chapter 6 - mouthfull of razors


»Well, I'm so above you
And it's plain to see
But I came to love you anyway«

𝙡𝙤𝙣𝙚𝙡𝙮 𝙗𝙤𝙮 𝘣𝘺 𝙩𝙝𝙚 𝙗𝙡𝙖𝙘𝙠 𝙠𝙚𝙮𝙨



JUNIPER HÄTTE NICHT erleichterter sein können, als sie wenig später Shadows Büro endlich wieder verlassen durfte. Jin empfing sie mit einem neugierigen Blick, um sie gleich darauf den Flur entlang zu zerren, bis sie in etwas landeten, was schwer nach einem ehemaligen Aufenthaltsraum aussah. Im Gegensatz zu dem Zimmer, in dem sie aufgewacht war, wirkte es hier sogar einigermaßen wohnlich. Eine kleine, relativ neue Küche schmiegte sich an die grauen Wände, ein langer Tisch mit vielen Stühlen stand daneben und sogar eine kleine Sofalandschaft befand sich am anderen Ende des Zimmers. Und genau auf jener – so stellte Juniper mit einem kleinen Herzhüpfer fest – saßen Jimin und Jeongguk.

»Ich dachte, dir wär's vielleicht ganz recht, wenn ich dich erst mal zu ihm bringe«, murmelte Jin und schenkte ihr dabei sogar ein kleines, kaum merkliches Lächeln. »Ich hatte eh vor, was zu kochen. Ist ohnehin besser, wenn ich das nicht in alle Richtungen austragen muss und ich die Abnehmer auf einem Fleck habe.«

Erst jetzt realisierte sie, was für ein wahnsinniges Loch sich inzwischen in ihren Magen gefressen hatte. Wann war ihr das letzte Mal etwas zwischen die Zähne gekommen? Ach ja richtig. Jimins Omelett. Das musste nun bestimmt über knapp vierzig Stunden her sein. Fast zwei ganze Tage.

»Danke«, murmelte sie Jin zu, ehe dieser sich auch schon hastig zur Küche abwandte. Wahrscheinlich, um die Situation zwischen ihnen nicht zu nett werden zu lassen.

Die anderen beiden Kkangpae hatten ihre Ankunft inzwischen bemerkt und die Köpfe zu ihnen umgewandt. Erst jetzt sah Juniper den Verband, den wahrscheinlich Namjoon Jimin über seine genähte Platzwunde geklebt hatte. Zudem wirkte er ein bisschen fertiger, als sie ihn in Erinnerung hatte. Aber wen wunderte das schon?

»June!«, entfuhr es ihm, jedoch konnte Jeongguk neben ihm gerade noch mit seiner Hand unterbinden, dass er von der Couch aufsprang.

»Joonie war sich nicht sicher, ob es eine Gehirnerschütterung ist, wie oft denn noch!«, fauchte der Jüngere genervt und taxierte den Verletzten von der Seite. »Wenn du dich schon nicht hinlegen willst, bleib wenigstens verdammt nochmal sitzen!«

»Geht's dir soweit gut?«, fragte Jimin sie, Jeongguk dabei gekonnt ignorierend. »Ich hab gehört, Shadow wollte dich direkt sehen. Was hat er dir gesagt? Oh man, es tut mir so leid...Ich hätte besser aufpassen müssen, dann wären wir nicht –«

»Mir geht's gut, wirklich!«, log Juniper ihn schnell an und ließ sich möglichst gelassen, trotz der sie verzehrenden Erschöpfung und allgegenwärtigen Schmerzen auf der angrenzenden Couch nieder. »Und ja, ich war gerade bei...eurem Boss. Und nein, du...du kannst bestimmt nichts dafür, dass das passiert ist...«

Jimin sah sie so wehleidig an, dass es sie fast ein wenig erschrak. »Oh June...Ich hoffe, er war nicht so ranzig zu dir. Er kann manchmal etwas kalt rüberkommen, dabei ist er das eigentlich gar nicht. Shadow muss nur manchmal –«

»Du kannst ihn ruhig beim Namen nennen«, fiel ihm dieses Mal Jeongguk grummelnd ins Wort. »Hobi hat wieder mal seine Klappe nicht halten können. Keine Ahnung, wer die glorreiche Idee hatte, ihn als Aufpasser zu ihr zu setzen.«

»Es...war schon okay«, murmelte Juniper an Jimin gewandt. »Er kann mich nicht ab, aber das beruht auf Gegenseitigkeit. Ich schätze, wir sind trotzdem irgendwie...auf einen Nenner gekommen.«

Unter anderen Umständen hätte sie sich vielleicht lauter darüber ausgelassen. Ihn gefragt, wie er es mit einem solchen Arschloch als Boss aushielt. Doch gerade war ihr wirklich nicht danach. Jimin mehr oder weniger fit und ziemlich am Leben zu sehen, machte sie gerade aus unerfindlichen Gründen viel zu handzahm und erleichtert.

»Das heißt also, du hilfst uns freiwillig, Sooman-pa dem Erdboden gleich zu machen«, stellte Jimin fest. »Nun...das macht die Sache um einiges einfacher.«

Juniper begann unwillkürlich, an den Bändern des Pullis herumzuknibbeln, den man ihr angezogen hatte. »Was wäre denn genau passiert, wenn ich euch nicht geholfen hätte?«

Die Frage wog schwer – nicht nur, weil sie in gewisser Weise lächerlich war. Immerhin konnte Juniper sich nicht vorstellen, wie sie überhaupt irgendwas Sinnvolles bewerkstelligen können würde. Trotzdem...eigentlich hatte sie die Worte gar nicht so ernst über die Lippen bringen wollen. Vielleicht war es passiert, weil sich in irgendeiner Weise ein kleines Stückchen ihrerseits Hoffnung an sie klammerte. Wie viel wert war sie hier irgendwem eigentlich wirklich? Vielleicht absurd, dies zu jetzigem Zeitpunkt schon ergründen zu wollen, doch es war letztendlich das Einzige, woran Juniper sich festhalten konnte, um nicht in völliger Einsamkeit zu versinken. Jimin schien sich ihrem ersten Eindruck nach wirklich Sorgen um sie gemacht zu haben...oder war es nur sein schlechtes Gewissen, das ihn plagte?

»Naja«, begann genau jener und kratzte sich dabei am Kopf. »Sha– ähm, ich meine Yoongi hätte dich irgendwo eingesperrt. Vielleicht nicht in so ein dreckiges Loch, wie die Sooman-Spastis uns beide, aber immer noch ziemlich dunkel, langweilig und einsam. Er setzt nicht so auf Folter in Fällen wie deinem. Er hat Geduld. Eine ganze Menge davon.«

Juniper lehnte sich zurück und stellte mit einer erschreckenden Genugtuung fest, wie gut sich das Polster in ihrem Rücken anfühlte. Vielleicht war es das und die Gewissheit, dass Jimin sich selbst nicht in diese gewissen Methoden Sooman-pa's miteinberechnet hatte, was sie ein wenig komfortabler und freier fühlen ließ. Das Gespräch mit Shadow hatte ihr nicht wirklich viele Antworten gebracht...besonders nicht über die persönlichen Dinge. Aber sie hatte sich auch nicht durchringen können, ihm diese Fragen zu stellen. Bei Jimin...sah das nun anders aus. Da störte sie noch nicht einmal Jeongguk, der sie nach wie vor mit einem gewissen Argwohn musterte, und Jin, der hinter ihr lautstark in der Küche hantierte.

»Jimin...«, begann sie langsam und schielte zu ihm hinüber. »Würde es dir was ausmachen, mir das alles nochmal etwas...genauer zu erklären? Wer mein echter Vater ist? Wenn du verstehst, was ich meine...«

Unwillkürlich flog Jimins Blick in Richtung Jin, doch Juniper traute sich nicht, diesem zu folgen. Zu ihrem Glück schien der Kkangpae keine Einschränkungen des Älteren bekommen zu haben, da er sich relativ fix wieder ihr zuwandte und tief Luft holte.

»Du weißt bereits, dass Lee Sooman dein leiblicher Vater ist und Kim Hyuna deine leibliche Mutter. Bei Lee Sooman tut mir das ausgesprochen leid für dich, denn er ist...er war ein Schwein. Genauso wie sein Sohn...also dein Halbbruder. Kam aus der Ehe, die er vor der Sache mit Hyuna geführt hat. Ich will gar nicht wissen, ob die arme Frau wirklich eines natürlichen Todes gestorben ist, denn ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen. Jedenfalls hat deine Mutter ihm letzte Woche eine Kugel durch den Schädel gejagt. Vielleicht hat sie mitbekommen, dass du dich schon im Visier des Clans befunden hast und hat ihre Chance genutzt, bevor es zu spät war...«

»Aber...warum hat sie mich dann nicht geholt und verhindert, dass die mich entführen?«, fragte Juniper und konnte die Verbitterung in ihrer Stimme nicht unterdrücken. »Bin ich ihr...so egal?«

»Das bist du ganz sicher nicht!«

Zu ihrer aller Überraschung war es Jins Stimme, die eisern den Raum durchdrang, und alle Köpfe wandten sich ihm zu. Er hatte sich inzwischen unbemerkt zu ihnen bewegt und stand nun mit verschränkten Armen wenige Schritte vor den Couches.

»Ich kannte Kim Hyuna. Ja, sie war sprunghaft, wild und manchmal unberechenbar. Aber wenn sie eines hatte, dann ein gutes Herz. Eines – und darauf schwöre ich bei meiner ganzen Ehre – das ganz alleine für dich geschlagen hat und es immer noch tut. Dass sie dich verlassen hat, war der einzige Weg, dir ein normales und sicheres Leben zu ermöglichen. Aber genauso wie wir kam sie ganz sicher nicht an dich heran, als sich die Lage zugespitzt hat. Sooman-pa hatte dich rund um die Uhr überwacht und sie agiert höchstwahrscheinlich allein. Zudem gehe ich davon aus, dass sie auf uns vertraut hat. Wenn sie eines nicht ist, dann dumm. Alleine die Tatsache, dass sie es auf eigene Faust geschafft hat, so lange unterzutauchen und es auch jetzt wieder tut, ist unleugbar...beeindruckend.«

Juniper starrte Jin an, während sich ihre Hände unweigerlich in die Sofapolster krallten. »Du...kanntest meine Mutter?«

»Ich war sehr jung damals, aber ja, ich kannte sie persönlich. Wenn auch nur von wenigen, seltenen Treffen.« Seokjin zögerte, ehe er eine schwerwiegende Entscheidung für sich zu treffen schien. »Ich...war selbst indirekt Teil des Clans. Besser gesagt meine Eltern. Unsere Familie gehörte zu den wenigen, die unbeschadet bei dem Massaker 1999 davongekommen sind. Ich war damals gerademal sieben Jahre alt.«

Langsam aber sicher kristallisierte sich ein verschwommenes Bild in Junipers Kopf heraus. Diese Verbindungen zu Sihyuk-pa, von denen Jimin und gerade auch Shadow gesprochen hatten...sie schienen sehr persönlicher Natur zu sein. Aber irgendwie kam es der jungen Frau gar nicht so verwunderlich vor, dass sich Jin nun als echtes Mitglied des alten, lange nicht mehr existenten Clans outete. Umso interessanter wurde es jedoch, da sie nun die erste, waschechte Verbindung zu ihrer Mutter vor sich stehen sah. Jemanden, der sie wirklich mit eigenen Augen erblickt und vielleicht sogar mit ihr gesprochen hatte. Diese Erkenntnis machte Junipers ganze Situation, nun plötzlich doch eine Mutter zu haben, so erschreckend viel realer. Es fühlte sich so fremdartig an. So neu...und vielleicht auch ein wenig beängstigend.

»Aber...wenn Hyuna doch bei Sooman-pa eingeschleust gewesen war...und zudem die Frau des Bosses...Wieso hat sie niemanden vor diesem Angriff damals gewarnt?«, fragte sie vorsichtig.

Sie wollte Jin auf keinen Fall zu nahe treten und dadurch ihre Chancen verspielen, mehr über ihre Mutter zu erfahren. Gleichzeitig wütete in ihr aber die Angst, dass Kim Hyuna nicht dem Idealbild einer Mutter entsprach, das sie sich über die Jahre von ihrer eigenen gemacht hatte. In Junipers Vorstellung war »Kang Yuri« immer liebevoll, aufopferungsvoll und herzlich gewesen. Sie wollte dieses Bild nicht verlieren. Es nicht gegen das einer Person tauschen, die Verrat an ihrer Familie begangen hatte...Eine Person, die ganz vielleicht dafür verantwortlich war, dass viele Menschen getötet worden waren.

Zu ihrer großen Überraschung jedoch verengten sich Seokjins Augen zu Schlitzen und eine tiefe Düsternis legte sich in seine wohlgeformten Gesichtszüge.

»Kim Hyuna hat uns gewarnt. Mehrmals. Sie war als die Frau des Chefs nicht immer eingebunden in die Machenschaften des Clans. Trotzdem hat sie immer wieder Kopf und Kragen riskiert, um an alle möglichen Informationen zu kommen...und bei jenem Attentat hat es sich ähnlich verhalten. Sie hatte nichts Handfestes und doch eigentlich genug, um alle in Alarmbereitschaft zu versetzen. Das größte Problem war wohl die Gutgläubigkeit verbunden mit einer gewissen Arroganz von Sihyuk-pa als Gesamtheit. Sie konnten sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sooman-pa mit unzähligen Maschinengewehren die großkotzige Weihnachtsfeier sprengen und jeden niedermetzeln würde, der ihnen unter die Nase kam.«

Juniper lief ein eiskalter Schauer über den Rücken bei der Vorstellung, die er nun zu diesem zum wiederholten Male erwähnten Ereignis in ihren Kopf gepflanzt hatte. Und gleichzeitig konnte sie einfach nicht fassen, dass ihr leiblicher Vater der Drahtzieher hinter diesem schrecklichen Ereignis gewesen war. Dazu das Wissen, dass sie anscheinend auch noch einen Halbbruder besaß, der dieses Erbe weiterführte...

»Ist...Shadow deswegen so fixiert darauf, Sooman-pa zu stürzen?«, fragte sie schließlich, um all ihre anderen Gedanken bestmöglich zur Seite zu schieben. »Wegen...dir? Also...weißt du, wie ich meine? Eine Art...Rachefeldzug?«

Natürlich fiel Juniper der Blickwechsel aller Anwesenden auf, der darauf stattfand. Doch letztendlich blieben alle Augen an Jin hängen. Es war offensichtlich, dass er hier die Person mit der meisten Entscheidungsgewalt im Raum war. Doch gerade schien er wirklich in eine Art Bredouille zu kommen.

»Ach, komm schon, Hyung«, stöhnte Jimin nach einer Weile, in der der Älteste sich nur nachdenklich auf der Lippe herumgekaut hatte. »Sie sollte es wissen. Sie hat quasi ein Geburtsrecht darauf, oder? Immerhin ist sie im Prinzip genauso ein Teil von Sihyuk-pa wie du! Und wie Hyuna! Und –«

»Das reicht, Jimin!«, fuhr ihm Seokjin entrüstet ins Wort. »Es liegt nicht an dir, zu entscheiden, ob solche Informationen weitergegeben werden.«

»Dein Ernst?«, schnaubte Jeongguk und verschränkte spöttisch die Arme vor der Brust. »Selbst Sooman-pa kann Eins und Eins zusammenzählen nach der ganzen Aktion in New York! Genau deswegen ist Yoongi doch auch so wütend auf euch! Es war geplant, dass ihr euch nicht zu erkennen gebt, um nicht sofort die Spur auf uns zu lenken und allen zu verraten –«

»Jeongguk, ich warne di–«

»Verfickte scheiße, dass Yoongi eigentlich der rechtmäßige Erbe des Sihyuk-Throns ist!«

Stille breitete sich im Raum aus, während sich Seokjins Kopf nach wie vor roter und roter färbte. Die Wut, die aus seinen Augen sprühte, ließ den jüngeren Kkangpae kalt. Juniper registrierte jedoch den ungemein starren, undeutbaren Blick, den er nebenbei von Jimin erntete.

»Was?!«, giftete Jeongguk nach einigen Sekunden und sah dabei in die Runde. »Ich habe euch nur eine unnötige und elendig lange Diskussion erspart, die Jimin und ich ohnehin gewonnen hätten.«

Seokjin grunzte und fuhr sich genervt mit der Hand über sein nach wie vor rotes Gesicht. »Ich frag mich wirklich wieder jeden Tag aufs Neue, welcher Vollidiot es für eine gute Idee hielt, dich vorlaute kleine Schrumpfbirne in den inneren Kreis zu holen.« Er wandte sich wieder Juniper zu, die Mundwinkel gefährlich weit nach unten verzogen. »Nun...jetzt ist es ohnehin raus. Ja, Yoongi war der Sohn von Min Dongwon, dem Clanführer von Sihyuk-pa. Ich würde dich allerdings wirklich bitten, diese Information, genau wie seinen echten Namen, für dich zu behalten! Auch, wenn es wahrscheinlich sehr bald ohnehin die Runde machen wird. Aber jetzt weißt du wenigstens, warum dieses ganze...Unterfangen in New York eigentlich besser anonym von uns behandelt hätte werden sollen. Wir haben Sooman-pa unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass wir in Verbindung zu Sihyuk-pa stehen. Mit deiner Rettung. Yoongi aber wollte das eigentlich tunlichst vermeiden.«

Jeongguk ließ erneut ein Schnauben von sich hören. »Es wird seinem Image nur guttun. Nicht, dass die Sache in Daegu nicht schon genug Eindruck gemacht hätte. Also zumindest kann ich das behaupten, als damals noch Außenstehender. Sooman-pa mag uns vielleicht belächeln, aber in Wahrheit scheißen sie sich gerade in die Hosen. Genauso wie alle anderen. Wir haben nicht umsonst mit so wenigen Leuten die meisten der Gebiete südlich des Hangangs eingenommen und halten sie nach wie vor standhaft.«

Juniper biss sich auf die Lippen und sah vorsichtig zu dem jüngsten Kkangpae. »Was...war denn damals in Daegu?«

»Nun«, grinste Jeongguk süffisant, ungeachtet des bösen Blicks, den er wieder von Seokjin erntete. »Yoongi hat einen wichtigen Standort von Sooman-pa abgefackelt. Ich kann dir sagen, das hat –«

»Es reicht jetzt, Kleiner«, fiel ihm der Älteste ins Wort, bevor dieser noch weiter mit seinen Erzählungen ausschweifen konnte. Etwas sehr Düsteres hatte sich dabei in seinen Blick gelegt. Etwas, das weit über den Frust über Jeongguks Ignorieren seiner Anweisungen ging...Juniper konnte nur leise ahnen, dass dieser mit dem Erwähnen von jenem Geschehnis einen ziemlich wunden Punkt getroffen haben musste.

Auch Jimins Gesichtsausdruck hatte sich inzwischen verändert. Sie bemerkte es, als sie wie automatisch fragend zu ihm sah und seinen nervös starrenden Augen begegnete. Als sich ihre Blicke trafen, verengten sich seine Augenbrauen ein wenig und er sah reflexartig zu Boden. Dies bildete nur die letzte Bestätigung, dass Daegu wohl ein böser Begriff in dieser Runde zu sein schien. Zumindest für den Großteil.

Jin beendete die »Diskussion«, indem er Jeongguk ein letztes Mal mahnend ansah und sich dann wieder zurück in die Küche begab. Juniper spürte, wie der Drang in ihr aufkam, den Jüngsten erneut nach der Sache zu fragen, sobald ihr Flüstern durch das Klirren des Geschirrs verschleiert werden würde. Doch letztendlich hielt sie eine gewisse Angst davon ab, Dinge zu erfahren, die ihr nur noch weiteres Kopfzerbrechen bescheren würden. Sie durfte immerhin nie vergessen, dass sie hier nach wie vor unter Verbrechern saß, deren bisherige Taten sie nur vage erahnen konnte. Nicht unter Freunden...oder zumindest Bekannten.


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Juniper starrte an die unverputzte Decke, die sich über ihr erstreckte. Das Zimmer, in dem sie sich befand, war in völlige Dunkelheit gehüllt und das nur, weil es keine Fenster besaß. Wie auch, dutzende Meter unter der Erde?

In diesem Fall war es ihr sogar ganz recht. Die Gewissheit, hier unten zu sein, erinnerte sie ein wenig an ihre U-Bahn-Fahrten zuhause in New York. Was andere als beklemmend empfanden, war für sie irgendwie...wie eine Flucht. Im Untergrund zu sein, war ein bisschen so wie ein kleiner Ausbruch aus der erschreckenden Realität. Hätte sie nur früher gewusst, dass dieses Gefühl bis heute nie wirklich berechtigt gewesen war. Den Drang, flüchten zu müssen, hätte sie nicht zu haben brauchen. Vielleicht, wenn sie sich nicht so oft davon hätte beeinflussen lassen, hätte sie nun ein paar schönere Erinnerungen an ihren Vater, die sie in edler Reue abspielen könnte.

Aber nein. Nun saß sie hier fest, in einem seltsamen Kellerraum in einer alten Textilfabrik in Seoul, den man mit Ach und Krach zu einer Art »Gästezimmer« umfunktioniert hatte. »Gästezimmer« deswegen, weil Juniper sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass die anderen Kkangpae in ebenso vollgestaubten und verwahrlosten Abstellräumen hausten, in die man noch irgendwo zwischen die Kisten voller Müll eine Matratze gequetscht hatte. Immerhin war diese überzogen und sauber gewesen.

Jimin hatte sie am gestrigen Abend hierhergebracht, mit der Aufforderung, sich ja nicht den Schlafrhythmus zu versauen. Sie würde alles darauf verwetten, dass er nach dem Verlassen des Raums den Schlüssel im Schloss herumgedreht und sie damit eingeschlossen hatte...so leise wie möglich, in der Hoffnung, dass sie es nicht mitbekam...aber dafür war diese dämliche Fabrik leider zu alt.

Eigentlich hatte es Juniper gar nicht so sehr gestört. Viel mehr in der Hinsicht, dass man ihr nicht vertraute, als in der, dass man sie tatsächlich eingesperrt hatte. Immerhin hatte sie hier direkt eine kleine abgeranzte Toilette im Nebenraum. Und Jimin hatte ihr kommentarlos eine Wasserflasche, Schmerztabletten und irgendwelche kurios aussehenden koreanischen Snacks neben die Matratze gelegt. Irgendwie ahnte sie, dass wenn es nach ihm gegangen wäre, man ihre Tür nicht verschlossen hätte. Allerdings konnte sie dabei auch völlig daneben liegen.

Die Tatsache, dass sie gestern Abend von weiteren Besprechungen ausgeschlossen geworden war, bestärkte letzteres ungemein. Zudem wusste sie nicht einmal, ob die Clanmitglieder auch hier hausten, oder ihre eigenen Räumlichkeiten in der Stadt besaßen. Das Einzige, was Juniper zu trösten vermochte, war, dass es Jimin gewesen war, der sie trotz heilloser Proteste seitens Jin und Jeongguk zu ihrem »Zimmer« gebracht hatte.

Nun lag sie hier, dank der Tabletten endlich halbwegs schmerzfrei und hatte noch nicht einmal versucht, ihr Gefängnis zu verlassen. Ihre Motivation, in den Tag zu starten, lag sowieso bei null. Wie sollte sie hier nur ihre Zeit totschlagen? Wie oft hatte sie jetzt ohnehin schon versucht, nach ihrem Handy zu greifen, um belanglose Social-Media-Seiten durchzuscrollen, nur um zu realisieren, dass sie gar keins mehr besaß? All diese Selbstverständlichkeiten ihres Lebens...sie waren mit einem Mal von ihr fortgenommen worden. Und es war so verdammt frustrierend.

Es dauerte Ewigkeiten, in denen Juniper noch nicht einmal wusste, wie viel Uhr es war, bis sie sich endlich dazu aufraffte, aufzustehen und zur Tür zu gehen. Zu ihrer großen Überraschung ließ sich diese ohne Widerstand öffnen. Ob sie sich das mit dem Einschließen nicht vielleicht doch eingebildet hatte...?

Vorsichtig trat sie hinaus auf den im Halbdunkel liegenden Flur. Völlige Stille empfing sie, zusammen mit der durch Lüftungsanlagen künstlich frisch gehaltenen Luft. Ein Glück lag der Raum, in dem sie gestern Abend gemeinsam gegessen hatten, nicht allzu weit entfernt. Juniper erinnerte sich noch vage an den Weg. Hätte sie ihn nicht mehr gewusst, wäre sie lieber in ihrem kleinen Kabuff geblieben, als ziellos durch die Gänge des Kellergeschosses zu irren.

Doch noch bevor sie auch nur einen Schritt nach vorn machen konnte, drangen plötzlich zwei Stimmen an ihr Ohr. Und eine von ihnen war wirklich die letzte, die sie für einen guten Start in den Morgen gebrauchen konnte. Trotzdem trugen ihre Füße sie willenlos und so leise, wie es eben ging, in Richtung der Geräuschquelle...welche sich als eine Tür entpuppte, die nur zwei neben ihrem »Zimmer« lag. Wider aller Alarmglocken, die ihr einen innerlichen Tinnitus bescherten, legte sie ein Ohr an das spröde Metall und lauschte.

»...was denkst du denn, warum ich so verdammt sauer bin? Wegen der Tatsache, dass ihr uns als Clan offenbart habt? Ernsthaft jetzt?!«

»Hyung, bitte! Ich hab das vorher gecheckt und das waren keine von Taemins engsten Leuten! Du weißt, sein Vater hat das damals vertuscht. Die hätten mich unmöglich –«

»Das ist mir egal, Jimin-ah! Es war zu riskant. Hätte Taemin gleich geschaltet, wärst du tot gewesen. Und das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist, dass meine Leute wegen zu viel Leichtsinn draufgehen! Ich war von Anfang an nicht begeistert davon, dass du überhaupt mit nach New York gehst. Aber ich hab's zugelassen. Und weißt du auch, warum?«

»...weil du mir vertraust.«

Jimin klang wie ein beschämtes Kind, das gerade von seinem strengen Vater zurechtgewiesen wurde.

»Genauso ist es. Also sorg auch dafür, dass das so bleibt. Ich habe dir zugestanden, dass wir das alles nicht an die große Glocke hängen...das wird jedoch hinfällig, wenn sowas wie in New York erneut vorkommt. Ich werde sicher nicht riskieren, dass die anderen dir nochmal so blind folgen, nur weil sie keine Ahnung von nichts haben.«

»Ich hab ihnen schon vor Ewigkeiten gesagt, dass er von Sooman-pa –"

»Ja, das ist mir auch bewusst. Aber wer er wirklich ist, hast du ihnen sicher nicht gesagt. Bei der schieren Größe dieses Dreckspacks gehen sie natürlich davon aus, es wäre irgendein No-Name. Aber du weißt genau, was Sache ist. Dass er sich in der Position, in der er inzwischen ist, einen Dreck um dich schert, genau wie er es schon immer getan hat. Wobei ich anfügen muss – die anderen sind genauso bescheuert, dass sie ernsthaft denken, das Risiko, ihn dort nicht zu treffen, wäre kalkulierbar. Zu denken, keiner könnte dich erkennen, wäre kalkulierbar.«

»Sooman-pa war innerhalb des Clans immer sehr verschwiegen mit solchen Themen...vielleicht wissen es inzwischen nur noch er selbst und –«

»Jimin-ah!«

»Okay, okay, schon gut, ich weiß...tut...tut mir leid. Das war...ziemlich dumm von mir. Ich verspreche, es wird nicht wieder vorkommen.«

»Überleg dir gut, ob du das wirklich noch lange geheim halten willst. Die Lage wird sich zuspitzen, eventuell schon sehr bald. Und ganz bestimmt liegt es auch nicht in deinem Interesse, dass sie es beim nächsten Aufeinandertreffen mit Sooman-pa zufällig von einem, der Bescheid weiß, um die Ohren geknallt bekommen...oder?«

»Ja, du hast recht...Ich werde es mir...durch den Kopf gehen lassen.«

Ein dumpfes Seufzen war zu hören, das sehr untypisch für den Clanleader klang. »Jimin...Ich kann dir nur sagen...Verlier das Ziel nicht aus den Augen. Wenn du sie rächen willst, dann bitte nicht durch überstürztes Handeln. Ein Jeongguk reicht mir im Team. Und wenn wir gerade schon über ihn sprechen...Bekomm dich ein bisschen in den Griff, klar? Ich habe keine Zeit, euch nochmal vom Grund irgendeines Flusses zu angeln.«

»Oh Hyung...«

Es war unverkennbar, dass Jimin eine geballte Ladung Wehleid in diese Worte steckte, und Juniper wunderte sich, wieso nur. Gleichzeit nahmen aber auch ihre Alarmglocken Überhand, denn das Gespräch klang ganz so, als würde es nun zu einem Ende kommen. Schnell hastete sie den Flur weiter entlang, in der Hoffnung, bereits aus dem Blickfeld zu sein, falls die beiden den Raum verließen.

Erst, als sie sich halbwegs in Sicherheit wägte, traute sie sich, die neuen Informationen auf sich wirken zu lassen. Jimin besaß also eine weitaus waghalsigere Verbindung zu Sooman-pa, als alle anderen annahmen. Oh man...Juniper war nun kaum vierundzwanzig Stunden im Hauptquartier von Bangtan-pa und schon im Besitz von Informationen, die ganz sicher nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen waren! Am besten machte sie sich gar keinen Kopf darum...und schaffte es im besten Falle, alles wieder zu vergessen. Ja, genau das würde sie versuchen.

Als sie den Aufenthaltsraum erreichte, sah sie schon von Weitem, dass die Türe offenstand. Der handbreite Spalt entließ einen schmalen Lichtstreif nach draußen auf den Flur, der durch den Staub fast schon zu etwas Handfestem manifestiert wurde. Juniper machte sich dieses Mal keine großen Mühen, zu verbergen, dass sie draußen stand. Sie klopfte leise und schob die Tür weiter auf, nur um sich der vollkommenen Ignoranz entgegenzusehen, die man ihr entgegenbrachte. Denn auch hier schien gerade eine hitzige Diskussion am Laufen zu sein. Die meisten von ihnen saßen mit dem Rücken zur Tür auf dem Sofa und Seokjin und Namjoon schienen ohnehin viel zu beschäftigt mit Auf- und Abtigern zu sein, um ihre Ankunft am anderen Ende des Raums zu bemerken.

»...aber wir sollten das wirklich ernst nehmen!«, rief Namjoon in die Runde der Anwesenden. »Hyunsuk-pa hat gestern mehr als deutlich gemacht, dass der Vertrag hinfällig ist. Solange sie glauben, Juniper oder wir wären für Taeyangs Tod verantwortlich –«

»Aber wir haben keine Garantie, dass sie uns Glauben schenken, wenn wir auf sie zugehen!«, argumentierte Seokjin dagegen. »Zudem wissen wir nicht, wie sie reagieren, wenn sie die Wahrheit über den Clan herausfinden. Wir können ihnen nicht trauen. Konnten wir noch nie, Namjoon!«

»Jin hat recht«, meldete sich Taehyung zu Wort. »Wir sollten diese Sache gründlich überdenken, bevor wir uns in die Höhle des Löwen begeben und riskieren, dass sie uns in Grund und Boden stampfen. Diese Cousins sind gerissen. Und du, Jeongguk, spar dir dein Augenverdrehen! Du solltest eigentlich mehr Respekt vor Dragon haben, nachdem er euch gestern fast ertränkt hat. Der Psycho hatte sogar die Nerven, seine beschissene Hupe hören zu lassen, nachdem ihr abgestürzt seid!«

»Echt jetzt?! Diese Drecks-Ant-Man-Hupe?! Alter, wenn ich diesen Louis-Vuitton-verseuchten Pseudo-Jared-Leto in die Finger kriege, dann –«

»Dann wird er dich kaltmachen und dich dabei auslachen, Kleiner!«, fiel ihm Taehyung harsch ins Wort. »Red nicht so leichtsinnig von ihm. Du hast keine Ahnung, wozu er fähig ist! Hyunsuk-pa hat sich unter ihm und Seunghyun nicht ohne Grund den Großteil von Seoul unter den Nagel gerissen. Es ist immer noch ein Wunder der Natur, dass Yoongi, Jin und ich überhaupt einen Vertrag mit denen aushandeln konnten. Wären Seunghyun und seine Diplomatie nicht, hätten die uns schon längst zum Frühstück verspeist.«

Es war der Moment, in dem Jeongguk frustriert seinen Blick durch den Raum schweifen ließ, in dem Juniper endlich bemerkt wurde. Als hätten plötzlich alle doch einen Radar für Eindringlinge, drehten sich die Übrigen, bestehend aus Seokjin, Namjoon und Taehyung, zu ihr um. Und sie? Sie blieb einfach wortlos und völlig verloren an Ort und Stelle stehen.

»Jeongguk!«, meldete sich Seokjin als erstes zu Wort, ohne dabei seine Augen von Juniper zu lassen. »Wie wär's, du organisierst mal mit Juniper zusammen das Zeug aus dem Kühlraum, das ich haben wollte. Wenn's Frühstück geben soll, muss ohnehin langsam mal wer den Arsch bewegen.«

Jeongguk grummelte etwas Unverständliches vor sich hin, ehe er sich vom Sofa hochstemmte und auf Juniper zuschlurfte. Er trug heute wenig eindrucksvolle Klamotten. Lediglich schwarze Jogginghosen und ein übergroßes Shirt, das den Blick auf seinen tätowierten Arm freigab. Man konnte jene frische Abbildung erkennen, für deren Unvollständigkeit sich Juniper schon ein bisschen verantwortlich fühlte. Es handelte sich dabei um eine Lotusblüte, der noch einige Schattierungen fehlten. Dennoch wirkte sie schon jetzt wie ein wahres Meisterwerk.

»Ich wollte auch immer Tattoos«, versuchte sie unbeholfen, ein Gespräch zu beginnen, als sie dem vorausgehenden Kkangpae durch die zwielichtigen Gänge folgte.

»Ach ja?«, schnaubte Jeongguk mit einer Spur Belustigung in der Stimme, ehe er ihr kurz einen Blick über die Schulter zuwarf. »Und wieso hast du dir nie welche machen lassen? So ein süßes Unendlichkeitszeichen oder ein Traumfänger auf dem Rücken wären doch sicher drin gewesen, oder?«

Juniper verzog verärgert das Gesicht. Als das wollte er sie also direkt abstempeln? Eine Hauptsache-tätowiert-Basic-Tante? Hielt er sie wirklich für so einfältig?

»Um ehrlich zu sein, wollte ich immer einen Raben«, entgegnete sie mit einer Spur von Patzigkeit in der Stimme, die sie nicht unterdrücken konnte.

Jeongguk drehte sich erneut mit halb amüsiertem, halb spöttischem Blick zu ihr um. »Yoongi hat einen Raben auf der Schulter. Kannst ihn ja mal fragen, vielleicht zeigt er ihn dir.«

Juniper rümpfte die Nase. »Und soeben haben sich meine Pläne zerschlagen. Danke dafür.«

»Kein Ding! Meld' dich gerne, wenn ich das nochmal für dich erledigen soll.«

Jeongguk sprang einige Treppen nach oben und sie folgte ihm, nach wie vor erfüllt von Ärger. Auf der anderen Seite kämpfte sie mit dem Drang, die Mundwinkel zu einem Grinsen zu erheben. Irgendwas an diesem Gespräch fühlte sich auf eine schräge Weise gut an. Sie konnte es sich selbst nicht erklären.

Der Kkangpae führte sie – wohlbemerkt ohne darauf zu achten, ob sie mit ihm Schritt halten konnte – immer weiter die Stufen hinauf, bis er zu Junipers Überraschung eine stählerne Flügeltür ins Freie aufschloss. Das gleißende Licht der für den Morgen noch relativ tief stehenden Sonne blendete sie augenblicklich. Erst nach einigen Sekunden konnte sie das Fabrikgelände, das sich vor ihr im diesigen Dunst erstrecke, erkennen.

»Ehm...ist das wirklich sicher, ins Freie zu gehen?«, fragte sie vorsichtig, doch Jeongguk war schon achtlos nach draußen marschiert.

»Wie wär's, du findest es selbst raus?«

Er machte keine Anstalten, auf sie zu warten, sondern schlenderte einfach los über den von Staub benetzten, rissigen Betonboden, durch den schon teilweise das Gestrüpp brach. Juniper war sich zu hundert Prozent sicher, dass das hier ganz sicher nicht der Weg war, den Jin für sie vorgesehen hatte. Das Gelände, das aus einem Haupt- und vielen heruntergekommenen Nebengebäuden bestand, war zwar gut verwuchert und sichtgeschützt durch Bäume und eine Mauer rundherum, doch trotzdem fühlte man sich auf der weitläufigen freien Fläche wie auf dem Präsentierteller.

Jeongguks Anblick, nachdem er sich schon ein ganzes Stück von ihr entfernt hatte, ließ Juniper das jedoch für einen Moment völlig vergessen. Vielleicht war es die Art, wie die Sonne sich in seinen dunklen Haaren widerspiegelte und der Dunst ihn auf eine gewisse Weise einhüllte wie einen Fotofilter. Mit seiner legeren Kleidung und den seinen jugendlichen Übermut unterstreichenden Tattoos wirkte er so wunderschön normal. Als hätte er seine Seele nicht an einen kriminellen Clan verschrieben und wäre gerade lediglich nach einer durchzechten Camping-Nacht auf einen Spaziergang aus gewesen.

»Was ist? Willst du da drüben Wurzeln schlagen?«, rief Jeongguk ihr entgegen, als er bemerkte, dass sie ihm immer noch nicht folgte. »Wir müssen nur da rüber zur alten Kantine! Dich wird schon niemand auf dem Weg abknallen.«

Endlich kam Bewegung in Junipers Körper und mit einer überraschenden Erleichterung stellte sie fest, wie sehr sie die frische Luft und das Licht auf ihrer Haut genoss. Jahrelang hatte sie sich davor gescheut, freiwillig einen Fuß raus zu setzen, wenn es nicht unbedingt hatte sein müssen. War lieber nachts wach gewesen und hatte sich in muffigen Clubs herumgetrieben. Ein Morgen war ihr schon lange nicht mehr so intensiv vorgekommen wie dieser. Als wäre es plötzlich doch mal ganz schön, einen Schritt nach draußen zu wagen. Auch wenn ihr das »Drinnen« gerade jetzt so viel mehr Sicherheit gab.

»Warum verbringt eine Gang, die sich nebenher mal einen Flug mit dem Privatjet gönnen kann, eigentlich ihre Hauptzeit an einem Ort wie diesem?«, fragte Juniper, nachdem sie wieder zu Jeongguk aufgeholt hatte.

»Das ist zwar unser Hauptquartier für den dreckigen Teil des Geschäftlichen, aber bei weitem nicht alles, was wir an Residenzen besitzen«, brummte der Kkangpae ohne sie dabei anzusehen. „Du solltest Yoongis Loft mal sehen. Wobei ich aber auch glaube, dass das Ding hier irgendeinen nostalgischen Wert für ihn besitzt. Er trifft keine Wahl ohne – ach egal.«

»Warum egal?«

Jeongguk verzog das Gesicht, ehe er sich mit einem Schlüssel an der Tür zu dem Nebengebäude zu schaffen machte, an dem sie gerade angekommen waren. »Ich wüsste nicht, warum ich dir das erzählen sollte. Du bist nur hier, weil du das Glück und Pech hattest, dass deine Mutter einen Rachefeldzug gegen Südkoreas gefährlichsten Clan gestartet hat.«

»Glück?!«

»Naja...hat doch was, wenn die eigene Eomma 'ne ziemlich heroische Ader hat und so für ihre Werte einsteht. Nimm ihr ja nicht übel, dass sie deinen Vater erschossen hat. Der wäre wahrscheinlich noch widerlicher mit dir umgegangen, als es dein Halbbruder jemals könnte.«

Juniper starrte Jeongguk an und presste die Lippen zusammen. Dieser erwiderte ihren Blick für einen Moment, ehe er die Tür aufstieß...und sie wider ihres eigenen Erwartens mit einem seltsamen Seufzen vorgehen ließ.

»Ich...nehme ihr das nicht übel«, sagte sie schließlich, nachdem sie sich drinnen wieder zu ihm umgedreht hatte. »Ich...denke nicht, dass Jin gestern nur Mist erzählt hat mit diesem Massaker. Wenn...mein Vater dafür verantwortlich war...«

Sie stockte und beschloss schnell, dass weitere Worte nicht nötig waren. Jeongguk musterte sie nachdenklich, wenn auch nach wie vor mit einer gewissen Skepsis in den Augen.

»Mein Vater wollte mich auch nie...wenn es dich tröstet.«

Er kratzte sich am Kopf und sah dann weg, als hätte er plötzlich ein besonders interessantes Staubkorn im Glimmen der Sonnenstrahlen entdeckt. Juniper war seltsamerweise irgendwie gerührt von seinem plumpen Versuch, irgendwie sowas wie...Mitgefühl zu zeigen. Genauso plump erschien es ihr aber, ihm zu sagen, dass es ihr ohnehin niemals gelingen würde, diesen ihr fremden Mann in irgendeiner Weise als ihren richtigen Vater anzusehen. Ihr Vater war am Leben. In New York. Und er starb wahrscheinlich gerade tausend Tode auf der Suche nach ihr.

»Ein bisschen vielleicht«, erwiderte sie trocken und schenkte Jeongguk darauf ein kleines Lächeln, das hoffentlich genug für sich sprechen würde. Zu ihrer großen Überraschung erwiderte er es, wenn auch kaum merklich.

Sie hüllten sich wieder in Schweigen, während er den Weg voraus durch die spärlich beleuchtete ehemalige Kantine ging. Die Stühle und Tische standen zum größten Teil noch wie zu früheren Zeiten da, wenn auch von einer zentimeterdicken Staubschicht bedeckt. Die Fenster des einstöckigen Gebäudes hatte man fast alle zugenagelt, dennoch drangen überall kleine Lichtstreifen durch, die gerade genug Helligkeit brachten, um sich zurechtzufinden.

»Ich hab gehört, dass du dir Sorgen um Jimin gemacht hast. Stimmt das?«

Es war kurz vor der Tür zum Kühlraum, dass Jeongguk sich völlig plötzlich mit dieser Frage auf den Lippen zu Juniper umdrehte. Seine Locken flogen ihm dabei etwas wirr ins Gesicht, doch es schien ihn nicht wirklich zu kümmern. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf sie gerichtet.

Das Erste, was ihr dazu durch den Kopf schoss, war wohl, dass entweder Hoseok, Jin oder vielleicht sogar beide ziemliche Tratschtanten sein mussten. War es wirklich so unglaublich unvorstellbar für diese Leute, dass sie ganz eventuell nicht begeistert davon gewesen wäre, wenn es Jimin bei ihrem Sturz von der Brücke erwischt hätte? Auf der einen Seite bekam sie das Gefühl, alle erwarteten hier mehr Dankbarkeit und Fügung ihrerseits...auf der anderen wunderten sie sich dann wieder aufgrund so einer Banalität.

»Ich...nun ja...Jimin war sehr...aufmerksam, wenn man das so nennen kann«, versuchte Juniper sich wieder möglichst simpel zu erklären. »Und ich bin kein Stein, klar? Ich hab auch sowas wie ein gesundes Maß an Empathie. Sogar für...Leute wie euch.«

Ein durchtriebenes Grinsen stahl sich auf Jeongguks Lippen. »Leute wie uns, also? Was sind denn Leute wie wir?«

»Na...Kriminelle eben...oder? Waffenhändler, Drogenbosse...sah jedenfalls nicht sonderlich legal aus, was ihr da in eurem geheimen Tony-Stark-Keller versteckt.«

»Ohhh, ich wünschte wirklich, es wäre ein Tony-Stark-Keller und in den Kisten Iron-Man-Anzüge...aber dem ist leider nicht so.« Er seufzte wehleidig und ließ den Blick an ihr vorbei in die Luft schweifen. »Ich glaube, gerade haben sie wieder einige Kisten, die nach Nordkorea gehen. Ist sogar relativ normales Zeug teilweise, was es dort eben nicht gibt und laut Regierung wohl auch nicht geben sollte. Aber Waffenhandel? Naja, nicht so der Renner hier in diesem Land. Hoseok führt ein ganz beachtliches Drogenimperium, da hast du immerhin richtig getippt. Aber obwohl man es nicht glauben mag...der Kerl hat tatsächlich Moralvorstellungen. Von Crystal, Heroin und dem ganzen Heavy-Shit lässt er die Finger. Obwohl wir mit ersterem hier ganz schön Kohle machen könnten.«

Er erzählte dies alles so beiläufig, als würden sie nur ein ganz normales Gespräch unter Freunden führen. Juniper beschlich so langsam der leise Verdacht, dass ihr das mit Jimin auf irgendeine schräge Weise wohl einen kleinen Bonus eingebracht hatte...Erst bei Jin und jetzt auch noch ausgerechnet bei Jeongguk. Ganz plötzlich und völlig zusammenhangslos kam ihr wieder die Szene im untergehenden Auto in den Sinn. Als sie gedacht hatte, der junge Kkangpae hätte ihre Anwesenheit längst vergessen...nur dass er ihr dann bewiesen hatte, dass dem absolut nicht so gewesen war. Dass er trotz seiner Angst um einen seiner Freunde auch noch an ihrem Überleben festgehalten hatte.

Wahrscheinlich war auch genau jener Gedanke der Auslöser dafür, dass Juniper in diesem Moment nicht damit anfing, noch mehr Abneigung gegen das Treiben dieser Gang zu empfinden, von dem Jeongguk ihr gerade so lockerflockig erzählte. Nicht, dass sie es plötzlich guthieß...doch irgendwas hatte sich ab diesem Zeitpunkt verändert. Irgendwas an ihrer Sicht auf diese Leute und vor allem auf den Mann, der sich, seit sie zu zweit unterwegs waren, eigentlich nur über sie lustig machte.


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Jeongguk stellte sich auch weiterhin als äußerst gesprächiger Zeitgenosse heraus. Zumindest so lange, wie man alleine mit ihm war. Offensichtlich schien er es ganz schön zu genießen, Juniper vom Einfluss und den Fähigkeiten von Bangtan-pa zu erzählen. Er selbst, so teilte er ihr mit, war der Hacker des Clans und obendrauf stolz wie ein Ochse, dass er von Shadow höchstpersönlich aufgegriffen und rekrutiert worden war. Er hatte damals, vor etwas mehr als einem Jahr, wohl noch einer kleinen Cyber-Bande angehört, die aus irgendeiner zugemüllten Studentenbude heraus agiert hatte. Jeongguk hatte zum Spaß die großen Konzerne in die Bredouille gebracht, mit Daten gehandelt und Firmengeheimnisse veröffentlicht. Einfach nur, um sich danach am entstandenen Chaos zu ergötzen und die Kapitalisten-Schweine, wie er sie genannt hatte, leiden zu sehen. Bis eines Tages ein gewisser volltätowierter Gangleader vor der Haustüre aufgetaucht war und ihm ein unschlagbares Angebot gemacht hatte.

Der junge Kkangpae unterbrach seine Erzählungen, kaum hatten sie mit den Lebensmitteln aus dem Kühlraum – der nebenbei bemerkt bis zum Bersten gefüllt gewesen war – die Tür des Aufenthaltsraums erreicht.

»Wenn du mir übrigens eine Hasstirade seitens Jin und Namjoon ersparen willst, würde ich dir raten, nichts von unserem kleinen Trip über den Hof zu erwähnen«, sagte er mit einem schiefen Grinsen.

»Ach«, erwiderte Juniper mit hochgezogenen Augenbrauen. »Gibt es etwa doch einen unterirdischen Gang zur Cafeteria?«

Er schnaubte. »Natürlich gibt es den, was denkst du denn? Ich hatte aber Bock, ein bisschen frische Luft zu schnappen. Und ich denke, dir hat's auch nicht gerade geschadet. Also zeig mir besser in den nächsten Minuten nicht, dass du eine sadistische Ader hast und mich leiden sehen willst, wenn dir was am Sonnenlicht liegt.«

Er zwinkerte ihr zu, ehe er die Tür vor sich aufstieß und ihr voraus den Raum betrat. Juniper folgte mit einem Kopfschütteln, hatte sich jedoch fest vorgenommen, ganz sicher nicht die Petze zu mimen. Nicht nur, weil es einfach peinlich wäre, sondern auch, weil sie nun insgeheim das Gefühl hatte, dass Jeongguk ihr absolut nicht so abweisend und herablassend gegenüberstand, wie er gerne tat. Zumindest jetzt nicht mehr, wo er wusste, dass sie sich um Jimin gesorgt hatte, der offensichtlich in vielen mehr oder weniger vorhandenen Herzen hier einen speziellen Platz besaß.

Unweigerlich musste Juniper beim Gedanken an ihn wieder an das Gespräch denken, das sie vor dieser ganzen Sache belauscht hatte...und in ihr kam die Frage auf, was es denn gab, was Jimin allen hier verheimlichte. Besser gesagt wen. Ein sehr unwohles Gefühl beschlich sie dabei...und sie konnte sich noch nicht einmal erklären, warum. Nun, obwohl...vielleicht war es einfach nur nicht die beste Zukunftsaussicht, wenn der Clan, der einen »beschützen sollte«, Gefahr lief, sich von innen heraus selbst zu zerschlagen. Nope...definitiv nicht die rosigsten Prognosen. Wenn es sich denn überhaupt um etwas dermaßen Schwerwiegendes handelte, wenn die anderen erfuhren, dass Jimins Ex ein hohes Tier gewesen zu sein schien. 

Ihre Gedanken wurden sehr bald wieder auf etwas anderes gelenkt, kaum hatte sie den Aufenthaltsraum betreten und dessen neue Besetzung ins Auge gefasst. Jin war in der Küche und nahm Jeongguk seine Kiste mit dem Essen ab, doch Namjoon und Taehyung waren nirgends mehr zu sehen. Dafür saß nun Jimin nachdenklich vor einer Tasse brütend an der großen Tafel, genau neben Hoseok, der heute in einem besonders bunten Jogginganzug steckte. Absurd, nun zu wissen, was sein Job in diesem Clan war. Obwohl es sich einwandfrei mit dem fügte, was Juniper ohnehin schon über ihn wusste.

Nachdem auch sie ihre nebenbei bemerkt wesentlich leichtere Kiste in der Küche abgeliefert hatte, ging sie ihrem ersten Instinkt nach und setzte sich neben Jimin an den Tisch. Er hob sofort den Kopf und schenkte ihr dabei sogar ein halbherziges Lächeln. Kurz wanderte sein Blick wieder zu Jeongguk, der von Jin offensichtlich zum Helfen beim Essen machen verdonnert worden war, ehe er ihn wieder auf seinen Kaffee sinken ließ.

»Ehm...was ist denn nun eigentlich der Plan?«, fragte Juniper vorsichtig und unsicher darüber, ob hier gerade überhaupt jemand mit ihr sprechen wollte. »Ich meine...was passiert als nächstes? Und inwiefern...werde ich dabei involviert sein?«

»Das ist eine äußerst interessante Frage.«

Der Klang der Stimme ließ sie fast schon ein wenig zusammenfahren. Als sie sich umwandte, erwartete sie genau der Anblick, mit dem sie gerechnet hatte. Shadow lehnte im Türrahmen, seine düster dreinblickenden Augen auf niemand Geringeres als sie gerichtet. Er trug wieder eine enge schwarze Jeans und ein weites Shirt, das den Blick auf seine von Tinte durchzogene Porzellanhaut auf seinen Armen und an seinem Schlüsselbein freigab. Seine Haare wurden wie üblich von einem Bandana gebändigt. Heute war es weiß und in perfekter Harmonie mit seinen silbernen Haaren.

Stille hatte sich über den Raum gelegt, kaum hatte er die ungeteilte Aufmerksamkeit eines jeden auf sich gezogen. Juniper fragte sich, ob es unüblich war, dass er in ihren Reihen aufkreuzte. Vielmehr jedoch vermutete sie, dass es an ihr selbst lag, dass jeder wie gebannt den Atem anhielt. Als wollte niemand verpassen, was als nächstes geschehen würde.

Es dauerte einige geschlagene Sekunden, bis Shadow sich aus seiner Steinstarre an der Tür löste und mit bedächtigen Schritten in den Raum trat. Fast schon zu unerwartet hob er eine Hand, nur um etwas zu Hoseok zu werfen, ohne dabei überhaupt in dessen Richtung zu sehen. Der Drogendealer fing es mit beiden Händen, wenn er dabei auch ein leicht erschrockenes Keuchen von sich gab.

»Was ist das?«, platzte es sofort aus Jimin, dessen neugierige Augen sofort dem Wurfgegenstand gefolgt waren.

»Ja, Hope, was ist das?«, wiederholte Shadow mit einer Spur von Amüsement in der Stimme, während er sich lässig auf einen Stuhl am anderen Ende des Tisches fallen ließ.

Erst jetzt konnte Juniper ebenfalls den Blick vom Gangleader fortreißen und auf das fokussieren, was er gerade quer durch den Raum an Hoseok weitergegeben hatte. Und es brauchte keine volle Sicht darauf, dass sie erkannte, um was es sich dabei handelte. Reflexartig griff ihre Hand an ihr eigenes Dekolleté, nur um sich der gähnenden Leere bewusst zu werden.

»Hey«, entfuhr es ihr gerade heraus. »Die gehört mir!«

Shadows träge dreinschauende Augen schnellten sofort zu ihr. »In Anbetracht deiner Lage ist es gerade fraglich, was wirklich dir gehört, Schätzchen.«

Es war absolut unfassbar, wie dieser Typ es schaffte, mit so einem einfachen, neutral ausgesprochenen Satz wieder so viel Ärger in Juniper aufsteigen zu lassen. Das hier war das einzige Stück, das sie von ihrer Mutter besaß. Zumindest das, von dem sie das bisher immer geglaubt hatte. Aber darum ging es gerade herzlich wenig. Es war mitunter das Einzige, das sie nach Korea mitnehmen hatte können, was einen wirklichen Wert für sie besaß. Das konnte man ihr doch nicht einfach so absprechen?!

Sie war schon drauf und dran, Shadow an den Kopf zu werfen, wie verdammt falsch er damit lag und dass sie ihre Kette ganz sicher nicht kampflos aufgeben würde, als sich eine Hand unter dem Tisch um ihren Arm schloss. Vorsichtig, so dass dabei keine Stelle berührt wurde, die verwundet war. Juniper drehte sich, nur um in Jimins Augen zu blicken. Er schüttelte leicht den Kopf.

»Oh wow«, kam es in diesem Moment von Hoseok. »Dieses Symbol auf der Innenseite...das hab ich irgendwo schon mal gesehen.«

Er hatte das silberne Medaillon inzwischen geöffnet und hielt es mit nur wenigen Zentimetern Abstand vor sein Gesicht. Seine Miene war so konzentriert, dass es fast schmerzhaft aussah. Juniper versuchte sich unterdessen zwanghaft daran zu erinnern, von welchem Symbol er da sprach. Da sie nie ein Foto ins Innere gemacht hatte, hatte sie die Kette auch nie wirklich geöffnet und etwaige Gravierungen unter die Lupe genommen.

»Ich bin ganz Ohr«, säuselte Shadow, als hätte er mit nichts anderem gerechnet, während er gerade seine schwarz lackierten Fingernägel inspizierte.

»Gebt mir einen Moment«, entgegnete Hoseok und sprang dabei vom Tisch auf, die Kette wie ein Hypnose-Pendel vor seiner Nase baumelnd. Kurz darauf hatte er sein Handy aus der Tasche gezogen und verzog sich zum wilden Auf-und-Ab-Tigern auf die andere Seite des Raums.

»Ist dieses Medaillon...wirklich von meiner Mutter?«, zwang sich Juniper möglichst neutral zu fragen, ohne dabei ihren Ärger durchklingen zu lassen.

»Ich gehe schwer davon aus«, antwortete ihr zu ihrer Überraschung tatsächlich Shadow, jedoch ohne dabei von seinen Händen aufzusehen. »Hyuna hat diese miese fiese Angewohnheit, in alles so viel...Bedeutung reinzustecken.«

Jeongguk, der hinter seinen Stuhl getreten war, schnaubte. »Da kenn ich noch so jemanden.«

»Jin? Dir ist, glaube ich, eine Kakerlake aus der Küche entwischt«, brummte der Clanleader und ließ dabei seine Finger endlich sinken, um einen trägen Blick zu Angesprochenem zu werfen.

»Du hast die Plage erst eingeschleppt, Yoongi«, erwiderte dieser achselzuckend. »Leb mit den Folgen.«

Shadow grunzte, fuhr darauf aber damit fort, Jeongguk beflissen zu ignorieren. Es lag letztendlich an Jin, mit einem Seufzer aus der Küche zu treten und Juniper mit den Augen zu fixieren.

»Wenn wir Glück haben, führt uns das Ding zu dem Ort, an dem deine Mutter es gekauft hat«, erklärte er nachsichtig und nickte dabei in Richtung Hoseok, der nach wie vor in seine Recherche vertieft war. »Und mit noch etwas mehr Glück gibt uns dieser Ort Hinweise darauf, wo sie sich versteckt hält.«

Shadow zog die unblondierten, und doch so makellos mit seinem Look verschmelzenden Augenbrauen hoch und musterte Jin von oben bis unten. »Du weißt, ich zähle nicht auf Glück.«

»Schön, dann finden wir mit dem Ding eben den Ort und bekommen dort Hinweise, wo Hyuna steckt. Zufrieden?!«

Ein süffisantes Grinsen machte sich auf den Lippen des Clanleaders breit, während Jin nur genervt kopfschüttelnd in die Küche zurücktrat, Jeongguk dabei an einem Ärmelfetzen mit sich ziehend.

»Und...was ist mit den Kerlen, die uns gestern...nun ja...angegriffen haben?«, wagte es Juniper weiterzufragen. Irgendwie fühlte sie sich hier, in Anwesenheit mehrerer Clanmitglieder um Shadow herum, viel sicherer. Besonders jetzt, wo ihr neben Jimin auch Jin und Jeongguk schon in kleinen Häppchen zu verstehen gegeben haben könnten, dass sie vielleicht zumindest ein wenig Sympathie für sie übrighatten.

»Gute Frage«, meldete sich sofort Seokjin wieder aus der Küche, als wäre er geradezu dankbar, dass Juniper das Thema auf den Tisch gebracht hatte. Dabei sah er scharf zu dem Maknae, der neben ihm in der Küche griesgrämig in einer Pfanne rührte. »Einige von uns halten es für besonders schlau, dort in ihr Quartier zu preschen und ihnen, freundlich, wie wir sind, einfach die Wahrheit zu sagen. Nette Idee, oder?«

Shadow zeigte nicht wirklich viel Reaktion auf Jins hysterisch angehauchten Sarkasmus, stattdessen schenkte er sofort Jeongguk, Jimin und am Schluss sogar Juniper einen undurchdringlichen Blick, während er mit dem schwarz lackierten Zeigefinger gedankenverloren über sein eigenes Kinn strich.

»Die Idee ist gar nicht so schlecht«, stellte er schließlich nach einer Weile des Nachdenkens fest, woraufhin Jin förmlich der Kiefer runterklappte. »...aber darum werden wir uns wann anders kümmern. Ich werde Dragon und Seunghyun diesbezüglich eine Nachricht zukommen lassen, bevor wir uns auf den Weg machen. Hoseok?«

Er hatte sich gegen Ende des Satzes zu dem Kkangpae umgedreht, der inzwischen seinen Feldzug beendet und mit aufgeregter Miene zu ihnen allen zurück an den Tisch gestürzt war.

»Wohin geht die Reise?«, fragte Shadow mit leicht angehobenen Mundwinkeln.

»Ich wusste, ich kenn das Symbol«, schnaufte der Dunkelhaarige mit einem manischen Funkeln in den Augen. »Es ist die Handschrift eines Juweliers, das ich durch alte Geldwäschen und Deals übers Ausland kenne. Der Besitzer hat mir mal ein paar Ringe geschenkt, nachdem –«

»Hoseok.«

»Ja, sorry...« Der Dealer räusperte sich, ehe ein wohlwissendes Grinsen auf seinen Lippen erschien. »Ich würde euch raten, eure heißeste Unterwäsche einzupacken. Die Reise geht nach Bangkok.«


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𝖆𝖚𝖙𝖍𝖔𝖗'𝖘 𝖓𝖔𝖙𝖊

Dadadadaaaam. Hangover-2-Vibes incoming. 

Durch das Fertigstellen von Perfect Strangers bin ich leider ein bisschen raus aus Renegades und bin in den letzten zwei Wochen noch nicht so viel weiter gekommen, wie ich es eigentlich wollte :') Dazu schwirrt mir gerade noch was anderes im Kopf rum, argh. Was ich damit eigentlich sagen will, ist...maybe wird sich der Upload-Rhythmus nochmal verlängern. I hope you don't mind...


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