1.8
Agnes hatte die Fähigkeit verloren, unschuldig auszusehen. Vielleicht hatte sie diese Fähigkeit auch nie besessen und man hatte hinter diesen klugen Augen schon immer ein chaosbringendes Genie erwartet.
Selbst, als sie mit einem großen Paket in der Hand und einem möglichst unschuldigen Lächeln im Gesicht in das Büro von Professor McGonagall trat, der mittlerweile Schulleiterin von Hogwarts, wusste die Professorin, dass irgendetwas nicht stimmte.
„Guten Tag, Minerva!", begrüßte Agnes sie heiter, „Wie schön, dass ich Sie hier antreffe!"
„Wir haben einen Termin", erinnerte Minerva McGonagall sie misstrauisch, „Den haben wir schon vor Wochen vereinbart. Sie haben mich darum gebeten, Agnes."
„Tatsächlich?", fragte Agnes vollkommen unschuldig, „Daran kann ich mich gar nicht erinnern!"
„Sie haben ein ausgezeichnetes Gedächtnis", widersprach McGonagall, „Was wollen Sie also von mir?"
Agnes grinste leicht. „Sie sehen heute wirklich bezaubernd aus."
„Warum sind Sie hier?"
„Ist das eine neue Robe? Wirklich schick!"
„Agnes."
„Ich habe Ihnen Ingwerkekse mitgebracht", Agnes hielt McGonagall das Paket hin.
Professor McGonagall sah das Paket misstrauisch an, als würde sie erwarten, dass es gleich explodierte, aber dann nahm sie es doch mit vorsichtigen Bewegungen an.
„Danke", sagte sie, „Jetzt haben Sie sich aber genug eingeschleimt, oder nicht? Warum sind Sie hier, Agnes?"
„Ich bin eigentlich hier, um einen Hauself zu entführen", gestand Agnes, „und dafür wollte ich mir zuerst Ihre Erlaubnis holen."
„Einen Hauself?", wiederholte McGonagall perplex, „Meinen Sie das ernst oder ist das eine Metapher?"
„Wie Sie bestimmt wissen, werde ich schon bald eine eigene Bäckerei eröffnen", erklärte Agnes, „Ich habe das Gebäude gestern gebaut und werde es jetzt ein wenig renovieren und neu einrichten, aber ich erwarte, es schon Ende dieses Jahres aufmachen zu können."
„Was hat das mit Hauselfen zu tun?", fragte McGonagall.
„Es gibt hier in Hogwarts eine Hauselfe namens Tinky – sie hat mir mehr oder weniger backen beigebracht. Ich wollte sie bei mir einstellen."
Professor McGonagall blinzelte überrascht. „Ich soll eine Hauselfe von Hogwarts freilassen, damit Sie sie anstellen können?"
„Ganz genau", bestätigte Agnes, „Ich verspreche, sie gut zu behandeln – sie ist eine Freundin."
„Okay", erlaubte McGonagall und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, „Wenn das diese Elfe auch wünscht – von mir aus! Warum eigentlich nicht?"
„Danke", grinste Agnes, „Ich werde Tinky gleich fragen!"
„Ich erwarte mir dafür Rabatte in ihrer Bäckerei, Agnes!", verlangte McGonagall lächelnd.
„Eine Einladung zur Hochzeit bekommen Sie auch gleich dazu", bot Agnes an, als sie schon auf dem Weg nach draußen war und sie rief es eigentlich noch über ihre Schulter zurück, „und ich nenne meine Tochter nach Ihnen!"
Professor McGonagall seufzte und schüttelte amüsiert den Kopf. Sie hatte Agnes schon sehr früh in ihrem Leben begleitet – die Entwicklung, die sie durchlaufen hatte, war unglaublich, aber eindeutig zum besseren.
Agnes bemühte sich, nicht gleich in die Küche zu rennen, sondern etwas Haltung zu bewahren.
Remus wartete vor dem Büro auf sie und sah sie schon erwartungsvoll an. „Und?"
„Sie erlaubt es!", jubelte Agnes überglücklich, „Jetzt muss ich nur noch Tinky fragen, ob sie das auch will – vielleicht würde sie lieber in Hogwarts bleiben, immerhin arbeitet sie da schon sehr lange."
„Fragen kostet ja nichts." Remus zuckte mit den Schultern und zusammen gingen sie Seite an Seite durch die Gänge von Hogwarts in Richtung Küche. Ein paar Schüler sahen Agnes neugierig an, aber sie hatte gelernt, die Blicke zu ignorieren.
Remus Lupin war nun wieder Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste in Hogwarts und er war nach dem Krieg richtig aufgeblüht. Er wirkte einfach weniger müde, obwohl er mit Teddy und den Schülern und einem Vollzeitjob immer alle Hände voll zu tun hatte und man sah ihn viel häufiger lächeln als früher.
Bei der Küche angekommen, streckten Remus und Agnes gleichzeitig die Hand nach der Birne auf dem Gemälde aus, die man kitzeln musste, um in die Küche zu gelangen.
Einen Moment lang sahen sie sich verwirrt an, als hätten sie vergessen, dass sie nicht allein gekommen waren.
„Entschuldige – alte Gewohnheiten sterben nie", entschuldige Remus sich, „Ich bin häufig mit den anderen hier unten in der Küche gewesen – meistens in der Nacht."
„Ich habe auch viel zu viel Zeit da drin verpasst", gestand Agnes, „Ich glaube, man könnte sagen, dass ich da zum ersten Mal Fred begegnet bin."
„Danke, jetzt kann ich nicht mehr an die Küche denken, ohne an euch beide als Paar zu denken", beschwerte Remus sich, „Du hast wirklich die Magie von diesem Ort zerstört. Danke!"
„Kein Problem – hab ich doch gerne gemacht", grinste Agnes, „Jetzt bist du vielleicht in deinen Freistunden nicht mehr so oft hier – jemand muss ja auf dein Gewicht achten!"
„Mein Gewicht?", wiederholte Remus empört, „Willst du damit sagen, dass ich fett bin?"
Agnes musterte Remus kritisch. „Nein, nicht wirklich – aber das kann ja noch werden, oder nicht?"
„Wenn du mich weiterhin mit so viel Kuchen fütterst – dann sicherlich!"
„Dann schicke ich dir eben keinen Kuchen mehr."
„Nein", wimmerte Remus leise, „Bitte nicht."
Agnes schmunzelte und kitzelte die Birne, sodass sich der Eingang zur Küche auftat.
Die Hauselfen waren wohl gerade schon mit dem Abendessen beschäftigt und es herrschte reges Treiben, aber trotzdem fand eine Hauselfe Zeit, zu ihnen zu kommen und sich vor ihnen zu verbeugen.
„Professor Lupin und ein Gast! Wie kann Millie Ihnen dienen?", fragte sie.
„Eigentlich suche ich nach Tinky", gestand Agnes, „Denkst du, sie hat einen Moment Zeit für mich oder soll ich lieber später kommen."
„Ich werde sie fragen", versprach die Hauselfe namens Millie, verbeugte sich noch einmal tief und ging dann, um nach Tinky zu suchen.
Kurz darauf tauchte Tinky auf und sie schien sich zu freuen, Agnes zu sehen.
„Agnes ist gekommen, um Tinky zu besuchen!", freute sie sich.
„Ich wollte mit dir sprechen, Tinky", gestand Agnes, „Hast du Zeit, dich mit mir vor der Küche zu unterhalten, wo es etwas ruhiger ist?"
„Für Agnes hat Tinky immer Zeit", sagte Tinky glücklich.
„Ich warte inzwischen hier und genieße die Gastfreundschaft der Hauselfen", bestimmte Remus.
„Achte auf deine Figur!", rief Agnes ihm noch über die Schulter zu und sie sah noch Remus' empörten Blick, bevor sich der Eingang zur Küche schloss und sie mit Tinky allein auf dem Gang stand.
Es waren auch keine Schüler unterwegs, also hatten sie absolute Ruhe.
„Agnes wollte mit Tinky sprechen?", fragte Tinky neugierig.
„Ich werde eine eigene Bäckerei eröffnen", verkündete Agnes, „mit meinen eigenen Kreationen."
Tinky klatschte begeistert in die Hände. „Tinky freut sich für Agnes! Sie hat das wirklich verdient nach all der Arbeit!"
„Ohne dich hätte ich das nie geschafft", sagte Agnes ernst, „Und... ich habe mir gedacht, dass ich bestimmt ein bisschen Hilfe gebrauchen könnte, also... habe ich mir überlegt: Willst du nicht bei mir arbeiten?"
Tinky riss überrascht die Augen auf. „Tinky soll Hogwarts verlassen und in Agnes' Bäckerei arbeiten? Aber... was wird die Herrin dazu sagen?"
„Ich habe schon mit Professor McGonagall gesprochen und sie hat zugestimmt, wenn du das auch willst", sagte sie sanft, „Und ich würde mich sehr darüber freuen. Du hättest bei mir natürlich auch ein Zimmer für dich und alles, was du dir wünschst, könnte ich dir besorgen, versprochen. Ich kann dich auch bezahlen."
„Tinky will nicht bezahlt werden!", rief die Hauselfe empört, „aber... aber Tinky würde sich freuen, die Hauselfe von Agnes zu werden und ihr in ihrer Bäckerei zu helfen!"
„Wirklich?", fragte Agnes und begann zu grinsen, „Danke! Das... Vielen Dank!"
„Agnes ist immer gut zu Tinky gewesen – sie freut sich, weiterhin mit Agnes backen zu können wie damals, als Agnes noch ein Kind gewesen ist!"
Agnes war bei Ivy und ihrem Sohn Roger mittlerweile ein häufiger Gast, wenn sie ein Auge auf ihren Patensohn hatte oder einfach nur Ivy Gesellschaft leistete.
Dieses Mal besuchte Agnes aber nicht Ivy oder Roger, sondern die Hauselfe Tonky, die sie damals bei Ivy zurückgelassen hatte und ohne die Agnes vielleicht gar nicht mehr am Leben wäre.
Als sie sich also alle zusammensetzten und Agnes mit Roger auf dem Schoß und einer Tasse Tee vor sich vollkommen zufrieden war, bat sie auch Tonky, sich zu ihnen zu setzen.
„Die Herrin will mit Tonky sprechen?", fragte Tonky nervös, „Tonky hat doch nichts falsch gemacht, oder Herrin? Das könnte Tonky sich niemals verzeihen!"
„Nein, nein, du machst alles perfekt, danke", widersprach Agnes schnell, „Nein, ich wollte dich eigentlich etwas anderes fragen: Ich werde nämlich eine Bäckerei eröffnen und habe mir gedacht, dass etwas Hilfe nicht schaden könnte..."
„Hilfe?", fragte Tonky, „Tonky versteht nicht ganz."
„Ich wollte dir anbieten, dort zu arbeiten", erklärte Agnes geduldig, „Ich habe auch noch eine andere Hauselfe eingestellt, aber dir wollte ich auch die Wahl lassen: Du kannst gerne in der Bäckerei helfen, aber du kannst auch hier bei Ivy und Roger bleiben und ihr helfen."
„Tonky ist etwas unsicher", gestand sie nervös, „Was verlangt die Herrin?"
„Ich will von dir, dass du mir sagst, ob du hier glücklich bist", sagte Agnes ernst.
„Aber natürlich, Herrin!", rief Tonky aus, „Tonky ist überglücklich! Tonky ist sehr dankbar, Miss Ivy helfen zu können."
„Also willst du hierbleiben?", fragte Agnes sie lächelnd.
Tonky nickte eilig. „Wenn es die Herrin erlaubt, würde Tonky liebend gerne bei Ivy und Roger bleiben, aber Tonky wird immer zur Stelle sein, wenn die Herrin sie braucht."
„Tonky, du bist zur Stelle gewesen, als ich dich am dringendsten gebraucht habe", sagte Agnes ehrlich zu ihr, „du hast dir das beste Leben verdient, das ich dir bieten kann."
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