Sturm

Lennox liebte und hasste Gewitter zugleich, so wie er den Regen liebte und hasste. Er fand es faszinierend, wie die Natur tobte, doch es machte ihn traurig, nicht rausgehen zu können, wegen dem kalten Wasser. Er bewunderte die Schönheit der Blitze, die gleichzeitig so zerstörerisch sein können. Allerdings war er immer bei seinem Vater zuhause gewesen. Er war niemals durch Gewitter in Gefahr gewesen. Jetzt war es anders. Jetzt fürchtete er zum ersten Mal das Gewitter.

Der Wind war mit der Zeit immer stärker geworden, doch niemand hatte es bemerkt, weil alle in Lennox Geschichte vertieft gewesen waren. Doch als ein Blitz den Himmel teilte, schraken sie unwillkürlich auf. Im selben Moment fegte eine Windböe über sie hinweg, welche die Bäume zum Tanzen brachte.

„Verdammte Scheiße!", stieß Luna hervor.

Als es dann auch noch begann, zu regnen und zu hageln, fluchte auch Lennox und sprang schnell ins Zelt. Noch vor einer Minute hatte er den anderen von seiner Reaktion auf kaltes Wasser berichtet, da es nunmal Teil seiner Geschichte war. Jetzt schimpfte Ryan und verwendete teilweise Wörter, die nicht einmal Lennox kannte.

Das Lager war zwar durch die wasserfesten Planen relativ geschützt gegen den Regen, allerdings war er sich nicht sicher, ob es auch dem Sturm standhielt. Um genau zu sein, zweifelte er sogar stark daran.

Als ein Donnern über die Lichtung hallte, brachte Mark seine Schwester schnell zu Lennox ins Zelt und setzte sich neben sie. Ryan, Kai, Luke, Noah und Luna folgten. Ein paar Sekunden später saßen sie dicht zusammengedrängt und hofften, dass ihnen nicht das Zelt wegfliegen würde. Lennox begann zu zittern, als immer mehr von dem kalten Wind ins Zelt gelangte und er kurze Zeit später gnadenlos fror. Den anderen schien es nicht besser zu gehen, denn Mark presste Enya an sich und schmiegte sich selbst an Kai, während Mark sich neben Lennox setzte und die Arme um ihn schlang. Ryan kam auf Lennox' andere Seite und drückte seinen warmen Körper gegen ihn. Wie konnte er bitteschön bei dem Wetter so warm sein? Erst jetzt bemerkte er, dass die anderen sich ebenfalls zu Ryan begaben und an ihn lehnten.

„Keine Ahnung, wieso er so warm ist.", sagte auf einmal Noah, als er Lennox' verwunderten Blick bemerkte.

Ryan lachte trocken auf.

„Ich bin eben Kälte und Hitze gewöhnt, vielleicht will mein Körper aber auch nur verhindern, dass ich wie ihr bibbernd rumsitze, weil er das Feuer vorzieht.", sagte er verbittert.

Unwillkürlich musste Lennox an Ryans Narbe, seine Verbrennung denken.

Allerdings blieb ihm keine Zeit, gedanklich in Ryans Vergangenheit zu versinken, als im nächsten Moment das Zelt heftig zu wackeln begann, als der Wind gegen die Wände peitschte.

Das Zelt würde niemals standhalten, ohne, dass sie etwas taten!

„Wir müssen irgendetwas tun!", rief er den anderen zu.

Draußen tobte der Sturm mittlerweile so stark, dass er seine Stimme dämpfte, weshalb Lennox fast schreien musste.

Enya zuckte zusammen, als erneut Donner ertönte und drängte sich enger an ihren Bruder. Lennox war bereits zuvor aufgefallen, dass sie leicht verängstigt war, doch er hatte es als nichts Ungewöhnliches für ihr Alter empfunden. Jetzt bemerkte er allerdings, wie viel anders als gewöhnlich ihr Verhalten war. Enya zitterte, jedoch nicht nur aus Kälte und eine Träne rann ihre Wange hinunter. Mark rieb ihr sanft über den Rücken, schien selbst aber ebenfalls besorgt zu sein. Dies veranlasste Lennox dazu, an Enyas Seite zu krabbeln und sie an sich zu pressen. Er erinnerte sich, was sein Vater vor Jahren, als er noch anders war, zu ihm gesagt hatte. Lennox hatte nie Angst vor Gewittern gehabt, anders als sein Vater scheinbar, weshalb er so getan hatte, als müsste er beruhigt werden, um seinen Vater abzulenken. Jetzt flüsterte er Enya ins Ohr:

„Das Wetter ist wie Gefühle. Es ändert sich so schnell wie ein Gepard rennen kann und ist vielfältiger, als ein Blauwal groß ist. Wenn es gewittert, ist die Natur aufgebracht, hat so viel Energie, dass sie einfach raus muss. Der Himmel will spielen, die Wolken fliegen um die Wette und die Blitze schenken all dem Licht und Spannung. Stell dir vor, der Donner wäre Jubel, der die Wolken anfeuert."

Enya blickte ihn mit großen Augen zögernd an, die Angst schien geringer zu sein, doch das reichte Lennox noch nicht. Also sprach er mit seinen eigenen Worten weiter:

„Ja, Gewitter können gefährlich sein, aber das können Seelöwen doch auch, nicht wahr?"

Enya nickte leicht und Lennox fuhr fort:

„Dennoch sind sie wunderschön und wollen niemandem etwas böses, die ihnen selbst nichts getan haben. Nur wenn sie jemand bedroht, dann greifen sie an. Und mit dem Gewitter ist es genauso. Die Natur lehnt sich gegen alles Schlechte auf der Welt auf, gegen alle bösen Menschen, die ihr mit Absicht schaden. Sie will sich wehren und entsendet ein Gewitter. Aber allen Menschen, die wie du reinen Herzens sind, soll es bloß Energie geben, mit seinen hellen Blitzen! Die Pflanzen bekommen durch den Regen Wasser, die Flüsse und Seen füllen sich und der Wind singt ein Lied für die Tiere. Ein Gewitter ist nicht böse, die Blitze werden dich nicht treffen und der Wind wird dich nicht wegwehen. Denn ich werde dich beschützen, dein Bruder und die anderen ebenfalls. Also hab keine Angst, kleiner Seehund!"

Lennox strich Enya sanft durch die Haare. Alle hatten Lennox aufmerksam gelauscht und Enya weinte nicht mehr. Auch das Zittern hatte scheinbar aufgehört, wie Lennox erleichtert bemerkte.

Mark lehnte sich an ihn und lächelte ihn dankbar an.

Auf einmal ging ein weiterer Ruck durch das Zelt.

„Auch wenn das Gewitter nicht unsere Existenz auslöscht, wäre es von Vorteil, wenn der Wind das Zelt nicht wegweht und wir im Regen stehen, besonders, wenn man bedenkt, wie Ninja auf das Wasser reagiert.", sagte Luke.

„Du hast recht, Brüderchen, wir müssen irgendetwas tun!", stimmte Luna zu.

Plötzlich ging die Zeltplane auf und der Wind kam in ihr Lager, zusammen mit einer Menge Wasser. Bevor Lennox reagieren konnte, wurde er bereits von Ryan von der Öffnung weggeschubst, sodass der Anführer das kalte Nass abbekam. Ryan packte die Plane und zog sie wieder nach unten, wo er sie mit Hilfe einiger Haken und Seile wieder befestigte. Allerdings war er nun voller Wasser und auch wenn Ryan von ihnen am wärmsten gewesen war, würde das jetzt sicher nicht mehr der Fall sein.

„Scheiße!", fluchte Ryan, nachdem alles wieder gesichert war.

Das Zelt bewegte sich immernoch bedrohlich.

„Ich gehe raus und verstärke die Befestigung! Wir müssten hier noch Seile haben, die ich letztens aus dem Sportgeschäft geklaut habe."

Ryan begann unter den Decken zu suchen, bis er fand, was er suchte.

„Du kannst doch jetzt nicht da raus, du bist ja jetzt schon nass!", widersprach Kai.

„Eben, ich bin sowieso schon voller Wasser und halte außerdem am meisten Kälte aus, also muss ich es tun, ihr zittert ja jetzt schon und Lennox kann nicht in den Regen!", stellte Ryan klar.

„Beeil dich, Ryan!", schaltete sich auch Noah ein.

Lennox ballte die Hände zu Fäusten und stieß einen frustrierten Laut aus, worauf Mark ihn mitleidig anblickte, was Lennox nur noch wütender machte, auch wenn er die Geste zu schätzen wusste. Es war einfach furchtbar, so hilflos zu sein!

„Hey, du hast schon Enya den Großteil ihrer Angst genommen, das schaffe sonst nicht einmal ich, also sei nicht wütend, weil du ihm nicht helfen kannst. Du tust schon so viel, Lennox, lass uns auch mal etwas für dich tun! Okay, naja, also lass ihn auch mal etwas für dich tun, immerhin verbietet der Mistkerl uns schon wieder, mitzukommen!", sagte Mark, wobei er beim letzten Satz einen vorwurfsvollen Blick zu Ryan warf.

Lennox' Fäuste lockerten sich, doch ihm war trotzdem nicht wohl bei der Sache, was Ryan zu bemerken schien.

„Mark hat Recht! Ich bin in ein paar Minuten wieder zurück.", verkündete er, bevor er die Befestigung vom Eingang wieder löste und die Pläne festhielt.

„Irgendjemand muss sie halten!", rief er über das Lied des Windes hinweg.

Kai und Noah nickten und krochen zum Ausgang. Dann schlüpfte Ryan hinaus in den Sturm.

Man hörte den Donner und Regen, an dem stetigen Fluchen von Ryan erkannte man, dass er es draußen wohl nicht grade leicht hatte. Lennox Sorge nahm zu, obwohl er seinen Freund durchgängig schimpfen hörte. Doch selbst im Zelt wäre es ohne die vielen gestohlenen Decken eiskalt und er wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie es draußen sein musste.

Auch wenn es der völlig falsche Zeitpunkt war, verspürte Lennox zugleich Sehnsucht nach dem Wasser. Es drängte ihn danach, einfach in den Regen zu treten und ihn über seine Haut rinnen zu lassen. Allerdings kannte er die Konsequenzen und zwang sich dazu, die Sehnsucht zu ignorieren und sich auf Ryan zu konzentrieren. Auch wenn es noch nicht abends war, war alles durch Gewitter und Sturm in Dunkelheit gehüllt, sodass die anderen Ryan durch den Regen nicht sehen konnten, als sie zwischenzeitlich immer mal wieder ihre Köpfe nach draußen streckten, sie jedoch sehr schneller wieder zurückzogen, damit sie nicht ganz nass wurden. Und Ryan musste durch die eingeschränkte Sicht sicher auch Schwierigkeiten beim Sichern des Zeltes haben!

Lennox konnte unmöglich noch länger tatenlos rumsitzen, in die hinterste Ecke gedrängt und ja nicht nass zu werden. Er hörte mittlerweile Ryan nicht mehr, der Wind war scheinbar noch lauter geworden und hatte sofort den Drang, zu ihm zu gehen um zu helfen.

Ohne lange darüber nachzudenken, kroch Lennox zum Eingang, allerdings kannten ihn seine Freunde mittlerweile gut genug, um sich auf ihn zu werfen. Nur Kai hielt weiter die Plane fest.

„Was soll das werden?", schrie Luke über den Wind hinweg.

„Wo bleibt er?", schrie Lennox zurück und stieß ihn von sich runter.

Großen Vorteil hatte er dadurch aber nicht, den Noah und Mark zerrten ihn vom Eingang weg.

„Bist du verrückt? Du hast uns vorhin noch erzählt, wie mies du von kaltem Wasser krank wirst und jetzt willst du einfach in den Regen? Ryan ist eh schon arschkalt und muss kämpfen, wenn du dich auch noch in Gefahr bringst und dann wieder krank hier rumliegst, hilft das niemandem!", rief Noah.

Als Lennox sich dennoch wehrte, verdrehten die beiden ihm die Arme auf den Rücken, so weit, dass sie bei jeder noch so kleinen Bewegung schmerzten. Außerdem setzte Noah sich allen Ernstes auf ihn drauf, so dass Lennox kaum eine Chance hatte, sich zu befreien, ohne sie zu verletzen und ohne das Zelt dabei umzureißen.

Als er grade etwas erwidern wollte, öffnete sich auf einmal die Plane, welche den Eingang darstellte und Ryan kroch, oder vielmehr fiel hinein. Er landete auf den Decken, von oben bis unten nass und vor Kälte zitternd. Allerdings kam er eine Sekunde später bereits wieder auf die Knie. Ein erleichtertes Seufzen ging durch die Gruppe und auch Lennox konnte es nicht unterdrücken. Kai befestigte die Plane wieder vernünftig und reichte Ryan dann trockene Kleidung. Erst war Lennox erstaunt, doch dann wurde ihm bewusst, dass es logisch war, dass die anderen irgendwann Kleidung gestohlen hatten, immerhin brauchten sie irgendetwas, um sich draußen warmzuhalten. Als Ryan sich aus den nassen Sachen geschält und die Trockenen angezogen hatte, legten Luna und Enya einige Decken um seinen Körper, um ihn zu wärmen. Ryan bedankte sich mit bebender Stimme, dann fiel sein Blick auf Lennox und Noah, der immernoch auf ihm saß, sowie zu Mark, der schmerzhaft Lennox' Arme umklammert hielt. Dann sagte er in strengem Tonfall:

„Wer von euch will mir das hier erklären? Lennox?"

Ryans Stimme schwankte etwas, doch das schwächte nicht seinen durchdringenden Blick. Bevor einer von ihnen antworten konnte, schüttelte Ryan lachend den Kopf.

„Du bist wirklich unfassbar!"

Lennox schnaubte und wagte einen erneuten Befreiungsversuch, allerdings war Noah zu schwer und der Griff von Mark zu schmerzhaft, als dass es funktioniert hätte. Stattdessen musste er schmerzerfüllt stöhnen. Dennoch fluchte er:

„Wieso bist du bitteschön so schwer, Noah?!"

„Hey, ich bin doch nicht schwer!", wehrte sich Noah empört.

„Allerdings kann ich mich schwer machen, wenn du eh schon denkst, ich wäre fett!", fuhr er gespielt beleidigt vor.

Lennox spürte, wie sich das Gewicht von ihm entfernte, als Noah aufstand und war kurz erleichtert, bevor dessen Worte vollständig zu ihm durchdrangen. Allerdings war es bereits zu spät, denn Noah ließ sich mit voller Wucht auf ihn fallen, sodass Lennox - schon wieder - stöhnte.

„Verfluchter Bastard!", stieß er keuchend hervor und Noah kicherte.

Auch die anderen konnten sich nicht zurückhalten. Dann ging Noah von Lennox runter und auch Mark ließ ihn los. Ryan hatte mittlerweile seine lockigen Haare mit einer Decke trockengerubbelt. Trotzdem sah Lennox, dass er eine Gänsehaut hatte und als er ihn berührte, war Ryans Haut eiskalt, sodass Lennox zischend die Luft einzog. Das machte auch die anderen aufmerksam und sie drängten sich alle dicht aneinander. Sie breiteten die Decken über sich aus und schmiegten sich eng an Ryan, dessen Zittern schwächer wurde. Er lächelte, als er wieder wärmer wurde. Lennox grinste ebenfalls. Sie alle waren erschöpft und als Lennox die Augen schloss und vorher noch die anderen dabei beobachtete, wie sie sie ebenfalls schlossen, sank er in einen zur Abwechslung ruhigen und entspannten Schlaf.

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New chapter! Hoffe ihr findet's gut😁! Mögt ihr eigentlich auch Gewitter, oder seid ihr mehr wie Enya?

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