chapter 7 - one night in bangkok, pt. I


»With drowsy eyes, you asked: "Don't you want to try?"
I got angry and cursed at you
There's no way the you who were my only friend can return, and
you became a monster«

𝙙𝙚𝙖𝙧 𝙢𝙮 𝙛𝙧𝙞𝙚𝙣𝙙 𝘣𝘺 𝙖𝙜𝙪𝙨𝙩 𝙙



BANGKOK – THAILANDS HAUPTSTADT, gelegen am thailändischen Golf und durchzogen vom vielbefahrenen Chao Phraya. Eine Metropole mit acht Millionen Einwohnern und jährlich um die fünfundzwanzig Millionen Touristen, von denen die meisten auf nichts weiter aus waren, als sich an dem breitgefächerten, exotischen Nachtleben der Stadt zu ergötzen.

Juniper konnte nicht fassen, dass es sie tatsächlich von einem auf den anderen Tag in diese verdammte Stadt verschlagen hatte. Für Leute wie Shadow schienen Flüge mit dem Privatjet wohl mehr wie eine Art belangloser Taxiservice zu fungieren. Zumindest, wenn er sich überhaupt selbst dazu herabließ, den Vorhaben beizuwohnen – was dieses Mal sogar der Fall war. Juniper war schon ein wenig das Herz in die Hose gerutscht, als er zusammen mit Hoseok, Jimin, Taehyung, Jeongguk und ihr in das Flugzeug gestiegen war, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Sie hätte vor Freude am liebsten laut aufgeschrien, als Jimin und Jeongguk sich danach ans andere Ende der Kabine mit ihr gesetzt hatten.

Gerade Jimin hatte ihr in den letzten Stunden in Seoul noch einmal bewiesen, dass ihm wohl wirklich etwas an ihr zu liegen schien. Er hatte Juniper eine Tasche gebracht, gefüllt mit allen Dingen, die man wohl zu einem Standard-Überlebens-Package zählen konnte: Klamotten, Zahnputzzeug, Haarbürste, Handtücher, Shampoo und alle anderen unumgänglichen Hygieneartikel, die man eben so brauchte. Nur ihr Medaillon hatte er ihr leider nicht wiedergeben können...

Nun war kaum ein Tag vergangen und sie befanden sich schon in Thailands berühmtberüchtigter Metropole. Der Stadt, in der es wohl das Juweliergeschäft geben sollte, in dem irgendein Heini, den Hoseok kannte, angeblich Junipers Kette gemacht hatte. Ihr erschien es immer noch wie ein Rätsel, inwiefern ihnen allen das in irgendeiner Weise weiterhelfen sollte...aber der Leader höchstpersönlich würde wohl kaum mit seinen Lakaien einen Ausflug hierher machen, wenn die Hoffnungen nicht entsprechend groß wären. Angesichts der Gelassenheit und Coolness, mit der die Truppe die Reise angegangen war, hatte sich Juniper schon seit Betreten des gemieteten Privatjets wie das absolut fünfte Rad am Wagen gefühlt. Sie wäre viel lieber blindlings in die Turbine eines anderen startenden Flugzeugs am Gimpo Airport gerannt.

Doch nun stand sie hier, im Badezimmer eines mehr oder weniger behaglichen Hotels, mitten in einem von diesen unaussprechlichen Stadtteilen von Bangkok. Das Einzige, was Juniper wusste, war, dass man die Khao San Road – Bangkoks bekannteste Partymeile – zu Fuß erreichen konnte. Und dass Bangtan-pa offensichtlich nicht die Absicht hegte, heute Nacht zu schlafen, angesichts der Tatsache, dass sie nur eine verdammte »Suite« gebucht hatten. Aber was hätte sie auch anderes erwarten sollen? Dass sich ein Clan wie dieser mit elendigen menschlichen Bedürfnissen herumschlug? Wohl kaum.

Es war auch mitunter der Grund gewesen, weswegen sich Juniper nun seit einer geschlagenen halben Stunde im Badezimmer befand und sich nach der längst abgeschlossenen Duschroutine mit den Händen an das ramponierte Waschbecken klammerte. Sie hatte nie nach Seoul gewollt und schon gar nicht für irgendein Himmelfahrtskommando nach Bangkok. Die Anwesenheit von Shadow machte alles noch so viel beklemmender. Umso länger sie sich in seiner Nähe aufhielt, desto mehr war sie davon überzeugt, dass dieser Typ sie einfach nur hasste. Es gab einfach kein besseres Wort dafür.

Inzwischen hatte sie sich selbst einmal mehr ein paar Gedanken um ihn gemacht. Der Vier-Stunden-Flug hierher hatte ihr immerhin genug Zeit dazu gegeben. Und nun war sie auch für sich mit vollster Überzeugung zu dem Entschluss gekommen, dass sie diese Abneigung aus vollem Herzen teilte. Shadow war kaltherzig, arrogant, herablassend und vor allem war er eins: ein Verbrecher, dem man schon mit einem Blick in seine schwarzen Augen ansah, dass er wahrscheinlich unzählige Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Er war nicht wie Jimin, dessen eigentliche Warmherzigkeit keinen Halt davor machte, sich in jeder seiner Bewegungen und jedem seiner Blicke zu zeigen. Nicht wie Jeongguk, der zwar den vorlauten, bösartigen Clanhacker mimte, der jedoch immer wieder subtil (und wahrscheinlich auch unfreiwillig) zu verstehen gab, dass er eigentlich gar nicht so sehr diesem Bild entsprach und ein relativ weicher Kern hinter der harten Schale steckte. Diesen konnte er vor allem dann nicht verbergen, wenn Jimin einen schrecklichen Witz erzählte und er trotz aller Unlustigkeit sein Hasenzahn-Lachen hören ließ.

Shadow hatte während der kompletten Reise, wenn überhaupt, nur ein paar Worte mit Hoseok gewechselt und war, kaum hatten sie das Flugzeug am Flughafen Bangkok-Suvarnabhumi verlassen, mit einer Beanie und einer sündhaft teuer aussehenden Sonnenbrille auf dem Kopf unter der Kapuze seines großzügigen schwarzen Hoodies verschwunden. Von da an war er wie ein Geist (oder tatsächlich wie ein Schatten?) gewesen. Einer, der bei der göttlichen Coolness-Vergabe unfairerweise ein paar Löffel zu viel abbekommen hatte. Er hatte sie fast schon mit einer verspielten Lässigkeit durch den Dschungel der Stadt gelotst, als wäre er jedes Wochenende hier. Dabei hatte er kaum einen Blick für die imposanten Stadtkulissen und Kulturstätten in Form von buddhistischen Parks und Tempeln übriggehabt, an denen sie auf ihrer Taxifahrt zum Hotel vorbeigekommen waren. Ganz anders als Jimin und Jeongguk, die ihr Interesse an Thailands Juwel am Chao Phraya kaum hatten verstecken können.

Für Juniper selbst war es einfach nur überfordernd gewesen. Zu viel Verkehr, zu viel Sonne, zu viel Staub, zu viel Lärm...und zu viele neuartige Gerüche, die ihr Kopfschmerzen bescherten. Da brachten auch die Schmerzmittel, die sie nach wie vor einnahm, nichts mehr. Sie wollte nicht hier sein. Schon unfreiwillig in Seoul zu landen, war nicht ohne gewesen, doch jetzt auch noch die geballte Ladung Bangkok um die Ohren geknallt zu bekommen, war einfach viel zu viel. Besonders, wenn die Gesellschaft an Mitreisenden einen noch zusätzlich so paranoid machte.

Gerade befanden sich nur Shadow, Taehyung und Hoseok im Hauptraum des Hotelzimmers. Jimin und Jeongguk waren losgezogen, um irgendwas Essbares auf den ihrem Hotel zu Füßen liegenden Straßen aufzutreiben. Juniper hatte nicht mitgehen dürfen, weswegen sie nun im Badezimmer stand und einfach nur betete, dass die beiden Kkangpae, die ihr noch am meisten Komfort brachten, so bald wie möglich wieder auftauchen würden.

Ihre Hoffnungen, sich bis zu deren endgültiger Rückkehr in erholsamer Einsamkeit ans Waschbecken klammern zu können, wurden jedoch nur wenige Minuten später zunichte gemacht, als Hoseok an die Tür klopfte und bekundete, dass er noch gerne duschen würde, bevor es in wenigen Stunden losging. Das Aufsuchen des Juweliers war auf die Dunkelheit angesetzt. Wenn Bangkoks Straßen undurchsichtiger und verwaschener wurden und man sich als Gang leichter bedeckt halten konnte.

Widerwillig verließ Juniper also das Bad und fing sich dabei ein fröhliches Grinsen des Drogendealers ein, welches sie nicht so recht zu deuten wusste. Kaum war die Tür hinter ihm wieder ins Schloss gefallen, ballte sie unweigerlich ihre Hände in den Ärmeln ihres Pullovers zu Fäusten. Eigentlich schwitzte sie sich bei den sommerlichen Temperaturen in diesem Ding tot, doch ohne ihn fühlte sie sich nackt und verloren. Dementsprechend froh war sie, dass wenigstens die Klimaanlage in diesem Hotelzimmer einen einwandfreien Job erledigte.

Ihr Weg vom Flur in den Hauptraum, welcher mit einer kleinen Sitzecke, einem alten Fernseher auf einer Kommode und einem maroden Doppelbett gefüllt war, gestaltete sich leider als viel zu kurz. Noch schlimmer war die Erkenntnis, dass sich aus irgendeinem unerfindlichen Grund kein Taehyung, sondern nur noch ein Shadow hier befand. Wie hatte Juniper bitte ein Schlagen der Zimmertüre nicht mitbekommen können, wo sie doch so sehnsüchtig danach gelauscht hatte? Oder war V etwa ganz gangstermäßig über die Feuertreppe aus dem Fenster verschwunden?!

Der Clanleader jedenfalls schien sich für ihre Rückkehr kaum zu interessieren. Er hatte einen der Sessel in die Nähe des offenstehenden Fensters gerückt und qualmte gedankenverloren eine Zigarette. Der Rauch zog sich dabei in dünnen Fäden nach oben, bestrahlt von der tiefstehenden Sonne, die wohl für ein seltenes Zeitfenster diese Hauswand beleuchtete. Juniper hielt für einen Moment inne, denn es ging gar nicht anders. Es lag an der Art, wie sich die weißen Vorhänge ganz sanft im Wind bewegten und der Rauch durch eben diesen kleine Pirouettentänze vollführte. Wie die fremdartigen Hupen und Motorengeräusche der Stadt dabei die Kulisse untermalten, als wäre das hier nichts weiter als das Set eines hochwertigen James-Bond-Films. Juniper musste zugeben, dass Shadow inmitten dieser Umgebung...geradezu surreal gut aussah. Nicht einmal wegen herausragender Schönheit, nein...Es war einfach die Art, wie er sich in die Szenerie schmiegte. Wie er an seiner Zigarette zog und den Rauch ausblies. Wie er dasaß, als wäre er gerade so unglaublich gelangweilt von allem und jedem um sich herum.

Juniper zuckte unweigerlich zusammen, als lediglich seine Augen sich urplötzlich auf sie richteten und sie an Ort und Stelle fixierten. Es gelang ihr nicht, sich einfach davon loszureißen. Wie der letzte Trottel blieb sie an der Schwelle von Flur zu Zimmer stehen und starrte einfach nur zurück.

»Dreh dir 'ne Kippe«, sagte er nach einer Weile mit völlig ausdrucksloser Miene und nickte dabei in Richtung des Bettes, auf dem ein Drum-Tabak, Blättchen und eine Tüte mit Filtern lag.

Eigentlich war Juniper sich immer sicher gewesen, dass Selbst-drehen in Südkorea kein großes Ding war. Sie hatte irgendwo einmal mitbekommen, dass Zigaretten dort so billig waren, dass keiner das Bedürfnis hatte, an solchen Ecken zu sparen und zudem mit einem höheren Zeitinvestment fürs Rauchen zu leben. Entweder war Shadow also einer jener Personen, die an den seltsamsten Ecken zimperlich mit dem Geld umgingen – wofür auch diese ranzige Fabrik in Seoul sprechen würde – oder er hatte ganz einfach eine höhere Geschmackserwartung an das, was er auf Lunge zog.

Eigentlich war Juniper nicht wirklich gewillt, das Angebot anzunehmen. Sie konnte sich Besseres vorstellen, als mit diesem Kerl am Fenster zu stehen und zu rauchen. Auch, wenn alles in ihr nach einer Zigarette schrie, um ihr pseudomäßig die Nerven zu beruhigen. Zu ihrem mehr oder weniger großen Glück hatte Shadow es nicht so klingen lassen, als hätte sie eine Wahl. Also machte sie ein paar vorsichtige Schritte in den Raum und nahm das Drehzeug mit einem genuschelten »Danke« vom Bett. Ihre Finger zitterten ganz leicht, als sie sich daran machte, aus allen Bestandteilen eine Kippe zu rollen. Hilfe, sie durfte sich jetzt nicht blamieren. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war, dass ihr beim Rauchen plötzlich der Filter herausflog.

Was Juniper letztendlich dabei half, nicht alles einfach durch ihre Finger gleiten zu lassen, war die kleine Hoffnung, dass das hier alles möglicherweise ein Test war. Dass Shadow einfach wissen wollte, ob sie sich denn tatsächlich so blöd anstellte, wie er sie höchstwahrscheinlich einschätzte. So versuchte sie obendrauf absichtlich, so lässig und frei wie möglich zu drehen. Als wäre es nichts weiter als ein alltägliches Ding für sie. Ob es ihr am Ende wirklich gelungen war, das stand in den Sternen. Jedenfalls fiel ihr ein Stein mit dem Gewicht eines Kleinlastwagens vom Herzen, als sie endlich die fertige Zigarette in der Hand hielt und damit ihren Weg am Clanleader vorbei ans andere Ende des Fensters antreten konnte.

Shadows Blick folgte ihr dabei, das spürte sie ihm Nacken. Als sie es wagte, sich endlich wieder halbwegs zu ihm umzudrehen, erschreckte sie sich dennoch vor der Hand, die er ihr mit einem Feuerzeug entgegenstreckte. Sie nahm es entgegen, wohlbemerkt so, dass ihre Finger sich keineswegs berührten.

Die erste Minute, die sie dort gemeinsam rauchten, sagte keiner etwas. Shadow schaute wieder mit dem gleichen gelangweilten Blick ins Nichts wie zuvor und Juniper war nur bemüht, überall hin, nur nicht zu ihm zu sehen. Immerhin erfüllte die Kippe ihren Zweck. Ihre Finger hatten inzwischen aufgehört zu zittern.

»Hast du eigentlich einen blassen Schimmer, warum du hier bist?«

Shadows tiefe, von dem fremden Satoori durchtränkte Stimme nahm ihr augenblicklich das kleine bisschen Sicherheit, das sie sich durch das Qualmen aufgebaut hatte. Und obendrauf versetzte es sie zugleich in Panik und Wut, dass sie keine Antwort auf diese Frage besaß. Hauptsächlich deswegen, weil sie wusste, dass es eine Fangfrage war.

»Hier? In Bangkok?«, hakte sie deshalb mehr oder weniger schlau nach und hoffte, dass sich der Rest von selbst erledigen würde.

Der Clanleader schnaubte leise und kaum merklich. »Natürlich hier in Bangkok. Warum du bei uns bist, sollte ja wohl inzwischen zur Genüge geklärt sein.«

Zum ersten Mal seit einer Weile ließ er seine Augen wieder zu ihr schweifen und musterte sie mit hochgezogenen Brauen. Die Erwartungshaltung in seinem bleichen Gesicht ließ Juniper keine Wahl, als erneut etwas zu sagen.

»Nun...Ich habe keine Ahnung, warum ihr mich mitgenommen habt.«

Den Trotz, der unweigerlich in ihrer Stimme mitgeschwungen war, bereute sie unmittelbar, als Shadows Augenlider ein minimales Stück nach unten rutschten. Sie konnte nicht leugnen, dass es eine herablassende Geste war. So subtil und doch so wirkungsvoll, dass sie sich augenblicklich wieder wie ein nerviges Kind fühlte.

»Um ehrlich zu sein, stell ich mir seit geraumer Zeit dieselbe Frage«, erwiderte er schließlich und nahm gelassen einen letzten Zug von seiner Zigarette, ehe er sie in eine leere Kaffeetasse auf dem Fensterbrett fallen ließ. »Ich war eigentlich dagegen, doch Jimin schien der Meinung, dass das Hauptquartier ohne unsere Anwesenheit nicht gut genug wäre, um deine Sicherheit zu gewährleisten. Süß, oder? Er macht sich solche Sorgen um dich.«

Juniper verzog unwillkürlich ein wenig den Mund. »Irgendwie kann ich mir kaum vorstellen, auf diesem Trip hier sicherer zu sein, als in eurem Bunker.«

»Oh, da wäre ich mir nicht so sicher«, ging Shadow sofort dagegen und bedachte sie mit einem fast schon mitleidigen Blick. »Seoul ist voll von Leuten, die dich gerne tot sehen würden. Bangkok wohl kaum.«

»Gut zu wissen. Genau deswegen durfte ich auch nicht mit auf die Straße, ein paar lächerliche Nudeln zum Abendessen auftreiben, richtig?«

Der Clanleader verzog keine Miene angesichts ihrer vor Sarkasmus triefenden Frage. Trotzdem schaffte er es durch die nicht vorhandene Reaktion, Juniper das Gefühl zu geben, ein vollkommener Bauerntrampel zu sein. Woher nahm er nur diese beneidenswerte Macht, ohne auch nur mit dem kleinen Finger zu zucken?!

»Nur weil ich sage, die Stadt ist nicht voll von Leuten, die dich suchen, heißt das nicht, dass es sie nicht gibt«, erwiderte er gelassen. »Und entschuldige, dass ich nicht davon ausgehe, dass du viel Ahnung vom Unauffälligbleiben hast, so wie Jimin und Jeongguk.«

Er erhob sich von seinem Sessel und stellte sich zu ihrem großen Verdruss direkt neben sie, um mit auf dem Rücken verschränkten Armen aus dem Fenster zu starren. Juniper musterte ihn nur argwöhnisch von der Seite.

»Dass Jimin sich Sorgen gemacht hat, ist aber ganz sicher nicht der einzige Grund, weshalb ich hier bin...oder?«

Ein kleines Lächeln haftete sich in Shadows fast schon liebliche Mundwinkel. »Natürlich nicht. Ich binde mir nicht freiwillig eine Last ans Bein, wenn es nicht unbedingt sein muss. Aber Tatsache ist leider, dass du Hyunas Tochter und damit das entscheidende Druckmittel bist. Und zudem wahrscheinlich die einzige Person auf der Welt, von der sie ganz eventuell gefunden werden will

Er bedachte Juniper mit einem missbilligenden Blick von oben bis unten, ehe er sich wieder der Aussicht vor dem Fenster zuwandte. Die Sonnenstrahlen brachten seine Haut und das Mond-Tattoo unter seinem Auge gespenstisch zum Leuchten. Fast erweckte es den Eindruck, als müsste die zarte Blässe eigentlich durch diesen Einfluss Feuer fangen.

Juniper wusste, um ehrlich zu sein, nicht, was sie darauf noch sagen sollte. Sie hatte keine Lust, sich weiter mit diesem Kerl zu unterhalten, der eine Menge davon verstand, sie mit jedem weiteren Wort minderwertiger fühlen zu lassen. Trotzdem kam sie nicht dagegen an, dass sich eine leise Frage in ihr auftat und von Zeit zu Zeit immer lauter wurde. Was war es nur, was Shadow nicht an ihr leiden konnte, mal abgesehen von ihrem Verhalten, das sie ihm entgegenbrachte? Eigentlich wären sie doch in einem jeden anderen Plot dazu bestimmt, echte Verbündete zu sein und nicht nur um des Zweckes Willen. War es die Tatsache, wie unbehelligt sie ihr Leben in Amerika gelebt hatte? Mochte er den Westen allgemein nicht? Schob er sie von vornherein in die Schublade der Möchtegern-Gangster der Nachtclubs, die ihre illegalen Erfolge an zehn verkauften Tütchen voller Gras maßen? Sie würde es so schnell wohl nicht herausfinden...denn das Letzte, was ihr einfallen würde, wäre, ihn darauf anzusprechen.

Zu ihrem großen Glück war in diesem Moment das elektronische Geräusch der Karte im Türschloss zu hören und keine paar Sekunden später erklang das Geplapper von Jimin und Jeongguk. Juniper musste sich zusammenreißen, nicht zu offensichtlich erleichtert durchzuatmen.

»Du solltest dich auch langsam fertigmachen«, merkte Shadow noch zu ihrem großen Verdruss an, nachdem sie ihre Zigarette ebenfalls im Kaffeebecher versenkt hatte. »Wir wissen nicht, wo wir heute Abend letztendlich rauskommen...und mit deinem jetzigen Look stehen dir ganz sicher nicht alle Türen offen.«

»Ich habe nicht mal etwas Schickes dabei!«

Der Clanleader schnaubte. »Jimin hat deine Tasche gepackt. Du willst mir nicht ernsthaft erzählen, dass dabei nichts dergleichen darin gelandet ist.«


⋆⋆⋆ ☽ ☼ ☾ ⋆⋆⋆


Eigentlich hatte Juniper sich die Khao San Road immer wie einen halben Strich vorgestellt. Wenn man das meiste Wissen über Bangkok eben aus Filmen wie Hangover 2 besaß, war das schließlich auch nicht verwunderlich. Umso mehr überraschte sie die Tatsache, wie vergleichsweise zahm es hier eigentlich zuging. Keine Stripclubs und Puffs säumten die Straße, sondern Fressbuden und Restaurants mit kulinarischen Spezialitäten, dazu mit Lichterketten geschmückte Bars, Technomusik plärrende Clubs und Shops, in denen es zahlreiche Fake-Marken-Klamotten und anderen Touri-Krempel zu kaufen gab. Alles in allem ein wahres Paradies für das reisende Volk, das hier massig vertreten war. Massen an Menschen drängten sich entlang der Khao San Road und sie schienen aus allen Ecken der Welt zu stammen.

Die schiere Menge an Leuten veranlasste Jimin dazu, Juniper bei sich unterzuhaken. Nicht nur einmal kam ihr der Gedanke, dass Passanten sie hundertprozentig für ein Pärchen halten mussten, so wie sie nebeneinander gingen. Dazu waren sie beide noch so ausgehreif gekleidet. Es war absolut grotesk.

Nach Shadows herablassender Anmerkung hatte Juniper mit einem Naserümpfen feststellen dürfen, dass sein rothaariger Untertan ihr tatsächlich Abendklamotten eingepackt hatte. Nichts wirklich Besonderes. Ein schwarzes Kleid mit hochgeschnittenem Bund und einem schönen Faltenwurf, einen grauen Blazer für darüber und Boots mit einem Plateau-Absatz, mit denen es sich ganz passabel laufen ließ. Alles in allem hatte Jimin mit der Auswahl sogar ihren Geschmack getroffen...wäre da nicht die Tatsache, dass sie sich gerade mehr als unwohl in dieser Kleidung in dieser Situation fühlte.

Das Schlimmste jedoch schien die ungezwungene Ausgelassenheit der Touristen um sie herum zu sein. Alle waren sie hier und genossen Bangkok in vollen Zügen. Konsumierten ihren Urlaub wie eine Droge, fern von jeglichen Problemchen des Alltags. Und Juniper? Sie wurde von einem Kkangpae am Arm durch die Gegend gezerrt, in ständiger Angst, aus irgendeiner Seitengasse könnte wieder ein riesiger Truck herbeirollen und seinen Job dieses Mal richtig erledigen. Oder noch besser: ein Pulk von Sooman-pas Männern, die ihnen irgendwo auflauerten. Juniper hatte inzwischen gelernt, dass der Tod quasi an jeder noch so unbedeutenden Ecke lauern konnte.

Es machte die Situation nicht gerade besser, den Blick ein wenig schweifen zu lassen und dabei ihre Kompanie zu mustern. Taehyung – welcher nach seinem Verschwinden mit einer neuen Gucci-Sonnenbrille und einem sehr zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht wieder im Hotelzimmer aufgetaucht war – trug seine Designer-Klamotten, als hätte er sie höchstpersönlich geschneidert. Die Anmut schien quasi aus jeder Pore seines Körpers zu triefen und sein Gesichtsausdruck spiegelte eine gewisse Art von Herablassung wider, wenn er auf die Menschen und Geschäfte um sich herum achtete. Dicht neben ihm ging Jeongguk, ganz in Schwarz gehüllt, wenn auch in nicht minder teuren Marken. Hoseok hatte sich in einen extravaganten Zweiteiler gekleidet, dem wohl niemand anderem auf der Welt stehen könnte, außer ihm. Den Vogel schoss dennoch Shadow ab, der neben einer verboten engen schwarzen Jeans nichts anderes als ein transparentes dunkles Hemd angezogen hatte. Gerade trug er eine Lederjacke darüber, doch Juniper hatte schon im Hotelzimmer schlucken müssen, als sie bemerkt hatte, wie viel Sicht dieser Fetzen auf seine Tattoos auf den Armen, der Brust und dem Rücken gewährte. Dazu kam noch die Tatsache, dass der Clanleader gar nicht so schmächtig zu sein schien, wie er normalerweise den Anschein erweckte. Seine Schultern waren sogar relativ breit gebaut, wenn man es so nennen konnte. Zumindest für seine Größe, mit der er unter allen Kkangpae, die Juniper bisher kennengelernt hatte, definitiv den Kürzesten gezogen hatte. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Ihr Weg über die Khao San Road endete schließlich an einer Gabelung zu einer Seitengasse, über die ein Baldachin von bunten Lampions gespannt worden war. Fast wirkte es so, als betrat man einen Tunnel, dessen Ausläufer rechts und links in offenen, verwinkelten Shops mit unzähligen glitzernden Auslagen mündeten. Die Verkäufer lauerten wie Habichte innerhalb ihrer kleinen Etablissements, schienen jedoch beim Anblick ihrer Truppe nicht die Intention zu hegen, sie in ihre Läden zu locken. Juniper wunderte es nicht...ein Blick auf Shadows und V's düstere Mienen hätte ihr auch genügt, um sofort jede Ambition zu verlieren.

Ihr Ziel lag tief in der Gasse und hob sich doch durch seine Aufmachung von den namenlosen Shops um sich herum deutlich ab. Das Geschäft war nicht offen und man konnte es neben dem kleinen Schaufenster nur durch eine mit kunstvollen Schnitzereien versehene Tür betreten. Es wirkte fast so, als wäre der Laden das letzte Überbleibsel einer vergangenen Zeit, in der Touristen Bangkoks Straßen noch nicht überrannt und Billig-Mode und Souvenirs die Verkaufsmacht an sich gerissen hatten. Thawon's Jewellery stand in goldenen Lettern über der Tür, einmal auf Thai, einmal auf Englisch – wahrscheinlich als einziger Kompromiss angesichts der hereingerollten Globalisierung.

Hoseok nahm wie selbstverständlich die Rolle desjenigen ein, der Shadow voraus den Laden betrat. Juniper, der es allem Anschein nach immer noch nicht erlaubt war, sich von Jimins Arm zu lösen, betrat mit eben diesem den Laden als letztes.

Was sich an der Front des Geschäfts bereits abgezeichnet hatte, bestätigte sich hier drinnen nur noch einmal mehr. Die Farben Rot, Braun und Gold dominierten jeden noch so vollgestellten Winkel, antike Vasen, Elefanten- und andere buddhistische Figuren reihten sich dicht an dicht und waren über und über mit Verzierungen versehen. Es wirkte fast so, als besäße der Raum keine Wände. Das reine Konstrukt bildete sich aus den beeindruckenden Auslagen, die so viel echter wirkten, als alles, was draußen in den Touri-Shops angeboten wurde.

Zu guter Letzt fasste Juniper schließlich einen besonders kunstvoll drapierten Wandteppich ins Auge. Er thronte über dem Geschäft, als würde er tagtäglich ein jedes Geschehen aus seiner Position überwachen...und das Symbol, das prominent in seiner Mitte eingestickt war, kam ihr seltsam bekannt vor. War es etwa das, was Bangtan-pa angeblich in ihrem Medaillon gesehen hatte?!

»Ahhhh, ich hätte es wissen müssen, Jung Hoseok.«

Ein kleiner, zum Buckel neigender Mann hatte sich aus dem Schatten hinter der Kassentheke geschält. Seine Kleidung war nicht minder kunstvoll als die Auslagen des ganzen Ladens. Nur sein Gesicht schmückte ein warmes Lächeln, das einzig und alleine dem Drogendealer galt. Er hatte wohlbemerkt auf Koreanisch gesprochen, mit einem mehr als überdeutlichen thailändischen Akzent.

»Yut«, erwiderte Hoseok mit einem breiten, weißzahnigen Grinsen. »Wie lange ist es nun her, dass wir uns persönlich gesehen haben? Zwei Jahre? Oder waren's drei?«

»Nun...ich schätze, seit du in Seoul ansässig geworden bist«, gluckste der Ladenbesitzer, ehe er sich zum ersten Mal dazu herabließ, der restlichen Truppe seine Aufmerksamkeit zu schenken. »Und wie ich sehe, hast du ein paar deiner mehr oder weniger neuen Freunde mitgebracht.«

Hoseok hüstelte verlegen und trat mit einem Seitenblick zu Shadow und Taehyung einen Schritt nach rechts. Als die Blicke des Clanleaders und Yut Thawon, wie er wohl mit vollem Namen hieß, sich trafen, weiteten sich dessen von Falten umrahmte Augen merklich.

»Der Schatten von Daegu«, brummte er vor sich hin, wobei er den Schock kaum aus seinem Gesicht verbannen konnte. »Sir...wie komme ich zu der...ehm...Ehre?«

Es war unverkennbar Angst, die da aus seiner Stimme sprach und Juniper wurde in diesem Moment schmerzlich bewusst, dass dies das erste Mal war, dass eine außenstehende Person in ihrer Anwesenheit auf Shadow reagierte. Niemals zuvor hatte sie sich ausgemalt, was für einen Namen er wirklich in der Welt besaß. Dieses Schauspiel nun zu erleben machte sie seltsam unruhig...Jetzt war sie nun doch irgendwie froh, an Jimins Arm zu hängen.

»Yut Thawon«, meldete sich Shadow schließlich in seiner tiefen Bariton-Stimme zu Wort. »Es freut mich, Sie endlich einmal persönlich zu treffen.«

Letztendlich ließ nichts in seinem Ton darauf schließen, dass er es wirklich so meinte, doch es war erleichternd zu wissen, dass der Kerl offensichtlich zu solchen Höflichkeitsfloskeln fähig war. Auch wenn Juniper nie wirklich an dieser Tatsache gezweifelt hatte.

»Wir sind hier, damit du dir etwas für uns ansiehst«, nahm ihm darauf schnell wieder Hoseok das Gespräch ab und griff im selben Atemzug in sein lila-gemustertes Jacket, um das Medaillon hervorzuholen. Wenige Sekunden später hatte er es dem Ladenbesitzer überreicht.

Yut Thawon besah sich das Schmuckstück mit einer derartigen Faszination in den Augen, dass es sofort so wirkte, als hätte er die Anwesenheit jeder anderen Person im Raum vergessen. Seine knochigen Finger glitten über das feine Silber, ehe er die Klappe mit einem geübten Griff öffnete und über seine Brille hinweg ins Innere des Medaillons lugte.

»1991. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen«, murmelte er vor sich hin, ohne dabei den Blick von der Kette zu lassen. »Sie war damals eine meiner hochpreisigsten Auslagen. Auch, wenn es nur Silber ist, ist die Verarbeitung dennoch...einzigartig. Ein wahres Schmuckstück, genau wie seine letztendliche Käuferin.«

Er hob den Kopf wieder und ließ seinen Blick über die vor ihm versammelten Leute schweifen, bis er schließlich an Juniper hängen blieb.

»Ihr seid also auf der Suche nach Kim Hyuna«, stellte er fest, ohne dabei auch nur ansatzweise mit ihr zu sprechen. »Das ist wirklich...höchst interessant.«

Juniper hatte keine Ahnung, ob Yut Thawon von den Ankerpunkten wusste, die Bangtan-pa und Sihyuk-pa verbanden. Ob er wusste, wer Shadow wirklich war. Sie konnte es sich kaum vorstellen, um ehrlich zu sein. Allerdings schien die Tatsache, Kim Hyuna nun in Verbindung mit dem Clan zu sehen, seine Zahnräder zum Laufen zu bringen.

»Wir sind nicht hier, um über unsere Hintergründe zu sprechen«, meldete sich Taehyung mit einer unleugbar kalten Note in der Stimme. »Ja, wir sind auf der Suche nach Kim Hyuna. Und mehr als ihren Aufenthaltsort wollen wir nicht wissen.«

»Ich habe nie eure Beweggründe hinterfragt«, säuselte der Ladenbesitzer, während er zu Junipers Schrecken ein paar Schritte auf sie zu machte und direkt vor ihr zum Stehen kam. Jimin ignorierte er dabei beflissen.

»Die muss bestimmt Ihnen gehören...hab ich recht?«

Er hielt ihr das Medaillon vor die Nase, so hoch, dass sie nicht einmal den Kopf senken musste. Unweigerlich fiel Junipers Blick zu Shadow, der sich zum ersten Mal zu ihr umgedreht hatte. Eigentlich war sie davon überzeugt gewesen, aus seinen Augen zu lesen, dass das hier sicher nicht zum Plan gehört hatte. Doch zu ihrer Überraschung lag eine gewisse Genugtuung darin. Als hätte er mit der vermeintlichen Identifikation ihrer Person seitens Yut Thawon genau das erreicht, was er hatte erreichen wollen.

Eben dieser ließ nun die Kette wieder sinken und hielt sie ihr so unmissverständlich hin, das Juniper einfach danach greifen musste. Es fühlte sich seltsam an, das kühle Metall wieder in ihren Händen zu halten.

»Sie sehen ihr sehr ähnlich, Madame«, sagte der Ladenbesitzer mit einem kleinen Lächeln, ehe er sich wieder abwandte und seine volle Aufmerksamkeit erneut Hoseok und Shadow schenkte. Vorzugsweise wohl hauptsächlich Hoseok, zu dem er ja schon eine gewisse Vertrauensbasis zu besitzen schien.

»Hört zu, es ist mir letztendlich gleich, weshalb ihr mir Hyunas Tochter bringt, wahrscheinlich als Druckmittel, um eher an Informationen über sie heranzukommen. Aber ich hatte seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr und bin darüber im Großen und Ganzen auch ziemlich froh, wenn ich so sehe, wer ihr gerade so alles hinterherjagt. Denkt nicht, ich habe die Sache mit Lee Sooman nicht mitbekommen. Trotzdem muss ich euch leider enttäuschen. Ich kann euch in eurem Belangen wirklich nicht weiterhelfen.«

»Yut«, seufzte Hoseok und trat einen Schritt auf den Thailänder zu. »Bitte, wir sind nicht mit bösen Absichten auf der Suche nach ihr. Und wir wissen, dass Hyuna und du gute Freunde wart. Denkst du nicht, sie hätte es gewollt? Dass du sie und ihre Tochter...zusammenbringst?«

»Ach, danach strebt ihr also? Einer freudigen Familienwiedervereinigung?«, schnaubte Thawon missbilligend, ehe er sich wieder hinter seiner Theke platzierte. »Hope...Verarschen kann ich mich selbst. Mir ist genauso wie fast jedem anderen in diesem Milieu bewusst, dass Kim Hyuna die meisten Informationen über Sooman-pa besitzt und damit zur Zielscheibe von ein jedem wird, der Ambitionen hegt, etwas gegen diese...deformierte Machtverteilung drüben bei euch in Korea zu tun.«

»Ich weiß, dass du das weißt«, erwiderte Hoseok in besänftigendem Ton. »Und genauso weiß ich, dass das auch ein Grund war, weshalb du unsere alten Handelsverbindungen fürs Erste kappen musstest, um nicht eine Zielscheibe auf dem Kopf zu haben. Ich weiß, dass sie jeden Großkäufer mit der Pistole am Kopf abgeworben und in ihre widerlichen eigenen Vertragsbedingungen gezwungen haben. Genau deshalb weiß ich auch, wie sehr du sie hasst...und wie sehr du eigentlich willst, dass die alte Ordnung wiederhergestellt wird.«

»Alte Ordnung, pfah...ihr mit eurem vermaledeiten Clan-Kodex, Hope...« Der Ladenbesitzer schüttelte schnaufend den Kopf und legte die Hände auf der Teakholz-Theke ab. »Aber ich habe es ernst gemeint, als ich euch gerade sagte, dass ich nicht weiß, wo sie ist. Wirklich.«

Hoseok ließ angesichts der ehrlichen Reue in Thawons Gesicht enttäuscht die Mundwinkel hängen. Nur Shadow schien sich von seinen Worten kaum beirren zu lassen. Er trat mit auf dem Rücken verschränkten Armen einen anmutigen Schritt nach vorne, so dass er direkt vor dem Tresen stand. Zu seinem Glück war der Ladenbesitzer noch kleiner als er selbst, so dass er den Vorteil nutzen und sich ein wenig hinabbeugen konnte.

»...aber Sie wissen, wer es weiß. Hab ich recht?«

Es war die Art, wie er Thawon in einer gewissen Weise nachahmte, ohne dabei auch nur ansatzweise lächerlich zu klingen, die Juniper einen Schauer über den Rücken jagte. Shadows Stimme hatte etwas an sich, das die ganze Atmosphäre verschlingen und für sich einnehmen konnte. Und nun nutzte er diese ganz gezielt, um die Informationen zu bekommen, für die er extra in dieses Land gekommen war.

»Ich...ich bin mir nicht sicher, aber...« Thawon schluckte und hielt nur mit Mühe dem Blick des eindrucksvollen Clanleaders stand. »...es gibt da eine Person, die es wissen könnte. Ich bin mir sicher, Sie kennen ihn. Er führt die Tilac Bar auf dem Soi Cowboy.«

»Die Tilac Bar? Nicht Ihr Ernst!«

Sofort wandten sich alle Blicke zu Jeongguk um, der gesprochen hatte. Er erwiderte diese mit verständnislosem Trotz.

»Was? Hat keiner von euch Hangover 2 gesehen? Das ist 'ne scheiß bekannte –«

Es war Taehyung, der ihm ohne zu zögern genervt eine Hand auf den Mund klatschte, um ihn zum Schweigen zu bringen. Doch auch Juniper erinnerte sich nun an die Szenen, die mitunter ihren einzigen Eindruck von Bangkok konstruiert hatten. Waren Bradley Cooper und sein »Wolfsrudel« nicht damals in einer dieser Go-Go-Bars gewesen? Oder hatte es sich dabei um einen Strip-Club gehandelt? So oder so definitiv kein Etablissement, in das sie heute Abend noch gehen wollte!!

Shadow jedenfalls schien diese Information auch ohne Erwähnung eines Namens mehr als genug zu sein. Er trat wieder einen Schritt rückwärts von der Theke weg und schenkte Thawon ein letztes Kopfnicken.

»Ich danke Ihnen vielmals. Wir können uns doch sicher auch darauf verlassen, dass dieses Gespräch...unter uns bleibt, oder?«

Der ältere Mann verzog seine Lippen zu einer schmalen Linie. »Meine Treue gehört dem, der mich wieder ruhig meinen Geschäften nachgehen lässt. Sooman-pa gehört da definitiv nicht dazu.«


⋆⋆⋆ ☽ ☼ ☾ ⋆⋆⋆


Die Tilac Bar lag, wie von Yut Thawon erwähnt, auf dem Soy Cowboy, welcher sich als eine von Bangkoks berühmt-berüchtigten Rotlicht-Meilen entpuppte. Nun wusste Juniper auch, wieso es auf der Khao San Road so humanitär und kinderfreundlich zugegangen war – der wahre Zirkus spielte sich nämlich definitiv hier ab.

Der Soy Cowboy war enger und von Neonlichtern so zugepflastert, dass es beim Schauen fast schon in den Augen schmerzte. Freizügig bekleidete Damen saßen an den Tischen der offen angelegten Bars oder warben mit Flyern bei den passierenden Menschen für ihre Clubs. Aus allen Richtungen drang elektronische Musik und die Luft schien geradezu aufgeheizt und elektrisiert durch die allgemein vorherrschende Stimmung der Menschen.

Die Tilac Bar befand sich auf der rechten Seite, fast am Ende der Rotlicht-Meile. Futuristische Barhocker reihten sich um metallene Tische, auf denen teilweise Frauen an Stangen tanzten, und alles war so verspiegelt und von Neon durchleuchtet, dass Juniper beim Betreten keine Ahnung hatte, wo die Räumlichkeiten anfingen und endeten. Die sich überall drängenden und ausgelassen tanzenden Menschen und Männer, die sich von Go-Go-Tänzerinnen bezirzen ließen, überforderten sie auf eine seltsame Weise. Nicht, weil sie so prüde war, nein...es war viel mehr der Umstand, warum verdammt nochmal sie hier gelandet war.

Shadow und Taehyung waren schon wenige Sekunden nach ihrem Eintreten damit beschäftigt, einen hochrangig aussehenden Angestellten zu bequatschen – oder vielleicht auch zu bedrohen – um an von Thawon besagten Barbesitzer zu kommen. Der Rest der Gruppe hielt etwas Abstand und nutzte die Zeit ausgiebig, um dem Interieur und den Anwesenden etwas mehr Beachtung zu schenken. Jeongguk hatte sogar mit einem kecken Grinsen auf dem Gesicht damit begonnen, eine Dame, die sich auf einem nahen Tisch um eine Stange räkelte, kaum merklich anzutanzen. Es war offensichtlich, dass er es aus reiner Freude und Belustigung an der Sache selbst tat – dennoch entging Juniper nicht Jimins Blick, der eine Spur zu lange und zu verbissen auf dem Jüngeren ruhte, und die Anspannung, die dabei kurz durch den Arm zuckte, mit dem er sie immer noch hielt.

Es dauerte geschlagene fünf Minuten, bis Shadow und Taehyung ihnen endlich ein Zeichen gaben, dass sie offensichtlich erfolgreich gewesen waren. Ganz anders als beim Betreten von Thawons Schmuckgeschäft bildete sich nun ein seltsam säuerlicher Geschmack in Junipers Mund und sie klammerte sich unwillkürlich ein wenig mehr an Jimin. Dieser legte ihr eine Hand auf den Arm und schenkte ihr einen beruhigenden Blick. Es fiel ihr schwer, diesen zu erwidern. Eigentlich wollte sie sich nicht schon wieder irgendwelche Schwächen eingestehen.

Der Raum, in den sie gebracht wurden, war mit roten Vorhängen vom Rest der Bar getrennt und spiegelte eindeutig das wider, was einen VIP-Bereich ausmachte. Die Tische hier boten mehr Privatsphäre und sehr wenige Gäste scharrten sich um diese. Die, die es taten, schlürften an Martinis und beobachten fast schon mit einer gewissen Gleichgültigkeit die Damen, die in dieser Ecke der Bar besonders knapp und glitzernd bekleidet zu sein schienen.

Der Tisch, an den ihre Gruppe letztendlich geführt wurde, war geradezu losgelöst von allen anderen und besaß quasi seine eigene, mit Spiegeln verhangene und glamourös anmutende Wandnische. Der Mitarbeiter, der sie hierhergeführt hatte, gab ihnen das Zeichen, sich zu setzen, ehe er ohne ein Wort wieder verschwand.

Juniper schätzte sich zunächst glücklich, zwischen Jimin und Jeongguk zu landen, musste aber schnell feststellen, dass sie nun, an diesem runden Tisch, einen viel zu einwandfreien Blick auf Shadow besaß. Dieser sah nur kurz und völlig ausdruckslos in ihre Richtung, ehe er seine ganze Aufmerksamkeit wieder ihrer spärlichen Aussicht auf den Raum widmete. Kurz beugte sich Taehyung noch zu ihm und flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin er kaum merklich nickte. Dann schien er völlig eingenommen von dem, was sehr wahrscheinlich gleich um die Ecke spazieren würde.

Ganze weitere fünf Minuten brauchte es, bis sich dann endlich eine hochgewachsene Person zwischen den roten Vorhängen hervortat und mit einem schiefen Grinsen auf ihren Tisch zusteuerte. Juniper lief es eiskalt über den Rücken, als sie etwas von Taos Anmut und Arroganz in der Gangart des Fremden wiedererkannte. Er trug seine schwarzen Haare sogar ähnlich wie der Chinese. Und seine Augen schauten mindestens genauso seelenlos drein.

»Ohhhh, was ist das nicht für eine Freude«, säuselte er, kaum stand er direkt vor dem freien Platz, der ihm Sicht auf ihre ganze Runde bot. »Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Wow!«

Er ließ seinen amüsierten Blick über sie alle schweifen, wobei er eine Sekunde länger an Juniper hängen blieb, und dieses Mal war es Jimin, der seinen Griff um ihren Arm unmerklich verfestigte. Schnell jedoch hatte der Kerl seine Aufmerksamkeit wieder auf Shadow gelenkt, der es irgendwie schaffte, selbst in sitzender Position mehr Eindruck zu schinden, als irgendjemand sonst.

»Wenn das nicht Min Yoongi ist«, grinste der Fremde, ehe er sich ebenfalls langsam niederließ. »Meine Fresse, ist das lange her.«

Die Erwähnung von Shadows vollem Namen – den Juniper ihm gedanklich nach wie vor nicht zugestand – ließ sie unwillkürlich etwas zusammenzucken. Und das lag nicht nur an der Tatsache, dass jemand Fremdes diesen ach so geheimen Namen gerade aussprach, sondern auch, wie er es tat.

»Du hast dich verändert, seit ich dich das letzte Mal gesehen hab«, gluckste der Barbesitzer unbeirrt weiter, ohne auf eine Reaktion seitens Shadow zu warten. »Wie lang ist das jetzt her? Elf Jahre? Zwölf? Eins steht jedenfalls fest...du sahst damals jünger aus, als du es tatsächlich warst.«

»Wir sind nicht hier, um über die guten alten Zeiten zu quatschen, Wonho«, erwiderte Taehyung anstelle des Clanleaders ungerührt, während Blitze aus seinen Augen schossen.

Der Kopf des Barbesitzers ruckte zu ihm herum. »Ohhh, Kim Taehyung! Dich hätte ich ja fast übersehen. Wie unhöflich von mir.«

Taehyung knirschte sichtlich verärgert mit den Zähnen und Juniper fragte sich unwillkürlich, in welcher Beziehung er, Shadow und dieser Wonho zueinanderstanden. Allem Anschein nach war er selbst Koreaner, so akzentfrei, wie er die Sprache sprach.

»Dass du gleich mit so einer großen Mannschaft anrückst, hätte ich dir nicht zugetraut«, fuhr der Barbesitzer an Shadow gewandt fort. »Seit wann bist du so paranoid? Denk bitte nicht, dass die Sache in Daegu nicht auch bis hier her durchgedrungen ist. Ich muss sagen...du hast mich beeindruckt. So viel...Grausamkeit. Aber zu so etwas fähig zu sein, ist nicht verwunderlich, angesichts deiner...nun ja, wie formuliere ich das möglichst nett...unterirdischen Jugend? Klingt das passend? Was sagst du?«

Es war so unmissverständlich klar, dass dieser Wonho einen Heidenspaß daran zu finden schien, jeden hier bis aufs Blut zu reizen. Ganz besonders Shadow. Doch dieser nahm seine Bemerkungen mit einer Gelassenheit entgegen, die mehr als beeindruckend war.

»Ich habe meine Leute nicht wegen mir dabei«, antwortete der Clanleader knapp, den letzten Teil von Wonhos Rede glatt ignorierend. Diesen schien es nicht zu stören. Stattdessen flogen seine Augen sofort wieder für einige Sekunden zu Juniper.

»Wer ist sie?«

»Ach, komm schon, Wonho.« Der Hauch eines spöttischen Lächelns zuckte über Shadows Gesicht, während er den Barbesitzer musterte, als hätte er eine besonders übelriechende, faulende Zwiebel vor sich. »Du bist doch so ein selbsternannter Menschenkenner. Siehst du es denn nicht?«

Wonho löste den Blick, dem nun ein Hauch von Verärgerung innelag, von ihm und wandte ihn erneut Juniper zu. Dieses Mal um einiges forschender und voller akribischer Zielstrebigkeit.

»Ich versteh schon«, grinste er nach einer Weile amüsiert und lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück. »Wenn ich eins und eins richtig zusammenzähle...seid ihr auf der Suche nach Kim Hyuna. Und ihr bringt ihre Kleine mit, um...ja, um was? Soll ich jetzt irgendwie Mitleid haben oder so? Oder Angst, ihr würdet ihr etwas tun? Ach, wartet. Euer dämlicher Leitsatz verbietet euch das ja ohnehin, richtig?«

Es erwischte Juniper eiskalt, dass nun schon eine zweite Person ohne Vorstellung wusste, um wen es sich bei ihrer Person handelte. War sie ihrer Mutter so aus dem Gesicht geschnitten?!

»Die Sache muss dir ganz schön ernst sein, wenn du sogar persönlich wieder hier in der Stadt der Sünde aufkreuzt, um nach Hyunas Spuren zu suchen«, philosophierte Wonho weiter, ohne eine Antwort seitens Shadow abzuwarten. »Das stimmt mich geradezu...euphorisch. Weißt du eigentlich, wie lange ich mir das schon ausgemalt habe? Min Yoongi in meiner Bar. Und zudem will er etwas von mir, das nur ich besitze. Zu schön, um wahr zu sein, oder?«

Ein kaum merkliches Zucken schnellte über Shadows Mundwinkel und Juniper bemerkte den bangen Seitenblick, den Taehyung ihm zuwarf. Auch Hoseok kaute auf der Innenseite seiner Wange herum, als wäre er plötzlich auf einen ganz düsteren Gedanken gekommen.

»Wie Taehyung bereits sagte«, sprach er langsam und mit dem Hauch von Boshaftigkeit in der Stimme. »Wir sind nicht hier, um die alten Zeiten aufleben zu lassen. Alles, was wir wollen, sind die Informationen über Hyunas Aufenthaltsort.«

»Und die werdet ihr auch bekommen«, schmunzelte Wonho unbekümmert. »Aber ich erwarte dafür eine gewisse...Gegenleistung, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Nein«, mischte sich in diesem Moment Taehyung wieder ein. »Vergiss es, Wonho. Du hast genug Öl in die Flammen gekippt. Das hier ist kein Spaß.«

»Natürlich ist das kein Spaß, Kleiner. Genau deswegen müssen wir der ganzen Sache...etwas mehr davon einflößen. Dein lieber Boss hat seine besten Tage mit mir verbracht, das weißt du. Und dann hat er sich von einem auf den anderen verpisst. Ohne eine angemessene Verabschiedung. Denkst du nicht...er schuldet mir einen gebührenden Abschluss dieser glorreichen Zeit? Immerhin...hab ich dafür nun sogar eine passende Location, die ganz allein mir gehört.«

Shadow zog eine Augenbraue hoch, während sein Gesicht wieder undurchdringliche Unverwandtheit schmückte. »Was willst du?«

»Nichts weiter, als eine partyreiche und sorgenlose Nacht mit euch und vor allem dir, mein Freund.«

Mit einem lauten Knall, der nicht nur Juniper, sondern auch Hoseok und Jimin heftig zusammenzucken ließ, hatte Taehyung aus heiterem Himmel einen Dolch in den Tisch geschmettert. Sein Gesichtsausdruck war wutentbrannt und kaum wiederzuerkennen.

»Wage es noch einmal, ihn deinen Freund zu nennen und –«

Er verstummte augenblicklich, als Shadow wortlos seine Hand an den Dolch legte und ihn mit Leichtigkeit aus der hölzernen Platte zog. Taehyung und er tauschten Blicke aus.

»Das kann nicht dein Ernst sein, Hyung«, hauchte der Jüngere, während seine Schultern ein wenig in sich zusammensackten. »Du weißt doch, was er damit meint.«

»Klar weiß ich das«, erwiderte Shadow ungerührt, ehe er sich wieder Wonho zuwandte. »Du hast mein Wort. Insofern du mir versichern kannst, dass ich die Informationen am Ende auch wirklich bekomme

»Habe ich dich jemals verarscht, Yoongi?«

»Hab irgendwann aufgehört zu zählen.«

»Nun...aus irgendeinem mir unerfindlichen Grund kann ich das sogar verstehen. Wie wäre es denn, wenn wir es mit so einer Art...Pfandleihe machen? Du gibst mir etwas, ohne das du hier nicht verschwinden kannst, und ich behalte es ein bis zum Morgen? Dafür bekommst du auch deine ach so heiligen Informationen sofort.«

Wonho verschränkte seine Arme hinter dem Kopf und bedachte Shadow mit einem süffisanten Blick. Dieser erwiderte ihn genauso ausdruckslos, wie er es schon die ganze Zeit getan hatte. Allerdings pausierte er mit seiner Antwort dieses Mal länger. Schien dem Gedankenspiel mehr Zeit zu geben, bevor er überstürzte Entscheidungen fällte.

»Wen willst du?«, fragte er schließlich, ohne eine Regung in seinen pechschwarzen Iriden.

Wonho grinste anerkennend, als hätte er mit nichts anderem gerechnet, als dass Shadow seine Anspielung sofort verstand. »Nun...dein Mädchen scheint doch der Schlüssel für diese ganze Mission zu sein, wenn ich mich recht entsinne. Allerdings hast du deine drei besten Kämpfer dabei, die es wahrscheinlich mehr als gut mit meinen Wachen aufnehmen könnten, sobald du hast, was du willst...von daher...«

Er sah langsam über die Versammelten hinweg, so wie er es bei ihrer Begrüßung schon getan hatte. Kurz blieben seine kalten Augen an Taehyung hängen, dann wanderten sie weiter zu Jeongguk, wo sie schon etwas länger verweilten. Letztendlich blieben sie doch an Jimin kleben und Juniper erkannte, wie sich langsam ein diebisches Grinsen auf Wonhos Lippen abzeichnete.

Juniper war drauf und dran, sich fester an den rothaarigen Kkangpae zu klammern, doch sie fürchtete sich davor, dass es den widerlichen Barbesitzer nur noch mehr anspornen könnte, Jimin für den Rest der Nacht in Gefangenschaft zu nehmen. Auch, wenn es nur für kurze Zeit war und nur dem Zweck diente, dass der Rest der Gruppe sich nicht einfach verdrückte...Sie wollte nicht, dass er auch nur eine Sekunde von ihrer Seite wich. Er war das einzige bisschen Sicherheit, an das sie sich schon den ganzen Abend lang klammern konnte. Die Person, die ihr immer wieder beruhigend die Hand auflegte, wenn sie sich von ihren Ängsten und ihrer Paranoia überwältigen ließ.

»Ich denke, dein kleiner Hackerfreund aus Busan eignet sich am besten«, entschied Wonho nach einigen Sekunden, ohne dabei den Blick von Jimin zu lassen.

Wie automatisch sahen alle Anwesenden zu Jeongguk. Wenn er Angst hatte, dann ließ er es sich gerade absolut nicht anmerken. Sein kühler Ausdruck zeugte fast schon von Gleichgültigkeit, auch wenn Juniper nicht entging, dass er für einen Moment rückversichernd zu Shadow hinüberschielte. Dieser musterte ihn mit der ganz klaren Aufforderung, dass er die Entscheidung nicht für ihn treffen würde.

»Schön, wie der feine Herr will«, brummte Jeongguk und erhob sich sogleich von seinem Platz, um sich an Taehyung und Shadow vorbeizuschieben.

Wonho hatte innerhalb von Sekunden zwei bullige Wachmänner zu sich gepfiffen, die den jungen Kkangpae in ihre Mitte nahmen. Dieser gab bei deren Anblick ein belustigtes Schnauben von sich.

Juniper spürte unterdessen, wie sich Jimins Finger unter dem Tisch um ihren Arm verkrampften. Sie hatte vor lauter Spannung gar nicht bemerkt, dass er seine Hand wieder dort platziert hatte. Unweigerlich folgte sie einem Reflex und legte ihre eigene oben auf.

»Habt nicht zu viel Spaß ohne mich«, rief der jüngste Kkangpae noch mit einer ungenierten Belustigung über seine Schulter, ehe er von den Männern ganz aus dem Raum geführt wurde. Shadow sah ihm mit Adleraugen hinterher, bis kein Zipfel mehr von ihm zu sehen war, ehe er sich in aller Ruhe wieder Wonho zuwandte. Taehyung neben ihm kaute schon wieder – nun ebenfalls unruhig – auf der Innenseite seiner Wange herum.

»Schön, dass wir uns verstehen«, grinste Wonho und zog einen Zettel mit einem Stift aus seinem Jackett, um dann etwas darauf zu notieren. Er schob diesen dem Clanleader hin, der ihn wie in Zeitlupe entgegennahm. Er ließ seine Augen erst auf das kleine Papier wandern, als er es direkt vor seine Nase gehoben hatte. Keine Rührung auf seinem Gesicht deutete darauf hin, was er da las.

Es war Taehyung, dem er nach seiner kurzen Betrachtung den Zettel gab. Dieser studierte ihn ebenfalls, ehe er seinem Leader zunickte und ein Feuerzeug aus der Tasche zog. Keine paar Sekunden später verkokelte das Geheimnis auf der Tischplatte.

»Wow, ihr nehmt das ja wirklich ernst«, schnaubte Wonho belustigt, ehe er mit einem Schnippen der Finger ganz beiläufig eine der Damen herbeiholte, die gerade noch anzüglich auf einem der Tische in ihrer Nähe getanzt hatte. Ein Blick und ein seltsames Handzeichen reichte, um ihr wohl zu bedeuten, was sie zu tun hatte. Sie verschwand aus ihrem Sichtfeld und tauchte kurze Zeit später mit einem goldenen Tablett wieder bei ihnen auf, das sie direkt vor dem Barbesitzer platzierte. Und nun wurde Juniper auch endlich vollends bewusst, was das ganze Gerede von vorhin zu bedeuten gehabt hatte. Sie sah zu Taehyung und Shadow, deren ganze Aufmerksamkeit auf dem Tablett hing...und ein leiser Verdacht machte sich in ihr breit.

»Wird Zeit, euch ein bisschen aufzulockern«, lachte Wonho und streckte die Arme aus, als hätte er ihnen soeben ein Buffet errichtet. »Wir sind hier in Bangkok, verdammt nochmal! Niemand bleibt hier nüchtern. Niemand!«

Auf dem Tablett befanden sich eine offene Schatulle mit säuberlich aneinandergereihten Phiolen voller weißem, bräunlichem oder klar-kristallinem Pulvern. Juniper erkannte sogar etwas mit einer Flüssigkeit darin, aber konnte nicht lesen, was auf den kleinen Etiketten stand. Neben der Schatulle befand sich eine große Auswahl von passenden Utensilien – von Löffeln, Ziehröhrchen bis hin zu abgepacktem Spritzbesteck. Unwillkürlich zog sich ein Kribbeln durch ihren Körper, das sie nicht wirklich einordnen konnte.

»Also, was sagt ihr? Clanleader first? Ich wäre schon dafür.« Wonho schob Shadow das Tablett so hin, dass er sich wie ein Barkeeper dahinter lehnen konnte, ehe er mit spitzen Fingern nach einer der Phiolen fischte. »Ich wäre ja...hierfür. Der guten alten Zeiten Willen.«

Taehyung knirschte mit den Zähnen und nagelte seinen Boss mit seinen Augen auf eine so durchdringende Weise fest, dass es verwunderlich war, dass Shadow keine Notiz davon nahm. Vielleicht ignorierte er ihn auch mit voller Absicht, als er fast schon belanglos das Röhrchen an sich nahm und näher vor seinem Gesicht in der Hand drehte. Er sah so unbeeindruckt aus, dass es fast schon ungesund wirkte.

»Yoongi-hyung...bist du sicher...?«

Ein kurzer stechender Blick von Shadow genügte, um Hoseok, der inzwischen auch mehr als unruhig auf seinem Platz herumrutschte, zum Schweigen zu bringen. Kurz darauf hatte er mit geübten Handgriffen ein wenig des Pulvers auf dem Tablett verteilt, es mit einer der zur Verfügung stehenden Karten feinsäuberlich zerkleinert und zu einer Linie gestrichen. Die Art, wie er es schlussendlich durch die Nase zog, sagte Juniper schließlich genug, um ihren innerlichen Verdacht zu bestärken. Auch wenn sie sich immer noch nicht sicher war, was genau der Clanleader da gerade hatte konsumieren müssen.

»Schön, schön...«, säuselte Wonho zufrieden, ehe seine Augen sich wieder dem Rest der Runde zuwandten und zu ihrem eigenen großen Bedauern ausgerechnet wieder an ihr hängenblieben. »Oh verdammt! Jetzt haben wir total die Lady vergessen. Bitte denk nicht, ich wäre kein Gentleman, ja?«

Er musterte Juniper von oben bis unten...auf eine sehr unangenehme Weise. Und sie? Sie wappnete sich bestmöglich für alles, was jetzt möglicherweise kommen könnte.

»Verzeih mir diese Feststellung...aber ich sehe dir an, dass du schon einige dieser Substanzen in deinem Blutkreislauf hattest...hab ich recht?«

Juniper antwortete nicht, sondern starrte einfach nur unverwandt zurück. Egal, was sie nun antworten konnte...er würde es gegen sie verwenden.

Wonho begann aufgrund ihres Schweigens breit zu grinsen. »Das Ja in deinen Augen reicht mir völlig aus, Schätzchen. Okay okay, schau...wie wäre es, ich biete dir was ganz Besonderes an. Hast du schon mal...Fentanyl probiert?«

»Nein.«

Juniper riss überrascht den Kopf herum, als Hoseoks feste Stimme ihre Wandnische durchdrang. Sein unsicherer Blick hatte sich inzwischen zu etwas anderem verwandelt. Düsternis und Entschlossenheit lagen darin und sie richteten sich geradewegs gegen den Barbesitzer.

Ihr selbst wurde erst zu diesem Zeitpunkt bewusst, was man ihr da gerade andrehen wollte, und augenblicklich breitete sich eine Übelkeit in ihrem Magen aus. Fentanyl war ein Opioid, das eine hundertmal heftigere Wirkung als Heroin haben konnte. Überdosierungen waren schon ab läppischen zwei Milligramm möglich und theoretisch sogar, wenn man den Scheiß nur anfasste. Nicht um alles in der Welt hätte sie Fentanyl auch nur einmal angerührt, wenn es nicht gerade unter gezwungenen Maßnahmen in einem Krankenhaus geschehen würde.

»Was Nein?«, erwiderte Wonho, wohl ein wenig überrumpelt von dem harten Gegenwind seitens Hoseok, der bisher eher passiv an den Gesprächen teilgenommen hatte.

»Sie wird kein Fentanyl nehmen«, wiederholte der Dealer standhaft und verschränkte die Arme vor der Brust. »Völlig ausgeschlossen.«

»Kann die Kleine nicht für sich selbst sprechen?«

»Wonho.«

Es war Shadows Stimme, die mit der Nennung des Namens alle Aufmerksamkeit sofort auf sich lenkte. Er starrte nach wie vor ungerührt auf den Kerl vor sich, die Finger vor seinem Gesicht ineinander verschränkt und die Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt.

»Sie wird kein Fentanyl nehmen. Punkt«, sprach Shadow weiter und das so endgültig, dass er damit sogleich einen eiskalten Schauer über Junipers Rücken jagte. Im völligen Kontrast dazu stand das wohlig-warme Gefühl in ihrem Magen...

»Hmmm, aber wo bleibt da der Spaß?«, bohrte Wonho weiter, der absolut nicht so aussah, als würde er sich mit dieser Absage zufriedengeben.

»Was ist das für ein Spaß, wenn du sie so dermaßen outknocken willst?«, schnaubte Hoseok. »Das ist Bullshit! Du willst deinen Spaß? Schön, dann leg uns 'ne saftige Line Ketamin. Aber komm mir noch einmal mit deinem scheiß Fentanyl und du wirst es bereuen.«

Der Barbesitzer funkelte ihn an und Junipers Herzschlag ging automatisch in die Höhe. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als stände der ganze Deal plötzlich auf der Kippe. Oder dass er es schlichtweg nicht durchgehen lassen würde, dass sie heute die Bar verließ, ohne etwas von dem Opioid von seiner Messerspitze geleckt zu haben. Doch dann, zu ihrer großen Überraschung und Erleichterung, zeigte sich ein seltsames Lächeln auf seinem Gesicht und er nickte mehr oder weniger einsichtig.

»Schön...kein Fentanyl für die Kleine...aber wie wäre es dann für dich?«

Das Knurren in seiner Stimme ließ Junipers Herz nach seinem kurzen freudigen Erleichterungsflug in ihre Hose rutschen. Sofort schnellte ihr Blick zu Hoseok, der wütend seine Lippen aufeinanderpresste. Auch ihm war nun klar, dass Wonho jetzt kein Nein mehr duldete...weshalb er auch kurz darauf mit der Hand ein unwirsches Zeichen gab, dass er einwilligte.

»Was für nette Freunde du doch hast, Schätzchen«, säuselte Wonho, der sich schon daran machte, eine weitere Phiole zu öffnen und ein kristallines Häufchen auf das Tablett zu schütten. »Wir wollen aber bei Ladys First bleiben. Ich hoffe doch, dein Kollege hat dich nun nicht in etwas geritten...auf was du gar keine Lust hast.«

Juniper sagte auch auf diese Aussage nichts und beobachtete ihn nur stumm dabei, wie er ihr feinsäuberlich eine Line Ketamin anrichtete. Sie hatte das Zeug schon mal probiert, keine Frage. Aber dabei war sie immer so sparsam gewesen, dass sie nicht mehr als ein leichtes Gefühl und ein wenig Orientierungslosigkeit gespürt hatte. Viel zu große Angst hatte ihr damals Ruby gemacht, die keine Gelegenheit ausgelassen hatte, um groß und breit jedem von ihrer schlimmsten K-Hole-Erfahrung zu berichten. Ein K-Hole entstand, wenn man für die eigenen Verhältnisse zu viel Ketamin konsumierte und in einen Zustand geriet, der nicht ferner der Realität sein könnte. Manche wenige mochten diesen Zustand sogar, die meisten allerdings assoziierten ihn viel lieber mit einer blanken Nahtoderfahrung.

Schon bevor Wonho Juniper das Tablett hinschob, erkannte sie, dass die Menge an Keta, die er ihr gelegt hatte, mehr als ausreichen würde, um sie in einen solchen Zustand zu versetzen. Es war mehr, als sie sich normalerweise in eine Line Pep packte. Oder MDMA. Es war...absolut zu viel.

»June...Merk dir bitte, dass ich die ganze Zeit bei dir bin, ja?«

Juniper hörte die leisen Worte Jimins an ihrem Ohr, schaffte es jedoch nicht, ihren Blick von der Droge vor ihren Augen abzuwenden. Die Kristalle glitzerten im Neonlicht der Bar wie winzig kleine Diamanten. Mit zitternden Fingern hob sie ihre Hand und griff nach einem der unbenutzten Röhrchen. Wie in Zeitlupe beugte sie sich über das Tablett...und zog die gesamte Line in einem Zug durch ihr rechtes Nasenloch.

Es kam wie erwartet. Der ekelhaft-salzig-säuerliche Geschmack des Zeugs ließ sie heftig zusammenfahren und trieb ihr augenblicklich die Tränen in die Augen. So heftig hatte sie das natürlich noch nie zuvor erlebt, weswegen sie es nun auch umso unvorbereiteter traf. Ihre Unsicherheit und Angst verhinderten, dass sie sich das bisschen Anstand und Souveränität bewahren und so tun konnte, als wäre es nichts weiter. Scheiße, wieso hatte dieser Typ ihr nicht einfach Pep oder Ecstasy zugestehen können? Natürlich...weil er sie dabei nicht leiden sehen würde. Was auch sonst.

Juniper war so beschäftigt mit sich selbst, dass sie kaum wahrnahm, wie Wonho über viele Minuten hinweg weitere dämliche Sprüche klopfte und Hoseok schließlich dazu brachte, ein winziges Tröpfchen Fentanyl von einem Löffel entgegenzunehmen. Wie er kurz darauf darüber spekulierte, womit er Taehyung und Jimin abdichten würde.

Was Juniper dann allerdings sehr genau wahrnahm, war die Tatsache, wie Hoseok zur Seite wegkippte. Ganz langsam, wie in Zeitlupe und genau auf den Platz, auf dem bis vor Kurzem noch Jeongguk gesessen hatte. Panik wollte in ihr Aufsteigen, doch irgendwie drang sie nicht richtig durch. Auch ihre Hände griffen nur unkoordiniert ins Leere und kribbelten bei jeder Bewegung, als würde statt Blut nur ein Meer aus Ameisen durch ihre Venen fließen. Sie blinzelte, nur um zudem noch festzustellen, dass sie Hoseoks Position nicht mehr richtig ausmachen konnte. Das Bild verschob sich ständig. Und um ehrlich zu sein, verlor sie auch jede Sekunde mehr Bewusstsein darüber, was oben und was unten war.

»Nein, June...lass Tae das machen«, drang Jimins Stimme ganz fern an ihr Ohr und seltsame Fremdkörper schlangen sich um ihre Körpermitte. Obwohl sie irgendwie wusste, dass sie nun stabilisiert in seinen Armen lag, fühlte sie sich dennoch, als würde sie ihm jeden Moment entwischen und an die Decke fliegen. Seit wann hingen ihre Arme eigentlich so seltsam von ihrem Körper weg? War es normal, dass sie sich so komisch anfühlten? Verdammt, Arme waren doch an sich total komisch!

»Aber...mein Stuhl steht...näher«, brabbelte sie wirr und griff erneut ins Leere, obwohl sie schon viel zu spät dran war. Ihr Arm tat die Bewegung, die sie ihm befohlen hatte, zeitverzögert.

»Nicht reden, nicht bewegen, nicht denken«, hauchte Jimin ihr sanft, aber bestimmt ins Ohr und strich ihr mit einer Hand über den Oberarm. Es fühlte sich an, als würde er dafür hunderte Federn benutzen.

Brei. Alles wurde Brei. Der Raum, die Menschen darin, selbst das staubtrockene Kristallpulver, das nach wie vor in ihrer Nase brannte. Und allem voran ihr Kopf. Wenn dieser diese Nacht überhaupt an einem Stück überstehen würde...


⋆⋆⋆ ☽ ☼ ☾ ⋆⋆⋆


𝖆𝖚𝖙𝖍𝖔𝖗'𝖘 𝖓𝖔𝖙𝖊

Ich konnte mich endlich wieder aufraffen, ein Kapitel nachzukorrigieren und hochzuladen, yey! Verzeiht mir bitte die langen Wartezeiten, mit denen es auch leider erstmal so weitergehen wird :')

Um euch die Situation kurz zu erklären: Rosenschnee und ich haben – wie vielleicht einige von euch wissen – unsere Story Perfect Strangers Ende August beendet und damit wurde Renegades zu meinem einzigen Projekt. Allerdings habe ich durch den Wegfall auch gemerkt, wie sehr mir doch das Reallife-BTS-Universe fehlt. Dementsprechend werkle ich gerade an etwas herum, was mir diese Lücke neben Renegades füllen kann. (Better be ready hihi)

Renegades ist gerade ein wenig in ein Loch gerutscht, was nicht bedeutet, dass ich an dem Konzept zweifle oder das hier in irgendeiner Form abbrechen werde, aber ich denke, ich mache mir doch manchmal selbst zu viel Druck, wie realistisch ich die Geschichte möchte. Es gibt so viel zu beachten und manchmal fühlt es sich so an, als würde mein Kopf explodieren. Dazu muss ich gerade die nächsten Szenen sehr durchdacht durchplanen und das wird wohl noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Ich habe einfach den Wunsch, dass diese Story das Gefühl rüberbringt, was ich mir immer für sie gewünscht habe. Aber dafür brauch ich Zeit und das richtige Mindset. Da ich das nicht immer habe, wird es, wie gesagt, noch eine Weile zu Verzögerungen kommen. Gerade auch beeinflusst durch die Tatsache, dass ich Perfect Strangers sehr vermisse T-T 

Okay...soviel zu meinen kleinen Problemen. Ich hoffe natürlich trotzdem, dass euch das Kapitel gefallen hat ♡

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top