Klärende Gespräche
Charles PoV
Unschlüssig stand ich vor Maxs Wohnung und wusste nicht, ob ich klingeln sollte oder lieber gehen, weil ich unerwünscht war.
Max hatte mir nur eine kurze Nachricht geschrieben, dass er und Lio das Krankenhaus verlassen durften und nicht über Nacht bleiben mussten. Ich hatte währenddessen meine Aussage bei der Polizei machen müssen, während Arthur operiert wurde. Laut Aussage der Ärzte hat mein Bruder ziemliches Glück gehabt. Er würde ohne Folgeschäden, lediglich mit einer Narbe, davonkommen, sofern er sich während der Heilungsphase ruhig verhielt, was nicht unbedingt seine Stärke war. Am liebsten würde ich ihn nicht aus den Augen lassen, doch das Gleiche galt auch für Max und Lio. Da Arthur einige Nächte im Krankenhaus verbringen musste, blieb mir etwas Zeit, um mir eine Lösung einfallen zu lassen.
Nach der Operation hatte man mich nur kurz zu Arthur gelassen, ehe ich gebeten wurde zu gehen, damit er sich bestmöglich erholen konnte. Ich ließ meinen Bruder also in Ruhe schlafen und machte mich stattdessen auf den Weg zu Max, wo ich nun vor der Tür stand und mich nicht traute zu klingeln. Ich wusste nicht, was mich im Inneren der Wohnung erwartete. Doch es machte auch keinen Sinn das unumgängliche Gespräch, vor dessen Ausgang ich wirklich Angst hatte, länger aufzuschieben.
Seufzend betätigte ich also schließlich die Klingel und trat, während ich wartete, unruhig von einem Bein aufs Andere bis sich die Tür schließlich öffnete. Max schien gerade erst geduscht zu haben. Er stand mit noch nassen Haaren in Jogginghose und T-Shirt vor mir. Er wirkte erschöpft. Schweigend deutete er mir reinzukommen. Ich kam der stummen Aufforderung nach und schloss hinter mir die Wohnungstür. Max schloss die Tür zum Gästezimmer, wo Lio vorübergehend seinen Schlafplatz hatte. Das eigentliche Kinderzimmer musste noch renoviert werden. Da Max bisher nie mit Lio in Monaco gewesen war, hatte es dazu bisher noch nie einen Grund gegeben.
"Wie geht's Lio?", fragte ich leise, wobei ich Max ins Wohnzimmer folgte.
"Er versteht noch nicht so wirklich, was heute passiert ist. Zum Glück. Er war ziemlich durcheinander und zwischenzeitlich verängstigt, weil er allein mit so vielen Fremden und zwischen den ganzen Einsatzfahrzeuge war, aber das hat sich recht schnell gelegt. Im Krankenhaus war er schon wieder bester Laune und seine größte Sorge war, dass er ein Eis haben wollte. Er ist vorhin recht schnell eingeschlafen und schläft bisher friedlich. Wie geht es Arthur?" Max hatte sich während der Erzählung auf die Couch gesetzt. Zögerlich setzte ich mich nun zu ihm.
"Er wurde operiert. Die Ärzte sind optimistisch, dass er wieder komplett fit wird. Ich hatte noch nicht die Chance mit ihm zu sprechen, da er geschlafen hat, als ich zu ihm durfte. Er bleibt ein paar Tage im Krankenhaus. Dann darf er nach Hause. Ich möchte nicht, dass er allein ist. Irgend Jemand muss dafür sorgen, dass er sich auch wirklich ausruht. Vielleicht kann er ein paar Tage bei unserer Mutter schlafen, allerdings müssen wir ihr dann erstmal beichten, was heute alles passiert ist, was ich lieber machen würde, wenn Arthur dabei ist, damit sie sofort sieht, dass es ihm den Umständen entsprechend gut geht." Ich musterte Max, der sich zurückgelehnt hatte und mich mit den Kopf an der Rückenlehne angelehnt aus müden Augen ansah. "Und wie geht's dir?"
"Alles Gut. Bin nur müde." Mein Blick glitt zum Verband, der unterm Ärmel des T-Shirts hervorschaute. "Ist nur ein Streifschuss. Die Wunde wurde genäht. Es bleibt eine Narbe zurück, das warst."
"Es tut mir leid. Das alles ist meine Schuld. Hätte ich besser aufgepasst, wäre nichts davon passiert. Ich hab euch alle in Gefahr gebracht, weil ich nicht in der Lage war vernünftig auf unseren Sohn aufzupassen. Du hast mir vertraut und ich ..."
"Charles", unterbrach Max mich, weswegen ich verstummte. "Arthur und ich haben selbst entschieden in diese Fabrik zu gehen. Das war unsere Entscheidung, nicht deine. Wir haben uns selbst in Gefahr gebracht, nicht du. Was uns beide betrifft, trifft dich überhaupt keine Schuld. Ja, du hast Lio in Gefahr gebracht, aber nicht absichtlich. Wir sind es gewohnt, dass uns Fans um ein Foto bitten. Woher hättest du wissen sollen, dass es ein Ablenkungsmanöver war? Lio hätte nicht allein über den Zaun klettern können und den Ausgang hattest du, wie du es gesagt hast, im Blick. Mit einer Entführung rechnet man in so einem Moment nicht. Das hätte mir genauso passieren können."
"Aber wenn ich ..."
"Mach dich nicht verrückt mit Gedanken, wie du es hättest verhindern können, wenn du anders gehandelt hättest. Es lässt sich nicht ungeschehen machen. Arthur wird wieder gesund und Lio wurde nicht verletzt. Es tut mir übrigens leid, dass ich vorhin so abweisend zu dir war. Ich war auf Lio fokussiert und hatte keinen Kopf für irgendwas anderes."
"Du hast jedes Recht sauer auf mich zu sein und wenn du das mit uns nicht mehr möchtest, kann ich das verstehen. Es tut mir alles so unglaublich leid."
"Ich bin nicht sauer auf dich, zumindest nicht mehr. Wie gesagt, es hätte mir auch passieren können. Es wäre mir lieber gewesen, wenn du mich sofort angerufen hättest, kann aber auch verstehen, dass du und Arthur erstmal selbst gesucht habt, da man nicht sofort von einer Entführung ausgeht. Schlussendlich ist alles gut ausgegangen und das ist das Wichtigste. Dieser Tag ändert nichts an meinen Gefühlen für dich. Ich liebe dich, Charles, und ich möchte das mit uns weiterhin." Erleichtert atmete ich auf.
"Ich liebe dich auch." Max legte eine Hand in meinen Nacken und zog mich zu sich runter, um mich zärtlich zu küssen. Während ich den Kuss erwiderte, schmiegte ich mich an seinen Körper. In Maxs Armen kam auch ich endlich zur Ruhe.
Arthurs PoV
Müde zwang ich mich die Augen zu öffnen. Ich fühlte mich wie in Watte gepackt, was vermutlich an den Medikamenten, die man mir gegeben hatte, lag. Es war auf jeden Fall tausend Mal angenehmer als die Schmerzen, die ich am Nachmittag gespürt hatte. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Am liebsten hätte ich einfach wieder die Augen geschlossen und weitergeschlafen, doch das durchgängige Klingeln meines Handys hielt mich davon ab. Jedes Mal wenn das Klingeln kurz stoppte, weil vermutlich meine Mailbox ranging, ertönte es nur Sekunden später erneut. Wer auch immer versuchte mich zu erreichen, blieb hartnäckig.
Ich griff nach der Plastiktüte, die auf dem Beistelltisch neben dem Bett lag und in der sich meine privaten Gegenstände, die ich bei der Einlieferung bei mir hatte, befanden. Ich kramte mein Handy heraus und warf einen Blick auf den Display, wo ein Anruf von Ollie angezeigt wurde. Ob Charles ihm wohl erzählt hatte, was passiert war? Jedoch wüsste ich nicht, wieso die Beiden Kontakt zueinander gehabt haben sollten. Ich nahm den Anruf entgegen.
"Hey", begrüßte ich ihn, ehe ich mich einmal räusperte. Meine Stimme klang heiser.
"Schön dass du es auch endlich mal schaffst an dein verdammtes Handy zu gehen", fuhr Ollie mich sofort an. Ganz offensichtlich war er wütend auf mich. "Ich kenne es ja nach fast einem halben Jahr Beziehung, dass du mal ein paar Minuten zu spät kommst, was auch in Ordnung ist, aber zwei Stunden kannst nicht mal du mit deiner Verplantheit schön reden. Ich vermute also einfach mal, dass du mich und unser Date vergessen hast. Im Übrigen stehe ich seit einer halben Stunde vor deiner Wohnungstür, in der du dich aber scheinbar nicht befindest oder deine Klingel ignorierst. Also? Ich höre? Aus welchem Grund bist du offenbar unterwegs, aber nicht bei mir? Ich komme mir nämlich ziemlich verarscht vor. Und ich hoffe für dich, dass du eine gute Ausrede hast."
"Fuck", entfuhr es mir, als ich realisierte, dass ich im ganzen Chaos vergessen hatte, Ollie, mit dem ich für ein Kinobesuch verabredet gewesen war, abzusagen.
"Du hast es also vergessen", interpretierte Ollie meine Reaktion.
"Nein ... Also ja doch, aber ... Ich habe heute Vormittag online die Tickets gekauft, aber mir ist was dazwischengekommen und ich habe nicht dran gedacht, dir Bescheid zu sagen."
"Und was ist dir so wichtiges dazwischen gekommen?"
"Charles ..." Ollie unterbrach mich.
"Dein Bruder war also wichtiger?"
"Es ging um Lio ... Das alles ist eine längere Geschichte, die nicht so einfach zu erklären ist und vielleicht sollten wir dieses Gespräch auch nicht unbedingt am Telefon führen." Ollie seufzte. Seine Stimme klang anschließend etwas ruhiger. Man merkte dennoch, dass er nicht begeistert von der Situation war.
"Wo bist du jetzt? Der Film läuft in einer Stunde nochmal. Wollen wir uns den anschauen und aufm Weg dort hin erklärst du mir, was passiert ist?"
"Das wird eher schwierig."
"Wie sieht es morgen aus?"
"Wir werden damit noch ein paar Tage länger warten müssen."
"Wann kommst du nach Hause?"
"Weiß ich nicht genau. Heute auf jeden Fall nicht mehr."
"Wo bist du?" Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe. Ich wollte nicht, dass mein Freund sich Sorgen machte, aber es war vermutlich auch ein Ding der Unmöglichkeit, es vor ihm geheim zu halten. Früher oder später würde die Narbe an meinem Bauch mich verraten, dann würde Ollie sich vielleicht keine Sorgen mehr machen, würde aber auf jeden Fall sauer auf mich sein. "Arthur, jetzt rück endlich raus mit der Sprache. Ich fühle mich langsam wirklich verarscht. Du hast mir versprochen, immer ehrlich zu mir zu sein, egal wie unangenehm die Wahrheit mal sein kann."
"Ich weiß", seufzte ich.
"Dann sag mir endlich, wo du bist." Ich überlegte, wie ich es ihm sagen konnte, ohne ihn unnötig zu beunruhigen. "Bist du bei einem anderen Typen?" Seine Stimme zitterte. Ollie war von seinem Ex-Freund betrogen wurde, weswegen ich es ihm nicht übel nehmen konnte, dass seine Gedanken bei der aktuellen Situation in diese Richtung gingen.
"Ich bin im Krankenhaus", sagte ich es einfach direkt heraus, woraufhin kurz Stille herrschte.
"Was?" Ollie wirkte überrumpelt von der Information. "Warum? Geht's dir gut? Was hast du angestellt?"
"Ich erklär dir das alles sobald ich hier raus bin in Ruhe, versprochen."
"Das kannst du vergessen, Arthur. Du kannst mir nicht sagen, dass du im Krankenhaus bist und dann erwarten, dass ich das ohne weitere Erklärung so hinnehme und einfach schlafen geh. Bist du in der Notaufnahme?"
"Du brauchst nicht herkommen", erkannte ich sein Vorhaben sofort.
"Tue ich aber. Entweder du sagst mir also, wo genau du bist, oder ich finde es selbst heraus." Ich seufzte und nannte ihm die Zimmernummer, woraufhin Ollie das Telefonat einfach unterbrach. Seufzend lehnte ich mich zurück. Mir blieben also nur noch wenige Minuten, um mir eine schonende Erklärung für die komplette Situation einfallen zu lassen.
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