~Thirtyeight~

Emily und ich standen dicht nebeneinander, während wir darauf warteten, dass Yonathan uns freikaufte und unsere Papiere ausgehändigt bekam. Während ich innerlich zunehmend ruhiger wurde, sah ich in Emilys Blick den reinsten Sturm wüten.

„Alles gut. Du bist in Sicherheit", flüsterte ich, während sie dennoch nervös mit ihren Händen an dem Saum ihres Kleidchen nestelte. Zaghaft lächelte sie mich an, ehe ihr Blick zu Iwan glitt, der uns beide mit harter Miene musterte.

Nur zu gerne hätte ich etwas gesagt, doch wir waren nicht die einzigen, die auf die Bezahlung warteten. Ich schluckte die unausgesprochenen Wörter hinunter, doch die Wut auf ihn setzte sich in meiner Kehle fest.

Kurz sah ich Iwan noch mit finsterem Blick an, ehe Yonathan fertig war und mit zwei kleinen Mappen auf uns zukam. Seine Augen lagen einzig auf meinen und mir wurde erst in diesem Moment bewusst, wie viel Geld er soeben losgeworden war, um mich freizukaufen.

Beschämt sah ich zum Boden. Denn obwohl ich ihm dafür dankbar war, entstand auch eine Frustration in mir. Er hatte mich damit unweigerlich an ihn gebunden. Dabei wollte ich nicht länger abhängig sein, doch meine Freiheit würde Yonathan mir so leicht nicht zurückgeben.

„Wir fahren erst einmal zurück zum Hotel und morgen fliegen wir nach Boston", teilte Nate mir flüsternd mit, woraufhin ich lediglich nickte. Mein Blick ruhte noch immer auf dem Boden, obwohl ich nur zu gerne in das glitzernde Meer von Yonathan's Augen gesehen hätte. Jedoch fühlte ich mich dazu nicht berechtigt.

Er schien mein Verhalten nicht weiter seltsam zu finden, da er gleich darauf losging und Emily und ich ihm folgten. Erst als die frische Luft mir entgegenwehte, hob ich meinen Blick und atmete erleichtert aus. Es fühlte sich an, als würde eine tonnenschwere Last von meinen Schultern fallen.

Die schmale Straße vor der Lagerhalle war nur spärlich beleuchtet, dennoch erkannte ich den Schatten umgehend, der neben dem Auto von Demjan auf uns lauerte. Kirill bewegte sich lässig aus der Dunkelheit heraus und fing uns vor dem Auto ab.

„Wie ich sehe, hast du erfolgreich eingekauft", sagte er und obwohl seine Miene sich keinen Millimeter verzog, hörte ich die Belustigung aus seiner Bemerkung heraus. Kurz schaute Kirill zu Emily, ehe er sich Yonathan wieder zuwandte.

„Erfolgreich eingekauft? Willst du mich irgendwie auf den Arm nehmen? Was sollte die Scheiße da drin?", schrie Nate los, woraufhin nicht nur Emily zusammenzuckte, sondern auch ich. „Nicht nur, dass du den Kauf damit in Gefahr gebracht, du hast auch Aufmerksamkeit auf die gesamte Bruderschaft gelenkt!"

„Du solltest dich nicht so aufregen. Davon bekommst du sonst noch Falten", erwiderte Kirill nüchtern.

Yonathan schäumte regelrecht vor Wut. Vollkommen unerwartet presste er nur wenige Sekunden später seine Waffe zwischen Kirill's Augen. Den Atem anhaltend sah ich zu, wie Kirill seine Stirn fester gegen den Lauf der Waffe drückte.

„Tue es ...", knurrte er, ehe seine Augen für einen Bruchteil der Sekunde mich ansahen. „... wenn du dich traust."

Sobald Nate die Waffe sinken ließ, begegnete auch ich seinen flüchtigen Blick, der nur noch mehr Fragen aufwirbelte. Warum sahen mich beide so an, als würde mein Leben darüber bestimmen?

„Wusst ich doch", meinte Kirill lässig und reichte Yonathan eine braune Akte. „Zudem interessiert dich das hier sicherlich."

„Was soll das sein?", fragte Yonathan und schaute nur missbilligend auf die Papiere in Kirill's Hand.

„Antworten auf deine Fragen", erwiderte dieser schulterzuckend. Als Yonathan jedoch keine Anstalten machte, die Akte entgegenzunehmen, warf Kirill diese nur rücksichtslos vor seine Füße.

„Bitte sage mir nicht, dass du deswegen verschwunden warst", seufzte Nate überaus besorgt. „Und bitte sage mir, dass es keiner gesehen hat, wie du Mikhail beklaust!"

„Gesehen schon, aber berichten können die nichts mehr", grinste Kirill, woraufhin sich Nate verzweifelt über das Gesicht strich.

„Wir fahren zum Hotel", meinte er und schien keinerlei Interesse daran zu haben, weitere Fragen zu stellen, die ihn vermutlich nur noch mehr aufgewühlt hätten. „Und du kommst mit!"

„Wieso?", fragten Kirill und ich gleichzeitig wie aus einem Mund und erhielt von Nate einen kurzen undefinierbaren Blick.

„Weil unser Zimmer zu klein ist, um auch noch Emily bei uns schlafen zu lassen", erklärte er mir in einem ruhigen Ton. „Und sie allein in ein Zimmer schlafen lassen kann ich auch nicht."

„Dann teile ich mit ihr ein Zimmer", sagte ich eilig.

„Baby, denkst du, nach deinen letzten zwei Fluchtversuchen würde ich dir so weit trauen?"

Ich verzog meine Lippen zu einem Schmollen, verneinte seine Frage jedoch mit einem Kopfschütteln. Dennoch wollte ich Emily nicht bei Kirill für eine ganze Nacht lassen. Dies schien auch Emily zu missfallen, da ihre Augen mich beinahe panisch musterte.

„Du kannst Emily doch aber nicht bei ihm lassen. Er ist-", versuchte ich es erneut. Yonathan sah mich daraufhin mahnend an und ich verstummte augenblicklich. Mein Blick senkte sich und es ärgerte mich, dass seine harte Miene noch immer solch eine Wirkung auf mich hatte.

Kirill kam einige bedrohliche Schritte auf mich zu und lehnte sich viel zu dicht zu mir vor. „Was bin ich? Sprich dich ruhig aus, Kroschka."

Ein Schauder überzog meine Wirbelsäule, als sein warmer Atem mein Ohr strich. Mit vor Angst zitternden Knien wich ich einige Schritte zurück.

„Nichts", nuschelte ich. „Aber bitte überschreite ihre Grenzen nicht."

„So wie du meine, als du mir deine Zunge in den Mund gestopft hast?" Kirill's Stimme war zwar leise, dennoch nicht leise genug, um es vor Yonathan zu verbergen. Dieser sah mich auch umgehend mit hochgezogenen Augenbrauen an und ich konnte den Sturm in seinen ozeanblauen Augen erkennen.

Unfähig mich für diese Situation zu rechtfertigen, spürte ich nur, wie die Tränen sich an die Oberfläche kämpften. Ich versuchte diese herunterzuschlucken und blickte abermals beschämt auf den Boden.

Die Tatsache, dass mich all diese Geschehnisse für immer verfolgen würden, zog mir nur noch mehr den Boden unter den Füßen weg. Warum mussten die Russen mir dies auch immer wieder vor Augen halten?

„Es reicht. Wir fahren jetzt!", hörte ich Nate's bedrohlich wirkende Stimme, ehe Kirill sich von mir entfernte und Yonathan die Tür von Demjan's Auto aufriss. Emily und ich stiegen eilig ein und platzierten uns auf die Rückbank, während Nate selbst hinter dem Steuer Platz nahm und die Papiere auf den Beifahrersitz warf.

Mit einem Blick nach draußen erkannte ich, dass Kirill bereits mit einem Helm auf dem Kopf auf einem Motorrad saß und wartete, dass Yonathan losfuhr. Dieser startete auch den Motor und fuhr mit starrem Blick auf die Straße los.

Weder Emily noch ich traute mich etwas zu sagen, weshalb wir beide unseren eigenen Gedanken nachhingen und aus dem Fenster starrten. Natürlich spürte ich hin und wieder den Blick von Yonathan, doch mich überkam abermals ein Schamgefühl, das mich daran hinderte, ihn überhaupt in die Augen blicken zu wollen.

Immerhin hatte ich innerhalb von zwei Wochen nicht nur mit seinem Bruder Sex, sondern hatte mich auch Kirill an den Hals geworfen. Ob aus Selbstschutz oder reinem Überlebensinstinkt blendete ich dabei bewusst aus.

Ich wollte mich beschissen fühlen, als Strafe für mich selbst. Denn ich hatte es zugelassen, dass man mich in der Zeit im Keller manipulierte und somit auch die Gefühle von Nate verletzte. Dabei wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass sein Vater mich mehr oder weniger dazu benutzte, beide Brüder gegeneinander auszuspielen.

Allerdings wusste ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht, was wirklich Yonathan's Absichten waren. Was hatte ihn damals dazu veranlasst, mich retten zu wollen? Es musste doch einen Grund dafür geben und vielleicht hatte Kirill mit seiner Botschaft recht und Yonathan war tatsächlich derjenige, der für den Tod meines Vaters verantwortlich war.

Wollte er so sein Gewissen bereinigen? Wusste er eventuell auch, was mit meiner Mutter geschah? Warum hatte er nie aufgehört, mich im Auge zu behalten?

Zu viele ungeklärte Fragen kreisten in meinem Kopf. Zu viel stand zwischen Yonathan und mir, aber ich war auch noch nicht bereit, die Antworten auf meine Fragen zu erhalten, denn diese könnten meine bereits gebrochene Seele vielleicht endgültig ruinieren.

Meinen absoluten Untergang wollte ich lieber aufschieben, oder es erst gar nicht so weit kommen lassen ...

Sorry für die extreme Verspätung 🫣

Ich muss tatsächlich erstmal wieder in die Geschichte hineinfinden, nach so langer Schreibpause 😅

Hoffe euch gefällt das Kapitel dennoch 🥰 und wenn ihr Lust und Zeit habt und natürlich mit mir über meine Geschichten reden möchtet, könnte ihr gerne heute Abend 21 Uhr in mein Live auf Tiktok kommen ❤️

Habt einen tollen Start in die Woche 🫶🏻❤️

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top