Kapitel 7

Auch am Mittwoch kam ich nicht dazu, in der Bibliothek für meinen Vortrag über das Leben und Werk William Shakespeares zu recherchieren. Niall schien mich mehr oder weniger adoptiert zu haben und schleppte mich in jeder Pause mit sich herum.

Nicht, dass mich das nicht freute. Aber es war ungewohnt und ein Teil von mir konnte immer noch nicht glauben, dass das nicht irgendein bescheuerter Streich war, und erwartete, dass Niall jeden Moment aufsprang, „Reingefallen!" rief und sich wieder mit seinen eigentlichen Freunden abgab.

Aber nichts passierte, außer dass Niall sich als – wenn auch etwas merkwürdiger – aber definitiv sympatischer Typ herausstellte, der zwar eine ziemlich komische Art zu lachen hatte, ansonsten aber in Ordnung zu sein schien. Mit ein bisschen Zeit könnten wie vielleicht sogar richtige Freunde werden.

„Habt ihr gehört, dass die Schulleitung endlich eine Lösung für das Schwimmhallen-Problem gefunden hat?", fragte Liam in der Mittagspause, nachdem Niall und ich uns wieder zu ihm und Louis an den Tisch gesetzt hatten.

„Ehrlich? Wie das?", fragte Niall überrascht und seine Gabel schwebte für einen Moment bewegungslos in der Luft, bevor er sie erneut in seiner Lasagne versenkte.

Ich runzelte verwundert die Stirn. „Was für ein Schwimmhallen-Problem?"

„A scho, du bischt scha erscht scheit dieschem Jahr an ger Schule", nuschelte Niall mit vollem Mund.

Ich zog perplex eine Augenbraue hoch. „Wie bitte?"

Liam verdrehte die Augen und verpasste Niall einen kleinen Klaps gegen den Hinterkopf. „Entschuldige den Idioten, der hat keine Manieren. Was er eigentlich sagen wollte, ist, dass du das nicht wissen kannst, weil du letztes Jahr noch nicht an der King James warst."

„Ende des letzten Schuljahrs haben ein paar Seniors unsere Schwimmhalle für eine ungenehmigte Abschlussparty missbraucht", fügte Louis hinzu, als er meinen immer noch fragenden Blick bemerkte. „Und weil ein paar Leute zu viel ins Becken gekotzt haben, ist der Abfluss verstopft und na ja ... den Rest kann man sich denken."

Ich starrte ihn verstört an. „Das ... ist widerlich." Ohne dass ich es wollte, erschienen diverse unappetitliche Bilder vor meinem inneren Auge. Mein Magen rumorte beim Anblick meines Auflaufs und schnell schob ich den Teller weg.

„Ja, allerdings", stimmte Louis mir zu und widmete sich – mal wieder – seinem Handy.

„Isst du das noch?", fragte Niall beiläufig und schielte begehrlich auf meine Lasagne. Ich winkte ab – diese Geschichte hatte mir mehr als den Appetit verdorben.

„Wie auch immer", fuhr Liam fort, ohne Niall zu beachten, der sich glücklich auf den Rest meiner Portion stürzte, „die Schulleitung hat wohl einen Deal mit der St-Clearwater-Academy abgeschlossen und jetzt können alle Schüler unserer Schule deren Schwimmhalle mitbenutzen."

„Tatsächlich?" Louis hob überrascht den Kopf. „Ist das nicht diese ultra-konservative Mädchenschule? Hätte nicht gedacht, dass die sich darauf einlassen – immerhin könnten wir doch das Wasser mit unserem ganzen Testosteron verpesten."

Liam zuckte überfragt die Schultern und um mich herum wandte sich die Unterhaltung anderen Themen zu. Ohne meine Beteiligung, denn ich dachte immer noch an die Schwimmhalle.

Früher, in der Primary School, war ich eine richtige Wasserratte gewesen und zusammen mit Gemma mindestens einmal pro Woche beim Schwimmen gewesen. Ich konnte mich nicht mal genau erinnern, wann ich eigentlich damit aufgehört hatte.

Fest stand nur, dass ich es irgendwann getan hatte. Vielleicht aus schwindendem Interesse, vielleicht auch aus Zeitmangel – ich wusste es nicht mehr. Das einzige, was mir im Moment klar wurde, war, dass ich diese Zeiten irgendwie vermisste.

Denn damals in der Primary School war ich einfach nur Harry gewesen. Der lächerlich stolz auf seine Rechenkünste war, Mädchen irgendwie komisch fand und gerne Power Rangers guckte. Bevor er dann älter wurde und seine Freunde gegen Selbstzweifel eintauschte.

Vielleicht war es Zeit, den alten Harry zurück zu bringen.


Am Donnerstag schaffte ich es schließlich, mich nach dem Unterricht von Niall loszueisen, um endlich mit meinem Englisch-Vortrag anzufangen. Nach einer letzten knochenbrechenden Umarmung – der Blondschopf war erstaunlich stark dafür, dass er fast so klein war wie Louis – winkte ich Niall noch einmal zu und eilte dann über den Hof, am Hauptgebäude vorbei und auf die Bibliohek zu.

Während die Kälte meine Ohren zum Brennen brachte, beschleunigte ich meine Schritte, zog die Schultern hoch und versuchte ein Bibbern zu unterdrücken.

Die Bibliothek war in einem einstöckigen, flachen, schmucklosen Bau untergebracht. Statt hoher Regale vollgestopft mit allerlei antiken und wertvollen Schmökern und Schriften oder mit edel glänzendem Holz getäfelte Lesesäle erwarteten einen hier nur enttäuschend moderne Computer-Arbeitsplätze und in Plastik-Schutzumschläge verpackte Bücher, die nicht halb so alt waren wie ich.

Das Einzige, was tatsächlich an eine Bibliothek erinnerte, war die Stille, die jedoch weniger geschäftig und produktiv als vielmehr gelangweilt war. Es war eine einzige Enttäuschung.

Mit beiden Händen in meinen Jackentaschen vergraben schob ich mich durch die Eingangstür. Miss Jackson hatte darauf bestanden, dass ich nicht nur Internet-Quellen zur Recherche heranzog, also würde ich wohl oder übel ein paar Fachbücher wälzen müssen.

Suchend blickte ich mich um und stiefelte kurzentschlossen auf den Info-Stand zu. Wozu Zeit mit Suchen verschwenden, wenn es auch Leute gab, die mir direkt weiterhelfen konnten?

"Hey, Harry."

Überrascht blickt ich hoch in zwei ozeanblaue Augen. So wenig wie diese lieblos zusammengewürfelte Buchsammlung mit einer richtigen Bibliothek gemein hatte, so wenig ähnelte die Person hinter dem Tresen der leicht in die Jahre gekommen, bebrillten Bibliothekarin mit streng zurückgekämmten, grau melierten Haaren, die ich erwartet hatte.

"Louis." Perplex sah ich ihn an. Hätte ich eine Rangliste von Orten in der Schule aufgestellt, an denen man gut auf Louis Tomlinson treffen konnte - die Bibliothek hätte den letzten Platz belegt, sogar noch hinter dem Mädchen-WC.

Louis' Lächeln verrutschte leicht und seine Augenbrauen zogen sich verwirrt zusammen. "Harry? Alles okay?"

"Äh ... " , gab ich äußerst wortgewandt zurück.

"Ja?" Jetzt wanderten Louis' Augenbrauen erwartungsvoll nach oben.

"Shakespeare." Ich räusperte mich. "Ich suche ein Buch über Shakespeare."

"Der gute William also, der hat ja schon vielen Schülern schlaflose Nächte bereitet, der alte Casanova." Louis grinste und begann, geschäftig auf der Tastatur vor sich herumzutippen.

Unruhig wippte ich auf meinen Fußballen vor und zurück. Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Zwar hatte ich in den letzten Tagen fast jede Pause mit Louis verbracht, aber einschätzen konnte ich ihn deshalb noch lange nicht. Während ich mich meist mit Liam und Niall unterhielt, schien Louis fast durchweg am Handy zu hängen und Musik zu hören, mit Leuten zu schreiben oder sonst was zu tun, ohne mich zu beachten.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, er konnte mich nicht so recht leiden. Vielleicht fand er es einfach genauso merkwürdig wie ich, dass ich auf einmal so viel Zeit mit seinen besten Freunden verbrachte. Vielleicht hatte er auch nach kurzem Nachdenken wie meine Klassenkameraden festgestellt, dass ich keinen zweiten Blick wert war.

Fakt war nur, dass Louis Tomlinson ein verdammtes Pokerface hatte, aus dem ich einfach nicht schlau wurde.


Warme, nach Chlor riechende Luft schlug mir entgegen, als ich ein paar Stunden später die Schwimmhalle der St-Clearwater-Academy betrat. Auch wenn ich länger in der Bibliothek versackt war als geplant (immerhin musste ich sassy-danny noch auf seine letzte E-Mail antworten), wollte ich meine Schwimmsachen doch nicht umsonst durch halb London geschleppt haben.

Zögernd blickte ich mich um. Entsprechend der Uhrzeit war das Becken komplett leer bis auf ein dunkelhaariges Mädchen im hinteren Teil, das mit langen Zügen ihre Bahnen zog und mich gar nicht beachtete.

Ich zog ein letztes Mal meine Badehose zurecht und stieg dann Stufe für Stufe die Badeleiter hinunter ins kühle Wasser. Nachdem ich meinem Körper ein paar Sekunden Zeit gegeben hatte, sich an die Temperatur zu gewöhnen, stieß ich mich vom Beckenrand ab und begann langsam loszuschwimmen.

Während sich meine Arme und Beine gleichmäßig durchs Wasser bewegten, kam das Gedankenkarusell in meinem Kopf langsam zum Stillstand. Unwillkürlich verzogen sich meine Lippen zu einem kleinen Lächeln. Es war definitiv die richtige Entscheidung gewesen, heute herzukommen.

Die – da musste ich ehrlich sein – vermutlich nicht so ausgefallen wäre, wenn Danny nicht gewesen wäre. Wir kannten uns zwar erst ein paar Tage, hatten uns aber schon so viel voneinander erzählt, dass er mir eher wie ein enger Freund vorkam als eine flüchtige Internetbekanntschaft.

Denn auch wenn Liam und Niall nett waren und alles, kannten wir uns bisher kaum und unsere Tischgespräche drehten sich meist um Schule, den neuesten Klatsch und Tratsch oder Fußball. Was ich nicht schlecht fand, ganz im Gegenteil: wenn Niall das neueste Gerücht erzählte, das er sonst wo aufgeschnappt hatte oder Liam sich neben mir um seine Englisch-Klausur sorgte, fühlte ich mich einfach wie ein ganz normaler Schüler.

Danny hingegen war derjenige, dem ich auch alles andere zeigte: die Unsicherheiten, Zweifel und meine Selbstvorwürfe nach der Katastrophe mit Gemma. Und auch wenn ich es kaum glauben konnte, war er für mich da, hörte mir zu und baute mein Selbstbewusstsein so weit auf, dass ich mich heute hierher getraut hatte.

Mit einem letzten schwungvollen Schwimmzug erreichte ich den Beckenrand und atmete einmal tief durch. Vermutlich sollte ich für heute Schluss machen, in meinen Oberarmen konnte ich bereits ein leichtes Ziehen spüren, das mir deutlich sagte, dass ich nicht mehr in Form war.

Ich legte meine Hände auf den weißen Fließen ab und ließ meinen Blick schweifen. Das dunkelhaarige Mädchen war nirgends zu sehen. Vermutlich war ich zu sehr in Gedanken vertieft gewesen, um mitzubekommen, wie sie gegangen war.

Etwas platschte neben mir und eine Hand legte sich auf meinen Unterarm.

Ich fuhr herum. Mein Herz knallte schmerzhaft gegen meinen Brustkorb. Krampfhaft krallte ich meine Hand um die Beckenumrandung, während mein Oberkörper von Hustern geschüttelt wurde, um das Wasser aus meiner Luftröhre zu bekommen, was ich aus Schreck geschluckt hatte.

„Hi."

Sprachlos starrte ich das Mädchen an, das vor mir aufgetaucht war und sich jetzt gelassen eine Strähne hinters Ohr strich. So viel also dazu, sie wäre schon gegangen.

„Ich bin Hailee. Und du?" Unschuldig sah sie mich an.

„Harry", brachte ich schließlich mit angerauter Stimme hervor.

„Dein Stil ist nicht schlecht. Versuch noch ein bisschen an deine Hände zu denken, um den Wasserwiderstand so klein wie möglich zu halten, dann könntest du schon auf eine gute Geschwindigkeit kommen. Na dann", sie legte ihre Hände vor sich auf die Kacheln und stemmte sich aus dem Becken, „man sieht sich, Harry."

Damit verschwand sie in der Umkleide.

Überfordert ließ ich mich zurück ins Wasser sinken. Was war das denn gerade?


Whoohoo, guess who's back? Das war bis jetzt das mit Abstand längste Update und - let's be honest - auch das, was am längsten gedauert hat

Ich habe eine (vielleicht zwei) gute und eine schlechte Nachricht: die gute Nachricht ist, dass ich "Remember the Name" über die Feiertage komplett fertig geplottet habe und dementsprechend einen Plan habe, wohin das hier noch geht (ihr dürft gespannt sein).

Leider werden gerade die nächsten 5 - 7 Updates ähnlich lang wie dieses und ich kann nicht versprechen, jede Woche zu updaten. Momentan peile ich eher einen Zwei-Wochen-Rhythmus an - ich hoffe, das ist okay

Plus: ich werde in den nächsten Tagen ein OS-Buch starten, vor allem mit Larry und teilweise Ziam, vielleicht wollt ihr ja mal vorbeigucken :)

Ich wünsche euch noch einen schönen Tag (oder eine schöne Nacht, falls ihr wie ich vor allem nach 21 Uhr auf Wattpad seid ^^)

Constanze

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