Epilog
Nachdem meine Tante gesagt hatte, sie würde mich zu jemanden bringen, der mir mehr Antworten geben konnte, wie sie, begab ich mich nach draußen zu Tyson, um mit ihm die Lage zu besprechen. Sie selbst machte sich in der Zwischenzeit fertig.
„Das war vorher nicht vereinbart", schimpfte Tyson mit mir, als wäre ich ein Kind. „Dafür sind wir nicht richtig aufgestellt."
„Sie haben 5 weitere Männer mitgenommen. Ich denke, das ist absolut ausreichend", erwiderte ich mit dem Blick auf die bewaffneten Wachleute. Allein, mit denen in einen Club zu marschieren war auffällig genug. Ich konnte von Glück reden, wenn man uns überhaupt reinließ!
„Mir gefällt das nicht!", protestierte mein Babysitter weiter. Jedoch wusste er genauso gut wie ich, dass es zwecklos war. Mein Wort stand über seines, egal, wie sehr er darauf behaarte, dass es eine blöde Idee sei.
„Mir gefällt Ihr Gemotze auch nicht, Ty. Müssen wir wohl beide durch", erwiderte ich ausdruckslos und lehnte mich dabei mit dem Rücken an das Auto. „Allerdings bin ich nicht in der Position, es dulden zu müssen. Noch ein negativer Kommentar und ich muss mir wohl jemanden suchen, der sich auch selbst dafür in der Lage sieht, diesen Job durchzuführen, verstanden?"
„Ja, Ma'am." Auch wenn Tyson versuchte ebenso emotionslos zu schauen, erkannte ich, wie er den Kiefer fest anspannte. Vermutlich versuchte er so weitere Kritik herunterzuschlucken.
Die restliche Zeit, die wir warteten, blieb es absolut still. Erst als meine Tante mit frischem Make-Up, neuem Outfit und gekämmten Haaren nach draußen trat, rührte Tyson sich.
„Das macht es absolut nicht besser", kommentierte er das freizügige Kleid von Beth, das absolut keine Fantasie mehr benötigte.
„Ich bin so weit. Das ist also deine Tagesmutti?", fragte Tante Beth mit Blick auf Tyson, der ihr nur mit harter Miene entgegenblickte. „Naja, immerhin hat er zwei gute Argumente", stellte sie fest, als sie auch noch ihre Hand um seinen Bizeps legte und diesen abtastete.
„Für Miss MacKanzie würde ich mein Leben geben, wenn es notwendig wäre, aber Ihres ist mir scheißegal. Also behalten Sie ihre Hände bei sich", knurrte Ty und schüttelte meine Tante dabei wie eine lästige Fliege von sich, ehe er schwungvoll die hintere Tür öffnete und uns deutete einzusteigen. Ich überließ Tante Beth den Vortritt, bevor sie noch eine Chance bekam an meinem Bodyguard herum zu tatschen und ihn noch mehr verärgerte.
Mit meinen Lippen formte ich ein stummes »Sorry«, ehe ich ebenso einstieg und auf der Rücksitzbank Platz nahm. Das Benehmen meiner Tante war mir wirklich unangenehm, weshalb ich während der Fahrt nur stumm aus dem Fenster blickte. Ich beobachtete, wie der Himmel sich immer mehr zuzog. Es wurde dunkler und es bahnte sich offenbar heftiger Regen an, zumindest wirkten die beinahe völlig schwarzen Wolken so.
„Biegen Sie hier links ab. Das ist kürzer", informierte meine Tante den Fahrer, der seinen Blick daraufhin zu Tyson schweifen ließ.
„Wir bleiben auf unserer Route. Und Sie geben niemandem Anweisungen", sprach Ty zuerst den Fahrer und anschließend Tante Beth an. Diese lehnte sich beleidigt in die Sitzbank und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
„Gott, ist der unentspannt", brummte sie augenverdrehend. Ein wenig fand ich es amüsant, denn ich war derselben Meinung. Allerdings behielt ich das für mich und schaute nur wortlos wieder aus dem abgedunkelten Fenster.
Mittlerweile fielen die ersten Regentropfen vom Himmel und gebannt sah ich dabei zu, wie einzelne Tropfen auf die Scheibe prasselte, in Geschwindigkeit zur Seite flossen, sich teilten und erneut zueinander fanden.
Das Auto parkte nach einiger Zeit am Straßenrand, unmittelbar vor dem Club. Betrübt musste ich feststellen, dass der Regen nicht nachließ und stattdessen noch energischer vom Himmel fiel. Tyson stieg als erster aus und ließ seinen Blick zuerst über die leere Straße schweifen. Bei dem Wetter befand sich keine Menschenseele draußen, das stellte auch Ty schnell fest.
Er öffnete die hintere Tür für mich und deutete den restlichen Männern, dass sie uns folgen sollten. Mit langen und schnellen Schritten betrat ich das Etablissement. Auf den ersten Blick wirkte es für diese Gegend sehr elegant und vornehm. Auf den zweiten Blick erkannte man jedoch, dass es mehr ein Bordell, als ein Club war.
Die Inneneinrichtung war ausschließlich in schwarz und dunklen Rot gehalten. Einige der Tische hatten silberglänzende Stangen in der Mitte. Die Musik war laut und der Bass vibrierte in meinem Körper. Da es noch mitten am Tag war, waren nicht viele Menschen in dem Club. Nur vereinzelt sah man einige Frauen und an der Bar saß auch nur ein einziger männlicher Kunde.
Mit einem Blick über meine Schulter erkannte ich, dass Tyson und sein Team unmittelbar hinter mir standen. Immerhin hatten sie ihre Gewehre abgelegt, wobei sie trotz allem gefährlich wirkten und definitiv die Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Meine Tante drängte sich an mir vorbei und stolzierte mit ihren hohen Hacken geradewegs in die Location hinein. Zögerlich folgte ich ihr. Mit einem Winken begrüßte Beth die Frau hinter der Bar, während wir an dieser vorbeiliefen.
Als wir um eine Ecke bogen und in einen ruhigeren Teil des Clubs kamen, sah ich an einem runden schwarzen Tisch drei Männer, in denen einige Frauen tänzelten. Tante Beth steuerte genau diesen Tisch an, wodurch mein Magen sich nervös zusammenzog. Die Männer sahen mindestens genauso vertrauenswürdig aus, wie die Russen. Nicht!
„Bethany", begrüßte einer der Männer meine Tante. Er stand umgehend auf und breitete seine Arme aus, ehe er ihr jeweils links und rechts einen Kuss gab. Der Mann war definitiv schon älter. Seine kurzen Haare waren bereits grau und sein Gesicht zierten etliche Falten. Er trug ein weißes Hemd und eine schwarze Anzughose.
„Richard. Ich habe jemanden mitgebracht. Meine Nichte hat einige Fragen an dich zu ihrer Mutter", erwiderte Beth und zog mich bei ihren Worten dichter an sie heran.
„So", gab der ältere Mann nur unbeeindruckt von sich und musterte mich mit gehobenen Augenbrauen. „Sollte ich wissen, wer deine Mutter ist?"
„Meine Schwester Scar. Stelle dich nicht dümmer als du bist, Richard." Erschrocken von dem strengen Ton meiner Tante, schaute ich skeptisch zu ihr. Richards grinste glücklicherweise nur und schien ihr diese Worte nicht übelzunehmen.
„Ich habe dich schon immer für dein loses Mundwerk geliebt, Beth." In mir stieg Übelkeit auf. Nur diese Worte von ihm zu hören, reichten, um die gesamte Situation ekelerregend zu finden. Dabei war mir sehr wohl bewusst, wer noch solche Sachen sagte. Irgendwie erkannte ich zum ersten Mal Gemeinsamkeiten mit meiner Tante.
„Erkläre mir nur, wieso du für paar harmlose Antworten mit so vielen bewaffneten Männern meinen Club betreten musst?" Für einen winzigen Augenblick huschten die dunklen Augen des Mannes zu mir und unwillkürlich machte ich mich kleiner, um notfalls in Deckung zu gehen.
„Das müsstest du am besten wissen! Scar hätte solchen Schutz auch gebraucht", knurrte Beth neben mir. Abermals lachte Richard über ihre Reaktion.
„Fahr die Krallen ein, meine Löwin. Wir sollten uns setzen und in Ruhe reden." Bei seinen Worten kräuselte ich die Nase, ehe ich zwischen Richard und meiner Tante hin und her sah. Er legte seine Hand an ihrem Rücken und führte sie zu dem Tisch. Mit einer Geste verscheuchte er die Frauen und auch die Männer, um gleich darauf mich zu sich zu winken.
Mit einem Blick über meine Schulter sah ich flüchtig zu Tyson, der nur wenige Schritte von mir entfernt stand. Er wirkte ein wenig angespannt, zeigte sonst jedoch keinerlei Regung. Entschlossen ging ich daher zu meiner Tante und setzte mich gegenüber von Richard.
„Du hast viele Ähnlichkeiten mit ihr", sagte er beiläufig. Seine Augen sahen tief in meine und sorgten dafür, dass sich meine Kehle fest zusammenzog. Ein heiseres Räuspern entkam mir, ehe ich meine Stimme halbwegs wiederfand.
„Mit meiner Mutter?"
„Ja, damals war sie in deinem Alter, als sie zu mir in den Club kam und mich nach einem Job angebettelt hat", erzählte Richard mir. „Sie war bildhübsch, so wie du. Natürlich habe ich ihr einen Job gegeben."
„Als Prostituierte?", hakte ich nach und erhielt von ihm ein Nicken.
„Leider war sie nicht nur eine Nutte, sondern eine geldgeile Schlampe."
„Richard!", sprach meine Tante im mahnenden Ton. Mit weit geöffneten Augen sah ich ihn schockiert an.
„Was? Als ihre Tochter hat sie doch das Recht darauf zu erfahren, wie ihre Mutter sich, geblendet von Geld, verkauft und alle um sich herum in die Scheiße gezogen hat!"
„Sie ist dennoch ihre Tochter", erwiderte Beth. Ihre Lippen hatte sie zu einer schmalen Linie gepresst. Mein rasender Herzschlag wummerte mir bis in die Ohren. Aber ich brauchte all die Antworten, egal, wie sehr sie mir schmerzten.
„Ist okay. Erzähle mir von Artjom. Wie ist das zustande gekommen und was war zwischen ihm und meiner Mutter?"
„Er war hin und wieder geschäftlich in der Stadt und verbrachte seine Abende oft hier", erzählte er mit einem Schulterzucken. „Als Scarlett hier anfing, war er sofort von ihr begeistert. Er buchte sie anfangs für eine Stunde, dann für eine Nacht. Jedes Mal, wenn er hier Gast war, buchte er sie. Und wenn sie nur die ganze Nacht auf seinem Schoß saß, um ihm ein besseres Gefühl zu geben. Er war regelrecht besessen von ihr. Keine andere meiner Frauen hat ihn interessiert und deine Mutter nutze es, um so zusätzliches Geld zu verdienen."
Meine Tante schnaubte abfällig, während wir seinen Erzählungen lauschten. Ich sah sie abwartend an, woraufhin sie mit Abscheu sprach: „Sie redete von Liebe und dass Artjom ihr schon bald ein besseres Leben bieten würde."
„Eines Tages kam sie aufgelöst in mein Büro. Sie weinte bitterlich und erzählte mir anschließend, dass sie schwanger war." Den Tränen nahe, schloss ich meine Augen. Mein Magen rebellierte und ich glaubte, keine weiteren Informationen mehr ertragen zu können, ohne mich übergeben zu müssen.
„Es war Artjom", vermutete ich mit schmerzenden Herzen. Wenn meine schlimmsten Befürchtungen sich bewahrheiteten, wüsste ich nicht, wie ich damit umgehen sollte.
„Nein, es war ein anderer Kunde. Aber deine Mutter hatte fürchterliche Angst vor dem Kindesvater. Sie erzählte mir von den Drohungen, aber ich konnte ihr nicht helfen. Das war das letzte Mal, dass ich deine Mutter in meinem Club sah."
Ich versuchte mich auf meine Atmung zu kontrollieren, um die Übelkeit loszuwerden, während ich gedanklich alle Informationen sortierte. Richard sagte, meine Mom war so alt, wie ich, als sie bei ihm anfing, was bedeutete, all das passierte zehn Jahre vor meiner Geburt.
Was passierte in all den Jahren, bevor sie meinen Dad kennenlernte? Und was das zwischen Artjom und meiner Mom? Was wurde aus dem Baby, dass sie von einem ihrem Kunden erwartete? Wo gehörte ich in all diesem Chaos dazu?
Ich bekam das Gefühl, mich selbst nicht mehr zu kennen. Alle Erinnerungen an meine Eltern verschwommen. Was hatte mein Leben für einen Wert, wenn ich nicht einmal weiß, wer meine Mom und mein Dad wirklich waren? Wer war ich?
„Entschuldigt mich", brachte ich mit brechender Stimme hervor. Mein ganzer Körper bebte und ich konzentrierte mich, während ich durch den Club ging, einzig darauf nicht auf den dunklen Boden zu erbrechen. Auch meine Tränen kämpften sich an die Oberfläche. Ich bekam Tyson alarmierten Gesichtsausdruck mit. Dennoch lief ich geradewegs an ihm vorbei in Richtung der Toiletten.
Schwungvoll stieß ich die Tür auf und trat umgehend an eines der Waschbecken. Tief Luft holend stellte ich kaltes Wasser an. Meine zittrigen Hände hielt ich darunter und spritzte mir anschließend die kühle Flüssigkeit ins Gesicht. Das angestaute Schluchzen konnte ich nicht mehr zurückhaltend, weshalb dieses unkontrolliert meine bebenden Lippen verließ und von den Fliesen widerhallte.
Nochmal atmete ich tief ein, als ich meinen Blick zum Spiegel hob und in azurblaue Augen blickte.
„Hallo Schwesterherz."
Von Risen Queen lade ich das Cover und den Klappentext im Anschluss auch hoch ❤️❤️
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