Kapitel 20

Die nächsten zwei Wochen vergingen wie im Flug. Adam und ich hatten ein Geschäftsmeeting oder Geschäftsessen nach dem anderen. Dennoch hatte sich in dem Auto an Thanksgiving zwischen uns etwas Grundlegendes verändert. Am Anfang dachte ich noch, es sei Zufall, aber recht schnell merkte ich, Adam ließ keine Gelegenheit aus, um mich zu berühren.

Brauchte er eine Datei, kam er zu mir und während ich in meinem PC danach suchte, stellte er sich hinter mich, legte seine Hände auf die Rückenlehne meines Stuhls und berührte mit seinen Fingerspitzen scheinbar unbeabsichtigt meine Schultern. Ging er an mir vorbei, streifte sein Körper ganz kurz immer den meinen. Er stellte sich grundsätzlich sehr nah zu mir. Waren wir nicht allein, hielt er einen gewissen Mindestabstand, aber seine Blicke konnte ich trotz dessen immer auf mir spüren. Genauso wie seine Wärme, die mich umfing, wann immer er in meiner Nähe war. Da wir auf der Arbeit zwangsläufig eng miteinander arbeiteten, spürte ich diese Berührungen und seine Wärme häufiger als ich vertragen konnte.

Adam lächelte mich oft einfach nur an, ohne etwas zu sagen, oder etwas von mir zu wollen. Er nahm mittlerweile sogar seine Teetasse persönlich in die Hand, damit er dabei meine Finger kurz umschließen konnte. Wir waren mittags auch schon dreimal essen gewesen, weil Adam meinte, dass es einfacher wäre, gleich unterwegs irgendwo zu halten und zusammen zu Mittag zu essen. Beim ersten Mal glaubte ich das auch noch, aber nach und nach ging mir auf, dass es Adam ernst gemeint hatte, als er zu mir gesagt hatte, dass er warten könne. Nur würde er mich so lange wohl foltern wollen.

Adam schien so in seinem Spiel vertieft zu sein, dass ihm wahrscheinlich gar nicht auffiel, wie sehr mich all das mitnahm. Es löste kein schlechtes Gefühl in mir aus, aber dennoch wusste ich einfach nicht damit umzugehen. Seine Berührungen verursachten jedes Mal, mögen sie noch so sacht gewesen sein, eine enorme Gänsehaut. Adams Wärme umschloss mich immer wieder aufs Neue vollkommen unerwartet, obwohl man meinen könnte, dass ich es irgendwann doch gewohnt sein müsste. Aber dem war nicht so.

An dem Wochenende nach Thanksgiving fand eine Feier der High Society statt und Adam bat mich, ihn zu begleiten, aber ich lehnte vehement ab, weil ich zum einen dafür keine Kleider besaß und zum anderen es nicht meine Welt war, sondern seine. Er nahm meine Argumentation mit einem Lächeln hin und versprach mir, dass er mich auf die nächste Feier mitnehmen würde. Und aus irgendeinem Grund, konnte ich ihm das sogar glauben. Aber für mich stand fest, dass ich mich wieder weigern würde.

Irgendwann würden wir die Grenze, die wir schon oft überschritten hatten, komplett einreißen und danach würde es kein Zurück mehr geben. Ich brauchte aber die Sicherheit dieser Grenze. Sich auf Adam, der eindeutig mehr wollte als nur mein Boss zu sein, einzulassen, würde bedeuten, ehrlich zu ihm zu sein. Ich wollte ihn nicht belügen, weil das einer Beziehung den Todesstoß gab. Das Problem war nur, dass ich ihm auch nicht die Wahrheit sagen wollte, warum ich war, wie ich war. Doch es fiel mir immer schwerer, ihm zu widerstehen und das machte die ganze Sache so gefährlich.

Patrick, Mike, Liam und Doreen standen natürlich hinter Adam. Sie hatten die letzten zwei Wochen ein paarmal vorbeigeschaut und mich immer wieder darauf angesprochen, dass Adam doch ein treuer, liebenswerter und perfekter Mann sei. Dass er mein Boss war und es sich eigentlich nicht gehörte, dass Angestellte und Chef zusammen waren, schien keinen von den Vieren zu stören.

An einem Tag war sogar Hugh vorbeigekommen. Es erschien mir seltsam, dass all seine Freunde, nachdem sie mich kennengelernt hatten plötzlich vorbeischauten. Ich erwähnte es aber nie.

Hugh hingegen hatte mich bei seinem Besuch nicht sehr beachtet und wie es schien, hatte er mit Adam etwas Geschäftliches zu besprechen gehabt. Trotzdem konnte ich seine Abneigung mir gegenüber spüren, aber nicht verstehen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihm einen Grund gegeben zu haben, mich nicht zu mögen. Er sollte mich nicht gleich in seinen Freundeskreis aufnehmen, aber etwas Höflichkeit wünschte ich mir dennoch.

Ich wusste, wie Adam war, und genau das war noch so ein Problem. Ich kannte Adam seit knapp drei Monaten und in den drei Monaten hatte er mir mehr als einmal bewiesen, dass er immer ehrlich war, aufs Ganze ging und keine halben Sachen machte. Bei Gott, ich wollte auch keine halbe Sache. Ich wollte alles, aber ich durfte nichts davon haben.

Dass Robert Olsen sich gezeigt hatte, hatte mir verdeutlicht, dass er das zwischen mir und jedem Mann mit nur einem Satz zerstören könnte. Nicht nur zwischen mir und einem Mann. Zwischen mir und jedem Menschen auf diesem Planeten. Er hatte eine gewisse Macht über mein Leben. Es lag in gewisser Weise in seiner Hand, als wäre ich eine Marionette und an ihn gebunden. Ich hatte Angst, dass Adam mich angewidert oder abweisend anschauen würde, dass er mich nicht verstehen könnte. Das konnte ich bis heute ja nicht mal selbst ganz. Daher war es das Beste, wenn Adam, Adam blieb und ich weiterhin einfach nur seine Assistentin war.

„April?" Ich blickte auf und sah Adam an, der hinter seinem Schreibtisch saß. „Was hast du gerade gedacht?" Das fragte er nur zu gerne. Es war mittlerweile sogar fast zu einem Running Gag zwischen uns beiden geworden und ich hatte ihm immer ehrlich geantwortet, aber dieses Mal konnte ich ihm schlecht eine ehrliche Antwort geben.

„Ähm..." Die gähnende Leere, die plötzlich in meinem Kopf herrschte, war nicht sehr kreativ, aber im Lügen war ich schon immer sehr schlecht gewesen. Ich konnte Halbwahrheiten ganz gut verpacken und mich auch gut ausdrücken, aber eine komplette Lüge aus dem Ärmel zu schütteln, war noch nie meine Stärke gewesen. Adam registrierte mein Zögern natürlich sofort. Ich hatte das Gefühl, dass er mich mittlerweile besser kannte, als es sonst jemand je getan hatte.

„Willst du es mir sagen?", fragte er sanft und beugte sich nach vorne, indem er seine Hände verschränkte und die Unterarme auf den Schreibtisch abstützte. Adam hatte sein Jackett schon heute früh ausgezogen. Die weißen Hemdärmel hatte er nach oben umgekrempelt. Seine schwarzen Haare standen wieder in alle Richtungen ab, aber es sah unglaublich gut aus und wirkte absolut anziehend auf mich. Ich schüttelte nur den Kopf. Und Adam seufzte leise.

„Was ist passiert April?" Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Wie meinst du das?"

„Irgendwas belastet dich so sehr, dass du mich und jeden anderen Menschen nur bis zu einem bestimmten Punkt an dich heranlässt. Ich verstehe, dass du keinem eine Lüge erzählen willst, darum vermeidest du Themen wie deine Familie oder Privatleben bevor du bei Backtronic angefangen hast." Ich versteifte mich augenblicklich. Ich konnte ihm nichts davon erzählen. Das würde alles zerstören, was sich zwischen uns entwickelt hatte. Andererseits würde er aufhören mich so anzusehen, als wäre ich unglaublich wichtig für ihn. Dieses Blau in seinen Augen schien so hell zu stahlen, als wollten sie allein mich wieder auf die helle Seite des Lebens ziehen. Und wollte ich, dass er aufhörte mich so anzusehen? Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wollte ich das nicht. Aber das zu wollen, war selbstsüchtig. Ich musste Adam einfach ziehen zu lassen, damit er eine geeignete Frau für sich fand, weil ich die nie sein konnte.

Adam holte mich aus meinen Grübeleien. „Ich möchte einfach nur, dass du ohne diese Schatten, die sich in letzter Zeit um deine Augen legen, wieder lachen kannst, wie es am Anfang deiner Arbeitszeit hier bei Blacktronic war. Habe ich etwas getan? Bin ich dir zu nah getreten?"

„Nein. Das ist es nicht. Adam, ich kann nicht darüber reden. Es würde Fragen aufwerfen und du hättest jedes Recht mir dann Fragen zu stellen, aber ich will diese Fragen nicht hören. Ich will dir und mir keine Antworten geben." Adam blickte mir lange in die Augen. Irgendwann nickte er. „Okay. Ich habe dir gesagt, dass ich warte und das werde ich tun."

„Adam, bitte", flehte ich kopfschüttelnd. „Du machst es mir nur noch schwerer."

„Ich will es dir ja auch gar nicht einfach machen. Nicht in dieser Hinsicht. Ich wäre nicht ich, wenn ich dich einfach so gehen lassen würde. Du kennst mich, April", sagte er verschmitzt lächelnd. „Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, hole ich es mir."

„Adam Black", gab ich einfach nur seufzend von mir. Allein sein Name erklärte schon alles. Über diesen Gedanken hätte ich fast lachen können.

„Also ich gehe davon aus, dass du meine Worte bezüglich des letzten Anrufs nicht mehr vernommen hast?", fragte Adam mit einem neckenden Unterton und wechselte das Thema. „Nicht ganz, nein."

Wir besprachen ein paar weitere Dinge und ich wollte gerade aufstehen, als das Telefon an meinem Schreibtisch klingelte. Adam nahm seines in die Hand, leitete den Anrufer um und reichte mir das Telefon.

„Blacktronic Coop. April Young am Apparat, was kann ich für Sie tun?" Adam stand auf und brachte einen Ordner zurück in den Schrank.

„Du warst gar nicht an ihrem Grab", sagte eine Männerstimme. Ich erstarrte. Das war unmöglich. Ich hatte so gehofft, von ihm nie wieder etwas zu hören. Robert. Wollte er mich leiden sehen, weil ich in den letzten Jahren seiner Meinung nach nicht genug gelitten hatte?

Novembers Todestag war vorgestern gewesen. Heute vor sechs Jahren haben sich meine Eltern das Leben genommen. Ihre Gräber waren in meiner kleinen Heimatstadt unweit L.A., aber ich konnte nicht einfach mitten in der Woche hinfahren. Außerdem konnte ich Friedhöfe noch nie leiden. Friedhöfe und Krankenhäuser. Beides Orte, die in jedem Winkel zeigten, wie vergänglich das Leben war.

„Das stimmt", sagte ich so geschäftsmäßig wie möglich, um Adams Aufmerksamkeit nicht auf mich zu ziehen. „So schnell vergisst man seine Schwester? Und deine Eltern? Die konnten es ja gar nicht erwarten von dir wegzukommen." Roberts tiefe Stimme triefte nur so vor Hass. Auf meinem ganzen Körper breitete sich eine Gänsehaut aus.

Ich reagierte instinktiv. „Und weiter?" Meine Stimme klang auf einmal fremd. So kalt und doch beherrscht. Adam merkte, dass etwas nicht stimmte, denn er drehte sich um und sah mir prüfend ins Gesicht. Ich schaute kurz zu ihm und blickte dann aus der Fensterfront, noch immer vor Adams Schreibtisch sitzend.

„Du bist nicht allein. Ist dein werter Boss bei dir? Es freut mich Black mal einen Besuch abzustatten und ihm so zu erzählen, was für ein kleines Miststück du doch bist."

„Das würdest du nicht tun. Ich weiß nicht, was dein Problem ist, aber wir haben das schon ganze dreimal durch. Willst du jetzt Runde vier aufziehen?"

„In der Tat." Robert lachte.

„Viel Spaß dabei. Ich spiele deine Spielchen nicht mehr mit." Es überraschte mich selbst, dass meine Stimme so fest und endgültig klang. So fühlte ich mich gar nicht.

„Black und Rickson wären doch auch ganz nett als Spielpartner. Findest du nicht?"

Bevor ich es verhindern konnte, schoss mein Blick wieder zu Adam. Dieser stand noch immer vor dem Schrank mit den Ordnern und hatte die Augen zu Schlitzen verengt. Er wirkte angespannt.

„Hör auf damit. Lass meine Freunde aus der Sache raus."

„Aber dann macht es nur halb so viel Spaß." Ohne ein weiteres Wort legte ich auf und starrte wütend das Telefon an. „Wer war das?", fragte Adam noch immer angespannt. Ich schüttelte nur den Kopf. „Gibt es eine Möglichkeit, dass du das Telefonat erstmal auf sich beruhen lässt?"

„Ich weiß nicht. Kommt darauf an, was die Person von dir wollte und wer sie war."

„Ist das so wichtig?" Adam kam zu mir und kniete sich neben mir hin, um auf Augenhöhe mit mir zu sein. „Kann die Person dir weh tun?" Ich bemerkte, dass er mir ins Gesicht schauen wollte, aber ich senkte den Blick und sah auf meine Hände.

„Nur indem sie dir weh tut", flüsterte ich. Adam nahm meine Hand und sagte: „Keine Sorge April, ich bin hart im Nehmen." Ich nickte nur. „Begleite mich am Freitag auf die Benefizgala."

Über den Themenwechsel verwirrt und zugleich erleichtert, hob ich den Kopf. „Ich kann nicht. Und das weißt du."

„Du kaufst dir ein Kleid hiermit." Er drückte mir seine Kreditkarte in die Hand. Ich bekam Schnappatmung. „Nein!", entgegnete ich bestimmt. „Ich will dein Geld nicht." Ich wollte ihm die Kreditkarte wiedergeben, aber er zog seine Hand zurück.

„Das weiß ich, aber ich will dich in einem atemberaubenden Kleid sehen", sagte er, während sich auf seinem Gesicht ein träges Lächeln bildete.

„Rückenfrei würde ich empfehlen", rief Patrick, der gerade zur Tür hereinkam. Dieser Mann hatte aber auch ein Timing. „Alles nur nicht rückenfrei. Das kann ich nicht tragen." Und wieder spürte ich Adams prüfenden Blick auf mir. Eine gewisse Angewohnheit von ihm in letzter Zeit. „Na, du wirst schon was finden."

„Wer sagt denn, dass ich mitkomme?"

„Wir", antwortete Adam und ich sah ihn an. „Du und deine drei anderen Persönlichkeiten?"

Er grinste. „Ich bin froh nur dir ein Kleid zu spendieren. Müsste ich deine anderen sechs Persönlichkeiten auch einkleiden, wäre ich arm." Ich lachte. „Touché."

Adam stand auf und ich tat es ihm gleich. „Also hole ich dich am Freitag um sieben von dir zu Hause ab. Dann kannst du morgen ein Kleid kaufen gehen und es übermorgen ausführen."

„Habe ich eine andere Wahl?", fragte ich mürrisch und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Nein. Und kauf mir eine passende Krawatte."

„Nimm doch einfach eine Schwarze", gab ich kopfschüttelnd zurück. „Ich will aber, dass du mir eine kaufst, die zu deinem Kleid passt."

„Männer. Und ich dachte, Frauen sind schlimm."

„Alle Frauen außer dir, April", lachte Patrick.

Immerhin war Patrick im richtigen Moment aufgetaucht. Denn so konnte ich von dem Telefonat ablenken. Trotzdem hatte ich das Gefühl, als würde ich Robert und seinen Hass bald wiedertreffen. Und Adam hatte das Telefonat ganz sicher auch nicht vergessen. Schöne Aussichten.

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