1.1

Ba-dum. Ba-dum. Ba-dum.

Es war schön, Freds Herzschlag zu hören – es war irgendwie eine Versicherung für Agnes, dass er wirklich lebte, obwohl sie selbst tief im Inneren wusste, dass sie sich selbst das einbilden könnte.

Aber im Moment kümmerte sie sich nicht darum, sondern hatte ihr Ohr auf Freds Brust gelegt, während sie ihn fest umarmte und sie standen einfach nur sich umklammernd zusammen. Fred hatte seine Arme schützend um sie gelegt und hatte so einen beschützenden Ring gebildet, in dem niemand Agnes etwas anhaben konnte und sie nahm sich Zeit, um seinem Herz zu lauschen.

Es war ein Moment Ruhe, den sie brauchte.

Alles um Agnes war so laut und hektisch, da war sie froh, wenn sie einen Moment lang nur herumstehen und nichts tun konnte, außer sich auf Freds Herzschlag zu konzentrieren. Vermutlich hätte jeder andere Herzschlag es auch getan, aber wem sonst würde Agnes sich so verletzlich zeigen? Nicht einmal den Heilern im St. Mungos, in dem sie sich befand und in dem sie wohl noch einige Zeit bleiben würde.

Die Janus Thickey-Station war eigentlich für Fluchschäden und Patienten, die noch länger im Krankenhaus verbringen würden – vielleicht für immer.

Es war nicht schwer, sich die Namen ihrer Zimmergenossen zu merken: Da gab es einmal Professor Lockhart, Agnes' ehemaliger Professor für Verteidigung gegen die Dunklen Künste, mit dem sie nicht sonderlich viel hatte anfangen können und der nach einem fehlgelaufenen Vergessenszauber sein eigenes Gedächtnis gelöscht hatte in einem Ausmaß, dass er nicht einmal seinen eigenen Namen gewusst hatte und natürlich die beiden eher ruhigen Mitbewohner: Alice und Frank Longbottom.

Sie waren Nevilles Eltern und waren unter anderem von Bellatrix Lestrange in den Wahnsinn gefoltert und als sie Agnes gesehen hatten, hatten sie ihre Abneigung ihr gegenüber nicht anders äußern können, als dass sie ihr ausdruckslose Blicke geschenkt hatten, bevor Alice auf ihr Bett gesabbert hatte.

Eigentlich gehörte Agnes nicht wirklich dorthin, immerhin war es nicht wirklich ein Zauber oder Fluch gewesen, der sie in den Wahnsinn getrieben hatte... eigentlich war es die Ansammlung an Ereignissen in ihrem Leben gewesen, die sie dazu gebracht hatten, mehrmals in der Woche schreiend und kämpfend aufzuwachen.

Man hatte sie aber aus mehreren logischen Gründen in diese Station gegeben: Zum einen war die Stationsheilerin dort, Miriam Strout, eine sehr fürsorgliche und freundliche Hexe, die sich aber schon mit Patienten auskannte, die manchmal einfach zu schreien begannen und die man mit einem gewaltvoll eingeflößten Beruhigungstrank stilllegen musste. Immerhin fühlte Agnes sich nicht wie ein Außenseiter, wenn die Heiler auch einmal von den anderen drei Patienten in Aufruhr gebracht wurden, wenn sich diese wehrten, auch wenn das nie ein solch großes Problem war, wie bei Agnes. Agnes besaß die Stärke und Brutalität eines Werwolfs, wenn sie in der Nacht Panik hatte und es brauchte mehrere Heiler, um sie festzuhalten, damit sie ihr einen Beruhigungs- oder Schlaftrunk geben konnten.

In der ersten Nacht im St. Mungos hatte Agnes aus Versehen Heilerin Strout mit ihren Fingernägeln verletzt, aber diese war solche Verletzungen wohl schon gewohnt – auch, wenn sie bisher noch nie von einem Werwolf verletzt worden war und die Spuren von diesen Verletzungen nicht einfach verschwinden würden, sondern für immer eine Narbe hinterlassen würde, wie sie Agnes am ganzen Körper hatte – und war verständnisvoll und verzeihend gewesen. Danach hatten sie Agnes' Fingernägel geschnitten und sie hatte – was ihr im Nachhinein etwas peinlich gewesen war – einen kleinen Anfall deswegen gehabt, immerhin waren ihre Fingernägel – oder Krallen – eine ihrer Waffen gewesen, mit denen sie sich im Krieg hatte verteidigen können und ohne sie fühlte sie sich schutzlos und nackt.

Wenigstens kamen sie nicht auf die Idee, ihre etwas spitzeren Eckzähne abzuschleifen, denn dann hätte Agnes sich bis zum Tod gewehrt.

Agnes hatte sich selbst einweisen lassen, als sie bemerkt hatte, dass es keinen Sinn hatte, so zu tun, als wäre alles wieder in Ordnung. Sie hatte nicht mehr schlafen wollen, aus Angst, sie könnte Fred verletzen und unterm Tag war sie schreckhaft und angriffslustig gewesen. Alle dachten, es wäre ihr nicht aufgefallen, aber Agnes hatte bemerkt, dass meistens Remus oder Kingsley in ihrer Nähe gewesen waren, als hätten sie jederzeit damit gerechnet, dass jemand sie außer Gefecht setzen musste.

Im St. Mungos wusste man wenigstens, wie man mit solchen wie ihr umging, damit sie niemanden verletzte und dafür hatte man ihr als erstes ihren Zauberstab abgenommen.

Als sie das angekündigt hatten, hätte Agnes sich beinahe einfach umgedreht und wäre wieder gegangen – ohne ihren Zauberstab konnte sie doch nicht schlafen und was war, wenn sie jemand in der Nacht angriff?

In den ersten zwei Wochen im Krankenhaus alleine war also in jeder Nacht jemand bei Agnes gewesen – Fred oder George oder Tia oder auch Remus, aber dann war Agnes aufgefallen, dass sie begonnen hatten, diese Aufgabe so zu behandeln, wie der Orden vor ein paar Jahren die Aufgabe des Beschützens der Prophezeiung in der Mysteriumsabteilung, also hatte Agnes danach abgelehnt, dass sie in der Nacht bei ihr blieben.

Natürlich hatten die ihr versichert, dass es eigentlich kein Problem für sie war und dass sie es gerne taten, wenn es Agnes half, aber diese Worte hatten Agnes nicht wirklich überzeugt. Sie wollte keine Bürde sein – nicht noch mehr.

Danach hatten sie begonnen, sie nur noch zu besuchen und es war jeden Tag mindestens einer von ihnen bei Agnes, aber meistens war es Fred gewesen, der den ganzen Tag an ihrer Seite verbracht hatte und sie unterhalten hatte, denn in dieser Station gab es absolut nichts zu tun und Agnes hatte sich schon nach elf Minuten und zweiunddreißig Sekunden gelangweilt gefühlt, aber Fred hatte mit George und Tia begonnen, den Laden wieder aufzubauen, den Todesser oder andere zerstört hatten, nachdem die Weasley-Familie als Verräter bekannt worden war.

Wenn Fred den ganzen Tag bei Agnes war, blieb die ganze Arbeit an George und Tia hängen, also hatte Agnes Fred verboten, den ganzen Tag bei ihr zu sein und er hatte es nur widerwillig getan, nachdem er ihr das Versprechen abgenommen hatte, dass sie dafür tun würde, was die Heiler ihr sagten.

Das war gar nicht so einfach, denn die Heiler verlangten von Agnes, dass sie Dinge tat, die sie einfach nicht konnte: regelmäßig genügend essen, damit sie an Gewicht zunahm; Mittagsschläfchen halten, wenn sie in der Nacht nichts geschlafen hatte; nicht paranoid regieren, wenn sie jemand besuchen kam; ...

Agnes tat einfach so, als würde sie sich an die Regeln halten, aber eigentlich kümmerte sie sich nicht darum.

Die Heiler hatten keine Ahnung davon – nur Fred schien sie immer zu durchschauen und auch dieses Mal, denn als Agnes sich von Fred löste, grinste dieser schon schelmisch und holte eine Box hervor, die nach Essen roch, so wie jeden Tag.

„Ich habe gekocht!", verkündete Fred stolz und reichte die Box weiter an Agnes, die weniger begeistert aussah.

„Oh, wie sehr ich mich freue...", murmelte sie mit einem misstrauischen Blick auf das Essen, „Werde ich mich wieder übergeben, wenn ich das esse?"

„Das war einmal!", verteidigte Fred sich.

„Kennst du mittlerweile den Unterschied zwischen Zucker und Salz?", fragte Agnes ihn weiter aus.

„Ich habe die Muffins zuerst George probieren lassen und der war... nicht direkt begeistert, aber sie waren gut genug", versicherte Fred ihr selbstsicher.

„Weißt du mittlerweile, wie ich mein Fleisch gern habe?", fragte Agnes ein bisschen zickig, „Nicht schwarz!"

„Es ist kaum angebraten", winkte Fred ab, „Dieses Mal habe ich mich voll und ganz aufs Kochen konzentriert! Ich habe überhaupt nichts anbrennen lassen!"

„Oh, welche Freude", schnaubte Agnes spöttisch, „Willst du damit sagen, dass heute nicht die Winkelgasse abgebrannt ist? Ich bin mir sicher, die anderen Bewohner dort haben sich gefreut!"

Agnes war ziemlich gemein zu Fred, aber ihm war das egal. Er kannte den Grund und er wusste auch, dass, sollte man sich von Agnes' Unhöflichkeit abschrecken lassen, niemand bei ihr sein würde, der auf sie achtet. Es war einfach nur ein Abwehrmachanismus, der andere daran hindern soll, ihr zu helfen, aber Fred hatte sie durchschaut und obwohl Agnes' Worte manchmal ziemlich stachen und schmerzten, ließ er sich das keinen Moment lang anmerken.

Agnes brauchte einen Zusammenbruch, damit sie sich öffnen konnte, aber bis dahin würde sie unhöflich und beleidigend bleiben und Fred musste da einfach durch, damit er ihr helfen konnte, das wusste er.

Aber es fühlte sich für ihn nicht wie eine Strafe an. Er liebte Agnes und deswegen war es für ihn eine Aufgabe, die er wie jede andere auch verrichtete – mit Humor und einem Lächeln im Gesicht.

„Komm schon, Agnes!", rief er also heiter, „Essenszeit!"

„Ich habe gerade gegessen", maulte Agnes. Sie log ihn an und Fred wusste das auch, aber er grinste einfach nur und hob eine Augenbraue.

„Tatsächlich? Heilerin Strout hat mir nämlich erzählt, dass du dein Essen nicht einmal angerührt hast!", erinnerte er sie, „Ich weiß, dass du nur auf mein wundervolles Essen gewartet hast – ich weiß, ich kann gut kochen, aber das bedeutet noch lange nicht, dass du nur noch meine Gerichte essen musst!"

Agnes sah ihn unbeeindruckt und schon beinahe drohend an, als würde sie seinen Mord planen und so, wie Fred sie kannte, tat sie das gerade wirklich, aber damit kam Fred schon zurecht. Es war normal für ihn geworden.

Trotz allem und obwohl Agnes ihn mit ihrem Todesblick durchbohrte, schaffte Fred es, dass sie sich zusammen an den Tisch in der Station setzten und Agnes aß tatsächlich Freds Essen und ihm zuliebe versuchte sie sogar, es aufzuessen, aber sie schaffte es nicht.

Ihr Magen zog sich nach nicht einmal der Hälfte der eigentlich kleinen Portion zusammen und als Fred sah, dass Agnes es beinahe nur noch hinunter würgte, zog er die Box weg und beschwerte sie amüsiert: „Hey! Lass auch noch etwas für mich übrig! Ich habe auch noch Hunger!"

Fred hatte schon gegessen, aber Agnes wirkte einen Moment lang erleichtert, dass sie es nicht aufessen musste und Fred aß den Rest für sie.

Es war zu wenig gewesen, aber Fred bemerkte, dass sie es langsam, aber sicher schaffte, wieder normal zu essen. Sie würde es schon noch schaffen, wieder die Alte zu werden.

Er glaubte an sie, obwohl der Weg bis dahin wahrscheinlich noch sehr steinig werden würde.

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