<°))))>< selbstverwirklichung oder lüge?
~12.11.2019~
Ein Fremder sieht die ganzen Geschäfte im Einkaufszentrum, als die Glastür hinter ihm wieder zuschlägt. Kurz rempelt jemand ihn an und geht einfach weiter. Zu seiner Rechten sieht er die Aufschrift des Ladens. Hiphop dröhnt angenehm aus dem Eingang. Als er in den Laden geht, nickt er einem der Verkäufer in ihren schwarzweiß gestreiften Trikots zu.
Nachdenklich mustert er die vielen Schuhe, die je nach Marke sortiert, die ganze Wand bedecken.
Er sieht einem jungen Mann zu, wie er gelangweilt die neuen Nike Air Max anprobiert. Jetzt haben sie extra dicke Luftkissen, die lachsfarben leuchten.
„Ich finde, die sehen schön aus an dir", sagt seine Freundin.
Er läuft schweigend mit den Sneakers herum. Springt kurz und schaut sich im Spiegel an.
„Können wir was für dich tun?", ein Verkäufer mit Dreadlocks schaut ihn herzlich an, als der Fremde ihn überraschend mustert. Sein verfilztes, schwarzes Haar reicht ihm bis zur Brust und schaukelt fröhlich hin und her.
„Ich schaue mich hier nur um."
„Frag uns einfach, wenn du was wissen möchtest", er lächelt, als er sich wieder abwendet.
Etwas unbehaglich geht er wieder nach draußen.
Danach geht er in die Drogerie, er braucht sowieso noch etwas Deo.
Nachdem er sein no-name-Deo in seiner Linken hält, welches Treibgase enthält, schaut er sich weiter um.
Von der Körperpflegeabteilung läuft er an der Babynahrungsabteilung vorbei, bis er nun an der Kosmetikabteilung steht.
„Wie finde ich meinen besten Lippgloss für Nude?"
„Willst du das wirklich wissen?", die blasse, junge Frau kichert.
„Warum kicherst du gleich?", fragt die andere.
„Du nimmst die Farbe deiner Nippel", sie versucht ihr lachen zu unterdrücken.
„Macht durchaus Sinn", sie greift nach einen der Stifte, „Wenn ich schon die Farbe deiner Nippel weiß, dann darfst du auch meine wissen", sagt sie trocken und greift nach einen blassroten Lippenstift.
Ohne deren Gespräch weiter belauschen zu wollen, geht er mit seinem Deo an die Kasse.
„Haben Sie auch Payback?"
„Nein, habe ich nicht."
Um 0,89 € ärmer geworden verlässt er das Geschäft.
Das kalte Licht, die lauten Menschen tummeln sich auf dem Gang.
Kurz schaut er sich den Boden an, glatte und glänzend graue Fliesen.
Schnell versucht er sich einen Weg durch die Menschenmassen zu bahnen.
Nur zwingt er sich zu mehr Ruhe, als er fast gegen eine Seniorin mit Rollator läuft.
Diese Menschenmassen zwängen ihn ein. Das ist der undefinierbare Krach, wenn wahrscheinlich hundert Menschen herumlaufen, Babys schreien und wild miteinander reden.
Eine ganz eigene Maschinerie, die der Kapitalismus für die sich arbeitenden Menschen erschuf, um sie auch noch durch Konsum um den Erlös ihrer Arbeit zu bringen.
Die dicke und warme Luft bereitet ihm Kopfschmerzen.
Als er fast fluchtartig die Glastür öffnet, aus der er kam, vermag die kalte Novemberluft ihn zu beruhigen. Besänftigt den Schmerz seines zu stark arbeitenden Kopfes. Den Druck von Gedankenknoten, die ihn daran hindern, der leichten Oberflächlichkeit zu verfallen.
Warum ist das normal? Wer braucht bitte noch einen achtzehnten hässlichen Schuh in der Sammlung, der nicht so wirklich zum eigenen Kleidungsstil passt? Woher kommt es, dass es so normal ist, dass wahrscheinlich minderjährige Chinesen für diese Sweatshops arbeiten für einen Hungerlohn?
Wieso wird über die Tierquälerei für einen Lippenstift einfach mal hinweggeschwiegen und schmunzelnd was von der Nippelfarbe erzählt?
Ist das Selbstverwirklichung oder Lüge?
Wieso verloren sich so viele Menschen, verlängerter Arm des Kapitalismus, in einer uninspirierten und immer austauschbaren Anhäufung einer deprimierenden Monokultur? Ob der Luisencenter in Darmstadt, die City Galerie Aschaffenburg oder die East Side Mall in Berlin, abgesehen von kleinen Läden gibt es nur wenig inspirierendes dort.
Und warum hat er sich dieses gottverdammte Deo gekauft, welches beim Recycling unnötig viel Energie verbraucht und er auch der Atmosphäre damit schaden darf?
Ist er vielleicht auch so uninspiriert?
„Adrian, du kleiner Pisser, da bist du ja!", die raue Stimme von ihr naht sich ihm mit dem Rauch der selbstgedrehten Zigarette, die sie raucht.
„Jetzt schulde ich dir nichts mehr", sie reicht ihm seinen Vincent's Beyond Burger, der auch in der geschlossenen Box zu gut riecht.
„Vergiss mir nicht, ohne dich wäre ich ziemlich uninspiriert", sie drückt ihre Zigarette auf dem - vom Sonne und Regen - bleichen Holz der Bank aus. „Warum ich das wohl sage? Weil ich die Zahnräder in deinem Kopf deutlich höre, da wollte ich das erwähnt haben", sagt die so sonst so schweigsame Frau.
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