Kapitel 6
♠Paul♠
Heute ist hier im Foyer mal richtig wenig los. Alle tummeln sich auf den Sportplätzen herum.
Eigentlich soll mir das ja recht sein, aber so als Empfangschef nichts zu tun zu haben, weil du deine restlichen Aufgaben für heute auch schon erledigt hast, ist einfach nur langweilig.
Ich teile mir den Dienst an der Rezeption mit einer Kollegin, die den Frühdienst macht und einem Nachtportier. Letzterer macht die meisten Stunden, hat aber am wenigsten zu tun. Unsere Schichten überschneiden sich nur geringfügig für eine Übergabe. Da fast alle Buchungen, Wegbeschreibungen und Hilfsanfragen über die hauseigene App und das Smartphone laufen, sitzen die Mitarbeiter, die sich darum kümmern, in ihrem eigenen Großraumbüro. Natürlich helfen sie an Tagen mit vielen An- oder Abreisen aus und kümmern sich um Urlaubsvertretungen. Ich bin für diese Kollegen auch erster Ansprechpartner bei zu ausgefallenen Sonderwünschen, Problemen oder Beschwerden, doch selbst auf dieser Front ist im Moment totale Flaute. Mit dem meisten Kram kommen die gut eingearbeiteten Fachkräfte ganz alleine zurecht und im Moment hat sogar die Auszubildende Urlaub. Echt langweilig.
Vielleicht sollte ich wieder anfangen Bücher zu lesen. Auf meinem Handy habe ich schließlich auch eine App dafür und dort gibt es richtig gute homoerotische Bücher. Nichts mega anspruchsvolles, aber doch recht nett, um sich die Zeit zu vertreiben.
Heute ist sowieso nicht mein Tag. Beim Rasieren heute früh habe ich mich glatt geschnitten, dabei passiert mir das so gut wie nie. Dann habe ich meinen Kaffee verschüttet, als Lu ihn mir gegeben hat und zu allem Übel hat mir Nick nicht einmal auf meine Email geantwortet, die ich ihm schon vor zwei Tagen geschrieben habe.
Ich weiß er ist Soldat und beschäftigt, aber sie befinden sich nicht in einem Kriegsgebiet, also haben sie einen normalen acht bis zehn Stunden Tag. Normalerweise. Ach, ich weiß es auch nicht.
Ich dachte einfach, dass wir uns jetzt wieder öfter schreiben. Aber wer weiß was Nick denkt.
Jetzt packe ich doch mal mein Handy aus und öffne die App. In meiner Bibliothek befinden sich noch so viele Bücher, die ich noch nicht gelesen habe. Und so scroll ich durch meine Liste, auf der Suche nach was Interessantem.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie eine Gruppe Soldaten das Hotel betritt. Sie schubsen sich gegenseitig und lachen.
"Hast du gesehen, wie ich mitten ins Schwarze getroffen habe?' Captain Zanchini sind fast die Augen rausgefallen als er das gesehen hat."
Ah, sicher handelt es um die Soldaten, die zur Scharfschützenausbildung extra hergekommen sind, von der Mike erzählt hat.
Aber, was machen sie im Resort?
"Ey Nick, was ist los, kommst du jetzt?"
Bei dem Namen hebe ich meinen Kopf und schaue in die Richtung, wo ich die Soldaten vermute, als ich direkt in mir zwei bekannte, sanfte, braune Augen sehe.
Mein Herz überschlägt sich fast und meine Beine fangen an zu zittern. Dennoch laufe ich los und schmeiße mich, den Freudentränen nahe, in die ausgebreiteten Arme von Nick.
"Paul", raunt er ergriffen und stützt sein Kinn auf meinem Kopf ab, während er mir den Rücken hoch und runter streicht.
"Gott Nick, ich hab dich so vermisst."
Schon auf dem Weg zu ihm spürte ich das emotionale Chaos in mir, in das mich seine Nähe dauernd stürzt und jetzt muss ich mich schwer zusammenreißen, um nicht ungehemmt an seiner Brust zu schluchzen.
"Ich dich auch, Kumpel", sagt er, greift an meine Schulter und drückt mich ein Stück von ihm weg, um mich anzusehen. Ich zucke bei der Anrede unwillkürlich zusammen.
"Du siehst gut aus, so....erwachsen."
"Wow, wir sind ja auch erwachsen geworden", lache ich und reibe mir mit einer Hand über die Stirn, um mich zu beruhigen.
"Hey Jungs, das ist Paul. Der beste Freund meines Bruders. Wir sind zusammen aufgewachsen", ruft er seinen Kameraden zu, die lächelnd zu uns zurückkommen. Manche klopfen mir auf die Schulter, andere strecken mir zur Begrüßung die Hände entgegen.
Ernsthaft? Ich bin einfach nur ein Kumpel und der beste Freund seines Bruders? Ich weiß gerade echt nicht, was ich davon halten soll. Unbemerkt schüttel ich ganz leicht den Kopf. Darüber kann ich später noch nachdenken.
Jetzt freue ich mich einfach erstmal über seinen Besuch.
"Was macht ihr hier?", frage ich, um ein Gespräch in Gang zu bekommen.
"Oh, wir machen hier auf dem Stützpunkt in Windington eine Scharfschützenausbildung", antwortet Nick, was einen seiner Kameraden zum Lachen bringt.
"Alter, Nick, ich glaube er wollte wissen, was wir im Resort machen, oder?"
"Ja, eigentlich schon,aber das ist schon okay", beeile ich mich zu versichern.
"Ah, achso. Lieutenant Hogan meinte, dass im Resort das beste Café mit den leckersten Muffins sei und da wir heute Mittag keine Schulung haben, dachten wir, wir schauen mal vorbei. Außerdem wollte ich das gleich damit verbinden, dich zu überraschen. Und wie man sieht, ist die Überraschung ja gelungen. Tut mir leid, dass ich nicht auf deine Mail geantwortet habe, aber jetzt weißt du ja wieso."
Sein Lachen ist tief und brummend. Mein ganzer Körper erschauert und weckt meine Libido. Verdammt. Als er gegangen ist, war er noch ein Junge. Und jetzt? Fuck. Seht ihn euch an. Eine Maschine. Was anderes fällt mir nicht ein. Voller Bart, starke behaarte Arme und Muskeln, wo man hinsieht. Sein eng anliegendes olivgrünes Shirt steckt in seiner Camouflage Cargohose und zeigt deutlich die Brustmuskeln, die sich darunter bewegen.
Neben ihm wirke ich wie ein kleiner Hempfling mit Bauch. Er überragt mich mittlerweile um fast einen halben Kopf und ich bin schon groß.
"Willst du mitkommen auf einen Kaffee? Kannst du gerade Pause machen? Oder kann jemand für dich einspringen? Ich würde dich echt gerne dabei haben. Ich meine, wir haben uns sicher viel zu erzählen und ich habe auch Neuigkeiten, die ich loswerden will. Geht das?"
Fragend legt er seinen Kopf schief. Etwas, was er schon als Kind gemacht hat. In Verbindung mit seinen treuen Hundeaugen sieht er dann wirklich aus wie ein bettelnder Welpe, dem man nichts abschlagen kann.
Ich drehe mich kurz zum Empfang und wieder zurück und nicke dann.
"Ich komme gleich nach, ich stelle nur schnell mein Pausenschild auf", meine ich dann. Nick klatscht in die Hände und nickt, dann läuft er los ins Café, während ich hinter dem Tresen verschwinde und mein Schild neben der Klingel aufstelle. Kurz gebe ich im Büro Bescheid, bei denen es auch klingelt, wenn jemand darauf drückt. Die kommen dann, um einzuspringen, wenn ich nicht da bin.
Als ich das Café betrete, erregt ein Tisch meine Aufmerksamkeit. Mister Sanchez sitzt an diesem, zusammen mit Aaron und Jamie. Sie lachen und reden laut. Sie scheinen Spaß zusammen zu haben. Mein Mundwinkel hebt sich zu einem leichten Grinsen. Als ob Mister Sanchez bemerkt hätte, dass ich zu ihnen sehe, dreht er sich um und lächelt mich an.
"Hola mi amigo Pablo", ruft er und winkt.
Ich hebe nur leicht meine Hand, drehe mich wieder um und gehe an den Tisch, wo Lu schon die Soldaten bedient. Neben Nick steht ein extra Stuhl, also lasse ich mich auf diesem nieder.
"Oh, ähm." Nicks Blick geht durch die Runde und dann wieder auf den Stuhl, auf dem ich sitze.
"Was? Sitzt hier schon jemand?", frage ich erschrocken und stehe wieder auf.
"Nein, nein, alles gut, bleib ruhig sitzen", winkt er ab und lehnt sich in seinem Stuhl zurück.
"Na dann erzähl mal, was du so alles gemacht hast die letzten Jahre. Ein wenig hast du ja schon in den Mails erzählt, aber das kann ja nicht alles sein, oder?", fragt er mich, lehnt sich aber dann zu einem seiner Kameraden, der sich zu ihm gebeugt hat, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Nick lacht, sieht mich an und dreht sich wieder zurück zu seinem Kameraden, um ihm zu antworten.
Was soll das? Irgendwie fühle ich mich total unwohl. Hat Nick doch schon mal über mich gesprochen? Oder...ich weiß es nicht. Lästern sie über mich?
Je mehr ich ihnen zusehe, denn verstehen tu ich nichts, desto mehr frage ich mich, ob in diesem Mann überhaupt noch der kleine Nick steckt, nach dem ich mich gesehnt habe.
Auch wenn er damals behauptete, dass gleichgeschlechtlicher Sex nichts für ihn sei und wir sowieso auch gar keine Beziehung hatten, kam es dennoch dem sehr nahe, denn in der Zeit wo wir mit einander geschlafen haben, hatte er niemand anderen. Keine Freundin, keinen Sex. Wir hingen fast 24 Stunden am Tag aufeinander. Und ich hatte das Gefühl, dass meine Verliebtheit auf Gegenseitigkeit beruhte. Wir kuschelten beim Filme schauen und küssten uns bei jeder Gelegenheit, außer natürlich Brian war dabei. Eigentlich hätte Nick mein bester Freund sein sollen, denn er wusste am Ende mehr über mich als Brian.
Und wie ist es jetzt? Dieser Mann, der hier neben mir sitzt und mich halbwegs ignoriert und lieber mit seinen Kameraden shakert, ist mir total fremd. Die offenen Arme bei der Begrüßung wundern mich jetzt.
Mein Herz schmerzt. Ich fühle mich schlecht und am Liebsten würde ich aufstehen und gehen.
"Hey Bärchen", höre ich eine Frauenstimme hinter mir und drehe mich aus Gewohnheit um, da steht Nick auf, zieht die Frau in seine Arme und gibt ihr einen innigen Kuss.
Oh Gott. Er hat eine Freundin. Oh Gott. Wie konnte ich nur so dumm sein? Wie konnte ich nur denken, dass wenn wir uns wieder sehen, vielleicht .....Ich war so verliebt in ihn.....ich dachte ....ja was dachte ich denn? Dass er nach zwanzig Jahren in meine Arme rennt und mir sagt, dass er mich liebt und damals falsch lag?
Himmel Paul du bist so ein Idiot...so ein Idiot....
"Paul?"
"Alter, ich hab dir gesagt, dass der Typ immer noch auf dich steht. Sieh ihn dir doch an. So erbärmlich", höre ich den Kameraden, der mit Nick geflüstert hat, sagen, bevor er lauthals loslacht.
"Alter spinnst du? Halt deine Fresse du Idiot"; schreit Nick ihn an und gibt ihm einen Schlag auf die Schulter.
"Tut mir leid Paul", entschuldigt Nick sich dann bei mir, zieht dabei jedoch seine Freundin näher an sich, die ihren Kopf an seiner Schulter ablegt.
"Darf ich dir vorstellen? Das ist meine Verlobte Ulani. Ulani, Schatz, das ist Paul", stellt er uns einander vor, doch ich schaffe es nicht meine Hand zu bewegen um sie ihr hinzustrecken. Ich bin wie eingefroren.
"Hallo Paul. Endlich lerne ich dich mal kennen. Nick hat schon so viel von dir erzählt", sagt sie freundlich.
Ja, genau. Was soll Nick von mir erzählt haben? Dass er sein erstes Mal und jedes weitere mit mir hatte? Wie wir es getrieben haben? Gerne möchte ich erwidern, dass er im Gegenzug bisher kein Wort über sie verloren hat. Doch mein innerer, immer freundlicher Portier verhindert das zum Glück.
Mir ist so schlecht. Mein Körper zittert. Und ich muss schwer schlucken. Meine Augen brennen, jetzt bloß nicht auch noch vor diesen Soldaten eine Träne verlieren. Erbärmlich, wirklich erbärmlich, wie dieser Typ eben schon gesagt hat.Trotz meinen gummiartigen Beinen schaffe ich es endlich von meinem Stuhl aufzustehen und ohne nur ein Wort zu sagen, drehe ich mich weg und renne förmlich, die einzelne Träne, die mir doch noch entkommen ist, mit dem Handrücken wegwischend, aus dem Café.
"Pablo espera!", höre ich Mister Sanchez noch rufen, doch reagiere ich nicht darauf. Ich will nur noch weg von hier. Weit weg.
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