Kapitel 19
♠Blair♠
Eine Woche ist nun schon seit dem Kuss vergangen und seitdem ist Funkstille zwischen Aris und mir. Wir sehen uns kaum noch und wenn, dann nur im Vorbeigehen, wenn jemand die Wohnung betritt oder sie verlässt. Er hat seine Schichten getauscht, so dass er immer dann arbeitet, wenn ich zuhause bin und umgekehrt. Wir nicken uns zu, aber halten sonst Abstand. Ich habe es ernst gemeint, meine Entschuldigung und dass mein Verhalten in der Vergangenheit liegt. Ich verstehe wirklich nicht, was mich bei ihm so auf die Palme bringt, aber mir ist klar geworden, dass ich mich bei ihm nicht besser verhalten habe als all die Bullies, die ich so verachte. Die Mobber und Kleingeister und das Letzte, was ich will, ist ihm das Gefühl zu geben, dass ich ihm seinen Sohn wegnehmen will.
Aris scheint es wieder besser zu gehen. Nachdem dieser Tom verschwunden ist und ich aufgehört habe, auf ihm rumzuhacken, findet er langsam wieder festen Boden unter den Füßen. Mittlerweile sehe ich ihn auch anders. Seine schönen, langen, dunklen Haare? Sie sind nicht dazu da, andere zu verführen. Er benutzt sie ziemlich oft, um sich und seine Gefühle dahinter zu verbergen, besonders wenn er sie offen trägt, was in der Wohnung jetzt öfter vorkommt, als ob er einen Schutzvorhang zwischen mich und ihn fallen lässt.
Seine Art, an der Bar mit den Kunden zu flirten? Ich bemerke plötzlich, dass er seine offensive Art auch dazu benutzt, die anderen etwas zurückzudrängen, ohne sie vor den Kopf zu stoßen, damit sie ihm nicht zu sehr auf die Pelle rücken. Ich halte mich auch dort von ihm fern, gebe ihm Raum. Bestelle meine Getränke bei anderen und beobachte ihn nur aus der Ferne. Mir sind seine kurzen Blicke nicht entgangen, voller negativer Erwartung auf meinen nächsten verbalen Angriff. Doch ich nicke ihm dann nur zu und ziehe mich zurück. Irgendwann wird er hoffentlich einsehen, dass ich es ernst meine und ihm nichts Böses will.
Trotzdem fehlt es mir. Ist das verrückt? Mir fehlen seine Reaktionen, das Feuer, das in seinen Augen auftaucht, wenn er sich gegen mich wehrt. Und in meiner eigenen Wohnung wie auf Eiern laufen zu müssen, um ja keinen neuen Ärger zu triggern, macht es auch nicht einfacher. Manchmal möchte ich vor lauter Frustration aufschreien, ihn anschreien, ihm Reaktionen entlocken, die zeigen, dass er seinen Kampfeswillen nicht verloren hat. Ewig halte ich das nicht aus, das kann ich schon jetzt sagen.
Mein Lichtblick bei dem Ganzen ist Mikis. Wir haben nie darüber gesprochen, ob ich mich um ihn kümmern darf oder soll, wenn Aris nicht da ist, aber es hat sich einfach so ergeben. Wenn Aris da ist ziehe ich mich zurück und Mikis ist besonders darauf bedacht, Zeit mit seinem Vater zu verbringen und ihm zu zeigen, wie lieb er ihn hat. An einem Tag habe ich gesehen wie er seinem Vater eine Uhr und ein kleines Werkzeug vor die Türe gestellt hat. Als ich ihn darauf ansprach, lächelte er und erzählte mir, dass sein Dad es liebt alte Uhren zu reparieren und dabei entspannen kann. Mikis Hoffnung war es, dass es seinem Dad dann bald wieder besser ginge. Das fand ich einfach total niedlich. Mikis ist so ein toller Junge.
Er hat auch angefangen, sich von seinem Vater das Kochen beibringen zu lassen. Aris wollte erst nicht, er sei erst zehn und müsse sowas wirklich nicht machen, aber Mikis wollte es unbedingt und jetzt haben die beiden viel Spaß dabei. Nicht, dass ich das mitbekommen würde, ich weiß das alles von Mikis selber. Wenn wir alleine sind, dann erzählt er mir von sich und der Schule, seiner Zeit mit Jasper und auch von seinem Spaß mit seinem Vater. Über ihn erfahre ich auch immer den neuesten Stand mit der Versicherung und den Fortschritten bei der Wohnungssuche, die sich als extrem schwierig herausstellt. Mikis ist wirklich pflegeleicht und ich ertappe mich immer öfter dabei, die Zeit mit ihm zu genießen. Sie ist wohl der Hauptgrund dafür, dass ich mir Aris nicht greife und ihn versuche, aus seiner etwas lethargischen Haltung herauszurütteln. Wie lange das anhält und wann mein Geduldsfaden reißt, das kann ich allerdings nicht mit Sicherheit sagen. Heute wird er aber mich Sicherheit halten, denn heute hat Mikis mich zum Essen eingeladen.
Ja, wirklich, in unserer Wohnung. Ich habe heute einen freien Tag und Aris hat Frühschicht und muss danach anscheinend ein paar Dinge erledigen. Mikis sagt, er habe die ganze Woche fleißig kochen gelernt, also sagte ich zu, sein Versuchskaninchen zu sein.
Den halben Mittag höre ich ihn herumwerkeln. Zweimal habe ich schon gefragt, ob ich ihm helfen soll, aber jedesmal verneinte er. Als es dann endlich soweit ist, holt er mich aus meinem Zimmer und fordert mich auf, mich schon mal hinzusetzen, er würde gleich kommen.
Nun sitze ich hier und warte. Doch von Mikis immer noch keine Spur. Der Tisch ist für zwei gedeckt und das Essen steht auch schon darauf. Und was soll ich sagen? Es riecht wahnsinnig lecker.
Ich hebe den Deckel des Topfes und sehe hinein.
Oh wow. Ein Eintopf und wie es aussieht, mein Lieblingseintopf. Kartoffeln, Gemüse und viel Fleisch. Lammfleisch kann ich riechen. Ich bin beeindruckt, hoffentlich schmeckt es so gut, wie es riecht.
Das Klappern eines Schlüssels irritiert mich und ich schließe den Deckel wieder, bevor ich mich zum Flur drehe, um zu sehen, wer rein kommt.
Aris wirft den Schlüssel auf die Kommode und zieht seine Schuhe aus, die er fein säuberlich in dieser verstaut.
Er sieht noch immer blass aus, mit tiefen Augenringen, die davon zeugen, dass er nicht besonders gut schläft. Am liebsten würde ich ihn an mich ziehen und....ja was und....trösten? Irgendwie schon. Zumindest hoffe ich, dass es nicht mehr so sehr meine Schuld ist.
Er kommt in den Raum, bleibt dann abrupt stehen, als er mich sieht und starrt mich an.
Eine Weile sehen wir uns an, keiner sagt ein Wort, bis Aris schnaubend den Kopf schüttelt.
"Dieser Schlingel."
Er zieht den Stuhl zurück und setzt sich an den Platz, wo der zweite Teller steht.
"Da will wohl jemand, dass wir uns unterhalten", meint er dann, hebt auch den Deckel vom Topf und atmet tief ein.
"Lecker. Ich liebe Irish Stew."
Aris steht auf, bringt den Deckel in die Küche und legt ihn auf die Arbeitsfläche.
Immer mehr Gemeinsamkeiten scheinen bei uns ans Licht zu kommen. Okay, es ist nicht die Ordnungsliebe, auch wenn ich mich sogar dabei etwas zusammengenommen habe, in letzter Zeit. Aber wir haben den gleichen Geschmack und das gefällt mir. Jetzt müssen wir uns nur noch selbst zusammenraufen. Ich nehme die Schöpfkelle und fülle erst Aris Teller und dann meinen.
Nachdem ich den ersten Löffel in meinen Mund geschoben habe, muss ich mir ein genüssliches Stöhnen verkneifen, denn dieses Stew schmeckt himmlisch. Aris hingegen scheint es scheiß egal zu sein. Ungeniert kommen genau diese Geräusche aus seinem Mund, was mich grinsen lässt.
"Wow, da hat er sich ja wirklich selbst übertroffen. Ich wusste nicht, dass er sowas kann?"
"Kochen?", Aris hat es ihm doch beigebracht, oder nicht?
"Ja, nein, so ein gutes Stew. Er kann Rühreier, Spiegeleier und Nudeln mit Soße. Weiter sind wir in unserem Kochkurs noch nicht gekommen."
In den letzten Tagen haben auch Mikis und ich viel zusammen gekocht, aber das möchte ich jetzt lieber nicht erwähnen, denn im Moment genieße ich den Waffenstillstand zwischen uns. Was ein Essen so alles bewirken kann.
Als ich meinen zweiten Teller geleert habe und Aris ebenfalls fertig ist, fange ich an den Tisch abzuräumen.
Gerade als Aris nach dem Topf greifen will, piept sein Handy.
Er zieht es aus seiner Hosentasche und lacht.
>Im Kühlschrank ist noch Nachtisch für euch. Falls ihr es noch nicht getan habt, könntet ihr euch dann mal aussprechen? Bitte? Ich mag wieder mit euch beiden am Tisch sitzen ohne dass ihr euch gegenseitig aus dem Weg geht.<
Liest er die Nachricht vor.
"Wenigstens weiß ich jetzt wo er ist, er schreibt von Jaspers Handy", murmelt Aris vor sich hin und steckt das Handy wieder in die Tasche, schnappt sich den Topf und stellt ihn auf den Herd zurück.
Dann geht er zum Kühlschrank und öffnet diesen.
"Vanillepudding."
"Mhm auch lecker. Aber hey schau mal, was ich gefunden habe", sage ich und halte eine Tupperschüssel nach oben, die in der Spülmaschine lag und Reste eines Irish Stew aufweist.
"Auf dem Boden ist ein Aufkleber", bemerkt Aris und ich drehe die Schüssel ein wenig, sodass ich ihn mir ansehen kann.
"Jasper Harris Stufe 6", lese ich vor und Aris und ich fangen beide an zu lachen.
"Das ist doch wirklich ein Schlitzohr."
Er zieht nochmal sein Handy raus und macht ein Bild von der Schüssel, dann zeigt er mir, was er geschrieben hat.
>Hey Jasper, sag deiner Mum, ihr Irish Stew war hervorragend. LG< und ein lachender Smiley.
"Der Gedanke zählt", nuschle ich und lächle vor mich hin. Aris sieht mich an und nickt.
"Da hast du recht."
Ich stelle die Schüssel zurück in die Spülmaschine und setze mich dann an den Tisch zurück, wo Aris schon die beiden Schalen mit Pudding serviert hat.
Ich würde mich so gern mit ihm unterhalten, aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Am Besten wäre es, wenn er beginnen würde, denn schließlich war er es, der ausgerastet ist.
Ich habe meinen Teil getan und meine Angriffe eingestellt. Vielleicht sollte ich einfach warten und wenn nichts kommt, dann hat er auch kein Interesse daran, sich mit mir auszusöhnen. Vielleicht ist Ruhe vor mir, alles, was er sich wünscht.
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