~Thirtytwo~

„So Malyschka, worauf hast du Lust?", fragte Stenja, als Yonathan weg war und sah mich dabei herausfordernd an. All meine angestaute Luft entwich meinen Lungen, da ich diese in Nate's Anwesenheit angehalten hatte.

„Ist ein eigenes Grab schaufeln auch eine Option?", fragte ich mit bebender Stimme, während Stenja seine perfekten Augenbrauen hob und mich mit seinen strahlend blauen Kontaktlinsen musterte.

„Nein", erwiderte er mit fester Stimme, woraufhin ich die Schultern zuckte.

„Dann gehe ich duschen und wäre gern einfach nur für mich", antwortete ich und konnte meinen traurigen Unterton nicht vermeiden. Nun, wo Yonathan nicht mehr in meiner Nähe war, kamen die Gedanken zurück. Gedanken darüber, was ich die letzten Tage durchlebt hatte.

„Dafür sind wir aber nicht hergekommen", meinte Stenja missmutig. In seinem Gesicht erkannte ich, dass er alles andere als erfreut über meine Antwort ist, doch ich musste meinen Gedanken Platz schaffen. Und Yonathan würde nicht allzu lange weg sein und mich mit den beiden Russen allein lassen, daher musste ich diese einmalige Chance nutzen, um in mich zu kehren.

„Stenja, lass das kleine Sternchen doch. Immerhin hat sie auch viel zu verarbeiten", verteidigte mich Aljoscha, ehe er sich die Fernbedienung nahm, sich auf das Bett schmiss und sich lang ausstreckte.

„Na schön, aber schließe die Tür nicht ab", sagte Stenja, mit mehr Ausdruck in der Stimme, die mich nur eilig nicken ließ. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, dass diese Anweisung eher von Yonathan kam und die beiden dieser nur nachkamen.

Ich nickte abermals, ehe ich die beiden dann in dem Hotelzimmer allein ließ und das Bad betrat. Tief Luft holend, schloss ich für einige Zeit meine Augen, um das Beben meines Körpers zu unterdrücken. Ich wusste nicht, was genau der Auslöser war, aber in mir brach ein Damm und ließ all meine angestauten Gefühle nur so aus mir heraussprudeln.

Etliche Schluchzer entkamen meinen Lippen, als mir auch Tränen umgehend in die Augen schossen und über meine Wangen liefen. Meine Hand fest auf meinen feuchten Mund pressend, versuchte ich so leise wie möglich zu sein, denn ich wollte nicht, dass einer von den Russen es hörte. Allerdings war der Fernseher laut aus dem Zimmer zu hören.

Ich stand einige Minuten an der Tür und versuchte meine schnelle Atmung unter Kontrolle zu bekommen, während ich angestrengt alle negativen Gedanken verdrängte. Irgendwann hörte zumindest das Zittern meines Körpers auf, weshalb ich meine Tränen wegwischte und zu der Dusche ging.

Das Wasser anstellend, begann ich mich auszuziehen und stellte mich auch umgehend zu dem angenehm warmen Wasser. Dennoch überzog eine Gänsehaut meine Arme, weshalb ich mich noch weiter unter das Wasser stellte und meine Augen schloss.

Immer wieder flogen Bilder vor mein geistiges Auge. Die Bilder von dem Keller und von Demjan, der mich erst so gut behandelt hatte und dann nicht einmal mit der Wimper gezuckt hätte, hätte er mir das Leben genommen. Ein böser Gedanke setzt sich in meinem Kopf fest.

Wäre es nicht leichter, hätte er es einfach getan?

Ich spürte plötzlich seine Hände auf meinem Körper, an meinem Hals, wie sie mir die Luft zum Atmen nahmen. Eilig schlug ich meine Augen auf, als wollte ich mich vergewissern, dass er nicht da war. Meine Arme schützend um meinen Oberkörper schlingend, konnte ich nicht vermeiden, dass erneut Tränen in meinen Augen schossen.

Überall fühlte ich seine Hände, seinen heißen Atem. Der warme Wasserdampf, der meinen Körper umwarb, kam seiner Körperwärme gleich, weshalb ich zu der Armatur griff und das Wasser sofort auf kalt stellte.

Eine Gänsehaut überzog meinen Körper und ein leises Keuchen entkam meinen Lippen, als die Kälte bis tief in mein Inneres zog. Es war als spülte das Wasser die Hände von Demjan von mir. Abermals wimmerte ich laut auf und weinte ungehemmt.

Wie sollte ich diese Erinnerung jemals loswerden?

Demjan's Lachen hallte in meinen Ohren und eilig presste ich meine Hände fest auf diese. Mein Körper fühlte sich erschöpft an von dem Beben, das immer wieder durch mein Inneres zog.

Noch immer weinend ließ ich mich auf die eiskalten Fliesen sinken und umfasste fest meine Beine, während noch immer das kalte Wasser auf meine Haut prasselte. Es fühlte sich beinahe an, als würde sich jeder Wassertropfen auf meiner Haut einbrennen und schon bald durchzog mich nur noch bittere Kälte.

Sie ließ meinen Körper sich taub anfühlen und mein Wimmern verklang, stattdessen war nur noch das leise Klappern meiner Zähne zu hören. Keine Hände, keine Lippen und kein Atem spürte ich noch auf meiner Haut. Da war nur noch diese Taubheit, die mein Atem immer flacher werden ließ.

Das Prasseln des Wassers wurde immer lauter und vermischte sich mit meinen stummen Tränen. Selbst den Fernseher von draußen nahm ich nur noch dumpf wahr. Meine Augen schließend konzentrierte ich mich nur auf das laute Pladdern des Wassers, während auch mein Zittern immer schwächer wurde und die Taubheit mich vollständig einnahm.

Ein dumpfes Klopfen war zu vernehmen und auch eine leise Stimme war für mich wahrzunehmen, ehe ich hörte, wie die Tür aufschwang. Ich ignorierte es und ließ meinen Kopf auf meine bereits roten Beine liegen, während ich noch immer nur das Prasseln des Wassers vernahm. Es fühlte sich wie Messerstiche auf meiner Haut an.

„Malyschka!" Stenja's Stimme drang zu mir hindurch, allerdings weckte dies nicht in mir den Wunsch, die Dusche zu verlassen. Zu schön war es nichts zu denken. Mir war es sogar vollkommen egal, dass ich nackt in der Dusche war.

„Was machst du denn hier?", fragte Stenja, ehe er vor mir nach unten in die Hocke ging. Ich reagierte nicht auf seine Frage und kurz darauf fühlte ich etliche Stiche auf meiner Haut, als Stenja diese mit seiner warmen Hand berührte.

„Fuck! Das ist ja eiskalt", fluchte er, als das Wasser seine Hand berührte. Sofort umfasste er mein Gesicht und zwang mich, ihn mit meinen vermutlich rot unterlaufenden Augen anzusehen. „Sky, deine Lippen sind komplett blau!"

Emotionslos sah ich ihn dabei zu, wie er das Wasser abstellte und eilig ein Handtuch griff, um dieses um meinen Körper zu legen.

„Du musst aus der Dusche raus", sagte er, jedoch rührte ich mich keinen Millimeter. Der weiche Stoff auf meiner Haut fühlte sich einengend an, als ob dieser mich zurück in die Realität bringen würde, würde er mich wärmen und auftauen.

Warme Arme legten sich unter meine Beine und um meine Taille, ehe ich fühlte, wie mein Körper den Boden verließ.

„Bist du vollkommen übergeschnappt?", fragte Stenja mich besorgt und zog das Handtuch fester um meinen Körper. Meine Haare tropften auf sein T-Shirt und nur behutsam stellte er mich auf meine Füße ab. Umgehend griff er ein Bademantel und hielt mir diesen hin. Zögerlich blickte ich zu ihm auf und umfasste das Handtuch fest um meinen Körper, ehe ich die Arme in den Mantel schob.

In die Wärme des Stoffes gelullt, begannen meine Zähne umgehend wieder an zu klappern und nur mit Mühe konnte ich mich auf den Beinen halten. Dies schien auch Stenja zu bemerken, da er mich unaufgefordert wieder hochhob und mit mir das Badezimmer verließ.

„Mach Platz, Svolach", sagte er zu Aljoscha, der uns überrascht ansah, aber sofort auf dem Bett zur Seite rückte.

„Was ist passiert?", fragte er, als Stenja mich auf die Matratze legte und Aljoscha sofort seine Hand an meine kalte Wange hielt. „Sie ist eiskalt!"

„Ja, anscheinend wollte sie an einer Unterkühlung verrecken", meinte Stenja, wobei ich den strengen Unterton sehr deutlich heraushören konnte.

„Nein, ich fand nur dieses Taubheitsgefühl sehr angenehm", antwortete ich abgehackt und mit zitternden Lippen. Ich hörte von Stenja nur ein genervtes Seufzen, während ich auf den Fernseher starrte. Die Sender waren alle auf Russisch, weshalb ich kein Wort verstand, allerdings interessiert mich das Fernsehprogramm ohnehin nicht.

„Komm her, Swjosdoschka", sagte Aljoscha und setzte sich gegen die Kopfstütze, woraufhin ich ebenso aufrückte und meinen Kopf auf seinen Bauch legte. Meine Augen schließend spürte ich, wie sich die Matratze neben mir bewegte und umgehend die Decke fest um meinen Körper gelegt wurde.

Aljoscha strahlte eine unglaubliche Hitze aus, dennoch ließ das Zittern nicht nach. Stenja setzte sich ebenso an die Kopfstütze, somit war ich zwischen den beiden Russen wohlbehütet.

„Möchtest du einen Film schauen?", fragte mich Aljoscha, wobei ich das Vibrieren seiner Stimme an meinem Ohr fühlte. Als Antwort zuckte ich nur mit den Schultern, denn mir war es wirklich egal, ob und was im Fernseher lief.

Aljoscha schaltete durch die Programme und schien etwas zu suchen, was auch auf Englisch war. Währenddessen achtete ich auf das regelmäßige Heben und Senken seines Bauches von seiner Atmung und lauschte seinem ruhigen aber kräftigen Herzschlag.

Immer wieder ertönten russische Stimmen aus dem Fernseher und ich spürte, wie Aljoscha tief Luft holte, ehe ich einige englische Wörter hörte.

„Das ist nicht deren Ernst", fluchte Stenja, weshalb ich meine Augen öffnete und sofort einen kleinen Schneemann anstarrte, der mit einem Rentier durch den Schnee watschelte.

„Ich finde nichts anderes", beschwichtigte Aljoscha und legte dabei die Fernbedienung weg. Anscheinend musste ich mit den knallharten Russen nun die Eiskönigin schauen.

„Malyschka können wir nicht etwas Russisches ansehen? Ich übersetze dir auch jedes einzelne Wort höchstpersönlich", bettelte Stenja, allerdings fand ich allein die Vorstellung zu witzig, weshalb ich mit dem Kopf schüttele.

„Der Film ist niedlich", versuchte ich Stenja zu überzeugen. Dieser murmelte jedoch nur etwas auf Russisch, ehe er weiter herunterrutschte und sich dichter an mich kuschelte. Verwirrt hob ich meinen Kopf und sah zu ihm, während er die Decke anhob und sich mit dieser auch noch zudeckte.

„Damit musst du jetzt leben. Wenn ich schon Kinderfilme sehen muss."

Aufgrund seines bockigen Tones entkam mir erneut ein leises Lachen, ehe ich meinen Kopf abermals auf Aljoscha's Bauch bettete und meine Aufmerksamkeit dem Geschehen im Fernseher schenkte.

„Ich finde ja, Olaf hat sehr viele Gemeinsamkeiten mit dir, Stenja", sagte ich nach einiger Zeit, weshalb ich auch gleich darauf einen bohrenden Blick auf mir spürte. Aljoscha lachte nur auf und schien meine Feststellung sehr amüsant zu finden.

„Übertreib es nicht, sonst stelle ich dich höchstpersönlich wieder unter die kalte Dusche", brummte Stenja, jedoch warf er auch im selben Moment seinen Arm um mich, wodurch ich wusste, dass er es nicht ernst meinte.

„Ich denke eher, du hast viele Gemeinsamkeiten mit Elsa", meinte Stenja. Meine Stirn runzelnd entkam meinen Lippen lediglich ein leises Grunzen. „Ich bin weit entfernt davon, eine Königin zu sein."

„Aber nur, weil du genauso wie Blondie vor deinen Problemen davonläufst", erwiderte der Blauhaarige. Dass er Elsa so abwertend als Blondie bezeichnete, ignorierte ich.

„Wenn dann bin ich eher Rapunzel, die in einem Turm eingesperrt wird", schnaufte ich frustriert. „Beide Elternteile verloren und hofft darauf, irgendwann wieder in Freiheit leben zu können."

„Du bist so negativ, Swjosdoschka", stöhnte Aljoscha und fuhr sich dabei mit einer Hand über sein Gesicht, während er seinen Kopf gegen die Wand lehnte. Mir stach abermals sein Tattoo auf dem Hals auf und erneut fragte ich mich, wieso er ausgerechnet das Wort »SEX« gewählt hatte.

„Nein, realistisch. Ich glaube kaum, dass ich jemals aus diesem Turm herauskommen werde."

„Du bist doch schon längst aus dem Turm raus! Der Prinz hat dich bereits vor deine Tante gerettet und dich zu seinem edlen Schloss gebracht", sagte Stenja. „Und wenn ich jetzt weiter über Märchen und Sagen rede, hacke ich mir freiwillig meinen Schwanz ab! Und glaube mir, ich hänge sehr an ihn."

„Wohl eher hängt der an dir", lachte Aljoscha laut auf und brachte auch mich damit zum Lachen.

„Aber was bringt mir das Schloss, wenn ich dennoch eingesperrt bin?", hakte ich weiter nach. Die Traurigkeit in meiner Stimme konnte ich nicht verbergen, jedoch wusste ich auch, dass ich dies vor den Russen nicht verstecken brauchte.

„Malyschka meine Grenze ist echt erreicht. Ich liege mit meinem Bruder kuschelnd in einem Bett und schaue die Eiskönigin. Bitte erspare es mir auch noch über Märchen reden zu müssen", flehte Stenja.

Ich tat ihm auch den Gefallen und erwiderte nichts, stattdessen schauten wir weiter den Film. Langsam wurde mir wärmer und meine Augen wurden umgehend schwerer, als auch mein Zittern aufhörte.

Nur am Rande bekam ich den Gesang des Filmes mit, als ich langsam in den Schlaf fand.

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