Spielplatzbesuch
Charles PoV
Ich war kurz davor die Familien-WhatsApp-Gruppe auf Stumm zu stellen. Irgendwie hatte meine Mutter mitbekommen, dass Max mit Lio in Monaco war und wollte die Gelegenheit natürlich für ein Treffen nutzen. Ich konnte verstehen, dass sie ihren Enkel kennenlernen möchte, allerdings war ich selbst noch ganz am Anfang mit diesem eine Beziehung aufzubauen. Vielleicht hatte ich aber auch nur Angst, dass es meiner Mutter viel schneller als mir selbst gelingen würde. Immerhin schien Lio sich auch immer mehr über eine Begegnung mit Arthur als mit mir zu freuen.
Seufzend steckte ich mein Handy weg und ließ die Nachricht meiner Mutter unbeantwortet. Ich hatte mich spontan auf den Weg zu Maxs Wohnung gemacht, dessen Klingel ich betätigte. Zwar hatte ich mich vorher nicht angekündigt, war mir aber aufgrund unseres Chats sicher, dass er Zuhause war.
Fast sofort wurde mir die Tür geöffnet, was mich vermuten ließ, dass Max im Flur gewesen sein musste.
"Uit (raus)", quengelte Lio. Er saß im Flur aufm Boden. Mit einem Bein steckte er in einer Matschhose, während er gerade versuchte sich den rechten Schuh an den linken Fuß anzuziehen. Max seufzte und nahm Lio den Schuh aus der Hand.
"Wir können jetzt nicht raus", erklärte Max vermutlich nicht zum ersten Mal. Ich betrachtete die Tatsache, dass er die Tür offen gelassen hatte, als Erlaubnis die Wohnung zu betreten und schloss die Wohnungstür anschließend hinter mir.
"Uit!", wiederholte Lio und strampelte wütend mit den Beinen.
"Nachher können wir zum Spielplatz, aber jetzt muss ich erst noch arbeiten." Max schaute kurz auf seine Uhr. "Wieso baust du Mauz nicht währenddessen eine Höhle?", versuchte er eine Beschäftigung für Lio zu finden.
"Was ist los?", hinterfragte ich die Situation.
"Lio will raus zum Spielplatz. Ich hab aber noch einen Videocall, der zwar nicht lange dauern sollte, aber sich gerade verzögert." Max schaute zu Lio, der gerade versuchte den anderen Schuh anzuziehen, da Max den Ersten noch in der Hand hielt.
"Ich kann doch mit ihm zum Spielplatz gehen", bot ich an. Sofort schoss Lios Kopf in die Höhe und er schaute mich hoffnungsvoll an.
"Uit?" Für einen winzigen Moment zögerte Max, nickte dann aber zustimmend. Freudig quietschte Lio auf, ehe er sich wieder seinem Schuh widmete. Erneut nahm Max ihm diesen aus der Hand, jedoch dieses Mal nur, um ihm zunächst die Matschhose vernünftig anzuziehen und anschließend die Schuhe richtig herum. Von der Garderobe nahm er noch eine Jacke, die er Lio anzog.
"Ich lass mein Handy auf laut, falls irgendwas ist oder du eine Übersetzung brauchst", wandte Max sich mir zu.
"Wir bekommen das schon hin", versicherte ich ihm und hoffte innerlich, dass ich mich nicht täuschte.
"Danke, Charles." Max drückte mir einen sanften Kuss auf die Lippen, ehe er sich zu Lio kniete. "Du bist artig, ja?" Sofort nickte Lio. Er gab Max noch einen Schmatzer, dann winkte er ihm und marschierte Richtung Tür. Beim Vorbeigehen griff er nach meiner Hand, um mich mit sich zu ziehen. Ich schaffte es noch Max kurz zu küssen, dann ließ ich mich von Lio mitziehen.
Der Spielplatz, der nur wenige Meter von der Wohnung entfernt war, war komplett leer. Lio lief zielsicher auf die Sandkiste zu. Bis dahin hatte er meine Hand gehalten. Während Lio mitten im Sand saß, ließ ich mich am Rand nieder. Lächelnd betrachtete ich meinen Sohn, der damit beschäftigt war einen Eimer mit Sand zu füllen.
"hulp (helfen)." Erwartungsvoll sah er mich an. Als ich seinen Blick nur fragend erwiderte, griff er nach einer zweiten Schaufel und hielt mir diese hin. Nachdem ich sie angenommen hatte, schaufelte Lio mit seiner Schaufel wieder etwas Sand in den Eimer. Erneut sah er mich erwartungsvoll an. Ich füllte meine Schaufel mit etwas Sand, den ich in den Eimer warf. Offenbar zufrieden mit dem Ergebnis, setzte Lio seine Arbeit fort. Ich half ihm dabei. Als der Eimer voll war, klopfte er einige Male mit den Händen oben drauf, ehe er den Eimer zu mir schob und anschließend auf eine Stelle zwischen uns zeigte.
"Soll da ein Turm hin?", riet ich, was Lio mit einem Nicken bestätigte. Ich drückte den Sand selbst nochmal etwas fest, bevor ich den Eimer umgekehrt an der von Lio gewünschten Stelle platzierte und langsam anhob. Lächelnd betrachtete Lio für einen kurzen Moment den fertig Turm, ehe er wieder begann den Eimer mit Sand zu befüllen.
"Entschuldigung...", ertönte hinter mir eine weibliche Stimme, weswegen ich fragend aufsah. "Können wir vielleicht ein Foto machen?" Schüchtern lächelte die junge Frau mich an, weswegen ich gar nicht nein sagen konnte.
"Natürlich", stimmte ich zu. "Baust du noch einen Turm? Ich bin sofort wieder da", wandte ich mich kurz an Lio, ehe ich aufstand. Währenddessen hatte die Frau ihr Handy hervor geholt, wobei sie sich ein paar Schritte entfernt hatte. Ich ging zu ihr.
"So ist es am Besten mit der Sonne", erklärte sie und hob das Handy bereits. Ich schaute noch einmal kurz zu Lio, der aber noch mit dem Turmbau beschäftigt war, dann stellte ich mich zur Frau, wodurch ich Lio jedoch den Rücken zuwandte. Ich versicherte mich, dass er auf den Fotos nicht zu sehen war, um beim nächsten Interview nicht erklären zu müssen, wieso ich allein mit Maxs Sohn unterwegs war. Die Frau machte einige Fotos, wobei ich brav in die Kamera lächelte. "Kann ich vielleicht noch ein Autogramm haben?" Ehe ich antworten konnte, hielt sie mir einen Stift, sowie ein kleines Stück Papier hin. Ich tat ihr den gefallen. "Danke." Strahlend fiel sie mir um den Hals, womit sie mich kurz überforderte.
"Nicht dafür", erwiderte ich, wobei ich mich vorsichtig von ihr löste.
"Viel Erfolg beim nächsten Rennen. Ich hoffe, du gewinnst." Noch immer mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, wank sie mir nochmal zu, ehe sie sich entfernte. Ich drehte mich zurück zur Sandkiste und erstarrte sofort in meiner Bewegung, als ich bemerkte, dass diese leer war. Lio saß dort nicht mehr und der gebaute Turm war kaputt. Suchend sah ich mich aufm Spielplatz um, entdeckte den Kleinen aber nirgends.
"Lio?!", rief ich, erhielt aber keinerlei Reaktion. "Fuck", fluchte ich. Der Spielplatz war eingezäunt und durch den einzigen Ein- und Ausgang war die Frau gegangen. Wir hatten die ganze Zeit in die Richtung geschaut. Wäre Lio dort längst gelaufen, hätte ich ihn gesehen und um über den Zaun zu klettern, war Lio noch zu klein. Er musste sich also irgendwo auf dem Spielplatz verstecken. Hektisch suchte ich sämtliche Ecken ab, wobei ich immer wieder seinen Namen rief.
Lio war spurlos verschwunden.
"Gefunden!", ertönte es hinter mir, weswegen ich herum wirbelte. Breit grinsend lehnte Arthur am Zaun, den ich irritiert anstarrte. "Max hat mir erzählt, dass du und Lio zum Spielplatz seid. So kompliziert war der Weg von Maxs Wohnung hier her nun wirklich nicht, aber Max hat behauptet, ich würde es schaffen mich zu verlaufen", berichtete mein Bruder gut gelaunt. "Wo ist Lio?" Ich öffnete den Mund, um etwas zu antworten, doch verließ kein Wort meine Lippen.
Es war das aller erste Mal, dass ich auf Lio aufpasst und dann verlor ich ihn direkt. Max hatte mir vertraut. Wie konnte man einen Zweijährigen auf einem eingezäunten Spielplatz verlieren? Hätte ich bloß dieses blöde Foto mit der Frau nicht gemacht. Ich wollte lediglich nett sein und als Dank, war mein Sohn nun verschwunden.
"Charles?" Arthur sah mich nun eher besorgt an.
"Ich weiß es nicht", wisperte ich.
"Wie du weißt es nicht?"
"Wir haben in der Sandkiste gespielt und einen Turm gebaut, dann kam eine Frau und hat mich um ein Foto gebeten, das wir dann auch gemacht haben. Als ich mich wieder zur Sandkiste gedreht habe, war Lio weg." Arthur sprang über den Zaun und ging zur Sandkiste, wo er sich einmal im Kreis drehte und sich suchend aufm Spielplatz umsah. Plötzlich hielt er in der Bewegung Inne und fokussierte den kaputten Sandturm.
"Du sagtest, ihr habt einen Turm gebaut?"
"Ja", bestätigte ich und ging zu ihm.
"Bist du beim Aufstehen aus Versehen gegen den Turm gekommen?"
"Nein, der war noch heile, als ich ..." Ich brach meinen Satz ab, da ich nun ebenfalls entdeckte, was Arthur fokussiert hatte. Der Turm war nicht einfach in sich zusammen gefallen. Es befand sich ein Fußabdruck an der Stelle. Ich konnte ausschließen, dass der Abdruck zu mir gehörte und für Lio war er deutlich zu groß.
Langsam schaute ich zu Arthur auf, der mich bereits verunsichert ansah.
"Dafür gibt es doch sicherlich eine harmlose Erklärung, oder?", hakte er nach. Statt zu antworten ließ ich meinen Blick nun auch über die Umgebung außerhalb des Spielplatzes wandern. Ich wusste selbst nicht, wonach ich suchte.
Es musste eine andere Erklärung geben als die, die mir als erstes in den Kopf gekommen war.
Ich hatte Lio doch wirklich nur für einen kurzen Moment aus den Augen gelassen und war noch in Hörweite gewesen. Hatte der Moment bereits gereicht, damit Jemand den Spielplatz über den Zaun betrat und mit Lio verließ ohne dass ich irgendwas davon mitbekam? Hätte ich dann nicht zumindest irgendeinen Laut von Lio hören müssen? Hatte die Freu mich absichtlich abgelenkt oder war es reiner Zufall gewesen?
Doch egal wie es dazu kommen konnte, viel wichtiger war, dass wir Lio schnellstmöglich wiederfanden.
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