Kapitel 5

Ich bekam das ganze Wochenende keine Antwort von sassy-danny. Als ich Montagmorgen gähnend und zitternd die Treppen des U-Bahnhofs hochlief, war mir mehr als klar, dass diese Mail eine richtig dumme Idee gewesen war.

Am Ende hatte ich vermutlich nichts Anderes erreicht, als ihn so zu erschrecken, dass er seinen Blog löschen wollte. Gott, das gesamte Internet würde mich sowas von hassen! Wo war die Zeitmaschine, wenn man sie mal wirklich brauchte?

In Selbstvorwürfe versunken lief ich durch das schmiedeeiserne Eingangstor der King James School – und rutschte beinahe auf dem frisch gefallen Schnee aus.

Gerade noch so konnte ich mich fangen und blieb mit heftig klopfendem Herzen mitten auf dem Schulhof stehen. Dann hob ich ganz vorsichtig den rechten Fuß und machte einen Schritt nach vorne. Das fehlte ja noch, dass ich mich vor allen Schülern auf meine vier Buchstaben setzte und zum Volltrottel machte.

Obwohl ich vermutlich auch so ziemlich albern aussah, wie ich wie ein Storch in Zeitlupe über den Hof stakste. Aber ich hatte es ja fast geschafft. Nur noch drei Schritte bis zur Eingangstür des Hauptgebäudes. Noch zwei Schritte. Noch einen -

„Fuck!"

Irgendetwas Großes knallte unsanft gegen meinen Rücken und schneller ich denken konnte, lag ich im Schneematsch. Scheibenkleister! Die Nässe drang durch meinen Mantel und ich versuchte mich aufzurappeln.

Tja. Wenn da nicht irgendetwas Schweres auf mir draufgelegen hätte. Etwas, das gerade ein Stöhnen von sich gegeben hatte.

Wer auch immer auf mir gelandet war, schaffte es schließlich aufzustehen und eine Hand schob sich in mein Blickfeld.

„Hey, alles okay bei dir?" Ich blickte hoch. Der Junge, der uns beide zu Fall gebracht hatte, sah mich besorgt aus schokoladenbraunen Augen an. Ich nickte nur und ergriff seine Hand, um mir hochhelfen zu lassen.

„Tut mir echt leid, ich bin ausgerutscht." Er rückte verlegen seine Mütze zurecht und machte ein zerknirschtes Gesicht.

„Kein Problem", erwiderte ich und versuchte so gut es ging den Matsch von meiner Hose zu wischen. Leider war das Wasser bereits durchgesickert und auf meiner Haut angekommen. Mist.

Der Junge musterte ebenfalls meine durchnässte Hose. „Hast du irgendwas zum Wechseln da? Vielleicht Sportsachen oder so?", fragte er besorgt.

Stumm schüttelte ich den Kopf. Meine Sportsachen hatte ich übers Wochenende zum Waschen mit nach Hause genommen. So ein Mist aber auch.

„Na komm", sagte der Braunhaarige und lief ins Schulgebäude hinein, „dann besorgen wir uns mal was Trockenes zum Anziehen." Erst jetzt bemerkte ich, dass auch sein linkes Hosenbein quietschnass war.

Schnell folgte ich ihm hinein und die Treppe hinauf in den ersten Stock. Er blieb vor einem der Spinde stehen und begann die Zahlenkombination einzustellen. Währenddessen stand ich daneben und versuchte ein Zittern zu unterdrücken.

„Was zum Arsch machst du da an meinem Spind, Liam?"

Erschrocken drehte ich mich um, während Liam seelenruhig die Tür des Spindes öffnete und darin herumkramte. Vor mir stand ein Typ mit verwuschelten braunen Haaren, der etwas kleiner als ich war und Liam aufgebracht anstarrte.

„Reg dich ab, Louis", entgegnete Liam, ohne sich umzudrehen, „ich leih mir nur eine Hose von dir."

Nur eine Hose?" Dieser Louis verschränkte die Arme und funkelte Liams Hinterkopf streitlustig an. „Darf man auch fragen, wozu sich der Herr nur eine Hose von mir leihen möchte? Ohne zu fragen, übrigens!"

Jetzt seufzte Liam und drehte sich doch zu Louis um. „Ich hab mich vorhin aus Versehen hingepackt und jetzt haben wir beide nasse Hosen, also braucht – wie heißt du nochmal?"

Liam sah mich fragend an.

„Harry", sagte ich leise.

„Siehst du, Louis. Jetzt braucht Harry was Trockenes zum Anziehen, okay? Und wir haben heute eh kein Sport, also brauchst du deine Hose doch nicht selber."

Louis zog nur eine Augenbraue hoch und rührte sich nicht von der Stelle. „Wohl. Ich hab heute Training."

ich trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen und wich Louis' Blick aus. „Ist schon okay, ich ... ich brauch die Hose gar nicht ..."

„Quatsch. Du kannst doch nicht in nassen Sachen rumlaufen, da bist du ja eins zwei fix erkältet." Liam sah mich besorgt an und schien nicht nachgeben zu wollen. „Wie wäre es denn, wenn Harry dir die Hose zurückgibt, bevor du zum Training musst? Bis dahin ist seine eigene bestimmt wieder trocken."

Louis ließ seinen Blick einmal an mir runter und wieder hoch wandern. „Könnte dir aber etwas kurz sein", gab er schließlich zu bedenken und riss Liam das Stoffknäuel aus den Händen.

„Kommst du?" Schwungvoll drehte Louis sich um und lief den Gang hinunter zu den Toiletten, während ich hinterher dackelte.

„Du musst mir die Hose übrigens wirklich nicht leihen", sagte ich, als wir vor dem Jungsklo angekommen waren.

„Ist schon okay", erwiderte Louis und hielt mir die Tür auf, „ich liebe es nur, Liam eine Szene zu machen und ihn auf die Palme zu bringen." Er grinste mich frech an und wie von selbst gingen meine Mundwinkel nach oben.

Schnell verschwand ich in eine der Kabinen und schlüpfte aus meiner klammen Hose, bevor ich Louis' Jogginghose überstreifte – und das Gesicht verzog. Na toll.

Hose in der Hand, Mantel unterm Arm, Tasche über der Schulter – voll beladen schaffte ich es trotzdem noch irgendwie, die Tür wieder zu entriegeln und aus der Kabine zu treten.

Louis stand am Waschbecken und warf mir einen kurzen Blick zu. Und dann noch einen. Und dann fing er an zu kichern.

Missmutig sah ich an mir herunter. Denn wie Louis es prophezeit hatte, war mir die Hose zu kurz – und nicht zu wenig.

„Sorry", lachte Louis und wirkte eindeutig nicht so, als ob ihm irgendwas leidtäte, „aber du siehst aus ..."

„Als wäre ich auf Hochwasser eingestellt", erwiderte ich seufzend.

Louis nickte zustimmend, warf noch einen Blick auf meine Beine – und fing wieder an zu kichern.

Ich musterte das Desaster noch mal und zog probehalber an einem Hosenbein. Aber nichts zu machen.

Resigniert richtete ich mich wieder auf. Louis' Blick begegnete im Spiegel meinem. Wie er versuchte, sein Lachen zu unterdrücken, brachte mich erst recht zum Grinsen. Seine Mundwinkel begannen zu zucken, als er den Kampf gegen sich selbst verlor. Und dann fingen wir beide gleichzeitig an zu prusten.

Erst nachdem es bereits zum Beginn der ersten Stunde gegongt hatte, beruhigten wir uns endlich wieder,

„Also", fing ich an und hielt mir die vom Lachen schmerzenden Seiten, „wann willst du die Hose wieder haben?"

Louis zuckte mit den Schultern und überlegte. „Ich hab in der Siebten Freistunde und danach Training. Wie wär es, wenn du davor einfach in die Umkleide kommst?"


Also lief ich nach der siebten Stunde in Richtung Fußballplatz – immer noch in Louis' Hochwasserhosen, die mir im Laufe des Tages bereits jede Menge belustigte Blicke eingebracht hatten.

Anstatt von meinem Mitschülern einfach übersehen zu werden, war ich jetzt der Typ, über den man die Augenbrauen heben oder hinter vorgehaltener Hand kichern konnte. Wie toll.

Ich vergrub meine Hände tiefer in meinen Manteltaschen und wünschte mir, ich hätte heute früh an eine Mütze gedacht. Wie man sich bei diesen Temperaturen, die kaum die Null-Grad-Marke überschritten, länger als absolut nötig draußen aufhalten konnte, nur um einem Ball hinterher zu rennen, war mir völlig schleierhaft.

Aber ich war ja auch nicht Louis.

Erleichtert darüber, endlich aus der Kälte zu können, betrat ich die Umkleide. Die war noch komplett leer bis auf Louis – der zusammenzuckte und fast sein Handy fallen ließ, als ich die Tür öffnete.

„Hi." Eine Sekunde starrte mich Louis nur an wie ein paralysiertes Kaninchen. Dann räusperte er sich und sperrte hastig das Display seines Smartphones.

„Hey", gab er schließlich zurück und schob sein Handy in die Hosentasche. „Du bist wegen der Hose hier."

Ich nickte nur. Ziemlich offensichtlich hatte ich bei irgendetwas gestört, was niemand mitbekommen sollte. Vielleicht hatte er ja einen Porno geguckt oder so. Wer weiß.

Bevor das angespannte Schweigen zwischen uns noch unangenehmer werden konnte, stellte ich schnell meine Tasche auf eine der anderen Bänke und zerrte meine eigene Jeans hervor.

Keine Spur mehr von der angenehmen Atmosphäre von heute morgen.

Nachdem ich im Eiltempo seine Hose aus- und meine eigene wieder angezogen hatte, drehte ich mich wieder zu Louis um. Er wippte leicht auf seinen Fußballen hin und her und sah fast schon ein bisschen erleichtert aus, als ich ihm seine Hose reichte und dann die Tür öffnete.

„Also ... danke nochmal", sagte ich leise, aber das änderte auch nichts mehr.

„Kein Ding", erwiderte Louis und zog bereits wieder sein Handy aus der Hosentasche. „Tschüss."

„Tschüss", murmelte ich und schloss die Tür hinter mir.

Irgendwie überraschte es mich nicht mal besonders. Ich schien die Leute um mich herum immer nur zu stören, als ob meine Mittelmäßigkeit sie für einen Moment aus ihrem tollen Leben herausreißen würde und sie es kaum erwarten konnten, bis ich sie wieder ihren Höhenflügen überlassen würde.

Pling. Ich zog mein Handy aus der Manteltasche – und vergessen war Louis und seine komische Laune.

Sassy-danny hatte mir geantwortet.

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