Kapitel 8

♠Adam♠

Ich bin zu früh. Viel zu früh. Ganze dreißig Minuten. Aber das ist mir egal, lieber zu früh als zu spät.

Immer noch aufgewühlt vom gestrigen Abend, stehe ich vor der Türe von Ions Berghütte und zögere noch anzuklopfen.

Meine Nacht war miserabel und in meinem Kopf reißen Presslufthammer die Straßen auf. Vielleicht sollte ich doch wieder gehen, ihn anrufen und absagen oder alles telefonisch mit ihm besprechen. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache hier. Andererseits.....ach, scheiß drauf.

Ich hebe den Arm und klopfe energisch an die Türe. Während ich warte frage ich mich, was genau er hier eigentlich macht. Ist das sein Urlaub? Und wenn schon. Das Resort ist riesig, hat eine unendliche Palette von Angeboten und warm ist es nun auch schon. Man kann sich, auch wenn man hier in der Gegend wohnt, trotzdem wie im Urlaub fühlen.

In den Gedanken noch bei der Vorstellung, hier Urlaub zu machen, öffnet sich plötzlich die Tür und ich erschrecke mich regelrecht.

Mein Blick wandert nach oben in die keksbraunen Augen meines Bären. Ion. in die Augen von Ion. Dein Bär kannst du dir abschminken Adam. Ich muss mich zusammen reißen um nicht das Gesicht schmerzhaft zu verziehen, aber Maske tragen ist eine Fähigkeit die man im Job als Undercover-Agent perfektioniert. Sein Anblick löst ein warmes Gefühl in mir aus, doch auch das zeige ich lieber nicht, denn es ist nicht willkommen. Also bleibt nur eine steinerne Maske.

"Hi, du bist zu früh, aber komm rein", brummt er. Er scheint dieselbe Nacht gehabt zu haben wie ich, so wie er aussieht. Dicke dunkle Ringe unter den Augen und ein blasser Teint zieren sein sonst so erfrischtes Gesicht und spiegeln mit Sicherheit mein eigenes Erscheinungsbild wider. Trotz aufrechtem Gang, sieht er erschöpft aus und es tut mir gleich unendlich Leid.
Aber, was denke ich da? Er ist doch selber Schuld daran, wie es ihm nun geht. Schließlich hat er mich gestern überfallen und nicht umgekehrt.

Ich trete in die Hütte ein und schließe die Türe hinter mir bevor ich meinen Hals strecke und mich im Raum umsehe. Das Wohnzimmer, welches sich vor mir erstreckt, ist mollig warm dank des in der Wand eingefassten Kamins der gemütlich vor sich hin bollert. Ich beobachte einen kurzen Moment die tanzenden Flammen, dann drehe ich mich um, sehe mir den Rest des Zimmers an und befinde es sofort für gemütlich. Da haben die Damen des Hauses weder Kosten noch Mühe gescheut. Sie wissen scheints ganz genau wie sich Menschen wohlfühlen und abschalten können.

Ein Klappern hinter mir erregt meine Aufmerksamkeit und ich drehe mich um, um zu sehen was es verursacht hat. Eisblaue Augen kreuzen meine und ich stutze. Verwirrt sehe ich zwischen Ion, der auf dem Barhocker der Küchentheke sitzt und dem jungen Mann hin und her. In meinem Magen rumort es unruhig, aber nicht vor Hunger.

Der junge Mann lächelt mich freundlich an und nickt mir zu.

"Guten Abend Mister Adam, ich bin gleich fertig, dann gehe ich und sie beide können in Ruhe essen", erklärt er und ich atme erleichtert aus. Ich dachte schon Ion hat einen Neuen. Aber andererseits könnte das gar nicht sein, denn erstens steht Ion nicht auf Twinks, und der Kleine ist definitiv einer, und zweitens, wenn er mit jemandem zusammen wäre, hätte er sich gestern nicht an mir vergriffen denn Ion ist die treueste und loyalste Seele die ich bis jetzt kennenlernen durfte, er würde seine Liebe niemals betrügen.

Mein Magen schlägt einen neuen Purzelbaum, aber diesmal wegen meiner Gedanken an gestern. Ich hatte keine Ahnung, wie sehr ich mich nach dieser übergriffigen, fordernden Art gesehnt habe, in der er die Führung übernimmt und ich alles andere beiseite schieben kann. Alles, was wir hatten, war eine – wenn auch lang anhaltende und sehr intensive – Affäre, wieso hat sie heute, 13 Jahre später, immer noch Auswirkungen auf mich?

Ich geselle mich neben Ion auf den anderen Barhocker und schaue was der Kleine tut. Als ich das Steak sehe, läuft mir fast das Wasser im Mund zusammen. Gott, ich könnte sterben für ein gutes Stück halbrohes Fleisch. Es ist schon lange her dass ich eins gegessen habe. Meine Arbeit fordert mich so, dass meistens nur Zeit für Fastfood ist und meine wenige Freizeit verbringe ich auch nicht allein in einem Restaurant. Wenn ich Freunde hätte würde ich vielleicht mal mit ihnen ausgehen, aber so ist das als Undercover-Agent. Die eine Hälfte deiner 'Freunde' besteht mehr oder weniger aus Feinden und die andere Hälfte kannst du nicht halten, weil du immer wieder ohne lange Ankündigung und auf unbestimmte Zeit verschwinden musst ohne dich erklären zu können. Daher war mir auch nie nach Dates.

"Er scheint Steak sehr zu mögen, Mister Hargrove", sagte der junge Mann kichernd und ich drehe meinen Kopf Ion zu, der mich ausdruckslos ansieht. Wie gern würde ich den warmen, fröhlichen Blick wieder sehen, den er früher gezeigt hat. Ist er jetzt immer so ernst, oder liegt es an mir?

"Wenigstens etwas", entgegnet er und steht von seinem Hocker auf, geht auf eine Kommode zu und holt Geschirr heraus mit dem er den kleinen Esstisch deckt, welcher in der Nähe der Terrassentür steht.

"Wie meinst du das? 'Wenigstens etwas'?", frage ich ihn. Merke aber schnell dass mein Ton zickiger rüberkam als er eigentlich sein sollte. Aber seine eisige Haltung macht mich echt wütend.

Ion dreht sich um und sieht mich scharf an.

"Wenigstens etwas, was sich in den dreizehn Jahren bei dir nicht verändert hat. Ich hatte schon Angst du bist jetzt Vegetarier." Das hätte ein guter Witz sein können, doch die vorwurfsvolle Art, mit der er mir diese Aussage an den Kopf schmeißt, ist alles andere als witzig.

"Was? Wieso das denn? Ich liebe Fleisch und ich ich habe mich nicht geändert, du bist derjenige, der sich geändert hat."

Ich werde immer lauter, weil mich seine Behauptung aufregt und weil ich wirklich nicht verstehe, wieso er so auf mich reagiert. Natürlich kann ich nach 13 Jahren nicht die selbe Zuneigung erwarten wie damals, aber zumindest höflich kann man doch bleiben oder? Er benimmt sich ja fast, als wäre er eifersüchtig, aber worauf? Es gibt keinen anderen Mann in meinem Leben und den Job hätte er schon vor vielen Jahren wiederhaben können. Irgendwie hab ich immer gehofft, er kommt zurück und wir gehen erneut gemeinsam Undercover, aber das ist nie passiert.

"Achja? Wo bitte habe ich mich verändert? Ich bin immer noch genauso wie früher, dann hast du wohl vergessen wie ich bin." Enttäuschung, Schmerz und Wut sammelt sich bei seinen Worten in Ions Mimik, doch ich ignoriere das und schieße mich voll auf das Thema ein.

"Genau, als ob ich dich jemals vergessen würde. Diszipliniert, loyal, treu, aufmerksam in allen Bereichen, eiskalt im Job, aber liebevoll, zärtlich und verschmust zu Hause. Nur um mal ein paar deiner Eigenschaften aufzuzählen. Und jetzt? Ein eiskaltes Arschloch, etwas anderes habe ich seit wir uns wieder begegnet sind nicht gesehen."

"Ist ja auch klar. Was dachtest du bitte wie ich mich dir gegenüber verhalten würde wenn wir uns wieder sehen? Dass ich dich in die Arme ziehe, küsse und liebe, als wenn nichts gewesen wäre? Adam du hast mich verletzt und enttäuscht, ich habe, trotz meiner Disziplin und meiner kalten Seite, fünf Jahre gebraucht um über das alles wegzukommen. Was zum Geier hast du erwartet? Sags mir."

Plötzlich steht er ganz nahe vor mir und ich kann seinen Atem spüren während er mich anschreit. Ich weiß nicht was ich erwartet habe, aber sicher nicht das.

"Wenn schon keine Freundlichkeit dann doch wenigstens etwas Höflichkeit? Oder dass du mich einfach mal fragst was passiert ist. Du weißt doch nicht einmal was gewesen ist", donner ich zurück. Mir fehlen einfach im Moment die Worte. Mir schwirrt so viel im Kopf herum, auch der gestrige Abend, so dass ich nicht weiß was genau ich eigentlich sagen wollte und meine Kopfschmerzen machen es nicht leichter.

"Ok, dann los, erzähl, was dich davon abgehalten hat bei mir zu sein, als ich verwirrt und orientierungslos im Krankenhaus aufgewacht bin, oder davon, mit mir über deine Entscheidung zu sprechen und mir wenigstens persönlich zu sagen, dass für dich mit dem Job auch alles andere beendet war."

Ion wird etwas ruhiger, aber es ist eine abweisende, distanzierte Ruhe hinter einer Mauer aus den Gedanken, mit denen er meine Taten eingeschätzt hat. Er zieht einen der Stühle zurück um sich hinzusetzen, doch hält dann inne und sieht sich verwirrt um.

"Wo ist Thomas?", fragt er besorgt und ich sehe mich nach diesem kleinen Koch um. Der scheint jedoch spurlos verschwunden zu sein.

Ich gehe in die offene Küche und sehe mich um. Auf einer der kleinen Warmhalteboxen die dort stehen liegt ein Zettel. Ich nehme ihn in die Finger und lese ihn laut vor.

Lieber Mister Hargrove und Mister Adam, da es mich nichts angeht, habe ich mich beeilt fertig zu kochen, damit sie in Ruhe streiten können. Wenn sie fertig sind, wünsche ich ihnen beiden einen guten Appetit.

Lassen sie bitte einfach alles stehen, ich komme morgen Vormittag und räume auf.

Grüße Thomas

Ion beginnt neben mir zu Lachen, was mich fast zu Tode erschreckt, da ich nicht mitbekommen habe wie er aufgestanden ist und sich zu mir gestellt hat.

"Er ist doch niedlich, oder? Lass uns essen und danach weiter streiten. Ich habe Hunger und das Steak ist gerade jetzt perfekt und hat es nicht verdient, liegen zu bleiben und zäh zu werden", meint er dann und beginnt das Essen auf den Tisch zu stellen.

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