Part VI - Traum-A

. . .

Niklas schlägt die Augen auf. Er sieht sich um, es dauert nicht lange, bis er erkennt, wo er sich befindet. „Nein!" Er schüttelt den Kopf. „Nein, ich will das nicht. Nicht das hier!"

Was ist los?"

Hier ist es passiert! Ich will das nicht nochmal erleben!" Er hält sich die Hand vors Gesicht, als könnte sie ihn vor der Welt und dem Schmerz schützen, der in seiner Seele wütet. Tränen rinnen unaufhörlich die Wangen hinunter, als wollten sie die Trauer, die ihn erdrückt, in einem stummen Bekenntnis nach außen tragen. Die Luft um ihn herum scheint zu stagnieren, jede Sekunde dehnt sich ins Unendliche. In seinem Inneren tobt ein Sturm aus Erinnerungen und verloren geglaubten Hoffnungen, während er vergeblich versucht, die brennende Trauer zu zähmen, die in ihm lodert. Die Hand vor seinem Gesicht wird zur Mauer, die ihn von der Welt trennt, aber die Tränen, die durch seine Finger gleiten, verraten die zerbrochene Geschichte, die er nicht mehr ertragen kann.

. . .

Er schiebt seine Schwester im Rollstuhl sanft die Straße entlang und hat sich ein neues Abenteuer ausgedacht: ein Ausflug in ein zauberhaftes Café an der Straßenecke. Dieses besondere Café ist wahrlich magisch. Als er zum ersten Mal hier war, wusste er sofort, dass Cya unbedingt mitkommen muss. 

Das Café befindet sich in einem charmanten Altbau mit hohen Decken und großen Fenstern, die von schweren, samtigen Vorhängen geschmückt werden. Die Einrichtung strahlt einen klassischen, rustikalen Charme aus. Massive Kirschbaumtische in warmen rotbraunen Tönen und bequeme Stühle laden zum Verweilen ein. Auf den Tischen stehen beeindruckende, goldene Kerzenständer, die das Licht in eine behagliche Atmosphäre tauchen. Überall in dem Raum sind Bücher verstreut – sicher Hunderte – die darauf warten, bei einer Tasse Kaffee oder einem köstlichen Kakao durchstöbert zu werden. Die gesamte Szenerie erinnert an eine alte Bibliothek, die von Magiern eingerichtet wurde. Jedes Detail scheint Geschichten zu erzählen und lädt dazu ein, in die faszinierende Welt der Magie einzutauchen.

Doch das ist nicht alles, sie haben inzwischen einen kleinen Fahrstuhl eingebaut, der bis in den dritten Stock fährt. Dort oben ist es traumhaft, man steht auf dem Dach, zwischen zwei höheren Gebäuden. Sie haben zwischen den Häusern, in circa drei Metern Höhe, ein Gitter gespannt. Dieses ist inzwischen zugewachsen, alles ist grün und blüht vor sich hin. Sogar in den Ecken und an den Geländern haben sie alles bepflanzt, es sieht dort aus wie im Paradies, einfach unglaublich. Alles leuchtet grün im Sonnenlicht, die Blüten wiegen sich im Wind, dass man nicht weiß, wohin man zuerst sehen soll; während man seinen Kaffee, Tee oder Kakao trinkt.

Das Café hat zwar einen kleinen Nachteil: Es befindet sich in der Altstadt, in der die Straßen eng und das Kopfsteinpflaster holprig ist. Doch das wird sie nicht aufhalten. Auch der schmale Eingang in der Gebäudeecke und die steile Treppe werden sie meistern.

. . .

So war der Plan, doch es sollte anders kommen.

. . .

Ich bin sicher, dass es einen Grund hat, warum du hier bist!"

Doch er schüttelt nur den Kopf, kann dem nicht entfliehen. Die Erinnerung läuft vor seinem geistigen Auge ab, doch sie schreitet erbarmungslos voran. „Ich weiß, was hier gleich passiert, ich will das nicht sehen! Ich will das nie wieder sehen!"

Vielleicht ist das der nächste Schritt der Verarbeitung, nur diesmal bin ich bei dir!"

. . .

Alles läuft vor seinem geistigen Auge ab, es wirkt wie ein Film, doch das Ende kann er nicht beeinflussen. Er schiebt den Rollstuhl über den Bürgersteig, seine Schwester fragt nur: „Was hast du denn jetzt vorbereitet und wo geht es hin?" Doch er lacht nur und sagt, dass sie sich überraschen lassen soll. Kurz bevor sie das Café erreichen, heult ein Motor auf. Aufgeschreckt dreht er sich um, doch es ist nichts zu sehen. Ein Gefühl von Panik, Angst und Hilflosigkeit breitet sich in ihm aus. „Ist alles in Ordnung?", fragt Cya sie bemerkt das natürlich. Er ist sonst nie so still. „Ja, alles gut!"

. . .

Ich sage ja, mach dir nicht immer zu viele Sorgen um andere." 

Deine Familie ist auch für dich da."

. . .

Nikas' Herz schlägt schneller, als er das Grellen des Motors vernimmt. Ein drängendes Gefühl der Panik durchzuckt ihn, während er mit Cya, die sich sicher in ihrem Rollstuhl zurücklehnt, die erste Stufe erklimmt. Der Moment, in dem sie das eiserne Geländer erreichen, scheint sich zu dehnen, während das Geräusch des herannahenden Wagens lauter wird.

Er wendet den Kopf und sieht den Wagen, der mit schrecklicher Geschwindigkeit auf sie zurast, das grelle Licht der Scheinwerfer blitzt wie ein Vorbote des Unheils. Gedanken wirbeln durch seinen Kopf - es gibt kein Entkommen, kein Ausweichen. Cya spürt, dass etwas nicht stimmt.

Nikas, was ist los?" fragt sie, ihre Stimme ist ein wenig beunruhigt. Doch er kann nicht antworten. In diesem Augenblick scheint die Zeit stillzustehen. Sein Körper schaltet auf Reflex, seine Hände krallen sich fester am Rollstuhl fest, seine Muskeln angespannt wie Stahl.

Der Wagen nähert sich, dröhnt wie ein wildgewordenes Tier. Nikas' Gedanken rasen mit der Geschwindigkeit des Fahrzeugs: Wie kann er Cya schützen? Was bleibt ihm noch zu tun? Ein verzweifelter Plan formt sich in seinem Kopf, während er die Stufen der Furcht und der Entschlossenheit hinaufsteigt.

Er drückt sich an Cya, den Blick weiterhin auf den herannahenden Wagen gerichtet, bereit, alles zu tun, was notwendig ist, um sie zu retten. Der Motor schreit, die Welt um sie herum verschwimmt – und in diesem entscheidenden Moment, der alles verändern könnte, findet er den Mut, der tief in ihm schlummerte.

. . .

Die ganzen Erinnerungen, von damals, kommen wieder hoch; nach und nach erscheinen die Bilder, wie lebendige Schatten vor seinem Auge. Er sieht das Auto von damals wieder auf sie zufahren, während sie im Vorgarten spielen und den Blick seiner Schwester. Er steht hilflos daneben und muss alles mit ansehen. 

Was, wenn das hier wieder passiert, nein, das darf nicht passieren, er muss das verhindern.

. . .

Der Wagen heizt die Straße entlang und setzt den Blinker. Er will genau am Café vorbei, aber er ist viel zu schnell. Er muss reagieren, seine Schwester, er muss sie in Sicherheit bringen. In Sekundenbruchteilen lässt er den Rollstuhl die Stufe runter und will sie hinter die Häuserecke schieben. Doch das Motorengeräusch wird immer lauter, ihm steigt der Schweiß auf die Stirn, sein ganzer Körper beginnt zu zittern, Panik bricht in ihm aus und ihm wird eiskalt. Er beginnt zu schwanken, alles verschwimmt, wie ein Nebel, der sich vor seinen Augen ausbreitet. Doch der Nebel wird immer dichter und dunkler, bis er nahezu komplett schwarz wird. Dann wird alles kalt, leer und still. Unendliche Stille, grausam und eine gefühlte Ewigkeit.

Er schließt seine tränenden Augen. Eine Leere füllt ihn aus, nichts ist noch von Bedeutung.

. . .

Doch die Stille wird plötzlich unterbrochen.

. . .

Nun hör aber auf. Sherlock, du hast es fast geschafft."

Erschrocken öffnet er die Augen und sieht in den blauen Himmel. „Was, wo bin ich?" Er hält sich den Kopf, unsägliche Kopfschmerzen zermartern sein Hirn.

Du stehst vor der Himmelstür und ich bin Amor, der die den Weg zu deinen Lieben zeigt!"

Er liegt auf kaltem, hartem Boden und steht auf. Als er sich umsieht, weiß er, wo er ist; der Freizeitpark. „Was, wie, warum bin ich wieder hier? Was passiert hier?"

Du bist wieder hier im Freizeitpark!"

Das sehe ich, aber warum?" Er dreht sich um und steht hinter dem Fee-Fall Turm. Doch was ist das? Eine riesige Mauer, die scheinbar den ganzen Park umschließt, steht direkt vor seiner Nase. Doch das ist nicht alles: Er steht vor einem dunklen, hölzernen Tor, das in Metall eingefasst und beinahe vier Meter hoch ist. Er sieht es mit offenem Mund an, bis sein Blick an zwei großen Ringen inmitten der Tür haften bleibt. „W-was ist das?"

Ich denke, das ist ein Tor!"

Nikas lässt schüttelnd seinen Kopf sinken. „Das sehe ich auch, aber wie kommt es hier her, warum ist es mir nicht aufgefallen?"

Äh, weil es hinter dem Turm steht?"

Du bist ja so witzig!" Er tritt näher an das Tor heran. „Was, wenn das der Ausgang ist? Wohin wird es mich führen?"

Ich denke, das wirst du nur herausfinden, wenn du es durchschreitest!"

Aber..." Er atmet tief durch. „...was, wenn danach alles schwarz wird? Wenn dort nichts mehr kommt?" Nikas sieht zu Boden. „Was mache ich dann?"

Nun, dann können wir den Sinn des Lebens ergründen. Zeit haben wir dann zumindest genug!"

Er beißt die Zähne zusammen. „Du hast auch zu viel von Drax gesehen, oder?" Dann schüttelt er den Kopf.

Hey, die Guardians sind Kult!"

...und wenn, dann Rocket!"

Einen kleinen Moment vergisst Nikas, wo er sich befindet, und ein sanftes Lächeln umspielt seine Lippen. Doch dieses Gefühl währt nur kurz, dann tritt er entschlossen an das Tor. Er reckt seine Hand aus und greift nach einem der Ringe, doch kurz bevor er daran zieht, bleibt er abrupt stehen. „Du Stimme aus dem Nichts, ich muss zugeben..." Er atmet tief ein, seine Brust hebt und senkt sich in einem langsamen Rhythmus. Seine Hand beginnt zu zittern, als die Worte ihm schwer auf der Zunge liegen. „...ich habe Angst!"

Davor, was sich hinter dem Tor verbergen wird?"

Auch, ja!" Es sammeln sich Tränen in seinen Augenwinkeln. „Ich habe Angst davor, dass es nicht weiter geht. Dass ich meine Schwester nie wiedersehen werde, dass sie vielleicht überfahren wurde! Ich weiß nicht, ob ich das verkraften würde..." Er stößt ein leises Wimmern aus. „...hätte ich sie doch nie dahin gebracht. Ich habe sie in Gefahr gebracht, zu Hause ist sie sich..."

HALT STOP! Du hörst sofort auf damit! Sicher hat das alles seinen Grund, warum du hier fest sitzt, aber du darfst dir deswegen niemals Vorwürfe machen! DU bist es, der Cya das Lächeln zurückgebracht hat, der ihren Lebensmut ins Unermessliche steigen lässt. Du hast alles für deine Schwester getan, ihr die Schönheit des Lebens gezeigt. Durch dich hat sie ihre Beine vergessen. Du hast ihr gezeigt, dass man keine Beine braucht, um Freude, Schönheit und vor allem Liebe zu erfahren."

Nikas laufen inzwischen die Tränen die Wangen hinunter, jedoch zittert seine Hand nicht mehr.

Und jetzt öffne das verdammte Tor!"

. . .

Er sieht auf den Ring in seiner Hand und blickt auf. Nach einem tiefen durchatmen zieht er das Tor auf und geht hindurch...

. . .

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top