1.06. Verdammt, wo ist das Problem?
Indessen ist es in der Kammer ruhig geworden. Abgesehen vom sonoren Surren eines Tischventilators und den Arbeitsgeräuschen der beiden Officers an ihren Schreibtischen, ist es in der Tat im Büro bedrückend still. Durch die Glasscheibe beobachte ich, wie Ma'am Papillio und Ma'am Tolisan verschwörerisch gemeinsam mit den Kindern die Köpfe zusammen stecken. Die Kinder sitzen im Halbkreis um die Polizistinnen. Verstohlen blicken die Kinder hin und wieder, durch die schmutzige Glasscheibe zu mir.
Die Kinder sehen fertig aus.
Der Tag vor dieser Horrorgeschichte ist voller Aktion gewesen: Zuerst die Busreise, mit dem unbequemen Überlandbus und das ständige Stop-and-go, der Baustellen wegen. Anschließend die Zeit in der Shopping Mall und dort als Highlights Pizza Hut und Gaming Zone. Dann das über zweistündige Planschen, Schwimmen, Toben und Rutschen in der großen Poollandschaft. Die Jungen konnten einfach nicht genug bekommen. Nach dem Relaxen im Zimmer, noch einmal Shopping Mall, Burger, Eistee und Medizin für Phils Zahnschmerzen gekauft. Zurück im Cottage noch "Tom and Jerry" im TV geschaut und sehr kurze Zeit später, das frühe Einschlafen der Kinder.
Traurig erinnere ich die Jungen am heutigen Tag: 'Ihre glänzenden Augen, die Fröhlichkeit und ihre Freude. Für die Kinder ist es die höchste Stufe des Glückes gewesen.'
Mit beiden Händen reibe ich mein Gesicht. Die Augen brennen anschließend leicht. Ich bin nun vollkommen kaputt. Officer Sarang bietet einen Menthol-Zitronen-Bonbon an: "Ein wenig Geduld noch bitte, Sir." Sein Bonbon belebt die Sinne.
'Verdammt, was nun? Die Kinder in der Befragung und ich im engen, schäbigen und muffigen Polizeirevier verhaftet. Das ist doch Stress pur für die Kinder! Von fremden Personen geweckt werden. Das aufdringliche Kamerateam. Die zähe Befragung zur späten Stunde. Warum das alles und wie geht es jetzt weiter?' Die Fragen kreisen im Kopf und da sind keine Antworten. Es ist bereits nach ein Uhr und ich habe Kopfschmerzen. Trotzdem entgeht mir nicht, das in der Kammer eine angespannte Atmosphäre herrscht.
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Die Polizistinnen sind im Grunde fertig, mit der Aufnahme der Personalien der Kinder. Die im Computer gespeicherten Daten, weisen zwar einige Lücken auf, aber das ist den Polizistinnen jetzt egal. Sie wissen, schnell werden die Familien hier aufkreuzen. Dann kann das Fehlende nachgetragen werden. Soweit sie es beurteilen können, kommen die Jungen zwar aus armen aber intakten Familien.
Ma'am Papillio und Ma'am Tolisan sind ein eingespieltes Team. Für Außenstehende ist die wortlose Kommunikation der beiden kaum zu deuten. Für Kinder schon gar nicht. Sie sind sich einig, die entscheidenden Fragen, trotz der fortgesetzten Stunde und des Zustandes der Kinder, noch heute zu stellen. Ma'am Papillio und Ma'am Tolisan rücken dicht an die Kinder heran und senken die Köpfe, so als wolle man ein Geheimnis besprechen. Unbewusst tun es ihnen die Kinder gleich.
Fast flüsternd fragt Ma'am Papillio direkt: "Hat Euer großer Freund Tommy mit Euch komische Dinge gemacht?"
Ma'am Tolisan ergänzt freundlich: "Solche Sachen, die man eigentlich nicht tut." Sie reckt die Arme, spielt Müdigkeit vor und gähnt künstlich: "Solche privaten Dinge eben."
Ma'am Papillio hakt dort ein: "Hat Tommy an Eure privaten Bereiche gefasst?"
Die Kinder schütteln die Köpfe, sind erschrocken, schweigen und schauen betreten zu Boden.
Aboy ist der erste, der redet: "Nein", faucht er aggressiv.
Ma'am Tolisan spricht mütterlich und vertrauensvoll: "Der Tommy, der hat doch so 'ne klasse Fotokamera. Die sieht jedenfalls teuer aus!"
Ma'am Papillio fällt Ma'am Tolisan ins Wort: "Hat der Tommy Euch fotografiert?"
Ma'am Tolisan wird lauter: "Ohne Sachen, nackt fotografiert?"
"Nein! Nein! Nein!", kommt es jetzt von den Jungen zur gleichen Zeit.
Aboy ist empört, springt auf und heult fast: "Tommy ist nicht böse! Warum soll der sowas tun?"
Der kleine Dan schluchzt ein wenig, weint aber nicht.
Sam ist ebenfalls verärgert, sagt aber auch nur trotzig: "Nein!" und schüttelt ununterbrochen den Kopf.
Phil hält sich die Hand vor dem Mund. Er hat große Augen und sieht erschrocken aus.
'Als hüte er ein Geheimnis', deutet Ma'am Papillio gedanklich die Geste. Phil aber schweigt.
Jan und Sam, die beiden Ältesten, rücken zeitgleich mit den Stühlen ein paar Zentimeter aus dem Zentrum hinaus. Sam hält sich die Hände vor das Gesicht. Jans Gesichtsfarbe wechselt vom blassen Braun nach Rot und wieder zurück. Ihre Körper werden starr und Schweiß bildet sich in den Gesichtern. Sie machen dicht und werden nichts mehr zur Unterhaltung beitragen.
Ma'am Papillio und Ma'am Tolisan erkennen die starken Abwehrhaltungen.
Aboy trommelt trotzig mit den Fingern auf die Lehne des Kunststoffstuhls.
Dan und Phil verschließen sich und fixieren den polierten Betonfußboden.
Sam löst die Starre und lässt nervös das rechte Knie auf und ab sausen.
Jan fixiert einen imaginären Punkt an der Wand hinter dem Computer.
Ma'am Tolisan versucht es, ungeschickt und plump, noch einmal: "Habt keine Angst Jungs. Ihr könnt uns ruhig alles sagen. Wir sind doch auf Eurer Seite. Vertraut uns."
Die Jungen schweigen. Die Unterhaltung ist ihnen höchst unangenehm.
Resigniert erkennt Ma'am Papillio, nicht an die Fünf heranzukommen. Es ist ihnen nicht gelungen, die Brücke zu bauen.
'Morgen', denkt Papillio, 'morgen werden sie ihre Geheimnisse preisgeben.' Ma'am Papillio gibt das Zeichen Schluss zu machen: "Oh, je", ruft sie gespielt erstaunt, während sie auf die knallbunte Mickey Maus Uhr an ihrem Handgelenk schaut, "schon so spät? Zeit schlafen zu gehen!" Sie klatscht leise zweimal in die Hände und flüstert Ma'am Tolisan etwas ins Ohr.
Die Kinder schweigen und vermeiden weiter direkten Augenkontakt untereinander und zu den Polizistinnen.
Ma'am Tolisan faltet behutsam das gelbe Papier mit Notizen und schiebt es unter die Computertastatur, erhebt sich und verlässt die Kammer.
Ma'am Papillio öffnet ein Fläschchen 'Efficascent Oil', gibt jeweils einen Tropfen auf die Zeigefinger und reibt sich die Schläfen. Sofort duftet der kleine Raum angenehm nach den ätherischen Ölen.
"Möchte jemand eine Erfrischung?", fragt sie in die Runde und stellt verwundert fest, wie hübsch die jungen Kerle doch sind. Ma'am Papillio sagt traurig: "Der Tommy, der ist nett? Der mag Euch. Stimmt doch, oder? Das ist Euer großer Freund und bester Kumpel. Sollte da irgendwas Ungewöhnliches zwischen Euch und Tommy gewesen sein, sagt es. Mir ist klar, dass das für Euch vielleicht peinlich ist. Ihr wisst vielleicht schon, dass Erwachsene Dinge tun, die Kinder nicht tun. Und alle von Euch kennen bestimmt einen Gay, also einen Bayot. Also Männer die mit Männer zusammen leben und nicht mit Frauen."
Die Jungen nicken kaum sichtbar.
Aboy lacht plötzlich: "Der Cousin von Sam ist so einer!"
Sam kontert sofort: "Na und! Und was ist mit Boboy? Deinem Onkel, heh?"
Sam möchte nun doch einen Tropfen vom grünen Efficascent Oil und reibt es sich in den Nacken und sagt: "Das tut gut!"
Auch Aboy und Phil nehmen das Angebot an. Die Jungen tauen auf.
'Jetzt kriege ich sie', stellt Ma'am Papillio erfreut fest und formuliert schon im Gedanken die alles entscheidende Frage: 'Hat Tommy Euch angefasst?' Sie will jetzt – verdammt nochmal – Klarheit! Und zwar noch diese Nacht. Nervös holt sie tief Luft, setzt gerade an, da knallt die Tür auf, sodass die Glasscheibe scheppert.
Die Frau, die an die Cottagetür geklopft hat, steht im Türrahmen: "Ma'am Papillio", keucht sie atemlos, "Sie wünschen mich zu sprechen? Haben die Kinder etwas erzählt?"
Ma'am Papillio ist zuerst erschrocken, dann perplex und zuletzt verärgert: "Shit!", zischt sie.
Die Frau fragt verdutzt: "Pardon, Ma'am?"
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