Vergangenheit
Charles PoV
Ich hatte Arthur noch bis zur Haustür begleitet und ihn dort nochmal fest in den Arm zu nehmen. Es klang noch immer unwirklich, dass mein kleiner Bruder schwanger war. Für Ollie hoffte ich wirklich, dass er nicht auf die Idee kam, meinem Bruder das Herz zu brechen und ihn mit dem Baby allein zu lassen. Vermutlich hatte ich gar nicht das Recht dazu, da ich selbst bereits den gleichen Fehler gemacht hatte, doch würde das meine Wut nicht zügeln können.
Als die Tür schon längst zurück ins Schloss gefallen war, stand ich noch immer im Flur herum.
Max trat an meine Seite und legte eine Hand auf meine Schulter.
"Alles in Ordnung?"
"Ich kann überhaupt nicht einschätzen, wie Ollie reagieren wird", seufzte ich.
"Das kann man bei einer ungeplanten Schwangerschaft vermutlich selten. Egal wie seine erste Reaktion ausfällt, wir sollten ihm auf jeden Fall etwas Zeit geben. Arthur war gerade völlig durcheinander und überfordert mit der Neuigkeit. Das darf Ollie auch sein. Wir können nicht von ihm verlangen, dass er vor Freude an die Decke springt und sofort beginnt alles zu planen."
"Wie lange wusstest du es damals schon, als du mir von der Schwangerschaft erzählt hast?"
"Ungefähr zwei Wochen. Ich musste es erstmal selbst verstehen und mir einen Plan machen, wie es weitergehen soll."
"Ist das nicht genau das, wovon du Arthur abgeraten hast?"
"Mir persönlich hat es im ersten Moment geholfen, um etwas Ordnung ins Chaos zu bringen. Wenn du allerdings mehrere Optionen hast und eine andere Person entscheidet, welche es wird, ist es schwer, die gemachten Pläne einfach wieder zu vergessen. Außerdem war Arthur heute sicherlich nicht in der Lage sich Gedanken über die Zukunft zu machen ohne in Panik zu geraten."
"Es tut mir leid, wie ich damals reagiert habe und dass ich danach zu feige war, um nochmal das Gespräch zu suchen."
"Dafür hast du dich bereits entschuldigt, Charles."
"Ich weiß, aber trotzdem haben wir irgendwie nie wirklich drüber gesprochen. Dein Gespräch mit Arthur hat mir nochmal verdeutlich, dass ich vieles gar nicht weißt. Ich weiß, dass ich damals meine Entscheidung bereut habe und dich vermisst. Immer wieder habe ich Daniel angefleht, mir zu verraten, wo du bist. Außer dass du in Ordnung bist, hat er mir nie etwas verraten. Ich weiß, dass zwei Jahre lang ein wichtiger Teil meines Lebens fehlte und dass ich wegen meines Fehlers die ersten Jahre von Lios Leben verpasst habe. Wir haben aber nie wirklich drüber gesprochen, was in dieser Zeit bei euch passiert ist."
"Und das möchtest du jetzt ändern?"
"Ja, möchte ich."
"Vielleicht sollten wir so ein Gespräch lieber in Ruhe führen, wenn Lio nicht da ist oder schläft."
"Wenn du nicht drüber reden möchtest, müssen wir nicht ..." Max unterbrach mich.
"Nein, schon in Ordnung." Aufmerksam musterte ich den Älteren, doch deutete nichts daraufhin, dass er log.
"Dann vielleicht heute Abend, wenn Lio im Bett ist?", schlug ich zögerlich vor und erhielt ein Nicken als Antwort.
Den restlichen Nachmittag über spielten wir noch mit Lio, wobei meine Gedanken jedoch immer wieder zu Arthur wanderten. Ich bekam von ihm keinerlei Rückmeldung, weswegen ich mehrfach versucht war, ihn einfach anzurufen. Schließlich entschloss ich jedoch, dass ich damit zumindest bis zum nächsten Morgen warten würde.
Am Abend wechselten wir in Maxs Wohnung. Da es vorhin schnell gehen musste, hatte er lediglich ein paar Spielsachen in den Rucksack geworfen. Die Zeit, um die Sachen für die Nacht zusammenzupacken, war nicht gewesen.
Nachdem wir noch zusammen zu Abend gegessen hatte, machte Max Lio Bettfertig. Erstmalig begleitet ich den kompletten Ablauf und versuchte mir alles zu merken, falls ich diese Aufgabe irgendwann mal übernehmen sollte. Jedoch wusste ich nicht, ob ich mir an Maxs Stelle so schnell Lio wieder überlassen würde. Immerhin endete mein letzter Versuch mit einer Entführung.
Als Lio im Bett lag und friedlich schlief, waren Max und ich ins Wohnzimmer gewechselt und hatten es uns auf der Couch bequem gemacht. Mein Handy zeigte zwei Nachrichten meiner Mom an. Die zum einen wissen wollte, ob ich etwas von Arthur gehört hätte, da sie ihn nicht erreicht, und wann Lio denn endlich zu Besuch kommen würde. Ich legte das Handy zunächst ohne zu antworten zur Seite.
"Mein Mom fragt wieder nach einen Kennenlernen mit Lio", berichtete ich Max.
"Wir sind noch ein paar Tage in Monaco. Aber es ist deine Mom, also auch deine Entscheidung."
"Vielleicht können wir die nächsten Tage ja mal kurz bei ihr vorbeischauen. Wie hat deine Familie damals eigentlich reagiert?"
"Vic war sofort Feuer und Flamme. Sie ist voll in ihrer Rolle als Tante aufgegangen und hat mir sogar angeboten, dass ich bei ihr einziehen könnte. Meine Mom hatte gemischte Gefühle. Sie hat sich auch gefreut, Oma zu werden, war von den Umständen aber nicht begeistert. Sie hat anfangs noch überlegt, wie man dich umstimmen könnte, bis ich sie gebeten hatte, es zu lassen. Ich hatte entschieden zu gehen und hatte auch nicht vor, von meiner Entscheidung abzuweichen. Mein Dad war zunächst völlig überfordert. Er hat meine Karriere vorgeschoben, um seinen Unmut zu äußern. Aber ich kenne ihn gut genug, um ihn einschätzen zu können. Er hat sich Sorgen gemacht, auch wenn er es nicht gerne zugegeben hat. Die Tatsache, dass ich mir in der Nähe ein Haus gekauft hatte, trug etwas zu seiner Beruhigung bei. Die Drei haben mich in den letzten Jahren sehr geholfen und unterstützt, wo sie nur konnten. Gerade Dad ist sowieso völlig vernarrt in Lio. Wenn ich nur andeute, dass ich jemanden zum Aufpassen bräuchte, steht er eigentlich schon vor der Haustür."
"Ehrlich gesagt, hätte ich ihn ganz anders eingeschätzt. Ich habe über die Jahre einige Aktionen von ihm im Umgang mit dir mitbekommen."
"Er sagt selbst, dass Enkel da sind, um verwöhnt zu werden und nicht, um sie zu erziehen. Lio kann ihm ziemlich auf der Nase herum tanzen. Bis mein Dad ihm etwas verbietet oder mal mit ihm schimpft, dauert es sehr lange. Wir hatten bereits während der Schwangerschaft einige Gespräche über das Thema und vereinbart, dass er Lio nicht erziehen muss, sondern das meine Aufgabe ist."
"Hasst er mich?"
"Nicht mehr. Wärst du ihm während der Schwangerschaft übern Weg gelaufen, hätte ich für nichts garantieren können. Als Lio auf der Welt war und sich über die Zeit alles eingespielt hat, wurde es besser. Kurz vor meiner Rückkehr hatte ich nochmal mit ihm gesprochen, da mir natürlich bewusst war, dass wir in irgendeiner Form Kontakt zueinander haben würden. Mein Dad hatte versprochen meine Entscheidung dich betreffend, egal wie sie ausfällt, zu akzeptieren. Inzwischen würde ich nicht mehr sagen, dass er dich noch hasst. Aber er ist skeptisch und behält dich im Auge. Gerade weil es nicht mehr nur um mich, sondern auch um Lio geht."
"Ich wünschte wirklich, dass ich damals nicht den einfachen Weg genommen hätte. Mir hätte eigentlich klar sein müssen, dass das mit Charlotte keine Zukunft hatte, immerhin bekam ich dich schon bevor du mir von der Schwangerschaft erzählt hast nicht aus den Kopf. Spätestens da hätte ich reagieren müssen. Stattdessen hatte ich Angst vor der Zukunft und wollten den leichten Weg gehen, der mich aber niemals glücklich gemacht hätte. Ich hab einen Monat wirklich versucht den Gedanken, dass ich Vater werden würde, zu verdrängen. Stattdessen habe ich sogar nachts davon geträumt. Als ich endlich zu Vernunft gekommen war und mit dir reden wollte, warst du einfach verschwunden."
"Ich war damals komplett überfordert und hätte mich am liebsten einfach irgendwo verkrochen. Allerdings wusste ich, dass ich fürs Baby funktionieren musste. Es war schwer genug, da wollte ich nicht mehr Personen als nötig in meiner Nähe haben. Ich habe es auf meine Familie begrenzt. Mit Daniel und Christian habe ich noch ein paar Mal telefoniert, weil ich es versprochen hatte. Mitte letzter Saison hat Christian mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, zurückzukommen oder ob diese Option ausgeschlossen ist. Du hättest in den Tagen danach mal meinen Dad sehen müssen. Das schwank minütlich zwischen Zustimmung und Ablehnung der Idee. Mal hatte er meine Karriere im Blick, dann hat er wieder an Lio gedacht. Meine Mom hat ihm schließlich deutlich gemacht, dass es sowieso meine Entscheidung wäre. Nach ein paar Tagen Bedenkzeit habe ich Christian zugesagt. Danach hatte ich wieder regelmäßig Kontakt mit den Leuten ausn Team, um alles vorzubereiten und war auch einige Male in der Zentrale."
"Was ist mit Daniel? Wusste er wirklich nicht, wo du warst?"
"Nein, ich hab es für mich behalten. Wir haben uns in der Zeit einige Male getroffen, aber dann außerhalb von Belgien. Er hat Lio dabei auch kennengelernt."
"Hat er dir erzählt, dass ich versucht habe, dich zu erreichen? Und was ist mit all meinen Anrufen und Nachrichten, die muss du doch auch gesehen haben."
"Ja, er hat es mir erzählt und ich habe auch deine Kontaktversuche gesehen, aber ich war nicht bereit, um wieder Kontakt zuzulassen. Zu Beginn war ich sauer und enttäuscht von dir. Ich wollte nicht zulassen, dass du mir weiter wehtun kannst. Ich war mit der neuen Situation schon überfordert genug. Irgendwann hatte sich alles eingespielt und ich wollte nicht riskieren, dass es wieder zerstört wird, indem ich dich in mein Leben lasse und du dann vielleicht sofort wieder verschwindest. Nach Lios Geburt wollte ich vor allem auch ihn beschützen. Zudem musste ich für ihn funktionieren. Mein Fokus lag komplett auf ihm. Egal wie sehr ich dich vermisst hab, konnte und wollte ich diese Gefühle einfach nicht zulassen. Du hättest alles wieder in schwanken bringen können."
"Was hat dich deine Meinung ändern lassen? Wieso hast du mich jetzt doch in euer Leben gelassen?"
"Gefühle lassen sich einfacher ignorieren, wenn kein Kontakt besteht und man die andere Person leichter verdrängen kann. Als du mir in der Garage das erste Mal wieder gegenüberstands, musste ich einsehen, dass ich mit meiner vorherigen Taktik nicht mehr weit kommen würde. Ich liebe dich, Charles, und es ist ziemlich anstrengend diese Gefühle zu unterdrücken, was ich auch gar nicht mehr möchte. Ich möchte einfach, dass das hier mit uns funktioniert. Als Paar und als Familie." Lächelnd griff ich nach Maxs Hand, um unsere Finger miteinander zu verschränken.
"Ich liebe dich auch und ich möchte auch, dass es funktioniert. Dafür werde ich auch alles tun. Ich will, dass du und Lio glücklich seid und Teil eures Lebens sein."
"Das möchte ich auch."
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