Der neue Schüler


 POV Grace

Sechs Uhr morgens klingelte ihr Handy- Wecker mit schrillem Ton, der Grace aus dem Schlaf riss. Als sie ihn langsam überhaupt wahrnahm gab sie ein müdes Murren von sich und wälzte sich im Bett hin und her. Die Augen noch fest zugekniffen, um nicht in das einfallende Sonnenlicht, welches in ihr Zimmer strahlte direkt reinzuschauen.

Grace streckte ihre Hand nach ihrem Handy auf dem Nachttisch aus, um das schreckliche Geräusch des Weckers ein Ende zu setzten. Ihr erster Versuch scheiterte, denn sie traf nicht die ausschalttaste des Handys. Sie startete den nächsten Versuch, der dieses Mal glückte. Der Wecker verstummte schlagartig. Grace war nun hellwach und der Wecker war aus.

Blöder Wecker! , dachte sie sich und schleifte sich zu ihrem Kleiderschrank und holte sich einen dunkelblauen Pullover, eine blaue Jeans und ein paar Socken heraus, zog sich an und ging ins Badezimmer, das eine Tür weiter war. Sie duschte sich und wusch ihre sehr leicht glänzenden rotbraunen Haare. Danach flocht Grace sich ihre lockigen rotbraunen Haare( die übrigens mehr braun als rot waren) mit geschickten Fingerbewegungen zu einem komplexen Flechtzopf zusammen. Dann ging sie aus ihrem Zimmer die Treppe herunter in die Lobby.

Dort stülpte sich Grace ihre schweren schwarzen Boots über, die neben dem Kleiderständer gestanden hatten und nahm ihren Petrolfarbenden Rucksack und zog ihn auf den Rücken und nahm ihre blaue Windjacke vom Kleiderhacken und legte sie sich auf den Arm. Dann ging sie in die Küche, wo es schon nach frischen Frühstückseiern und Toast roch. Einfach herrlich.Dort angekommen sah sie ihre Mutter am Herd stehen, die gerade die Eier zubereitete und ihren Vater am Tisch mit einer Scheibe Tost in der Hand und eine Tasse Kaffee vor sich gestellt sitzen. Von ihrem Bruder noch keine Spur.

Die Schlafmütze hatte wahrscheinlich den Wecker nicht gehört oder er hatte ihn einfach ignoriert. Mal wieder. Guten Morgen, ist Jason schon in der Schule oder noch im Bett?", fragte sie gähnend. So ganz da, war sie nämlich noch nicht, trotz des Weckers. „Guten Morgen, Schatz, und Jason ist noch im Bett und schläft noch, aber wir können ihn ja wecken gehen.", sagte ihr Vater mit einem breiten Grinsen im Gesicht, welches ihr auch eins entlockte.

Ihr Vater war schon immer drauf und dran Streiche zu spielen und so eine Situation war die beste Einladung, um diese Eigenschaft wieder an die Oberfläche zu bringen. Ihre Mutter bemerkte dieses Gespräch nicht, da sie mit dem Rücken zu den beiden stand und sich voll und ganz auf das Frühstück machen konzentrierte. Ihr Vater und Grace spielten Jason nur zu gerne Streiche. Es war eine Art Aufsteh-Ritual, wenn Jason sich weigerte aufzustehen.

Zusammen mit ihrem Vater gingen sie die Treppen hoch und schlichen sich in das Zimmer, des immer noch schlafenden Jasons' mit einem Eimer mit kaltem Wasser bewaffnet, den sie zuvor im Badezimmer gefüllt hatten. Leise schlichen sie sich auf Zehnspitzen näher an die schlafende Gestalt an und Grace zählte mit den Fingern stumm von drei runter, bis ihr Vater den ganzen Eimerinhalt über Jason kippte, der natürlich sofort davon aufwachte.

Erschrocken fuhr Jason aus dem Schlaf und saß kerzengrade auf seinem Bett in seinem Zimmer, wo an den blauen Wänden viele Poster von Football-Mannschaften hingen und sah seinen laut lachenden Vater und seine Schwester entgeistert an. „ Seid ihr vollkommen verrückt geworden!", rief er schockiert und sah die beiden Personen vor ihm mit großen Augen an. Grace und ihr Vater kicherten hinter vorgehaltener Hand und zuckten mit den Schultern.

„ Wir wollten dich nur aufwecken, weil wir ja wissen, dass du nicht gerne freiwillig aufstehst.", bemühte sich Grace möglichst ruhig und unschuldig zu sagen mit einem Schmunzeln im Gesicht und verschränkten Armen und sah ihren Bruder an. „Ihr hättet mich auch anders aufwecken können.", gab er murmelnd zu rieb sich die Augen und kroch aus seiner jetzt klitschnassen Decke hervor.Als alle fertig gegessen hatten machten sich die Geschwister auf den Weg zur Schule. Es dauerte nicht lange, höchstens zehn Minuten Fußmarsch.

...

Dort angekommen gingen sie durch den Haupteingang und danach die Treppe hoch bis ins zweite Stockwerk. Die beiden gingen dann den Flur runter und machten sich auf den Weg zum Klassenraum der 10b und setzten sich zu den anderen sechzehnjährigen ihrer Klasse auf die Flurbänke und warten auf ihren Deutschlehrer.

Währenddessen unterhielten sich die Schüler über den neuen Klatsch und Tratsch, der heute rumging. Jason und Grace hörten einfach nur zu und sagten nichts. „ Habt ihr schon von dem neuen Schüler gehört, der ab heute in unsere Klasse kommt?", fragte Liana, eine von Xenia 's Busenfreundinnen mit schulterlangem roten Haaren und geschminkten Gesicht. Ihre braunen Augen waren umrandet mit blauen Lidschatten. Es sah nicht gerade gut an ihr aus, aber das interessierte hier sowieso niemanden. „ Nein, noch nichts. Sieht er den gut aus?", fragte Xenia gelangweilt und betrachtet ihre Pink lackierten Fingernägel. Sie war das Mädchen mit dem langem, lockigen blonden Haar und braunen Augen. Und Anführerin der Dreier-Clique. Alle drei eingebildeten Modepüpchen, nichts weiter.

„ Ich habe gehört, dass er ziemlich gutaussehend sein soll und er soll auch eine Schwester haben, die angeblich in die Parallelklasse gehen wird.", antwortete Carla, das dritte Mitglied der Clique. Überheblich warf sie sich ihre erdbeerblonden Haare lässig über die Schultern.Dann fingen alle an über den neuen Schüler und seine Schwester zu tuscheln, aber mehr über den Jungen als um das Mädchen. Grace schenkte dem Getuschel und Getratsche ihrer Mitschüler keinerlei Beachtung und stützte ihren Kopf in die Hand und begann in ihrer Lektüre zu lesen, die sie immer im Rucksack mit sich trug und wenn nicht das, dann hatte sie immer ihren E-Reader in ihrer Handtasche, falls in ihr Langeweile aufkäme. So wie jetzt.

Als Mister White, ihr Deutschlehrer kam, um die Klasse für sie aufzuschließen, setzten sich alle geordnet auf ihre Plätze und holten ihre Materialien aus den Rucksäcken hervor. Mister White war nämlich der Lieblingslehrer der meisten Schüler in ihrer Klasse, weshalb diese sich immer vorbildhaft in seinem Unterricht benahmen. Auch Grace gehörte zu diesen Schülern, aber mit den meisten kam sie nie wirklich klar, weil diese eben nicht ihre Interessen vertraten und weil Grace einfach anders war als andere Schüler an der Schule.

Grace war ein Individuum. Sie arbeitete lieber alleine an Schulprojekten, als in einer Gruppe oder wenn sie mit einer Gruppe arbeitete, dann nur mit Leuten die auch wirklich arbeiten wollten und sich selbstorganisieren konnten, anstatt nur nach ihrer Freizeit und ihrem Tratsch zu lechzten. Auch von der Art ihres Verhaltens war Grace vollkommen anders, womit sie sich drastisch von ihren Mitschülern unterschied. Sie war eine introvertierte Person, also eine ruhige und auch etwas misstrauische Person, weshalb sie nicht viel Draht zu ihren Mitschülern hatte. Ein Hallo und Tschüss und gelegentlich ein paar Gespräche von belanglosen Dingen war nichts weiter drin. Sie hatte Kaylee, Josh und ihren Bruder. Mehr Leute brauchte sie nicht um sie herum. Auch ihr Selbstwertgefühl hatte sie hoch aufgesetzt.

Wenn jemand sie zu etwas zwingen wollte sagte sie denjenigen, dass dies mit ihr nicht funktionierte, denn Grace spielte nach ihren eigenen Regeln und Bedingungen und nicht nach den von anderen. Sie wird und lässt sich nicht verbiegen. Egal, wer es sei, der es versucht. Sie wird sich niemals für einen verändern, nur um ihm oder ihr zu gefallen. Da bliebe sie lieber alleine und echt als zusammen mit Verbogenen Leuten, die sich selbst belügen. Grace war einfach wer sie war und so wird es immer bleiben. Sie wird sich auch von niemand kaufen oder ungerecht behandeln lassen.

Nachdem sich alle Schüler an ihren Platz gesetzt hatten, schrieb Mr. White das heutige Thema der Woche an die Tafel. Kreatives Schreiben. Bevor er ihnen ihre Arbeitsauftrag nennen konnte, klopfte es an der Tür und der Schulleiter: Mister Granic trat mit dem neuen Schüler ein.

„Klasse, das ist euer neuer Mitschüler Valentine Alister. Bitte respektiert ihn.", kündigte er kurzangebunden an und ging hinaus, schloss die Tür hinter sich und ließ den Neuen einfach allein vorne an der Tafel stehen. Angestarrt von seinen Mitschülern wie ein ungewöhnliches Tier, welches sie noch nie zu Gesicht bekommen hatten und jetzt zum ersten Mal sehen. Er sah sich kurz um, wie ein verschrecktes Tier. Grace fühlte mit ihm, auch wenn sie noch nie die Neue an einer Schule gewesen war, war das wahrscheinlich nicht kein gutes Gefühl.

Der schwarzhaarige Junge mit den azurblauen Augen und der blassen Haut namens Valentine gab Mr. White seine Kurs-Einschreibung in die Hand und nahm seine Bücher vom Lehrer entgegen und setzte sich auf den leeren Platz neben Grace, welcher der einzig freie im Raum war. „Hey, ich bin Grace.", stellte sie sich freundlich vor und reichte dem Jungen neben ihr höflich die Hand.

„ Hey,  Valentine schön dich kennenzulernen.", sagte er mit einem freundlichen Lächeln in seinem markant maskulinem Gesicht und reichte ihr seine Hand entgegen und schüttelte sie. Sie fühlte sich etwas rau an. Grace lächelte und wandte sich dann Mr. White zu der, der Klasse ihren Arbeitsauftrag gab, der daraus bestand eine besonders lebhafte Geschichte nach dem Thema Träume zu schreiben. „ Hast du schon eine Idee für deine Geschichte?", fragte sie interessiert. „Nein, du?", fragte er sie. „Ja." antwortete sie und schlug ihr Heft auf und dachte nach wie sie anfangen sollte, als sie ihren Stift zwischen ihren Daumen und Zeigefinger pendelte.

Schließlich entschloss sie sich in Gedanken naher in der Bibliothek zu setzen und ihre Hausaufgaben dort in Ruhe zu machen. „ Was machst du heute noch so?", erkundete sie sich bei ihrem Banknachbar flüsternd, den Kopf zu ihm gebeugt, um nicht die Aufmerksamkeit von Mister White zu erregen. „ Mich in der Schule umsehen.", antwortete Valentine leise. „ Ich kann dich auch durch die Schule führen, wenn das okay für dich ist?", fragte Grace schüchtern und sah ihm in die azurblauen Augen. Sie waren faszinierend und mysteriös zugleich. „ Gern." „Okay, dann beim Schwarzen Brett im Foyer, nach dem Biologie-Unterricht?", fragte Grace. „Geht klar, wir sehen uns.", sagte er ihr und sie nickte.

Nachdem der Gong ertönte, der ankündigte dass die Stunde vorbei war, packte Grace ihre Deutschsachen weg und ging gefolgt von Valentine aus dem Raum in den nächsten Unterricht den sie zusammen hatten.

 POV Valentine ( Auf dem Weg nach Makle Creek)

Es war eine lange Fahrzeit von Raven bis nach Makle Creek. In etwa sieben bis acht Stunden Fahrt. Die Landstraßen zogen am Autofenster an Valentine vorbei und ließen sie verschwimmen. Valentine war müde, sie waren schon insgesamt vier Stunden unterwegs. Seine Schwester Hayley schlief seelenruhig neben ihm auf der Rückbank. Den Kopf gegen das Autofenster gelehnt.

Sein Vater fuhr konzentriert die nächste Ausfahrt entlang und die Landstraßen verschwanden allmählich und wurden durch richtige Straßen ersetzt. Die Müdigkeit drohte ihm, ihn zu überwältigen, aber wollte nicht einschlafen, nicht wenn er immer ihren toten Körper vor Augen hat. Auch wenn es zwei Monate schon her war. Es fühlte sich an als wäre es gestern gewesen, als es passierte. Und es tat weh. Unvorstellbar weh.

Die letzten drei Stunden verbrachte Valentine im Halbschlaf, obwohl seine Schwester und sein Vater ihm immer eintrichterten, dass Halbschlaf kein richtiger Schlaf sei und er endlich schlafen muss. Und zwar richtig. Aber das war leichter gesagt als getan.

Als Valentine aufwachte, waren sie schon an ihrem neuen Haus in Makle Creek angekommen. An den hohen Toren wandten sich weiße und rote Rosen umeinander. Es sah schön aus, aber die Rosen erinnerten ihn nur an sie. Er konnte sich nicht wirklich freuen aus Raven raus zu sein, aber vermissen tat er es auch nicht wirklich.

Morgen würde die Schule für Hayley und ihn losgehen. Es war einerseits ein Neuanfang, aber auch irgendwie ein Zwischenkapitel, welches gefühlt in das ursprüngliche hineingeschoben wurde.

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