Kapitel 25
Ich weiß nicht, wie lange wir beide auf dem Boden saßen, ohne dass irgendjemand etwas sagte. Adam hielt mich wortlos fest und ich versuchte mein Schluchzen unter Kontrolle zu bringen. Nach einer Weile löste Adam sich schließlich doch von mir und ich verstärkte automatisch den Griff um seine Taille. „Nein, bitte nicht", schluchzte ich. Er sollte mich noch nicht loslassen. Ich wollte noch nicht, dass er aus meinem Leben verschwand. Nicht, wenn ich ihn gerade erst hineingelassen hatte.
Ich wusste, dass es schwer sein würde, Adam die Schandtat meines Lebens zu beichten und ihn dann gehen zu lassen. Aber dass es so schwer werden würde, hatte ich nicht gedacht. Ich hatte nie das Gefühl gehabt, dass mir etwas fehlen würde, wenn mich ein Mensch verlassen würde wegen dem, was ich getan hatte, aber Adam war die Ausnahme. Er hatte gesagt, dass ich seine Stärke sei, aber genau so war er auch meine. Er hatte mir die Kraft gegeben wieder mehr vom Leben haben zu wollen. Liebe zum Beispiel, aber das war mir wahrscheinlich nicht gegönnt. Im Stillen hatte ich wohl immer die Hoffnung gehabt, dass Adam mich verstehen könnte. Aber jetzt würde er sich von mir losmachen und mir sagen ich solle aus seinem Leben verschwinden. Das musste ich akzeptieren.
Adam schob seinen Oberkörper ein Stück zurück. Ich löste meine Arme von ihm und ließ sie kraftlos herunterhängen. Sacht umfasste er mein Gesicht und hob es an, damit ich ihm in die Augen sehen musste. Ich blinzelte die Tränen weg, um ihn wenigstens noch einmal richtig ansehen zu können. Ich hatte Angst. Angst den Mann zu verlieren, den ich gerade erst in mein Leben lassen wollte. Angst den Mann zu verlieren, der mir Halt gab und mich zum Lachen brachte. Angst, wieder allein zu sein.
Jeglicher Erwartung widersprechend, schaute Adam mich weder verächtlich, abstoßend noch wütend an. Ganz im Gegenteil. Er hatte Tränenspuren im Gesicht. Seine Augen waren glasig. Adam hatte geweint?
„Ich werde nie gehen April", flüsterte er und legte seine Stirn an meine. „Ich werde dich nie allein lassen." Ich verstand nicht ganz, was das bedeuten sollte. Die Worte verstand ich, aber die Bedeutung dahinter, konnte doch unmöglich stimmen. Warum sollte er meinetwegen weinen? Warum sollte er mich in seinem Leben haben wollen? Er sollte Angst haben, dass ich ihm nicht auch noch wehtun könnte.
Weitere Tränen liefen mir über die Wangen. Einige wortlose Augenblicke verstrichen, bis ich wieder Hoffnung in mir spürte. „Adam..." Bestand doch noch die Möglichkeit, dass er mit der Tat leben konnte, die ich begangen hatte? Er damit fertig werden konnte, dass ich jemandem das Leben genommen hatte?
Adam sah mir in die Augen. Ich konnte ein Glitzern in ihnen erkennen. Wenn sie vorhin noch dunkel vor Wut waren, so strahlten sie jetzt heller als sonst. Er schien etwas in meinen Augen zu suchen und zu finden, denn kurz darauf senkte er seinen Kopf ein Stück zur Seite und dann streiften seine Lippen ganz sacht die meinen. Es war mehr eine Frage, als alles andere. Ich kniete zwischen Adams Beinen und umklammerte wieder seine Taille, die Finger in sein Hemd gekrallt. Um seine Frage zu beantworten, beugte ich mich ihm ein wenig entgegen. Wenn das ein Traum war, dann war ich voll und ganz bereit, nie wieder aufzuwachen.
Unser Kuss war sanft, langsam und salzig durch meine, vielleicht auch seine Tränen. Aber er war auch unglaublich warm. Er war unglaublich unschuldig. Keiner von uns schien zu viel fordern zu wollen, aus Angst, dass dann unsere Seifenblase zerplatzen könnte. Adams Lippen strichen immer wieder sanft über meine. Ich hatte die Augen geschlossen und erwiderte den leichten Druck seines Kusses. Es schien so, als wollte Adam wissen, dass ich bei ihm war, in seinen Armen und er mich umarmen konnte. Dass ich nicht gleich wieder verschwinden würde, wenn er die Augen öffnete.
Langsam beendete Adam den Kuss und zog sich zurück. Ich öffnete meine Augen wieder und fand sofort seinen Blick. Unsere Gesichter waren ganz nah beieinander, sodass ich Adams Atem auf meinen von Tränen nassen Wangen spüren konnte.
„Ich bin bei dir", flüsterte er. „Und ich werde dich nicht gehen lassen."
Mir stiegen unmittelbar wieder Tränen in die Augen. Dieses Mal waren es aber Tränen der Hoffnung und Freude. Ich verbarg mein Gesicht an Adams Halsbeuge und er strich in langsamen und sanften Bewegungen über meinen Rücken. Er würde bleiben. Er wollte das mit mir durchstehen. Wer oder was auch immer dafür verantwortlich war, dass Adam in mein Leben getreten war. Ich war dankbar, dass er mich oder ich ihn gefunden hatte.
„Ich würde ja sagen, dass es echt süß ist, wie ihr beide da auf dem Boden sitzt und euch aneinander klammert, als hättet ihr Angst, dass der andere verschwinden würde", sagte Patrick hinter mir. „Aber ich habe ein ungutes Gefühl, bei dem was Robert gestern gesagt hat." Und die Seifenblase zerplatze.
Ich hatte Patrick vollkommen vergessen, aber Adam schien es nicht anders zu gehen. Nachdem Patrick angefangen hatte zu sprechen, hatte Adam sich versteift. Als Roberts Name fiel, hatte er augenblicklich den Griff um mich verstärkt. Da wir aber nicht ewig auf dem Boden sitzen konnten, löste ich mich langsam von Adam. Er gab mich wieder nicht komplett frei, sondern lockerte nur seine Umarmung, damit ich mich etwas zurückziehen konnte.
„Matthew hat alles gefilmt. Er hatte eine Kamera in Novembers Zimmer gestellt." Nachdem ich einmal angefangen hatte zu erzählen und ich Adam meine Tat erzählt hatte, fiel es mir erstaunlich leicht, die weiteren Details zu erklären.
„Wie krank war dieser Mann?", fragte Adam angeekelt und umschloss meine Hände. Ich schüttelte nur den Kopf. Bis heute konnte ich nicht sagen, was in Matthews Kopf vorgegangen war. Wie er sich zu so einem Monster verwandeln konnte.
„Robert hat Anklage gegen mich erhoben und auf Todesstrafe plädiert." Adam zuckte regelrecht zusammen. Patrick, der sich mittlerweile auf den Stuhl vor Adams Schreibtisch gesetzt hatte, also genau neben uns war, schnaubte. „Das kannst du nicht ernst meinen!", entgegnete er vollkommen perplex.
„Ich gewann die Verhandlung, aber er legte zweimal Widerspruch ein. Das Video hat mir letzten Endes das Leben gerettet, weil man unsere Kampfgeräusche hören kann, wenn man auch nichts sieht."
Adam legte seine Stirn wieder an meine. „Und er will noch einmal vors Gericht?", fragte er.
Ich schüttelte, so gut es ging, den Kopf. „Nein, also ich weiß nicht. Er sagte, er wolle es dieses Mal anders aufziehen. Effektiver oder sowas in der Art." Verwirrt hob Adam den Kopf.
„Ich weiß auch nicht, was er damit meint, aber ich kenne Robert und er gibt eigentlich keine leeren Versprechungen. Ich habe die Befürchtung, dass er Beweise fälschen könnte, damit der nächste Prozess für ihn besser wird. Er hat es nicht bestritten und Robert würde ich das zutrauen. Obwohl ich nicht weiß, was für ein Video er haben soll."
„Das Telefonat. Runde drei Runde vier", murmelte Adam. Er fügte langsam die Puzzleteile zusammen.
„Aber das mit dem Video kam gestern erst zur Sprache", sagte ich.
„Und vorher hat er dir gedroht", grollte Patrick neben mir. Ich blickte zu ihm. Er sah genauso abgekämpft aus wie Adam und ich. Ich war froh, dass Adam nicht allein gewesen, sondern Patrick die letzten Stunden über bei ihm gewesen war. Er war ein wirklich guter Freund. Ich wollte aufstehen, aber Adam zog mich enger zu sicher heran.
„Gib mir einen Augenblick. Du hättest mich eben fast aus deinem Leben gestrichen, weil so ein Arsch Spielchen mit dir treibt", flüsterte Adam erschöpft. Also lehnte ich mich wieder an ihn. So schwiegen wir drei eine Zeit lang. Adam und ich auf dem Boden, Patrick auf einem Sessel vor Adams Schreibtisch.
Plötzlich hob Adam ruckartig den Kopf. „Wir brauchen das Videomaterial."
„Was? Nein, warum?" Er sollte das nicht sehen. Er sollte weder Novembers Leiche, noch meinen geschundenen Körper sehen. Nein. Nein. Nein!
„Wir brauchen beide Videos", antwortete Patrick, ohne mich zu beachten.
Langsam bewegte Adam sich und stand auf, aber bevor ich reagieren konnte, hob er mich mit sich hoch. Aus Reflex schloss ich die Beine um seine Taille und klammerte mich an ihn. Adam ging, mich fest an sich gedrückt, zum Sofa und ließ mich dort wieder herunter.
„Wartet stopp. Ihr könnt euch nicht das Video anschauen. Ich will nicht, dass ihr das seht", versuchte ich krampfhaft die Aufmerksamkeit der Männer auf mich zu ziehen. Adam hockte sich vor mir auf den Boden. Die Szene kam mir bekannt vor, nur beim letzten Mal hatte ich eine Schnittverletzung gehabt.
„April." Adam sah mich ernst an. „Ich werde nicht zulassen, dass Robert dich nochmal durch diese Hölle gehen lässt." Er drückte meine Oberschenkel. „Wir werden ihm den Wind aus den Segeln nehmen."
„Wie wollt ihr das anstellen?", fragte ich verwirrt.
„Indem wir beweisen, dass das zweite Video, oder welches Beweismaterial er auch immer fälschen will, nicht echt ist. Sollte herauskommen, dass der CEO von Olsen Motors Beweise fälscht, dann wäre es das Ende für den Konzern", sagte Patrick und setzte sich auf das Sofa gegenüber von mir. Adam stand auf und setzte sich links neben mich. Wann hatten die beiden einen Plan entwickelt? Keiner von ihnen hatte doch etwas gesagt!
"Es ist so oder so das Ende von Olsen Motors. Er legt sich mit den Falschen an." Adams Blick verfinsterte sich wieder. Er zog mich, trotz der Wut, die er nun wieder ausstrahlte, ganz sanft zu sich und legte meine Beine über seinen rechten Oberschenkel. Überfordert von der Tatsache, dass Adam Robert eben den Krieg erklärt hatte und er mich ohne Weiteres zu sich gezogen hat, saß ich stumm da und betrachtete ihn. Adam spürte meinen Blick und wandte den Kopf zu mir.
"Alles in Ordnung?", fragte er besorgt und musterte mein Gesicht. Irgendwie war alles in Ordnung. Irgendwie aber auch nicht. In Adams Armen war es so, als könnte mir keiner etwas anhaben, als würde er mich vor allem Bösen beschützen. Andererseits wusste ich, dass Robert noch nicht abgeschrieben war, nur weil ich endlich Menschen gefunden hatte, die mir vertrauten.
„Wie wollt ihr das anstellen?", fragte ich verwirrt. "Ich meine, das mit Robert."
„Als Erstes brauchen wir die Videos. Dann jemanden, der dich im Zweifelsfall verteidigt. Wir müssen die Medien da raushalten und müssen dann das Beweismaterial, also wahrscheinlich das Video, prüfen und beweisen, dass es gefälscht ist. Und das letzte optimal bevor es zu einem Gerichtstermin kommt", erklärte Adam.
„Das ist ganz schön viel, findest du nicht?", entgegnete ich entmutigt.
„Ruf Liam, Mike und Hugh an", sagte Adam an Patrick gewandt. Ich verkrampfte mich. „Nein, warte warum?" Ich wollte nicht, dass die drei auch noch von der ganzen Sache erfuhren.
Patrick lächelte mir aufmunternd zu und zog sein Handy aus der Hosentasche. „Sie sind genau die Menschen, die uns bei all den Aufgaben helfen können, glaub mir."
Missmutig verbarg ich mein Gesicht wieder an Adams Halsbeuge und er strich mir über den Rücken. „Vertrau uns, Rainbow. Wir machen das." Bei dem Kosewort bekam ich am ganzen Körper augenblicklich Gänsehaut. Adam merkte es und rieb mir über die Arme.
Patrick tat ein paar Anrufe und sagte Liam, Mike und Hugh, sie sollten so schnell wie möglich zum Blacktower kommen. Um was es ging, hatte er ihnen jedoch nicht erzählt. Das würde dann wohl meine Aufgabe werden.
„Und wobei helfen uns die drei?", fragte ich irgendwann.
„Hugh ist Rechtsanwalt für Strafrecht. Genau der Richtige für den Job. Liam kennt unzählige Leute in der Medienwelt und Mike stellt unter anderem Trailer für Filme her. Also kennt er sich mit dem Zusammenschnitt von Videos aus."
„Die Frage ist, wie wir an die Videos kommen", warf Patrick ein. Wir schwiegen alle eine Weile und dachten nach. Dann hatte ich eine Idee und schreckte hoch. Adam wollte mich festhalten, wahrscheinlich aus Reflex, aber ich nahm seine Hände in meine und sagte lächelnd und voller Hoffnung: „Ich kenne da jemanden, der uns bei dieser Sache helfen könnte." Zögerlich nickte Adam. Dann lächelte er mich liebevoll an.
„Da ist sie wieder, die April, die ich kennen und lieben gelernt habe." Ich wurde rot. Mit so einem Geständnis konnte ich einfach nicht umgehen.
„Keine Sorge, ich erwarte noch keine Antwort von dir. Ich weiß, was du fühlst. Ich werde warten, bis du es mir auch sagen kannst." Ungläubig schaute ich Adam in die Augen. Wie konnte dieser Mann echt sein? Meine füllten sich abermals mit Tränen.
„Womit habe ich dich verdient?", fragte ich leise mehr mich, als Adam.
„Du bist kein schlechter Mensch, April. Du hast dich verteidigt und wer das nicht so sieht, ist ein Idiot. Jeder hätte versucht sich selbst zu schützen. Es ist keine Frage wer von uns wen verdient. Nicht in der Liebe. Wichtig ist einfach nur das Vertrauen und der Rest findet sich." Er wischte mir eine Träne von der Wange.
„Süßholzraspler", sagten Patrick und ich wie aus einem Mund. Ich schaute zu ihm rüber und einen Moment später fingen wir alle drei an zu lachen. Es tat gut, die beiden Männer um mich zu wissen. Ich war ihnen nicht egal und das erwärmte mein Herz. Adams vor Lachen zuckenden Körper an meinem zu spüren und zu wissen, dass ich es war, die ihm zum Lachen gebracht hatte, dass ich ihm nicht nur Kummer bereitete, machte mich unglaublich glücklich.
Ich legte meine Hände an Adams Wangen und er blickte mir in die Augen. „Ich liebe es, wie du Süßholz raspelst", versicherte ich ihm und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund. Als ich mich zurückzog, biss ich mir vor Verlegenheit auf die Unterlippe und senkte den Blick.
„Wenn es dazu führt, dass du mich küsst, werde ich sehr viel raspeln", entgegnete Adam schmunzelnd.
„Okay." Patrick zog das Wort unnatürlich in die Länge. „Ich bin auch noch anwesend und rasple für keine Frau", stöhne er dann spielerisch genervt. Das Lächeln, dass er mir aber zuwarf, zeigte mir, wie froh er war, dass Adam und ich nun doch zueinander gefunden hatten. Adam hatte es geschafft und meine Mauer zum Einsturz gebracht. Vollkommen.
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