Brief [06.09.1888]
06. September 1888
Lieber James,
ich weiß nicht, wie ich meine Gedanken und Gefühle in Worte fassen kann und dennoch will ich es versuchen, weil ich Dir eine Erklärung schuldig bin. Zuerst einmal tut es mir leid, dass ich mich in den letzten Tagen nicht bei Dir gemeldet habe. Ich fühlte mich nicht in der Lage dazu und auch nun bin ich zu feige, Dir persönlich gegenüber zu treten.
Zu aller erst möchte ich klarstellen, dass ich Dich liebe, trotz allem, was passiert ist. Es ist nur so, dass es mir gerade irgendwie schwerfällt Dich zu sehen und so zu tun, als wäre nichts geschehen. Mary Ann war eine Freundin und seit ihrem, naja Tod, habe ich das Gefühl, die Realität sei mir abhandengekommen. Es ist seltsam, ich verlebe meine Tage wie eh und je und doch scheint alles so schrecklich weit weg. Es ist wie im Traum, nur dass ich niemals aufwachen werde. Manchmal habe ich das Gefühl verrückt zu werden.
Ich werde mir deshalb selbst eine Auszeit verordnen. Eine Auszeit von Dir und von uns. Ich kann nicht sagen, was in den kommenden Wochen geschehen wird, aber es liegt eine Anspannung in der Luft und ich möchte Dich nicht in diese Dunkelheit meines Geistes hereinziehen. Vermutlich komme ich gerade endgültig in Deiner Welt an. Eine Welt, von der ich nie gedacht hätte, sie zu betreten und die sich nun in all ihrer Grausamkeit vor mir ausbreitet. Ich habe Angst vor dem, was kommen wird, doch ich weiß, dass ich mich der Dunkelheit hingeben muss, damit wir beide eine Zukunft haben.
Ich wünschte, Du würdest mich begleiten, aber ich weiß, dass ich diesen letzten Schritt allein gehen muss. Und wenn ich ihn getan habe, liegt alles hinter mir. Meine Vergangenheit wird nicht mehr zu erkennen sein. Meine Eltern werden vor Gott meinen Namen leugnen und die Hölle wird ihre Tore für mich offenhalten. Ich werde vollkommen der Deine sein. Es wird kein Zurück mehr geben, nur noch ein vorwärts.
Ich ahne, dass es das ist, was Du dir für mich erhofft hast. Dass Du wusstest, dass Joe niemals in der Lage sein würde, diesen letzten Schritt für Dich zu gehen. Doch ich bin es. Ich bin bereit zu brennen und wenn Du mir am Ende in der Hölle die Hand schütteln willst, werde ich Dich nicht enttäuschen. Ich werde zu Dir zurückkehren, weil es nichts gibt, was mich je von Die fernhalten könnte.
Du sagtest einst zu mir, dass jeder seine eigene Geschichte schreibt, die Menschen aber lieber Helden Geschichten hören. Wir sind keine Helden Geschichte, mein Liebster, und dennoch werden sie über uns reden. Vielleicht wird man uns keine Romane widmen (und sicher wird niemand unsere kleinen Abendteuer in der Presse veröffentlichen), doch in Vergessenheit werden wir niemals geraten.
Sie werden sich unserer Erinnern und dennoch nur die halbe Wahrheit kennen. Doch wir kennen die ganze Geschichte und diese begann mit zwei Männern, die sich in einer Kneipe begegneten und lieben lernten. So sehr, dass der eine bereit war für den anderen in die Hölle hinab zu steigen.
Ich komme bald zurück (denke ich), verzeih meine Abwesenheit.
In ewiger Liebe und Treue,
Sebastian
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