Kapitel 4
♠Paul♠
Seit einer geschlagenen halben Stunde versuche ich diesem Herrn hier unser Problem zu erklären, doch je länger es dauert, desto weniger versteht er mich, oder er will mich einfach nicht verstehen.
"Mister Frazier, ich versuche es jetzt noch einmal ansonsten ..."
"Was ansonsten? Schmeißen sie mich raus? Was fällt ihnen überhaupt ein. Ich sage das jetzt ein letztes Mal, ich will das Zimmer welches mir zusteht. Hier steht die Gesellschaft des Preisrätsels kommt für dieses Zimmer auf. Haben wir uns verstanden?"
"Mister Frazier. Die Gesellschaft, bezahlt ihnen genau das Zimmer, welches ihr Mann gebucht hat. Wenn sie ein gehobenes Zimmer oder eine Suite wollen, müssen sie die Differenz draufzahlen. Mehr kann ich nicht für sie tun."
Das Schlimmste an dem Ganzen ist einfach, dass ich nicht laut werden darf, oder herumschreien. Genauso wie ich mein Gegenüber nicht beschimpfen darf. Letztendlich kann ich ihn entweder rausschmeißen oder ihn den Chefinnen melden. Aber natürlich ist beides für mich nur das letzte Mittel zur Wahl.
Total entnervt reibe ich mir mit zwei Fingern die Stirn und hoffe, dass er es jetzt endlich kapiert hat.
"Nein, nein, das lasse ich mir nicht gefallen. Mein Mann scheint ja dumm genug zu sein, das einfach hinzunehmen, aber ich nicht. Ich will jetzt sofort die Honeymoonsuite."
Jetzt schreit er doch tatsächlich herum. Seufzend greife ich zum Hörer und will gerade Heya anrufen, da höre ich eine Stimme.
"Buenas tardes señor, wenn ich mich einmischen dürfte, por favor? Dürfte ich bitte einmal ihre Gewinnbestätigung sehen? Ich glaube nämlich, dass sie demselben Trick zum Opfer gefallen sind wie mi buen amiga", mischt sich Mister Sanchez ein. Mister Frazier sieht ihn abschätzig und skeptisch an, doch reicht ihm den Brief.
"Aha, ja da haben wir es ja. Manchmal sollte man wirklich das Kleingedruckte lesen. Meiner guten Freundin ist dasselbe passiert. Sehen sie? Das Bild ist zwar von einer Suite, aber hier steht....Die Kosten werden für ein standardmäßiges zweite Klasse Zimmer übernommen. Und ich wette, mi amigo Pablo, hat genau so ein Zimmer für sie rausgesucht."
"Um genau zu sein hat Mister Fraziers Mann genau dieses Zimmer gebucht", mische ich mich ein, ein wenig missmutig, weil ich es nicht selbst geschafft habe, diesen Mann zu beruhigen.
"Sidney, Schatz, was tust du denn da? Lass doch bitte die Herren in Ruhe. Ist es immer noch wegen des Zimmers? Ich habe dir doch gesagt, dass alles seine Richtigkeit hat."
Der andere Mister Frazier packt seinen Mann am Arm und zerrt ihn vom Tresen weg.
"Bitte entschuldigen sie das Verhalten meines Mannes, Paul. Manchmal ist er einfach zu temperamentvoll", entschuldigt er sich für seinen Mann, dreht sich um und geht. Sein Mann wirkt im Moment nicht mehr so selbstbewusst. Würde mich nicht wundern, wenn die schon bald ein ganz anderes Zimmer buchen, bei Blair.
Mister Sanchez kichert.
"Was für ein seltsames Paar."
Ich kann nur seufzend den Kopf schütteln. Wie sehr wünsche ich mir schon Feierabend zu haben.
Unter meinem Kinn taucht plötzlich eine Tüte Churros auf. Ich hebe meinen Blick und sehe direkt in die strahlend grünen Augen von Mister Sanchez. Dieser lächelt mich an und schiebt mir seine Hand mit einem "Hm?", weiter entgegen.
Ich nehm die Tüte an mich und sehe unsicher zwischen ihr und Mister Sanchez hin und her.
"Para mi amigo Pablo." Sein Lächeln wird noch breiter und ich schwöre, hätte er keine Ohren, würde es im Kreis gehen.
"Ehm, danke." Ich nehme normalerweise keine Geschenke von Gästen an, außer vielleicht wenn sie schon ausgecheckt haben und sich zum Abschied bedanken wollen. Ich bin nicht bestechlich. Aber das hier sind Churros.
"De nada, habe ich gern gemacht", säuselt er, dreht sich um und verschwindet zu den Aufzügen. Er überrascht mich.
Kurz sehe ich ihm noch hinterher, bevor ich einen der Churros aus der Tüte ziehe und genüsslich hinein beiße.
Oh verdammt tut das gut. Diegos Churros sind einfach himmlisch.
Nachdem ich die Hälfte der Churros gegessen habe, fällt mir etwas ein. Woher hat Mister Sanchez gewusst, dass ich sie mag? Oder war das nur Zufall? Hm. Wer weiß. Da er nicht blieb, um die Lorbeeren für seine Großzügigkeit einzuheimsen, war es hoffentlich nur eine nette Geste.
Schulterzuckend mache ich mich wieder an die Arbeit gehe die Buchungen durch und ordne die Reinigungskräfte den Zimmern zu, die frei geworden sind.
Ein paar Stunden später, nachdem ich Feierabend gemacht habe, sitze ich in der Mall und trinke einen Kaffee, bevor ich dann nach Hause gehe. Im Gegensatz zu anderen, die bei uns im Resort arbeiten, habe ich mein eigenes Haus etwas außerhalb von Windington. Ich wollte es einfach etwas ruhiger. Auf dem Weg zu meinem Haus liegt die Mall und ich habe es zu meinem kleinen Hobby gemacht, mich dort hinzusetzen und die Leute eine Weile zu beobachten.
Man könnte glatt meinen, dass ich das Phe abgeguckt habe. So ist es ja auch.
Damals, in dem Hotel wo ich meine Ausbildung gemacht habe, saßen Phe und ich manchmal stundenlang im Café oder im Restaurant und haben die Leute beobachtet. Wir gaben ihnen Namen, Berufe und Gründe, wieso sie ausgerechnet jetzt dort vorbei liefen, oder wieso sie so angezogen waren, wie sie es waren. Es war witzig.
Mittlerweile mache ich es alleine. Zumindest in der Mall.
Ab und zu sitzen Phe und ich immer noch zusammen, doch sie bewegt sich zwar viel innerhalb des Resorts, allerdings nur noch selten außerhalb. Da wir beide die meisten Gäste kennen reden wir über die eher aus beruflichem Interesse statt über Phantasien.
Vielleicht kann ich sie ja mal überreden mitzukommen, das wäre mal wieder etwas Lustiges.
"Paul?", werde ich plötzlich angesprochen und hebe den Kopf um zu sehen wer es ist.
"Ah Mike. Gerade beim Einkaufen?", frage ich ihn und er nickt, zieht den Stuhl nach hinten und setzt sich zu mir an den Tisch.
"Ich darf doch?"
Zustimmend nicke ich und trinke einen Schluck von meinem Kaffee.
"Ja, übermorgen bekommen wir Gäste auf dem Stützpunkt. Soldaten einer anderen Basis. Andrea bildet doch Scharfschützen aus."
"Trotz seines Alters?", frage ich erstaunt, denn eigentlich dürfte er schon in Rente sein, doch er lässt sich einfach nichts sagen.
"Hey, du weißt dass ich gerade mal fünf Jahre jünger bin?", tut er gespielt beleidigt und boxt mir in die Seite.
"Ja, aber ich meine, Scharfschütze?"
"Glaub mir wenn ich sage, Andrea würde auch mit 100 Jahren nicht einmal sein Ziel verfehlen."
Beide lachen wir und Mike steht wieder auf.
"Die Ausbildung ist gefragt und immer ausgebucht. Die Soldaten kommen aus ganz USA um sich von ihm und Brandon ausbilden zu lassen. Ich bin gespannt wie die Woche läuft. Ich wünsch dir was Paul. Man sieht sich", verabschiedet er sich dann und verlässt den Tisch.
Schon interessant was Mike da erzählt hat. Ob Nick die Ausbildung auch machen würde? Aber dann müsste er von Hawaii hierher kommen, das ist nicht gerade um die Ecke.
Da ich ihm eh noch antworten möchte, kann ich in dieser Mail ja von der Scharfschützenausbildung erzählen. Mal sehen, ob er davon gehört hat. Abwesend reibe ich mit meiner Hand über meine Brust, in der sich mein Herz schmerzhaft zusammengezogen hat. Ich würde ihn wirklich gerne mal wiedersehen.
Wie um mich selbst zu bestätigen nicke ich, trinke meinen Kaffee leer, stehe auf und mache mich auf den Weg nach Hause.
Als ich am Marktplatz vorbei komme, entscheide ich mich spontan dafür, dort zu bleiben, denn hier findet diese Woche das Mitternachtskino statt. Eine riesige Leinwand ziert die seitliche Fassade des Bankgebäudes und Stühle bestückt mit dünnen Decken stehen in Reihen davor.
Auf den Stehtischen, die überall am Rand herumstehen, liegen Flyer mit dem Programm darauf. Ich schnappe mir einen und schaue, wann der nächste Film läuft. Oh, ich habe Glück. In 15 Minuten beginnt ein Drama, das ich noch nicht gesehen habe. Also gehe ich durch die Reihen und suche mir einen guten Sitzplatz aus.
Während der Wartezeit, kommen noch viel mehr Besucher, ganz unterschiedlicher Natur, doch alle wollen dasselbe, diesen Film schauen. Sehr faszinierend. Da komme ich ja wieder ganz auf meine Kosten. Phe würde es hier auch gefallen, vielleicht überrede ich sie auch dazu noch, solange das Kino noch läuft. Die Atmosphäre in solchen Freiluftkinos ist einfach toll. Leider ist es noch nicht dunkel. Auch wenn es Mitternachtskino heißt, beginnt es schon früher. Es soll ja nur heißen, dass bis nach Mitternacht Filme laufen.
Noch einmal sehe ich mich um, bevor ich meinen Blick auf die Leinwand hefte, wo der Film beginnt.
Weit über eine Stunde später endet der Film und ich stehe kopfschüttelnd auf. Das war ein wirklich sehr emotionsgeladener Film und an vielen Stellen disputabel, zumindest in meinen Augen.
Gerade als ich durch die Reihe laufen möchte, höre ich hinter mir ein Schniefen. Ich drehe mich um und halte überrascht inne.
"Mister Sanchez!?"
"Immer wenn ich diesen Film sehe, muss ich weinen, dabei weiß ich doch schon was passiert, aber es ist halt so traurig."
Ich setze mich neben ihn und sehe wieder auf die Leinwand, die nun nur noch weiß ist.
"Naja, er ist schon sehr emotional und der Hintergrund ist auch nicht ohne, doch war es wirklich abzusehen, dass das Mädchen ihre Schwester nicht retten wird. Ich habe da vollstes Verständnis dafür", erkläre ich meinen Standpunkt.
"Ja natürlich, welcher Mensch wäre denn gerne geboren nur um ein Ersatzteillager zu sein. Keiner. Dennoch reagiere ich bei solchen dramatischen Filmen immer über. Wie gesagt, ich kannte ihn ja schon." Er wischt sich mit dem Handrücken über der Wange und wendet sich mir zu.
"Aber unabhängig von diesem emotionalen Zusammenbruch freue ich mich wirklich, sie hier zu treffen, mi amigo. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich habe einen kleinen Stadtspaziergang gemacht und dann diese riesige Kinoleinwand gesehen und dachte, da muss ich hin. Ich mag Kino allgemein. Und sie?"
Mit seinem sonnenstrahlenden Lächeln sieht er mich an. Weg sind die Tränen und die Traurigkeit über den Film und zurück bleibt dieser Strahlemann. Er wirkt einfach umwerfend und macht etwas mit meinem Inneren. Als würden mich seine Strahlen von innen erwärmen. Seine Fröhlichkeit wirkt ansteckend und ich spüre meine eigenen Mundwinkel nach oben zucken, als möchte mein Körper ihm auch ganz ohne bewussten Befehl eine passende Antwort geben.
"Ins Kino selbst gehe ich nicht so gerne, aber dieses Freilandkino gefällt mir sehr", antworte ich überraschend ehrlich, denn das ist das Persönlichste, was ich je einem Gast geantwortet habe. Normalerweise gebe ich von mir selbst nichts preis. Wieso auch? Es sind Gäste. Wir werden nie eine Freundschaft oder ähnliches haben, doch Mister Sanchez....er ist einfach ganz anders.
"Oh okay. Aber ich geb ihnen recht, die Atmosphäre hier ist eine ganz andere und vor allem ist es nicht so stickig."
Wir reden noch eine Weile über den Film, was mir gut gefällt. Ein Grund, warum ich nicht gerne ins Kino gehe ist, dass ich Dramen und tiefere Inhalte bevorzuge, über die ich dann gerne mit jemandem reden würde. Daher genieße ich das gerade mehr, als ich es mit einem Gast vom Resort sollte. Natürlich webt sich in so ein Gespräch auch die eine oder andere, sehr private Information. Herr Sanchez hält sich da, im Gegensatz zu mir, nicht zurück. Irgendwann entsteht eine kleine Pause, die mich vor allem überrascht, weil sie nicht unangenehm ist. Beide starren wir auf die weiße Leinwand vor uns und überdenken vermutlich beide die eigene Einstellung zu diesem Film anhand den Ansichten des anderen.
Schließlich kichert er in sich rein und tippt mit seiner Hand auf meine Schulter.
"Was meinen sie, mi Amigo Pablo, vielleicht treffen wir uns ja diese Woche nochmal hier, solange das Event noch da ist? Ich würde mich sehr darüber freuen."
Erschrocken sehe ich ihn an und ich spüre, wie mir das Lächeln aus dem Gesicht fällt. Wie? Was? Wieso will er sich mit mir treffen? Schon von Anfang an habe ich das Gefühl, er würde immer mal wieder meine Nähe suchen. Freundlichkeit bin ich gewohnt, denn die meisten Menschen benutzen sie, wenn sie etwas von einem wollen. Seine jedoch wirkt absolut ehrlich gemeint und nicht aufgesetzt. Dass jemand wirklich und persönlich an mir interessiert sein könnte, bin ich nicht gewohnt und das überfordert mich gerade ein wenig.
Darum stehe ich auf, verziehe meine Mundwinkel zu einem weiteren, diesmal sicher ziemlich krummen Lächeln und verabschiede mich bei Mister Sanchez.
"Es war nett, sie getroffen zu haben, doch ich sollte nun gehen."
"O..okay, kein Problem. Buenas noches. Wir sehen uns im Resort. Haben sie noch einen schönen Abend Paul", ruft er mir heiter hinterher und aus dem Augenwinkel sehe ich noch, wie er winkt.
Paul. Pablo. Ob er sich irgendwann noch entscheiden kann, wie er mich nennt? In mich hinein lächelnd, laufe ich dann den Weg entlang zu meinem Haus.
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