Annäherungen
Charles PoV
Es war ein Anblick, den ich nach schon so vielen Rennen gesehen hatte und bei allen anderen Fahrern hätte es mich vermutlich schon längst genervt, aber nicht bei Max. Vor alle nicht nachdem mir der Anblick zwei Jahre lang verwehrt blieb.
Doch obwohl ich Max nicht zum ersten Mal ganz oben aufm Podium sah, fühlte es sich dieses Mal doch anders an. Dort oben stand nicht irgend Jemand, sondern mein Partner. Es würde sicherlich nicht das letzte Mal sein, dass ich ihn dort oben stehen sehen würde und vielleicht würde sich im Laufe des Tages oder der Nacht ein kleines Ritual ergeben, um Maxs Sieg zu feiern und zu belohnen.
Daniel und Lando hatten mich begleitet, da sie der Meinung waren, dass es ziemlich auffällig wäre, wenn ich als einziger Fahrer mir die Siegerehrung aus der Nähe anschauen würde. Zu Dritt würden wir auf die Öffentlichkeit vielleicht den Anschein erwecken, dass wir uns einfach für einen guten Freund freuten, dass er nach zwei Jahren Unterbrechung so schnell an seine vorherigen Erfolgen anknüpfen konnte. Wenn ich ehrlich war, war es mir aber ziemlich egal, was die Öffentlichkeit dachte. All die fremden Menschen in meiner Nähe konnten nichts am verliebten Lächeln auf meinen Lippen ändern.
"Papa", ertönte neben mir plötzlich Lios Stimme, weswegen ich überrascht zu ihm schaute. Sein Blick war jedoch auf Max gerichtet. Er hatte also nicht mich gemeint. Ich konnte das Gefühl von Enttäuschung nicht verhindern, obwohl mir bewusst war, dass es zu viel verlangt wäre. Lio und ich waren gerade erst dabei uns langsam anzunähern, wenn man es überhaupt schon so bezeichnen konnte. Ich hatte die beiden ersten Jahre seines Lebens verpasst. Wir kannten einander noch gar nicht.
Lando und Daniel hatten vorhin die ganze Zeit mit ihm gespielt. Dennoch stand Lio nun, noch immer im Red Bull Overall, neben mir und klammerte sich mit einer Hand in meinen Rennoverall. War es Zufall oder eine Art innerlicher Instinkt? Ich war sein Vater. Konnte er vielleicht eine Art Verbindung spüren ohne zu wissen, wer ich wirklich war?
Lio streckte sich etwas, um einen besseren Blick auf den Podest zu haben. Doch schienen ihm all die Erwachsenen den Blick zu versperren. Jos, der vermutlich auf Lio aufpasste, trat in mein Sichtfeld. Für den Moment ignorierte ich ihn jedoch und kniete mich stattdessen zu Lio.
"Soll ich dich hochheben? Dann kannst du Papa besser sehen", bot ich ihm an und war froh, dass der Kleine zumindest englisch verstand, auch wenn er es selbst nicht sprach. Als Antwort nickte Lio und streckte die Arme nach mir aus.
Ich richtete mich wieder auf, wobei ich Lio hochhob und auf meine Schultern setzte. Seine kleinen Hände vergruben sich in meinen Haaren, während ich ihn an den Beinen festhielt, damit er mir bloß nicht herunter fiel. Die Tatsache, dass Daniel uns fotografiert, während Jos mich musterte, ignorierte ich und richtete meinen Blick stattdessen lieber wieder auf Max.
Für einen Moment trafen sich unsere Blicke, ehe er Lio auf meinen Schultern fokussierte. Lio löste eine Hand aus meinen Haaren, um seinem Papa zuwinken zu können. Sofort wurde Maxs Lächeln noch etwas breiter, während er zurück wank.
Während der restlichen Siegerehrung behielt ich Lio auf meinen Schultern, sowie auch aufm Weg zum Motorhome. Lando und Daniel begleiteten uns. Jos blieb ebenfalls bei uns, da er mich vermutlich nicht allein mit seinem Enkel lassen wollte.
"Du trägst einen Overall vom falschen Team", ertönte plötzlich Arthurs Stimme, der im nächsten Moment von der Seite in meinem Sichtfeld auftauchte. Sein Blick lag auf Lio, den er dabei angrinste.
"Avi", rief Lio begeistert, wobei er die Arme nach meinem Bruder, der scheinbar einen neuen Spitznamen bekommen hatte, ausstreckte. Grinsend hob er Lio von meiner Schulter, um ihn selbst auf den Arm zu nehmen.
"Bonjour petit homme (Hallo kleiner Mann)", begrüßte Arthur ihn auf französisch, wobei er ihm sanft in den Bauch piekte. Kichernd drückte Lio seine Hand weg.
"Klar, bringt dem Kind noch eine Sprache bei, damit er bloß erstmal alle anderen Sprachen spricht, bevor er englisch redet", kommentierte Daniel schmunzelnd.
"Vangst spelen (Fangen spielen)", blieb Lio bei der niederländischen Sprache, wobei er Arthur erwartungsvoll ansah.
"Aber da gewinnst du ja immer", schmollte Arthur, der Lio im Gegensatz zu mir scheinbar verstanden hatte.
"Du kannst niederländisch?", hakte Lando überrascht nach.
"Nein, aber bei unserem gemeinsam Nachmittag habe ich mir die wichtigsten Wörter gemerkt", erklärte mein Bruder.
"Graag (Bitte)" Lio sah Arthur mit flehenden Blick an. "Avi, Graag."
"Na gut, weil du es bist." Arthur stellte Lio auf den Boden, der daraufhin kichernd weglief. Mein Bruder folgte ihm sofort. Eigentlich hätte er ihn schnell einholen können, doch ließ er Lio voran laufen. Max trat an meine Seite.
"Ich war mir in Belgien schon nicht sicher, wer eigentlich wen müde spielt." Ich schaute kurz zu ihm, ehe ich zurück zu Arthur und Lio blickte. Eigentlich sollte ich mich freuen, dass die Beiden sich so gut verstanden, aber ich konnte das Gefühl von Eifersucht nicht unterdrücken. "Lio", rief Max. Bei der Stimme seines Papas wirbelte Lio sofort herum, ehe er in unsere Richtung gestürmt kam, um sich in Maxs Arme zu werfen, der ihn sofort auf den Arm nahm und ihm einen Kuss auf die Wange drückte. Lächelnd schlang Lio seine Arme um Maxs Hals.
"Avi met? (Avi mit ?)", fragte Lio.
"Nein, du kannst vielleicht morgenfrüh noch kurz mit Arthur spielen." Lio sah fragend zu Arthur.
"Na klar. Wir können morgen nach dem Frühstück, wenn du auch wieder besser angezogen bist, weiter fangen spielen", stimmte Arthur zu. "Bonne nuit, petit homme (Gute Nacht, kleiner Mann)", verabschiedete er sich, wobei er Lio eine Hand hinhielt. Grinsend schlug Lio ein.
"Sehen wir uns später noch?", wandte Max sich mir zu, was ich mit einem Nicken bestätigte. Gemeinsam mit Jos und Lio machte sich Max auf den Weg zum Motorhome, um sich dort vermutlich noch eben umzuziehen, ehe es weiter ins Hotel ging.
"Lorenz hat keine Chance. Ich bin sowas von schon sein Lieblingsonkel", grinste Arthur stolz, weswegen ich ihm nur kurz einen genervten Blick zuwarf.
Später am Abend klopfte ich an Maxs Hotelzimmertür, nachdem er mir geschrieben hatte. Schnelle Schritte näherten sich im Inneren des Zimmer, die jedoch mehr nach Lio als Max klangen. Tatsächlich ertönte im nächsten Moment Lios Stimme auf der anderen Seite der Tür. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass er bereits schlief.
Die Tür öffnete sich etwas und Lio lugte neugierig durch den Spalt. Lächelnd wank ich ihm, woraufhin er die Tür weiteraufzog und dadurch auch Max, der hinter ihm stand, zum Vorschein kam.
Lio trug bereits seinen Schlafanzug, während Max mit Jogginghose und T-Shirt bekleidet war.
"Nu? (Jetzt?)", wandte sich Lio scheinbar ungeduldig an Max, der schmunzelnd nickte. Freudig klatschte der Kleine in die Hände, bevor er zurück ins Zimmer stürmte und sich offensichtlich nicht weiter für mich interessierte. Immerhin blieb Max bei mir stehen. Er zog mich sanft weiter ins Zimmer, um die Zimmertür hinter mir schließen zu können.
"Hey", begrüßte er mich und hauchte mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.
"Papa", rief Lio.
"Wir sind ja schon unterwegs", antwortete Max. Ich bekam einen weiteren Kuss, ehe Max nach meiner Hand griff und mich sanft mit sich Richtung Bett zog. Lio war bereits auf dieses geklettert und saß mit einer Stoffkatze im Arm in der Mitte der Matratze. Sein Blick lag aufm Fernseher, wo das Titelbild irgendeiner Kinderserie zu sehen war, die jedoch pausierte.
"Lio hat mich überredet bekommen, dass er noch eine Folge Wusel und Pip schauen darf."
"Was schauen?", hakte ich nach, während ich aus meinen Schuhen schlüpfte. Max hatte sich währenddessen zu Lio aufs Bett gelegt, woraufhin sich der Kleine auch direkt an ihn kuschelte.
"Wusel und Pip", wiederholte Max, als würde das meine Frage beantworten, wobei er mich angrinste.
"Natürlich", gab ich zurück, da ich wohl keine genauere Erklärung erhalten würde. Ich legte mich zu den Beiden und Max startete die Kinderserie, die zu meinem Bedauern auf niederländisch war, weswegen ich Max mit hochgezogener Augenbraue ansah. Unschuldig lächelnd zuckte er mit den Schultern.
"Lio hat ausgesucht." Sanft zog er mich näher.
"Dann erwarte ich aber eine Übersetzung", forderte ich.
"Ich wüsste da etwas besseres." Ehe ich weiter nachfragen konnte, küsste Max mich zärtlich. Lächelnd erwiderte ich den Kuss und musste Max zustimmen, dass das deutlich besser war, als eine Lerneinheit für die niederländische Sprache.
Schließlich hatte ich den Kopf einfach auf Maxs Schulter gelegt und verfolgte doch die Kinderserie, wobei ich jedoch viel mehr auf Lios Reaktionen achtete. Erst als die Folge vorbei war, schielte dieser in unsere Richtung.
"Nogmaals (Nochmal)." Mit flehenden Blick sah er Max an, welcher schmunzelnd den Kopf schüttelte.
"Eine Folge, hatten wir gesagt", erinnerte Max, wobei er sich aufsetzte. Das hatte jedoch zur Folge, dass ich den Kopf von seiner Schulter nehmen musste. Lio schmollte kurz, kletterte dann aber vom Bett, als Max aufstand. Die Beiden steuerten eine offen stehende Tür an, wo sich offenbar Lios Bett befand. Mein Blick fiel auf das Stofftier, welches ich in die Hand nahm.
"Lio", rief ich meinen Sohn, der ohne stehen zu bleiben den Kopf in meine Richtung drehte. Gerade noch rechtzeitig schob Max seine Hand zwischen den Türrahmen und Lios Kopf, wodurch unser Sohn nicht gegen das Holz lief. Schmunzelnd verdrehte Max die Augen.
"Mein Team hätte ihm mal lieber nen Helm schenken sollen." Ich hielt die Stoffkatze hoch.
"Mauz!", rief Lio und kam zurück zum Bett gestürmt.
"Mauz bedeutet Katze?", riet ich, wobei ich Max fragend ansah.
"Nein, das Stofftier heißt einfach nur Mauz. Katze heißt Kat." Ich reichte Lio, der neben dem Bett stehen geblieben war, das Kuscheltier, welches er sofort an sich drückte. Mit der freien Hand wank Lio mir zum Abschied, was ich erwiderte, ehe er zurück zu Max trottelte. Im Türrahmen blieb er nochmal stehen und sah sich suchend um.
"Du brauchst gar keine Ablenkung suchen. Es ist Schlafenszeit", lachte Max, der Lio kurzer Hand einfach auf den Arm nahm und mit ihm im Nachbarraum verschwand.
Seufzend ließ ich mich rücklings zurück in eine liegende Position fallen.
Es musste doch eine Möglichkeit geben, um schneller eine Verbindung zu Lio aufzubauen.
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