher.
Er sah den Becher misstrauisch an.
„Apfelsaft?"
Sie lachte leise.
„Apfelwein! Trink ein paar Becher davon und morgen wirst du meinen, dein Schädel würde zerbersten! Aber du kannst es jetzt gut gebrauchen!"
Langsam trank Egil den Becher leer. Fara füllte sofort nach.
„Willst du mich trunken machen, kleine Walküre?"
Sie setzte sich wieder zu ihm an den Tisch.
„Das ist der letzte Becher, den du heute bekommst! Ich habe dich noch nie so gesehen. Was nagt noch an dir?"
Egil starrte sie an.
„Wie kommst du darauf, dass noch etwas an mir nagt?"
Sie hob eine Augenbraue.
„Du wärst sonst nicht mehr hier!"
Er trank einen Schluck.
„Du hast Recht. Ich befürchte, dass es heute noch nicht alles war! Leider steht das Thing an. Ich bin für einige Wochen weg." Er schüttelte den Kopf. „Ich ahne schlimmes!"
Fara trank nun selbst, antwortete ihm aber nicht. Was sollte sie auch dazu sagen? Sie kannte diese Frau nicht einmal. Sie merkte, dass er sich in seine Wut hereinsteigerte. Doch sie blieb still.
„Verdammt! Ich bin der Jarl! Man sollte mich nicht so zum Narren halten!"
Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass sie schon befürchtete, er würde zusammenbrechen.
Egil stand auf und lief im Haus umher. Fara trank schweigend einen weiteren Schluck.
„Sie beleidigt meine Mutter, wo sie nur kann. Sie stellt meine Stellung als Jarl in Frage. Kaum war sie da, beschwerte sie sich schon über den Dreck, der angeblich hier herrschte. In meiner Halle! Du weißt selbst, dass ich höchsten Wert auf Sauberkeit lege! Sie provoziert mich, stellt mich als Mischbalg hin. Verdammt! Wäre sie ein Mann, hätte ich sie schon längst das Fürchten gelehrt!"
Er redete sich immer mehr in Rage. Die Ader an seinem Hals schwoll bedenklich an. Er schlug gegen die Wand, dass diese erzitterte.
„Hast du nichts dazu zu sagen?"
„Lass meine Hütte ganz! Ich habe sie noch nicht so lange!"
Er hielt überrascht inne, dann fing er an zu lachen.
„Du überrascht mich! Noch nie hat es jemand geschafft, mich in so meiner Rage zum Lachen zu bringen!"
Fröhlich setzte er sich wieder hin, nahm den letzten Schluck Apfelwein und knallte den Becher danach auf die Tischplatte. Sie knirschte wieder etwas und Fara schnaubte unwillig.
„Keine Angst. Den Tisch hat mein Bruder gefertigt. Ich kenne seine Arbeit. Der Tisch hält etwas aus."
Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf den Mund. Dann sah er sie ernst an.
„Versprich mir eines, Fara. Während ich weg bin, musst du dich von meiner Tante fernhalten!"
Sie nickte etwas benommen.
„Ich bleibe einfach hier! Ich muss nicht ins Langhaus!"
Er streichelte ihr über die Wange.
„Ich wäre beruhigt, wenn ich dich in Sicherheit wüsste. Wenn der verdammte Thing nicht wäre..."
Sie legte ihre Hand über seine, die immer noch auf ihrer Wange lag.
„Mach dir keine Sorgen! Ich werde mich von ihr fernhalten und die Kinder werden das gleiche machen!"
Er nickte ihr zu und entfernte langsam die Hand.
„Heute Abend werde ich mich wieder zur Familie setzen. Wirst du bei mir sein?"
Es war eine einfache Frage, doch sie merkte, dass ihm die Antwort wichtig war.
„Ich werde bei dir sein, Egil!"
Marit saß unterhalb des Podestes. Sie wusste ganz genau, dass sie heute den Bogen mehr als überspannt hatte. Dieses Mischbalg, das sich Jarl nennen durfte, würde ihr gefährlich werden, wenn sie nicht aufpasste. Sie musste versuchen, sich wieder mit ihm gut zu stellen, denn wenn er seine Drohung wahr machte, hätte sie niemand zu dem sie gehen konnte. Es war ein offenes Geheimnis das ihre zwei Töchter sie nur zu Besuch duldeten, sie aber auf keinen Fall bei sich haben wollten. Was sollte sie auch bei denen?
Ulfric war nicht einmal im Stande gewesen, ihr einen Sohn zu zeugen. Elender Schlappschwanz!
Ulfric war in jungen Jahren der begehrteste Mann gewesen. Natürlich kurz nach ihrem Bruder, der schließlich Jarl werden sollte. Doch Ulfric hatte schon seit Kindheitstagen nur Augen für Alva, die Tochter des Schmieds gehabt. Und Alva hatte seine Gefühle erwidert. Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, dass die beiden heirateten. Das musste Marit natürlich verhindern. Mit einem Trick hatte sie ihren Vater dazu gebracht ihr Ulfric zum Mann zu geben. Alva hatte sich einen Tag nach der Hochzeit selbst im Fjord ertränkt. Ulfric hatte das Marit nie verziehen.
Nicht einmal das Lager hatte er freiwillig mit ihr geteilt, auch wenn sie ihn noch so gelockt hatte. Bei den zweimal, an denen sie es geschafft hatte, war er so besoffen gewesen, dass er nicht mehr hatte klar denken können. Er hatte ihr sogar Alvas Namen ins Ohr geflüstert.
Wie sie ihn in dem Moment gehasst hatte.
Wenigstens war sie immer schwanger geworden, allerdings nur mit Mädchen. In ihren Augen waren die Mädchen nichts wert, deswegen hatte sie sich nicht mit ihnen abgegeben. Die Erziehung hatte ihre Mutter und später Magnus Hexe übernommen.
Ulfric war irgendwann nicht mehr von einer Kaperfahrt zurückgekehrt. Die Männer flüsterten hinter ihrem Rücken, dass er sich, genau wie Alva, freiwillig das Leben genommen hatte. Marit war es recht gewesen. Sie hatte sich mit ihm gelangweilt und wollte etwas Neues. Einen richtigen Mann. Doch leider hatte sich kein Mann mehr für sie interessiert.
Auch wenn sie Magnus Frau gehasst hatte, so hatte Fiona sie nach Ulfrics Tod nicht einfach im Stich gelassen. Nachdem die Mädchen verheiratet gewesen und zu ihren Männern gezogen waren, hatte Marit natürlich versucht bei ihnen unter zu kommen. Es waren nie mehr als drei Tage vergangen, bevor sie es sich mit ihren Schwiegersöhnen verscherzt hatte. Sie kehrte immer wieder zu ihrem Bruder zurück, der sie am liebsten nicht mehr eingelassen hätte. Doch Fiona hatte ihn überreden können. Sie sorgte sogar dafür, dass Marit so lange bleiben durfte, bis sie sich wieder verheiratete. Was nie geschah!
So musste sie Jahre zusehen, wie diese Hexe immer mehr die Stellung einnahm, die Marits Meinung eigentlich ihr zustand. Als Fionas erstes Kind ein Mädchen gewesen war, hatte Marit jubiliert. Sie war sich sicher, dass Magnus sie deswegen verstoßen würde. Schließlich brauchte er einen Erben. Doch nichts dergleichen geschah. Zwei Jahre später wurde Egil geboren. Sie hatte den kleinen Scheißer von Anfang an gehasst und hatte gehofft, dass er ein kränklicher Junge werden würde. Doch leider hatte er sich zu einem starken Krieger entwickelt.
Nach Fionas Tod war Magnus so in Trauer um sie gewesen, dass er Egil vorzeitig zum Jarl ernannt hatte. Das war Marits Glück gewesen, denn sie war sich sicher, dass Magnus sie nicht einen Tag länger um sich geduldet hätte, wäre er aus seiner Trauer herausgekommen. Egil hatte jedoch den Familiensinn seiner Mutter geerbt, wenn auch sonst nichts anderes. Er war Magnus wie aus dem Gesicht geschnitten. Auch wenn sie etwas anderes behauptete, Egil war ein Wikinger durch und durch!
Leise schnaubte sie.
Sie hatte wenigstens etwas Macht inne gehabt, denn Egil ließ sie meist gewähren. Doch das hatte sich nun geändert. Er war ihr gegenüber aufsässig und gemein. Marit konnte das nicht verstehen. Noch nie hatte er Hand an sie gelegt, doch heute hatte sie in seinen Augen Hass gesehen. Und den Willen, sie umzubringen, wenn sie nicht sofort verschwunden wäre. Das kannte sie nicht von ihm. Das musste an dem Weib liegen, dass er mit gebracht hatte.
Verstohlen blickte sie nach oben zur Familie. Es wurde gegessen und gescherzt, als ob der Vorfall mittags überhaupt nicht geschehen wäre. Selbst Magnus schien weniger Schmerzen zu haben. Der sächsische Bastard saß neben ihm und die Göre sogar auf seinen Schoß. Sie durfte sogar von seinem Brett essen. Neben Egil saß eine schwarzhaarige Schönheit. Das musste die Heilerin sein. Marit stutzte. Das war auf keinen Fall eine Sächsin. Sie beobachtete, wie Egil sich mit ihr unterhielt. Sein Blick war anders als sonst. Zärtlich und liebevoll. Hatte sich der verdammte Bengel etwa in diese Frau verliebt? Marit schauderte es. Bisher hatte er keine Frau näher an sich heran gelassen und auch Marit hatte von seinem angeblichen Schwur gehört, dass er sich nie ein Eheweib nehmen würde. Das sah jetzt nicht so aus.
Ihr Blick ging weiter und sie sah direkt in die Augen von Randulf. Er hatte sie beobachtet. Seine Miene verriet aber nichts. Sie musste sich regelrecht zwingen, den Blick zu senken. Dieser Mistkerl hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie wusste genau, dass er Egil ergeben war und sie nicht ausstehen konnte. Dafür hatte sie ihn zu oft beschimpft und geschlagen, als er noch ein kleiner Junge war. Ihm würde nichts entgehen, da war sie sicher.
Schnell widmete sie sich wieder ihrem Essen, bis sie Susanna sah. Seit wann bediente sie nicht Egil, sondern musste den niederen Männern das Essen bringen? Marit beobachtete sie eine ganze Weile. Susannas Blick ging immer wieder zum Podest. Er war hasserfüllt.
Marit lächelte leicht. Susanna war Egils Geliebte gewesen. Das sollte doch zu etwas Nutze sein. Außerdem hatte sie den Zwist nicht mitbekommen, da sie Dienst im Badehaus gehabt hatte.
Marit winkte die Frau zu sich.
„Wer ist die Frau neben Egil? Ich habe sie noch nie gesehen."
Susanna spuckte verächtlich aus.
„Das ist die Heilerin. Egil hatte sie erst als Sklavin mitgenommen, doch er hat es sich anders überlegt! Jetzt spielt sie die große Dame!"
Marit lächelte böse. Das waren doch einmal gute Neuigkeiten. Sie würde sie nutzen können und war sich sicher, dass Susanna ihr helfen würde. Die Sklavin hasste die Frau.
Marit entließ Susanna mit einem Wink und lehnte sich zufrieden zurück. Bald war der Thing. Sie hatte dann alle Zeit der Welt um sich an Egil zu rächen.
Sie beobachtete Egil, wie er der Frau zärtlich über die Wange strich und sie den Blick senkte.
Ja, ihre Rache würde süß sein!
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