Kapitel 33

Es ist seltsam, dass das Schicksal manchmal echt mies sein konnte. Im Grunde galt der Spruch 'Es kann nicht mehr schlimmer werden' nicht für mich. Denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass genau das Gegenteil bei mir eintrat.

Nach der Auseinandersetzung gestern mit Adam oder was das auch immer gewesen war, kamen wir nicht mehr dazu, sie zu klären. Adam musste kurzfristig länger im Büro bleiben und ich hatte schon geschlafen, als er nach Hause kam. Natürlich hatte ich gemerkt, wie er sich irgendwann neben mich gelegt und einen Arm um meine Taille gelegt hatte. Aber ich war zu müde gewesen, um über irgendwas reden zu können.

Am nächsten Morgen wollten wir beide das nicht zwischen Tür und Angel klären. Genauso seltsam war es, zu versuchen, nicht verrückt zu werden, da Robert immer präsenter in meinem Kopf wurde und ich mir gleichzeitig banale Gedanken machte, wie beispielsweise das Weihnachtsgeschenk für Adam aussehen könnte. Eine wirklich vollkommen triviale Sache, wenn man bedachte, dass Robert noch immer etwas plante. Dennoch wollte ich Adam eine kleine Freude machen. Konflikt hin oder her. Für Nick und Doreen, selbst für Adams Eltern hatte ich letzte Woche jeweils schon etwas besorgt, aber für Adam fehlten mir einfache die Ideen. Ich versuchte mir gerade eben diese Ideen im Internet zu suchen, als mein Bürotelefon klingelte

„Blacktronic Coop. April Young am Apparat, was kann ich für Sie tun?"

„April, hier ist Hugh." Perplex schaute ich den Hörer meines Telefons an. Hatte ich mich eben verhört?

„April?", erklang Hughs tiefe Stimme aus dem kleinen technischen Wunder. „Hugh?", fragte ich zögernd, als ich den Hörer wieder an mein Ohr gehalten hatte.

„Ich habe ein paar Fragen zu dem Prozess", kam er sofort zur Sache.

„Sicher, was möchtest du denn wissen?"

„Nicht über das Telefon. Kannst du in deiner Mittagspause in meine Kanzlei kommen?" Das war Hugh. Keine Erklärungen, warum wieso weshalb. Wenn dieser Mann nicht direkt war, dann sollte man die Definition von diesem Wort noch einmal überdenken.

„Natürlich. Ich habe in 20 Minuten Pause. Dann komme ich vorbei."

„Ich sende dir die Adresse." Damit legte er auf. Stirnrunzelnd sah ich kurz zum Hörer und legte ihn schließlich wieder zurück.

Hugh musste ich nicht verstehen. Ich hatte mich schon ein paar Mal gefragt, warum Hugh so verschlossen war. Es war nicht die gleiche Verschlossenheit wie bei Adam, die er Fremden gegenüber ausstrahlte. Hugh war auch in Anwesenheit seiner Freunde sehr verschlossen. Und genau das verwunderte mich so. Wenn er nicht mal vor seinen Freunden offen sein konnte, zu wem war er es dann? Mit wem redete Hugh, wenn er sich Gedanken um etwas machte?

Um zwölf Uhr machte ich schließlich Pause und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten. Ich versuchte Adam anzurufen, weil er auf einem Außentermin war, aber er ging nicht an sein Handy. Als ich vor dem Blacktower stand, hielt ich ein Taxi an und fuhr zu der Adresse, die Hugh mir geschickt hatte.

Das Taxi hielt nach 15 Minuten vor einem Haus, das ganz klar neu war, aber im altmodischen Stil gebaut wurde. Das Haus hatte eine helle Fassade. Über der Tür und zwischen einzelnen Fenstern gab es verschnörkelte Verzierungen. Es passte gar nicht in den Bezirk von San Francisco, aber das machte das Haus so einmalig. Nachdem ich den Taxifahrer bezahlt hatte, stieg ich aus und betrat das Haus. Rechts befand sich ein metallenes Schild, das zeigte in welchem Stockwerk, welche Firma zu finden war. „Hugh Martins, Etage 10", murmelte ich leise. Ganz oben also. Ich stieg in den verspiegelten Fahrstuhl und fuhr nach oben. Bis eben hatte ich seinen Nachnamen gar nicht gekannt, stellte ich überrascht fest. Bevor ich aber noch länger darüber nachdenken konnte, gingen die Fahrstuhltüren auf und ich blickte in einen weitläufigen Eingangsbereich. Eine Glastür war zwei Meter von dem Fahrstuhl entfernt. Links hinter der Tür saß ein junger Mann und arbeitete an seinem Computer. Ich stieg aus und kurz darauf hob er blonde Mann den Kopf. Er drückte auf einen Knopf und die Glastür öffnete sich. So hätte ich mir Hughs Kanzlei irgendwie nicht vorgestellt.

„Guten Tag. Sie müssen Miss Young sein. Mister Martins ist in seinem Büro. Ich soll sie einfach durchwinken." Der junge Mitarbeiter schien auch kein Freund von vielen Worten zu sein und deutete auf eine Tür auf der linken Seite. Ich bedankte mich bei ihm und ging zu Hughs Büro. Nachdem ich einmal tief durchgeatmet hatte, klopfte ich an. Ich war mit Hugh noch nie so wirklich allein gewesen. Die anderen Männer waren damals, als ich mit Hugh am Fahrstuhl geredet hatte, in der Nähe gewesen. So ganz allein waren wir noch nie gewesen und das machte mich irgendwie nervös.

„Herein", erklang eine gedämpfte Stimme. Ich öffnete die Tür und trat in das Büro. Hinter dem Schreibtisch, an dem Hugh saß und sich gerade etwas durchlas, befand sich eine Fensterfront, ähnlich der im Blacktower. Man schaute auf einen großen Innenhof und über einige Dächer hinweg. Wurde das Haus an der vorderen Seite im traditionellen Design gehalten, so war es zu der anderen Seite heraus sehr modern. Hughs Schreibtisch war groß und aus dunklem schweren Holz. Links und rechts befanden sich Schränke voll mit Ordnern und dicken Büchern, in denen wahrscheinlich haufenweise Paragraphen und Gerichtsurteile standen. Ein dunkelblauer Teppich passte zu den Vorhängen in einem ähnlichen Farbton. Außerdem verzierte Stuck den oberen Wandrand. Hugh blickte von seinen Unterlagen auf, sortierte sie und legte sie zur Seite

„Setz dich", sagte er und ich setzte mich schweigend auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

„Was genau wolltest du denn wissen?", fragte ich, weil ich wusste, dass Hugh keinen Smalltalk führen wollte.

„Wie viele Anwälte hatte Olsen insgesamt?", fragte Hugh. Ich runzelte die Stirn. „Einen einzigen. Es war immer wieder derselbe, aber ich kann mich an seinen Namen nicht mehr erinnern." Hugh nickte.

„Ich habe den Namen, aber es wundert mich, dass Olsen nur einen Anwalt genommen hat und dann auch eher einen mittelklassigen."

„Ich weiß nicht, warum er was getan hat. Die Olsens sind rückblickend betrachtet die Menschen, die ich am wenigsten verstehe."

„Ich habe mich mit dem Anwalt in Verbindung gesetzt." Ich riss die Augen auf. Ich musste nicht nachfragen, weil ich wusste, dass Hugh gleich weiterreden würde. „Er ist dieses Mal nicht darüber informiert, dass es einen neuen Prozess geben soll."

„Also hat Robert einen anderen Anwalt ins Boot geholt", schlussfolgerte ich.

„Hier kommt die Sache, die ich noch nicht beantworten kann. Der Anwalt ist noch immer sein Berater und fechtet gerade einen kleineren Papierkrieg mit einem anderen Unternehmen aus."

„Aber warum hat Robert dann einen anderen Anwalt für die Sache mit mir genommen?"

„Soweit ich herausfinden konnte, gibt es keinen anderen Anwalt, der ihm im Prozess beistehen soll." Wieder runzelte ich die Stirn.

„Warte, warte. Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, arbeitet der alte Anwalt noch für Robert. Aber er bezieht ihn nicht in den Prozess mit ein. Und auch keinen anderen Anwalt. Was macht Robert dann?" Spätestens jetzt war ich vollends verwirrt.

Hugh lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. Er trug einen dunklen Anzug. Selbst das Jackett hatte er noch an. „Du verstehst es also auch nicht. Ich dachte, dass du wüsstest, was Olsen damit bezwecken will."

„Nein, tut mir leid. Aber kann er denn ohne einen Anwalt einen Prozess starten?"

„Dann wäre er noch dümmer, als ich dachte. Er weiß, dass ich dich verteidige. Und er weiß, dass ich gut bin. Ich würde ihn in der Luft zerfetzen. Ein Problem habe ich damit natürlich nicht."

Ich schüttelte den Kopf, wahrscheinlich schon zum hundertsten Mal in der letzten viertel Stunde. „Robert ist nicht dumm. So wie er aussah, plante er irgendwas."

„Kannst du dich noch an seine genauen Worte erinnern?", fragte Hugh und beugte sich vor.

Ich blickte auf meine Finger und schüttelte beschämt den Kopf. „Nein", sagte ich leise.

Hugh seufzte nur, aber ich sah ihn nicken. „Schon okay. Vielleicht hat er begriffen, dass er mit dem, was er vorhat, nicht durchkommen würde und hat es sein lassen", mutmaßte Hugh während er an die Wand hinter mir starrte. Wirklich überzeugt klang er jedoch nicht.

„Gut, dann machen wir erstmal an einem anderen Punkt weiter", erklärte Hugh und die nächste Dreiviertelstunde beantwortete ich sehr viele Fragen über den vergangenen Prozess so gut ich konnte. Dass ich meine Pause vollkommen überzog, war mir bewusst, aber Adam würde das sicherlich verstehen.

Als wir fertig mit dem Gespräch waren, stand Hugh auf. „Ich komme gleich mit runter, weil ich zu meinem Termin muss." Ich nickte und wir verließen, ohne weiter miteinander zu reden seine Kanzlei.

„Gehört die Kanzlei nur dir allein?" Hugh nickte. „Im Juni werde ich aber eine Partnerschaft eingehen. Dann werden wir zu Dritt sein", erklärte er und tippte auf seinem Handy herum. Ich nickte nur, um ihm zu zeigen, dass ich verstanden hatte.

„Weißt du, was ich Adam zu Weihnachten schenken könnte?", fragte ich Hugh. Die Frage war mir durch den Kopf geschossen und ehe ich mich versah, hatte ich sie ausgesprochen. Ich hatte eigentlich vorgehabt, Doreen zu fragen, aber mir gefiel der Gedanke, dass Hugh eine Idee haben könnte. Hugh war ein Mensch, der mehr die Umgebung betrachtete und so Dinge sah, die andere nicht sehen konnten oder wollten.

Hugh blickte mich an. Wenn ich richtig hingesehen hatte, hatte ich sogar etwas wie Erstaunen in seinen Augen gesehen. Seine Mimik hatte sich natürlich nicht verändert. „Du bist sein Geschenk", sagte Hugh und sah mich an. „Das klingt falsch." Ich rümpfte die Nase und versuchte das Kopfkino in meinem Kopf abzustellen.

„Nicht so." Er schüttelte den Kopf. Der Fahrstuhl hielt unten und wir stiegen aus. „Adam mag es, Zeit mit dir zu verbringen."

„Ein Kurztrip für ihn und mich? Aber ich kann mir nicht dieses Luxusleben leisten."

„Du weißt, dass Adam darauf nichts gibt. Er wäre mit einer Holzhütte und dir zufrieden." Wir verließen das Haus und bogen nach links ab. Warum ich Hugh weiter hinterherlief, wusste ich nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass dieses Gespräch noch nicht abgeschlossen war. Das war bei Hugh aber auch wieder so eine Sache.

„Da hinten ist ein Reiseunternehmen. Die bieten das an, was euch beiden guttun würde."

„Danke Hugh", sagte ich und lächelte ihn an. Hugh blieb Hugh und nickte einfach nur.

„Wir sehen uns", verabschiedete er sich und wollte sich gerade umdrehen, als ein Auto neben uns quietschend zum Stehen kam. Ein Ruck ging durch meinen Körper, als Hugh mich hinter sich zog. Aber als im nächsten Moment Adam aus dem Wagen stieg, entspannten wir beide uns augenblicklich und Hugh ließ den Arm sinken, den er beschützend vor mich gehalten hatte

„Adam", sagte ich freudig überrascht. Als mich darauf aber ein wütender Blick traf, den ich nicht erwartet hatte, blieben mir alle weiteren Wörter im Hals stecken.

„Adam?" Hugh formulierte Adams Namen wie eine Frage. Auch er schien zu merken, dass etwas nicht stimmte. Adam kam auf uns zu und blieb vor uns stehen.

„Was genau treibt ihr zwei hier?", fragte er mit zusammengebissenen Zähnen. Irritiert schaute ich Adam an. Ich hatte das Gefühl, dass Hugh die besseren Wörter finden würde und schwieg daher.

„Ich hatte ein paar Fragen an April, die hat sie mir beantwortet", erklärte Hugh sachlich. Seine linke Schulter verdeckte mich noch ein wenig und schirmte mich somit von Adam ab. „Und das ging nicht am Telefon oder bei mir?"

„Du weiß, dass es am Telefon nicht geht und wir uns im Blacktower nicht mehr treffen wollten." Hughs Stimme blieb weiterhin ruhig. Immer wieder blickte ich zwischen den Männern hin und her. Mein Blick blieb an Adam hängen, als er mich fixierte.

„Warum hast du nichts gesagt?", fragte er noch immer wütend.

„Ich habe dich angerufen. Also es versu-"

„Dann hättest du nochmal angerufen sollen verdammt nochmal. Ich versuche dich nämlich seit über einer dreiviertel Stunde zu erreichen." Ich zuckte unter seinen harschen Worten zusammen.

"Tut mir leid, mein Handy ist auf lautlos, weil ich mit Hugh-"

„Erst als ich bei Colleen durchgerufen habe, konnte sie mir sagen, dass du mit Hugh telefoniert und kurz darauf das Büro verlassen hast. Weißt du, was für Horrorszenarien mir durch den Kopf gegangen sind?", schrie er nun. Glücklicherweise waren nicht viele Passanten unterwegs, die uns schief ansehen konnten. Ich konnte nichts erwidern und starrte Adam nur mit aufgerissenen Augen an.

„Adam. Lass sie ausreden."

„Ihr zwei, was genau ist das zwischen euch, Hugh?" Adam blickte wieder zu seinem Freund.

„Du verteidigst sie auf der Benefizgala, hältst Monologe ihr gegenüber und bist ziemlich oft mit ihr allein. Willst du mir was sagen?", giftete Adam Hugh an.

Wer war dieser Mann? Wo war der verständnisvolle, ausgeglichene, liebende Mensch? Dieser Mann, der vor mir stand und an einem seiner besten Freunde zweifelte, war nicht der Mann, in den ich mich verliebt hatte. Dieser Mann war mir fremd. Es war eine Sache an mir zu zweifeln. Ich wäre nicht die erste Frau, die ihn betrogen hätte. Aber an Hugh zu zweifeln, war eine ganz andere. Hugh verspannte sich neben mir, wenn sein Gesicht auch weiterhin regungslos blieb. Bevor die Situation noch weiter ausarten konnte und die beiden Männer noch mehr aneinander gerieten, trat ich vor Hugh und lenkte so die Aufmerksamkeit der beiden auf mich.

„Ich weiß nicht, welchen Grund du hast, an deinem Freund zu zweifeln Adam. Es ist nicht üblich für dich, das zu tun."

„Was weißt du, was normal für mich ist und was nicht?", herrschte er mich an. Mir stiegen die Tränen in die Augen. „Stimmt", sagte ich leise. Adam runzelte die Stirn. Ich lächelte ihn traurig an.

„Wir kennen uns seit nicht einmal vier Monaten, haben genug auf Arbeit zu tun und ich trage auch noch einige Probleme mit mir herum. Ich kann dich gar nicht richtig kennen. Zumindest kenne ich diese Seite noch nicht von dir. Das zeigt mir, dass ich dich wirklich nicht kenne. Aber was auch immer du gedacht hast zu wissen, es stimmt nicht. Zweifle nicht an deinem Freund Adam. Zweifle an der Welt, an den fremden Menschen, zweifle an mir, wenn du willst, aber niemals an deinen Freunden. Sie kennen dich und du kennst sie."

„April." Adam starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an und aus seiner Stimme war jede Aggressivität verschwunden. Ihm schien klar geworden zu sein, wen er gerade beschuldigt hatte, ihn hintergangen zu haben. Ich schüttelte aber nur den Kopf, weil ich nicht noch ein Wort herausbringen konnte, ohne in Tränen auszubrechen. Adam zog mich unverwandt an sich und umarmte mich. Doch so wie gestern erwiderte ich die Umarmung nicht. Stattdessen trat ich einen Schritt zurück und Adam ließ mich los. Sein Blick wurde flehentlich. Ich wollte gerade keine Umarmungen und lieben Worte.

Ich hob meinen Arm und stieg in das Taxi, dass sofort am Bürgersteig hielt. Auch ich musste hin und wieder mal Glück haben. Adam wollte nach mir greifen, aber ich sah, dass Hugh ihn am Ellenbogen festhielt. Die Szene kam mir bekannt vor.

Später in meiner Wohnung lag ich in meinem Bett und versuchte die ganze Situation zu verstehen. Ich hatte Adam noch eine Nachricht geschrieben, dass ich bei mir zu Hause war und er mir etwas Zeit geben sollte. Wir würden uns morgen sowieso auf Arbeit sehen. Wahrscheinlich war Adam noch angespannt wegen der Sache von gestern. Das trug ich ja selber noch mit mir herum, weil wir es nicht klären konnten. Wahrscheinlich hatte er mich vollkommen falsch verstanden. Dann kam das heutige Missverständnis noch hinzu und ich konnte seine Reaktion irgendwie nachvollziehen. Dennoch tat es weh, ihn so zu sehen. Seit sehr langer Zeit, weinte ich mich wieder einmal in den Schlaf, obwohl ich mir geschworen hatte, das nie wieder zu tun. Aber Liebe tat nun leider auch manchmal weh.  

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top