~Fiftyone~

Geduldig wartete ich, dass Sky noch etwas sagte, allerdings sah sie mich nur mit einem wehmütigen Blick an. Ich fragte mich, ob sie gelauscht hatte, denn anders konnte ich mir nicht vorstellen, warum sie sich so verhielt.

Sky jedoch darauf ansprechen wollte ich nicht, da ich nicht riskieren konnte, dass sie es als Vorwurf auffasste.

"Sky, ich weiß ehrlich nicht mehr weiter. Vielleicht würde es dir helfen, wenn du dich jemand Fremden öffnest, aber lass uns wenigstens eine Lösung finden, wenn du schon nicht mit mir reden möchtest", forderte ich mit eindringlichem Blick.

"Ich möchte reden", sagte sie überraschenderweise, weshalb ich sie auch erstaunt ansah. Meine Mundwinkel verzogen sich zu einem leichten Lächeln, welches bei ihren nächsten Worten jedoch wieder verschwand. "Aber nicht hier und jetzt und vor allem nicht so."

"Okay. Wo und wann dann?", fragte ich argwöhnisch nach. Es war zwar ein Fortschritt, dass sie endlich dazu bereit war zu reden, allerdings hatte ich schon Sorge, was für Bedingungen sie stellen konnte.

"Ich gebe dir Bescheid. Gib mir nur noch einige Momente", erwiderte sie, woraufhin ich kaum merklich nickte.

"Ja, alles, um das du mich bittest."

Daraufhin verschwand Sky zügig und ich schaute ihr völlig perplex hinterher. Ich war sowohl neugierig als auch angespannt. Denn ich kannte sie mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sie ganz bestimmt etwas eher ungewöhnliches ausheckte.

Ich ging zurück in mein Büro, in dem noch immer Rose war und verdrehte innerlich meine Augen. Diese Frau wusste einfach nicht, wann sie unerwünscht war.

"Könntest du mich bitte allein lassen?", fragte ich sie daher. Ich konnte nicht vermeiden, dass ich niedergeschlagen klang und sofort bereute ich es überhaupt den Mund geöffnet zu haben.

"Sie schiebt es doch nur weiter auf, Nate."

"Wie hast du mich gerade genannt?", fragte ich wutentbrannt. Was glaubte sie, wer sie war? Rose öffnete bereits ihren Mund, doch ich unterbrach sie harsch. „Offensichtlich hast du irgendwas falsch verstanden. Du bist weiterhin nur meine Assistentin und das erlaubt dir nicht mich mit einem Spitznamen anzusprechen! Ich möchte, dass du von nun an nur noch von der Firma aus arbeitest. Alles Wichtige, was anfällt, kannst du mir per Mail zukommen lassen!"

Als sie erneut zum Reden ansetzen wollte, riss ich die Tür demonstrativ noch weiter auf und blickte wütend zu ihr herüber.

"Okay, wenn du es so willst", erwiderte sie und ging mit langsamen Schritten zu der weit geöffneten Tür. Sie sah mich ein letztes Mal flehend an, doch ich sagte nichts mehr. Stattdessen blickte ich entschlossen zurück, woraufhin sie mein Büro auch verließ.

Ich lasse mich hinter meinem Schreibtisch auf den Stuhl fallen und seufzte, ehe ich mir mein Handy griff. Rose hatte natürlich damit recht, dass ich nicht drumherum kam, Sky alles aus der Vergangenheit zu erzählen. Immerhin musste ich auch noch richtig stellen, was Demjan verbockt hatte, indem er Sky Lügen erzählte.

Allerdings wusste ich mittlerweile ebenso wenig, was die Wahrheit war. Daher nahm ich auch die Akte, die Kirill von Mikhail geklaut hatte und las immer wieder den Kaufvertrag. Es gab doch überhaupt keinen Sinn, dass Artjom auch die Mutter von Sky gekauft hatte und Jahre später wegen Schulden in ihr Haus einbrach.

In meiner Verwirrung wählte ich die Nummer von Kirill. Ich hatte die dämliche Hoffnung, dass er vielleicht doch noch mehr wusste, immerhin war es auch seine Familie. Nach wenigen Sekunden nahm er sogar ab und ich hörte bereits die laute Musik, da er sicher in seinem Club war.

"Falls du dich vergewissern willst, ob die Psychopathin noch lebt, dann kann ich dich beruhigen", sagte er genervt, wie eh und je. Innerlich rollte ich mit den Augen und unterdrückte den Drang, sofort wieder aufzulegen.

"Nein, darum rufe ich nicht an", informierte ich ihn und hörte, wie die Musik leiser wurde, bis ich diese gar nicht mehr wahrnehmen konnte. "Hör mal wegen dieser Akte von Scarlett. Was weißt du von deiner Tante?"

Ich konnte ihn laut ausatmen hören und danach raschelte es kurz, ehe er begann zu reden. "Nichts. Sie war Hausfrau und Mutter. Zumindest war das immer mein Stand, bis diese Akte in meine Hände fiel."

"Was könnte sie für eine Verbindung mit Artjom gehabt haben?", dachte ich laut, da dieser Punkt für mich absolut nicht nachvollziehbar war.

"Jascha ich weiß es nicht. Vielleicht fragst du mal deinen Vater. Der scheint etwas gewusst zu haben, oder warum sonst legt er seinen Bruder vor der halben Bruderschaft um?"

"Ja, könnte sein", murmelte ich und las dabei weiter in der Akte. Der Veranstalter damals war jemand anderes, da Mikhail natürlich noch gar nicht gelebt hatte. "Was ist mit diesem Mikhail. Wer ist das?"

Ich erinnerte mich an die Worte meines Vaters, dass ich ein Auge auf den Veranstalter des Menschenhandels werfen sollte, da dieser vermutlich für Ärger in der Bruderschaft sorgen würde.

"Ein weiterer russischer Psychopath, der Frauen wie Objekte behandelt, wie wir alle", antwortete Kirill nüchtern.

"Du bist ein Arschloch", zischte ich und hörte ihn daraufhin lachen.

"Ich fühle mich geschmeichelt, Daddy."

Jede Konversation mit ihm war absolut nervtötend, dennoch war er derjenige, der mir die nötigen Informationen liefern konnte.

"Wie ist die Lage innerhalb der Bruderschaft?", hakte ich weiter nach. Mein Vater sprach von einem bevorstehenden Kleinkrieg und doch hörte ich von ihm in den ganzen Tagen überhaupt nichts.

"Das fragst du mich? Du bist doch der Boss!", erwiderte er belustigt. Mein Puls stieg rapide und ich fühlte diesen bereits in meinem Hals kräftig pulsieren.

"Fick dich, Kirill! Wenn ich etwas wüsste, würde ich dich nicht fragen!"

"Herrgott, lässt deine Prinzessin dich nicht ran, oder warum bist du so reizbar?"

"Do svidaniya", verabschiedete ich mich und beendete das Gespräch zügig. Wie gern hätte ich ihn durchs Telefon gezogen und mit dem Kopf einige Male auf den Tisch geschlagen! Vielleicht hätte sein matschiges Hirn dann mal auf Hochtouren gearbeitet.

Frustriert warf ich das Handy auf den Tisch, um gleich darauf den Bildschirmschoner meines PCs zu entsperren. Eilig gab ich den Namen von Mikhail in das Googlesuchfeld, um dann festzustellen, dass es 0 Treffer gab. Ich versuchte weitere Eingaben, doch wie ich bereits befürchtet hatte, fand ich absolut nichts!

Dieser Typ war ein Geist und schien laut Internet überhaupt nicht zu existieren. Der hatte nicht einmal Social Media!

Ich war bereits in Versuchung meinen Vater zu kontaktieren, allerdings erschien in dem Moment eine Nachricht von Sky. Verwundert öffnete ich diese. Sky hatte ihr Handy, seit wir zurück waren, nicht angestellt, umso verwirrter war ich, als sie mir schrieb, obwohl wir uns unter einem Dach befanden.

»Du wunderst dich sicher, warum ich dir schreibe und es dir nicht einfach gesagt habe, was ich vorhabe. Allerdings hatte ich nicht den Mut, dir zu sagen, wann und wo ich mit dir reden möchte. Denn um ehrlich zu sein, habe ich Angst. Angst davor, welche Emotionen ein solches Gespräch in mir auslösen könnten und auch Angst davor, wieder nur vor mir selbst zu flüchten. Denn solange du mir eine Wahl lässt, werde ich immer die Option wählen wegzurennen. Daher habe ich mir etwas überlegt, wie wir das vermeiden könnten. Treffe mich im blauen Zimmer und lass mir keine Wahl!«

Völlig irritiert las ich diese Nachricht mehrere Male. Natürlich verstand ich den Sinn dahinter, allerdings empfand ich es nie richtig, Sky zum Reden zu zwingen, auch wenn ich dies des Öfteren in Erwägung zog.

»Ach und ich möchte nur mit dem Teil von dir reden, der du bist, sobald du in dem Raum bist. Keine Fürsorge und kein Mitleid!«

Wollte sie mich verarschen? Dachte sie, ich hätte Persönlichkeitsstörungen und würde in diesen switchen?

Trotz meinem eher mulmigen Gefühls schrieb ich ihr zurück und schaltete daraufhin meinen PC aus, um dann mein Büro zu verlassen. Ich ging die Treppe nach oben und blieb vor der verschlossenen Tür stehen, um ein letztes Mal tief Luft zu holen.

Angespannt überlegte ich, was mich dort hinter der Tür erwarten würde und wie sehr mich das selbst an meine moralischen Grenzen bringen würde. Das Letzte, was ich wollte, war Sky in ihrer eher labilen Situation noch mehr seelisch zuzusetzen, aber welche Wahl hatte ich, wenn sie mich darum sogar bat?

Im Stillen wiederholte ich ihre Worte »Keine Fürsorge und kein Mitleid« und versuchte einzig meine strenge und autoritäre Seite in mir zum Vorschein zu bringen. Langsam öffnete ich die Tür und erkannte umgehend das gedämpfte Licht von den Spots, ehe ich wenige Schritte in den Raum ging. Erst da bemerkte ich Sky, die nur mit einem Slip bekleidet auf ihren Knien saß.

Fuck, ich war am Arsch ...

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top