Zusatzkapitel
Aprils Entführung aus Adams Sicht
„Meine Güte Adam, steh auf, geh nach draußen und klär das mit ihr", stöhnte Patrick, der mir gegenübersaß. Ich hatte die Ellenbogen auf dem Schreibtisch aufgestützt und seufzte. Wir saßen schon gute anderthalb Stunden in meinem Büro und hatten noch rein gar nichts Berufliches miteinander besprochen.
„Ich habe gestern vollkommen überreagiert, aber wir hatten vorgestern schon diese Diskussion und ich bekam Panik", erklärte ich kopfschüttelnd.
„April versteht das. Als ich vorhin an ihr vorbeigegangen bin, schien sie auch nicht gerade der Sonnenschein in Person zu sein." Ich schaute auf und blickte meinen langjährigen Freund eine Weile schweigend an. April ging es nicht gut und das meinetwegen. Jetzt fühlte ich mich noch mieser.
„Du hast Recht, ich sollte mit ihr reden." Ich stand auf und Patrick nickte mir zustimmend zu. Mit wenigen Schritten war ich bei der Bürotür, öffnete sie und blickte nach links zu Aprils Schreibtisch. Er war leer. Ihre Tasche stand neben dem Drehstuhl, ihr Computer war eingeschaltet. Ich ging in die Küche und traf dort wider Erwartung niemanden an. Erneut seufzend, drehte ich mich um und ging aus der Küche heraus.
„Adam wir müssen reden." Ich drehte mich zu der Stimme und blickte in Williams Gesicht.
„William kann das nicht warten?", fragte ich den Vater meines Neffen. „Nebenbei bemerkt, wie bist du hier reingekommen?"
„Die Tiefgarage. Man kommt rein, wenn man will, wie verrate ich jetzt lieber aber nicht", sagte der Mann und schüttelte grinsend den Kopf. Da April nicht auf der Etage zu sein schien, nickte ich ergeben. Dann würde das mit ihr warten müssen. Außerdem schien William in einer guten Verfassung. Er hatte sich vor ein paar Wochen zu einem Entzug entschieden. Er wollte es aber allein schaffen und nicht meine Hilfe annehmen. Daher hatte ich ihn lange Zeit nicht mehr gesehen. Aber vielleicht würde er doch wieder ein richtiger Vater für Nick sein können.
„Natürlich, aber fass dich kurz, ich warte auf April."
„Warum?", fragte William verdutzt.
„Warum sollte ich nicht auf sie warten? Sie ist meine Angestellte und falls es dich noch nicht erreicht hat, sie ist auch meine Freundin", sagte ich erschöpft, während ich vorging, um mit William in mein Büro zu gehen.
„Sicher, aber warum wartest du auf sie, wenn sie mit diesem Typen weggefahren ist?"
Ruckartig drehte ich mich um. „Was?", schrie ich.
„Sie kam mir eben entgegen, als ich zu dir wollte. Unten in der Tiefgarage", erklärte William. Er schien vollkommen irritiert von meiner heftigen Reaktion.
„Mit wem?", fragte ich und trat näher zu William. Patrick kam raus und stellte sich neben mich. „Sie ist weg?" William nickte verwirrt.
„Das habe ich doch eben gesagt."
„Verflucht!" Ich drehte mich um und schlug mit der Faust gegen die Wand. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Wer zum Himmel hatte sie abholt?
„Mach mal halblang. Wir wissen doch gar nicht, mit wem sie weg ist." Geistesgegenwärtig ging Patrick zu Aprils Schreibtisch und fand den Zettel darauf.
„Sie ist bei Timothy, steht hier", sagte Patrick und hielt den Zettel in meine Richtung. Ich ging zu ihm herüber. Etwas stimmte nicht. Nachdem ich mehrmals den Zettel gelesen hatte, blickte ich zu William.
„Es war ganz sicher April?" William nickte als Antwort. Patrick tippte auf seinem Handy herum und drehte es dann zu William. „Mit diesem jungen Mann?", fragte er. Auch er schien misstrauisch geworden zu sein. Wir sahen uns an und verstanden uns auch ohne Worte. Ihm gefiel das gerade auch nicht. Etwas stimmte nicht. April hätte sich gemeldet, wenn sie gegangen wäre, vor allem, da ihre Handtasche noch an ihrem Arbeitsplatz stand.
„Nein. Der Typ war älter. Er hatte eine schiefe Nase und rotbraune Haare, glaub ich."
Die Welt blieb stehen. Für mich setze die Welt für einen kurzen Moment aus. Ich merkte gar nicht, dass Patrick William ein Foto von Robert zeigte und dieser ihn auf dem Bild wiedererkannte. Als die Information schlussendlich doch zu mir durchsickerte, taumelte ich kurzatmig zu Aprils Schreibtisch und ließ mich in ihren Stuhl fallen. Ich griff nach ihrer Handtasche und drückte sie an mich. Einfach nur, um etwas in der Hand zu halten, was ihr gehörte. April war bei Robert.
Mister Black? Warten Sie darauf, dass ich Ihnen schöne Augen mache?
Ich ließ den Kopf nach vorne Kippen und blickte auf Aprils schwarze Handtasche. Ein roter Briefumschlag erregte meine Aufmerksamkeit. Ich zog ihn aus der Tasche und las meinen eigenen Namen. Ich drehte den Umschlag langsam um und machte ihn auf. Ein Schreiben war darin und ich zog es raus, um es zu lesen. Als ich es genauer betrachtete erkannte ich, dass es eine Reisebuchung für einen Kurztrip in die Berge war. April hatte vorgehabt mit mir Silvester dort zu verbringen. Sie hatte die Reise heute Vormittag gebucht, laut dem Stempel, der unten rechts in der Ecke war. Heute Vormittag. Trotz unseres Streits hatte April die Reise gebucht. Sie hatte unsere Beziehung also wirklich noch lange nicht aufgegeben. Ich legte die Buchungsbestätigung auf den Schreibtisch und vergrub das Gesicht in meinen Händen.
Sie haben eben ausgedrückt, dass er ein Feigling ist. Und ich kann dem beim besten Willen nicht zustimmen. Er wäre nicht da, wo er heute ist, wenn er ein Feigling wäre.
„Adam!" Patricks Stimme riss mich wieder aus meiner Starre. Ich blicke auf. Patrick nahm mir grob die Handtasche aus der Hand, schmiss sie auf den Schreibtisch und zog mich vom Stuhl hoch. „Los komm die Security hat Timothys Büro gestürmt!"
„Was meinst du? Wieso sein Büro gestürmt?" Ich hing mit meinen Gedanken noch bei dem Weihnachtsgeschenk von April. Dass es ein Weihnachtsgeschenk war, hatte ich an dem Weihnachtsbaum auf dem Umschlag erkannt.
„Robert hat Timothy wohl benutzt, um an April ran zu kommen. Der Krankenwagen ist auf dem Weg."
„Krankenwagen?" Ich verspannte mich sofort und umfasste den Oberarm meines Freundes fest.
Wow sie eröffnen mir, dass Sie mich einstellen wollen und reden im gleichen Atemzug von Kündigung?
„Reiß dich verdammt nochmal zusammen! Deine Freundin wurde von einem Psychopaten entführt, der Timothy niedergeschlagen und schwer verletzt hat und bereit ist sie zu töten! April kann es jetzt nicht gebrauchen, wenn du durchdrehst, hast du verstanden?"
„April. Nein bitte nicht." Meine Gedanken klärten sich etwas. „Pat wir müssen sie finden."
„Sag ich doch, los komm jetzt!"
Wir rannten die Treppen zu der Etage der IT herunter. Es zeigte sich wieder, dass Patrick einer der besten Freunde war, die ich haben konnte, weil er den kühlen Kopf besaß, während ich mich von meinen Gefühlen leiten ließ. Normalerweise tat ich das nie. Es sei denn, es ging um Menschen, die ich liebte. Und April war die Frau, die ich mehr liebte als alle anderen Menschen auf der Welt. Sie zu verlieren, wäre mein Untergang. Der Gedanke, dass jemand ihr wehtun könnte, bereitete mir selber seelische und körperliche Schmerzen. Es fiel mir schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Ich war froh, dass Pat wusste, was zu tun war. Im Moment war ich einfach nur unfähig.
Ich hatte Recht. Weder Kleider noch Büroausstattung machen Leute.
Wir kamen kurz darauf unten an und stürmten gleich weiter in das Büro. Was sonst gerade in meiner Firma passierte, interessierte mich nicht im Geringsten. Auch William hatte ich aus meinen Gedanken geschmissen. Er konnte warten. Alles was zählte, war April zu finden. Sofort. Ich würde Robert töten, wenn ich ihn gefunden hatte. Robert würde den nächsten Tag nicht erleben. Definitiv nicht. Als wir in das Büro kamen, hockten zwei Security Männer über einem bewusstlosen Timothy. Ein stämmiger Mann wurde von zwei anderen festgehalten. Ich machte einen Schritt auf diesen Mann zu, aber Patrick packte mich am Arm.
„Lass sie das machen. Du bist gerade unberechenbar und wenn er falsche Antworten gibt, ist er tot noch bevor er dir die richtigen geben kann."
Ich atmete heftig. Nicht wegen des Sprints, den wir hingelegt hatten, sondern weil das Adrenalin durch meinen Körper strömte. Meine Frau wurde entführt. Wir mussten sie finden. Wir mussten April da rausholen.
Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast.
Ein dreckiges Lachen holte mich wieder aus meinen Gedanken um April. „Es spielt keine Rolle, ob ich euch sage, wo sie sind. Die kleine Schlampe ist wahrscheinlich eh schon tot."
„Du verdammter-"
„Adam!" Mehrere Arme hielten mich zurück, damit ich nicht auf den Mann, der mit einer Kopfverletzung, die ihm eindeutig meine Männer zugefügt hatten, losgehen konnte.
„Wo sind sie? Ich schwöre dir, wenn ihr irgendwas passiert, wirst auch du darunter leiden!", schrie ich. Patrick zog mich in eine Ecke des Raumes und drückte mich gegen die Wand. Er war auch außer Atem, ob wegen des Rennens, oder weil er mich in Schach halten musste, konnte ich nicht genau sagen.
„Lass sie das machen. Sie kriegen das hin. Das weißt du", versuchte Patrick mich zu beruhigen.
„Was, wenn es schon zu spät ist?", fragte ich leise. Ich hatte Angst vor der Antwort. Eigentlich wollte ich die Frage gar nicht stellen, aber sie war raus, noch bevor ich es realisiert hatte.
Okay ich lasse dir dieses Höhlenmenschgetue jetzt mal für den Moment durchgehen, aber wenn das zur Gewohnheit werden soll, such dir ne neue Assistentin.
„April ist stark. Es wird nicht zu spät sein. Du weißt, was sie alles durchgemacht hat. Sie wird auch noch einen weiteren Olsen überleben." Patricks Stimme verriet, dass auch er nicht wirklich an seine Worte glaubte, doch er hatte Recht. April war eine starke Frau, sie konnte es schaffen. Wenn nicht sie, wer dann? Sie musste es einfach schaffen, denn ich konnte ohne sie nicht mehr leben. Ich hatte nie geglaubt, dass ich einen Menschen treffen würde, der mir einmal so viel bedeuten würde, und dass ich diesem Menschen auch unglaublich wichtig war. Doch ich hatte es verstanden. Ich hatte endlich verstanden, dass April mich voll und ganz liebte, dass sie nur mich sah und keinen anderen. Wir durften nicht so auseinandergehen. Nicht im Streit, den wir nicht klären konnten. Verflucht, wir durften gar nicht auseinandergehen.
„Das Industriegebiet." Ich vernahm diese zwei Wörter und löste mich von Patrick. Wir konnten April finden. Wir könnten April vielleicht doch noch helfen. Wir mussten einfach. Völlig überfordert von der ganzen Situation schaute ich zu Patrick. Mein Freund erkannte den hilfesuchenden Blick sofort. Er griff nach meinem Handgelenk und zog mich aus dem Büro. „Machen wir uns auf den Weg. Ich trommle unterwegs ein paar Männer zusammen." Draußen standen ein paar Mitarbeiter, aber wir beachteten sie nicht weiter. Hinter und vor mir gingen ein paar Security Männer, welche uns begleiteten. Wann sie zu uns gestoßen waren, konnte ich nicht genau sagen. Alles was ich sah, war Aprils Gesicht. Lächelnd. Ernst. Vertieft. Tränenüberströmt. Scheinbar hatten wir eine genauere Beschreibung von dem Mann erhalten, da wir kurz, nachdem wir im Auto saßen, mit quietschenden Reifen aus der Tiefgarage fuhren und das Navi uns zu einem bestimmten Ort leitete.
Zweifle an der Welt, an den fremden Menschen, zweifle an mir, aber niemals an deinen Freunden. Sie kennen dich und du kennst sie.
Die Fahrt dauerte zu lange. Vielleicht waren wir erst zwei Minuten unterwegs, aber mir kam es vor, als säßen wir schon zwei Stunden in dem Wagen. Ich wollte April nur noch in den Arm nehmen. Sie festhalten. Ihr noch einmal sagen, was sie mir bedeutete und dass ich gestern vollkommen falsch reagiert hatte. Dass ich meinen Fehler verstand. Sollte Robert mir die Möglichkeit verwehren... Nein so durfte ich nicht denken. Ich würde wieder in Aprils schöne blaugrünen Augen schauen, ihr Lächeln sehen. Es durfte einfach nicht anders sein.
Das Auto bog scharf nach links ab und aus dem Augenwinkel sah ich, wie andere Autos bremsten, damit wir vorbeifahren konnten. Scheinbar achtete der Fahrer gerade nicht auf Limit Beschränkungen und Ampeln.
„Adam, hey sie packt das." Patrick legte seine Hand auf meine Schulter und drückte leicht zu. Ich nickte nur als Antwort. Ich hatte keine Kraft mehr, denn, auch wenn ich mir versuchte einzureden, dass April eine starke Frau war, so wusste ich doch auch, dass sie schon viel zu viel mitgemacht hatte. Wer sagte, dass sie noch einmal kämpfen wollen würde. Ich könnte es verstehen, wenn sie es nicht wollte. Ich würde es nicht akzeptieren, aber ich würde sie verstehen. Irgendwann. Vielleicht.
Das Auto kam ruckartig zum Stehen und alle sprangen aus dem Auto. Ich tat es den anderen mechanisch nach und versuchte die Umgebung aufzunehmen. Leerstehende Produktionshallen, die alle schon mehrere Jahre verlassen waren und daher auch vollkommen verfallen waren. Ein Klischee, dachte ich verbittert, aber scheinbar ein zutreffendes.
Verzeih mir. Ich habe dir den Abend verdorben. Das wird nicht wieder vorkommen. Aber es war schön, für einen kurzen Moment geträumt zu haben.
Meine Security Männer stürmten gezielt in eine Richtung. Alle bewaffnet und leise. Patrick hielt mich hinter den Männern, da ich verstanden hatte, dass wir gleich bei Robert und April sein würden. Ich würde blindlinks hineinlaufen, um April da rauszuholen. Es war gut, dass Patrick mich so in Schach halten konnte. Alles andere würde keinem helfen. Wir gingen durch eine große Lagerhalle. Das Glas der zerbrochenen Fenster knirschte unter unseren Schuhen, auch wenn wir versuchten so leise wie möglich zu sein. Irgendwann kamen wir an eine Tür. Woher meine Leute wussten, dass es genau hier war, wusste ich nicht. Vielleicht hatte der Mann wirklich sehr genau beschrieben, wo sich Robert versteckte. Es gab viele Möglichkeiten, aber es war mir letzten Endes auch egal. Ich wollte nur April wieder in meinen Armen halten.
Einer der Security Männer öffnete die unverschlossene Tür. Kurz danach kam es zum Gerangel und leise wurde ein Mann überwältigt. Ich beachtete den Mann nicht weiter und folgte mit Patrick meinen Mitarbeitern.
Ein greller Schrei hallte durch den Gang. April! Wir stürmten los. Gerade, als wir an einer Tür ankamen, schrie April erneut. Nein bitte nicht! Bitte nicht. Ohne zu zögern, brachen wir die Tür auf. Ich konnte zwischen zwei Männern hindurchsehen und sah Robert, wie er gerade mit einer Schere ausholte und April erstechen wollte. Ein lauter Knall hallte durch den Raum und Robert brach kurz darauf zusammen. Doch das Bild, was er darauf auf April freigab, war schockierender, als alles, was ich je in seinem Leben sehen musste. Ich hörte noch ein letztes Schluchzen von April ehe sie zusammensackte und nur noch von den Fesseln, die an der Decke befestigt waren, festgehalten wurde. Ich hatte sie verloren.
Zwei Männer stürmten zu Robert, andere machten sich daran Aprils Fesseln zu lösen. Wie in Zeitlupe ging ich zu April und kniete mich neben sie. Ihr ganzer Körper war voller Schnitte. Aus zwei tiefen Stichwunden lief dunkles Blut heraus. Ich zog mein Jackett aus und drückte es auf Aprils Wunde. Ich sah, wie auch Patrick sein Jackett auf Aprils andere Wunde drückte. Alles um mich verschwamm. Die Geräusche verstummten, die Farben verblassten. Alles, was ich sah, war Aprils Körper vor mir und von Minute zu Minute wurde er kälter. Ich hatte sie verloren. Vorsichtig ergriff ich ihre Hand und küsste ihre geschundene Hand. Ich hatte sie verloren.
Ich liebe dich, wie ich keinen anderen Mann je geliebt habe. Bei dir fühle ich mich geborgen, behütet, sicher und vor allem zuhause.
Süßholzraspler. Aber ich liebe es, wie du Süßholz raspelst.
Ich bin hier. Mir geht es gut.
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